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Analyse: Die neue Regierung von Ewa Kopacz auf dem Prüfstand | bpb.de

Analyse: Die neue Regierung von Ewa Kopacz auf dem Prüfstand

Stefan Garsztecki

/ 15 Minuten zu lesen

Gut ein Jahr vor den nächsten Parlamentswahlen in Polen hat das Land eine neue Regierung. Nach der Wahl von Donald Tusk zum neuen Präsidenten des Europäischen Rates ab dem 1. Dezember 2014 wurde mit Ewa Kopacz die stellvertretende Parteivorsitzende der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) und Sejmmarschallin neue Regierungschefin. Für Tusk war es ein Abgang in schwierigen politischen Zeiten, der Ewa Kopacz den Start nicht gerade erleichtert. Ihr Exposé und erste Personalentscheidungen zeigen, wie sie die ihr zur Verfügung stehende Zeit bis zu den nächsten Parlamentswahlen im Herbst 2015 nutzen möchte. Mit Pragmatismus, Bürgernähe und einer starken Regierungsmannschaft, die auch Schwergewichte der PO umfasst, möchte sie die Bürger von ihrem Kurs überzeugen. Ersten Umfragen zufolge ist ihr zumindest ein guter Start gelungen.

Ewa Kopacz (© picture-alliance/dpa)

Die Wahl des polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk als Nachfolger des Belgiers Herman van Rompuy zum Präsidenten des Europäischen Rates zum 1. Dezember 2014 hat eine hohe Symbolkraft sowohl für die Europäische Union als auch für Polen selbst. Fast auf den Tag genau 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und gut zehn Jahre nach der ersten großen Osterweiterung der EU bekleidet mit Tusk nach dem polnischen Präsidenten des EU-Parlamentes Jerzy Buzek (von Juli 2009 bis Januar 2012) erneut ein Osteuropäer ein Spitzenamt in Europa – und dieses Mal im Zentrum der Macht. Für die EU ist der sehr erfahrene Tusk, der ab Herbst 2007 Regierungschef in Polen war, mit Blick auf den nach wie vor nicht gelösten Konflikt in der Ukraine und das schwierige Verhältnis zu Russland eine sehr gute Wahl, zumal auch das Verhältnis zu Bundeskanzlerin Angela Merkel als ausgezeichnet gilt. Ob sich der manchmal etwas steife Tusk im Brüsseler Machtpoker zurechtfinden wird, bleibt gleichwohl abzuwarten. In der politischen Landschaft Polens war Tusk trotz oder vielleicht auch gerade wegen seines im Ton konzilianten Auftretens über Jahre sowohl in seiner Partei, der Bürgerplattform, als auch im Land fast ohne nennenswerte Konkurrenz, da die oft scharfen Auftritte von Oppositionsführer Jarosław Kaczyński von der Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS ) über die mangelnde Entscheidungsfreudigkeit des Ministerpräsidenten hinwegtäuschten und ihn alternativlos erscheinen ließen.

