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Frankreichs Ambitionen auf der Weltbühne

Ronja Kempin

/ 7 Minuten zu lesen

Frankreich hat den Willen, Weltpolitik zu betreiben. Obgleich die hierzu notwendigen Ressourcen des Landes schwinden, bleibt sein Anspruch bestehen, das internationale Geschehen zu beeinflussen. Dabei stützt sich Frankreich auf einen ambitionierten diplomatischen Dienst, einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sowie den Besitz von Nuklearwaffen.

Der französische Außenminister Laurent Fabius im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. (© AP)

Frankreich ist in vielerlei Hinsicht anders als Deutschland. Dieser Befund trifft auch in der Außen- und Sicherheitspolitik zu. Während die politischen Verantwortungsträger in Deutschland in außen- und sicherheitspolitischen Fragen den engen Schulterschluss mit den Vereinigten Staaten von Amerika suchen, ihr Handeln international abstimmen und mit der öffentlichen Meinung darin übereinstimmen, den Einsatz des Militärs als letztes Mittel der Politik zu betrachten, lehnt Frankreich Lösungsvorschläge der USA quasi reflexartig ab und prescht auf der internationalen Bühne gern und oft mit eigenen Vorschlägen und Ideen vor. Auch nutzt das Land seine Streitkräfte regelmäßig als Mittel der Politik.

Mehr noch: Frankreich nimmt für sich das Recht in Anspruch, im Namen der Menschheit zu agieren. Das Land unterhält nach den USA den zweitgrößten diplomatischen Dienst. Um seine Streitkräfte weltweit schnell zum Einsatz bringen zu können unterhält Paris neun militärische Stützpunkte in Drittstaaten wie Djibuti, Senegal oder den Vereinigten Arabischen Emiraten. Seit 1960 wendet das Land jährlich 20 Prozent seiner Verteidigungsausgaben für den Erhalt der französischen Nuklearstreitmacht auf. Noch immer verfügt Frankreich über 300 nukleare Sprengköpfe. Schließlich nutzt Paris seine Überseegebiete sowie das aus 57 Staaten bestehende Sprach- und Kulturnetzwerk der Francophonie, um seiner Stimme auf allen fünf Kontinenten Bedeutung zu verleihen.

Beobachter schütteln mitunter verwundert den Kopf über den Anspruch des Landes, das Geschehen der Weltpolitik beeinflussen zu wollen. Frankreichs Anteil an der Weltbevölkerung beträgt knapp 1 Prozent. Sie belächeln einen Staat, der seiner imperialen Macht nachzuhängen scheint und sich schwer tut, den eigenen Bedeutungsverlust in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts anzuerkennen. Es greift jedoch zu kurz, Frankreich auf den Status einer realitätsfernen mittleren Weltmacht zu reduzieren. Wer die französischen Ambitionen auf der Weltbühne verstehen will, muss sich mit der außenpolitischen Identität des Landes auseinandersetzen. Diese umfasst drei Bestandteile: eine enge Verbindung von Staat und Nation, die "mission civilisatrice" und das besondere Verständnis der eigenen Größe.

Enge Verbindung von Staat und Nation

Bestimmendes Element des außen- und sicherheitspolitischen Handelns Frankreichs ist das enge Verhältnis zwischen Staat und Nation. Während in der Bundesrepublik Deutschland das Konzept des Staatsvolkes vorherrscht, welches der staatlich begründeten Souveränität unterworfen ist, gilt Frankreich seit der Revolution von 1789 als Idealtypus einer Staatsnation. Mit seiner Forderung nach politischer Selbstbestimmung führte der Dritte Stand das Prinzip des individuellen Bekenntnisses zur Nation ein. Es ersetzte die durch staatlichen Zwang zusammengehaltene Nation durch die republikanische Konzeption einer Nation freier Bürger und veränderte damit das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Staat und Nation entscheidend: War die Nation vor der Revolution dem Staat untergeordnet, weil ihre Angehörigen, wie in Deutschland, im Sinne eines "Staatsvolkes" der staatlich begründeten Souveränität unterworfen waren, wurde die Nation nunmehr zur Quelle staatlicher Rechtmäßigkeit. Sie allein kann staatliche Macht und Herrschaft legitimieren.

