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Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (RFSR) | bpb.de

Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (RFSR)

J. Siegl

Der R. ist ein politisches Projekt, das alle Maßnahmen und Regelungen der EU aus dem Bereich der Innen- und Justizpolitik umfasst. Hierzu zählen die Asyl- und Migrationspolitik, die »justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen« und die »polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen«. Der Vertrag von Amsterdam (1999) führte die Schaffung eines europ. R. als allgemeine Zielbestimmung ein, um den freien Personenverkehr in der EU zu gewährleisten. Die einzelnen Aktivitäten zur Schaffung des R. sind auf verschiedene vertragliche Rechtsgrundlagen verteilt:

• Die Zuwanderungspolitik und die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen sind eine Gemeinschaftsaufgabe;

• die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen ist dagegen Teil der intergouvernementalen, d. h. zwischenstaatlichen Zusammenarbeit.

Der Rat der europ. Innen- und Justizminister stellt den zentralen Ort der intergouvernemental geprägten Entscheidungsfindung dar. Die Politik im Bereich des R. ist gekennzeichnet vom Spannungsverhältnis zwischen grundsätzlicher Kooperationsbereitschaft der Mitgliedstaaten und der Furcht vor Souveränitätsverlusten. Zentrale Elemente sind der Informationsaustausch und das sog. Prinzip der gegenseitigen Anerkennung von Gerichtsurteilen. Gleichwohl werden die Innen- und Justizpolitiken der einzelnen Länder nicht miteinander harmonisiert und keine EU-Institutionen mit Eingriffsbefugnissen geschaffen. Die EU-Kommission hat eine eigene Generaldirektion für Justiz, Freiheit und Sicherheit. Ihre vielfachen Aktivitäten zum R. zielen darauf ab, den Rahmen für eine erfolgreiche Kooperation der Mitgliedstaaten zu schaffen. Auch den verschiedenen EU-Einrichtungen zur Innen- und Justizpolitik wie Europol, Eurojust und FRONTEX kommt hauptsächlich eine koordinierende Funktion zu. Erste Formen der Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten in diesem Bereich gab es bereits ab Mitte der 1970er-Jahre, allerdings außerhalb des Gemeinschaftsrahmens. Einen deutlichen Schub erfuhr diese meist lockere Kooperation durch das Schengener Abkommen (1985) mit seinem Ziel, die Personenkontrollen an den Binnengrenzen abzuschaffen. Als Ausgleichsmaßnahmen hierzu wurden die polizeiliche Zusammenarbeit verstärkt und erste Schritte zu einer gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik unternommen. Der Vertrag von Maastricht (1993) schuf mit der sog. »dritten Säule« erstmals einen vertragsrechtlichen Rahmen für die EU-weite Zusammenarbeit in der Innen- und Justizpolitik. Der Vertrag von Amsterdam (1999) überführte die Asyl- und Migrationspolitik sowie die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen in die »erste Säule« und brachte den R. als umfassendes Politikkonzept ein. Die wachsende Zusammenarbeit der EU-Staaten im Bereich der Innen- und Justizpolitik ist eine Antwort auf einen zunehmenden Problemdruck, der durch weggefallene Binnengrenzen, den Anstieg illegaler Einwanderung sowie durch grenzüberschreitende Kriminalität und Terrorismus entstand. Die EU-Aktivitäten zum R. werden durch Fünfjahresprogramme vorstrukturiert: Programm von Tampere (1999–2004) und Haager Programm (2005–09) sowie das aktuelle Stockholmer Programm. Kritiker beklagen eine einseitige Ausrichtung der Politik des R. auf das Ziel Sicherheit, insbesondere nach den Terroranschlägen vom 11.9.2001 und den Folgeanschlägen in Madrid (2004) und London (2005). Kritisiert wird zudem ein mangelnder Schutz von Grundrechten, etwa beim Kampf gegen illegale Einwanderung oder beim Datenschutz. Aufgrund von Ausnahmeregelungen und unterschiedlichen Vereinbarungen mit Drittstaaten besitzt das Konzept des R. keinen einheitlichen territorialen Geltungsbereich. Der Vertrag von Lissabon (2009) führt alle Bereiche des R. im Vertrag über die Arbeitsweise der EU zusammen und ordnet die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen weitgehend den Gemeinschaftsaufgaben zu.

Literatur

  • P.-Ch. Müller-Graff (Hg.): Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, Baden-Baden 2005.

  • F. Tekin: Opt-Outs, Opt-Ins, Opt-Arounds? Eine Analyse der Differenzierungsrealität im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in: integration, H. 4/2012, S. 237-257.

aus: Große Hüttmann / Wehling, Das Europalexikon (3.Auflage), Bonn 2020, Verlag J. H. W. Dietz Nachf. GmbH. Autor des Artikels: J. Siegl

Siehe auch:

Fussnoten

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