Die Nation ist jedoch eine zerbrechliche und instabile Konstruktion, denn sie beruht auf dem freiwilligen und bewussten Bekenntnis seiner Bürger. Ihre Zerbrechlichkeit macht die Nation wiederum abhängig vom Schutz des Staates. Nur der französische Staat ist in der Lage, die französische Nation nach innen vor Spaltung und nach außen vor Fremdbestimmung zu schützen. Das symbiotische Verhältnis, das seit der Französischen Revolution zwischen Staat und Nation besteht, kann somit auf eine einfache Gleichung reduziert werden: Die Nation legitimiert den Staat, der Staat schützt die Nation. Geringfügige Veränderungen in der symbiotischen Beziehung von Staat und Nation in Frankreich würden schwerwiegende Konsequenzen für den Zusammenhalt der politischen Gemeinschaft und für die Legitimität des Staates nach sich ziehen. Der Schutz des Staates muss daher zwangsläufig absolut sein. Überträgt man diese Logik auf die Außen- und Sicherheitspolitik des Landes, folgt daraus, dass Frankreich über eine schlagkräftige Verteidigungspolitik verfügen muss und in seiner Außen- und Sicherheitspolitik weder durch Bündnisse noch durch übergeordnete Instanzen eingeschränkt sein darf. Allein im Rahmen einer unabhängigen und leistungsstarken Außen- und Sicherheitspolitik hat der Staat die Möglichkeit, die Nation gegen äußere Angriffe zu schützen und den Zusammenhalt Frankreichs zu gewährleisten.

"Mission Civilisatrice"

Neben dem Streben nach Unabhängigkeit gründet die Außen- und Sicherheitspolitik Frankreichs auf der so genannten "Mission Civilisatrice". Diese Mission ist ein Erbe der Französischen Revolution von 1789. Die Auflehnung des Dritten Standes gegen Monarchie und Unterdrückung, die mit der Erstürmung der Bastille und der Enthauptung des französischen Königs ihr symbolisches Ende fanden, kulminierte erstmals in der Geschichte in einer Allgemeinen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte sowie in demokratischen und republikanischen Prinzipien. Diese Prinzipien verteidigten die Revolutionäre, als sie 1792 gegen Preußen und Österreich zu Felde zogen, welche die alten Herrschaftsverhältnisse in Frankreich wiederherstellen wollten. Dabei lautete ihr Schlachtruf: "Guerre aux châteaux! Paix aux chaumières!" - "Friede den Hütten! Krieg den Palästen!" Aus diesem Einsatz für die Freiheit und Gleichheit der Menschheit leiteten die politischen Verantwortungsträger Frankreichs hinfort das Recht ihres Landes ab, sich weltweit in Krisen und Konflikte einzuschalten, in denen die Menschenrechte außer Kraft gesetzt sind. Darüber hinaus erklärten sie ihr Land dazu befähigt, zum Wohle der Menschheit zu agieren.

Größe Frankreichs

Der französische Außenminister Laurent Fabius im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. (© AP)

Der Gründer der V. Republik, General Charles de Gaulle, stellte der unabhängigen Außen- und Sicherheitspolitik und der "mission civilisatrice" schließlich ein weiteres Element zur Seite: das der Größe Frankreichs. Dieses Element stammt aus dem Zeitalter von Kaiser Napoleon I., der zu Beginn des 19. Jahrhunderts weite Teile Europas und Afrikas erobert hatte. Unter Napoleon I. rührte dieses Element aus der schieren Größe des napoleonischen Kaiserreichs, der militärischen Überlegenheit seiner Truppen und der Kolonialisierung weiter Teile West- und Zentralafrikas. General de Gaulle kombinierte diese Haltung ab 1958 mit Frankreichs revolutionärer Botschaft von Demokratie und Menschenrechten. Der ständige Sitz des Landes im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, den Frankreich nach Beendigung des zweiten Weltkrieges erhielt, sowie das Interner Link: koloniale Erbe – Frankreich hatte bei Gründung der V. Republik 1958 noch zwanzig Staaten in Nord- und Westafrika kolonisiert und verstand sich entsprechend als Sprachrohr Afrikas – verliehen dem Land in den Augen de Gaulles das Recht auf eine eigenständige internationale Politik.

Darüber hinaus schrieb de Gaulle die bis dahin vornehmlich auf der linken Seite des politischen Spektrums vorhandenen anti-amerikanischen Reflexe ein in das Gedankengut der konservativen politischen Kräfte Frankreichs. Die missionarische Pflicht, für Frieden und Demokratie einzustehen, setzte Frankreich quasi seit der Revolution von 1789 in Konkurrenz zu den USA. Die Vereinigten Staaten von Amerika leiten aus ihrer Verfassung von 1776 ebenfalls den Anspruch ab, zum Wohle der Menschheit zu handeln. Die Probleme zwischen Frankreich und den USA liegen jedoch darin begründet, dass jede Seite Schwierigkeiten damit hat, die Stellung der anderen Seite anzuerkennen. Doch beinhaltet der Anti-Amerikanismus in Frankreich nicht nur eine außenpolische Komponente, die den USA abspricht, das Wohl der Welt im Auge zu haben. Vielmehr wohnt ihm auch eine kulturelle, vor allem aber eine weltanschauliche Komponente inne.

Der französische Anti-Amerikanismus erfuhr in den 1950er und 1960er Jahren eine Zuspitzung, als die öffentliche Meinung stark von den führenden Intellektuellen des Landes beeinflusst wurde, die nicht nur den amerikanischen Liberalismus und den mit ihm einhergehenden Kapitalismus ablehnten, sondern jegliche Form der amerikanischen Einflussnahme auf Europa. Besonders auf der linken Seite des politischen Spektrums Frankreichs wird die Außen- und Sicherheitspolitik der USA seither ebenso regelmäßig dem Generalvorwurf des Strebens nach weltweiter Hegemonie ausgesetzt wie ihre Wirtschafts- und Kulturpolitik. Auf der konservativen Seite betrat mit dem Amtsantritt de Gaulles am 1. Juni 1958 eine Gruppe die politische Bühne, die ebenfalls voll Bitterkeit über den Atlantik schaute: Aus ihrer Sicht konnte sie im politischen Exil in London der Besetzung Frankreichs durch die Nationalsozialisten nicht entgegenwirken, weil sich Washington bis Ende des Jahres 1944 sperrte, sie als legitime provisorische Regierung Frankreichs anzuerkennen. Bis heute leitet also ein gewisser Anti-Amerikanismus Frankreichs internationales Handeln. Eine gewisse Entspannung in den französisch-amerikanischen Beziehungen konnte indes durch die Rückkehr Frankreichs in die integrierten militärischen Strukturen der Nato erreicht werden. Nicolas Sarkozy hatte die Sonderstellung seines Landes in der Allianz im April 2009 beendet. Den Rückzug Frankreichs aus den militärischen Nato-Strukturen hatte General de Gaulle 1966 angeordnet.

Frankreichs internationale Ambitionen

Frankreich steckt zurzeit tief in der Wirtschafts- und Finanzkrise. Das Land ist hoch verschuldet, seine Industrie kaum konkurrenzfähig. Die wirtschafts- und sozialpolitischen Schwierigkeiten halten die politischen Verantwortungsträger in Paris jedoch nicht davon ab, Frankreichs Führungsrolle in Fragen der internationalen Politik lautstark zur Geltung zu bringen. Das Zusammenspiel dreier Identitätselemente – das enge Verhältnis von Staat und Nation, die Mission civilisatrice und die historische Größe des Landes – hat zur Folge, dass Frankreich eine pro-aktive und auf Unabhängigkeit bedachte Außen- und Sicherheitspolitik verfolgt. Unser Nachbar versteht sich als Vorkämpfer für Freiheit und Menschenrechte und ist überzeugt, das Weltgeschehen positiv beeinflussen zu können. Dabei stützen sich die Regierungen des Landes selbstbewusst auf den Status des Landes als permanentes Mitglied des Sicherheitsrates, als anerkannte Nuklearmacht und als Sprachrohr Afrikas [Afrikapolitik]. Aber auch ohne diese Statussymbole bliebe Frankreichs internationale Ambition wohl unverändert.

Quellen / Literatur

Charillon, Frédérick (2011), Globaler Geltungsanspruch in einer Welt im Wandel. Leitlinien der Strategischen Kultur Frankreichs, DGAPAnalyse Frankreich.

Kempin, Ronja (2008), Frankreichs neue Sicherheitspolitik. Von der Militär- zur Zivilmacht, Nomos Verlagsgesellschaft.

Koolboom, Ingo / Stark, Hans (2005), Frankreich in der Welt. Weltpolitik zwischen Anspruch und Wirklichkeit, in: Länderbericht Frankreich. Geschichte, Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, 2. überarbeitete Ausgabe, Nomos Verlagsgesellschaft.

Fussnoten

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Weitere Inhalte

Ronja Kempin, geb. 1974, leitet die Forschungsgruppe EU-Außenbeziehungen bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. 2007 promovierte sie über Frankreichs Sicherheitspolitik. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die "Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik" der EU, die Sicherheits- und Verteidigungspolitik Frankreichs und die Kooperation von Deutschland, Frankreich und Großbritannien in sicherheits- und verteidigungspolitischen Fragen.