Zuletzt hatte Donald Tusk dennoch Zeichen von Amtsmüdigkeit gezeigt. Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament Ende Mai 2014 hatte sich die PO zwar noch knapp vor PiS behaupten können, allerdings hatte die Partei mehr als 12 Prozent verloren und liegt nun mit 19 Abgeordneten im Europäischen Parlament gleichauf mit PiS. Zudem hatte die Regierung seit Beginn des Jahres 2012 mit zunehmender Kritik in der öffentlichen Wahrnehmung zu kämpfen und hatte in Umfragen bis zum Ende der Amtszeit von Donald Tusk mehr Gegner als Anhänger. Dazu trugen verschiedene politische Affären bei, von denen die letzte im Juni 2014 die Regierung an den Rand des Abgrundes brachte. Das konservative Wochenmagazin "Wprost" hatte in diesem Monat von Kellnern heimlich aufgenommene Gespräche zwischen prominenten Politikern in einem Warschauer Restaurant veröffentlicht. Von diesen Treffen zwischen Innenminister Bartłomiej Sienkiewicz und Notenbankpräsident Marek Belka bzw. zwischen Außenminister Radosław Sikorski und dem ehemaligen Finanzminister Jacek Rostowski im Jahr 2013 wurden politische Absprachen und Aussagen publik, die einen Skandal verursachten. Demnach machte der Notenbankpräsident seine Unterstützung der Regierung von der Entlassung des damaligen Finanzministers Rostowski abhängig. Außenminister Sikorski hingegen bezeichnete das Bündnis mit den USA als wertlos. Neben dem Inhalt der Gespräche war auch die Sprache der Spitzenpolitiker selbst kritisiert worden. Zwar konnte Tusk eine Vertrauensfrage Ende Juni 2014 im Sejm gewinnen, aber die Lust auf das Regieren dürfte es ihm weiter genommen haben, zumal das öffentliche Vertrauen in die Regierung kurzfristig weiter abnahm. Nimmt man zu den schlechten Umfragedaten und der "Abhöraffäre" noch die innerparteilichen Querelen hinzu, dann dürfte Tusk die Chance, Ratspräsident zu werden, fast schon als Erlösung betrachtet haben. Noch vor der letzten Parlamentswahl im Herbst 2011 in Polen war im Oktober 2010 der parteiinterne Kritiker Janusz Palikot aus der PO ausgetreten, um bei den nächsten Parlamentswahlen mit einer eigenen Gruppierung, der Palikot-Bewegung (Ruch Palikota), rund 10 Prozent der Stimmen zu erlangen. Mittlerweile liegt diese Gruppierung in Umfragen aber deutlich unter der 5-Prozent-Hürde. Gravierender waren wohl die Attacken von Jarosław Gowin, der dem konservativen Flügel innerhalb der PO zugerechnet wurde. Von 2011 bis zu seiner Abberufung durch Tusk übte er das Amt des Justizministers aus, lag aber in normativen Fragen mit Tusk und großen Teilen der Partei über Kreuz. So lehnte er sowohl eingetragene Lebenspartnerschaften, die von Tusk unterstützt wurden, wie auch das Einfrieren von Ei- und Samenzellen und die In-vitro-Befruchtung für unverheiratete Paare ab, während dies die Parteilinie war und Polen als einziges EU-Mitgliedsland noch keine gesetzliche Regelung dieser Frage aufweist. Donald Tusk war es laut eigener Aussage leid, dies immer wieder öffentlich kommentieren zu müssen, und berief daher Gowin als Justizminister ab. Nachdem dieser im August 2013 die Wahl zum Vorsitzenden der PO gegen Tusk verloren hatte, trat er aus der Partei aus und gründete seine eigene Partei. Polen Gemeinsam (Polska Razem) steht normativ PiS näher und arbeitet mit dieser Partei seit dem Sommer 2014 auch zusammen.

Es waren also nicht nur die europäischen Versuchungen, die Tusk den Wechsel nach Brüssel schmackhaft machten, sondern auch die innerparteilichen Querelen und die wenig komfortable Situation der Regierung ein Jahr vor den Sejmwahlen im Herbst 2015. Damit stellt sich auch die Frage, welche Chance die neue Regierung von Ministerpräsidentin Ewa Kopacz ein Jahr vor den nächsten Wahlen hat und mit welchen eigenen Akzenten sie versucht, politisches Profil zu gewinnen. Als Generationenwechsel, der im Übrigen besser in der Mitte einer Amtszeit durchzuführen wäre, kann die Stabsübergabe an Ewa Kopacz zudem nicht betrachtet werden, ist doch die neue Ministerpräsidentin ein knappes halbes Jahr älter als Tusk und wird Anfang Dezember 58 Jahre alt. Mit Blick auf die anstehenden Wahlen – die Kommunal- und Regionalwahlen im November dieses Jahres, Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Frühjahr bzw. Herbst des kommenden Jahres – wird von ihr nicht nur erfolgreiches Regieren, sondern auch eine Erneuerung der Bürgerplattform erwartet.

Ministerpräsidentin Ewa Kopacz und das Parteikalkül

Ewa Kopacz stand bisher eher im Schatten des langjährigen Ministerpräsidenten Tusk, obgleich sie bereits höchste Staatsämter innehatte. Die ausgebildete Kinderärztin war im ersten Kabinett Tusk Gesundheitsministerin und bekleidete bis zu ihrer Wahl zur Ministerpräsidentin das Amt des Sejmmarschalls. In den 1990er Jahren gehörte sie der aus dem Intellektuellen-Milieu der Gewerkschaft Solidarność hervorgegangenen liberalen Freiheitsunion (Unia Wolności – UW) an, bevor sie 2001 zur PO wechselte, für die sie ab 2001 Abgeordnete im Sejm war. Seit Herbst 2010 ist sie zudem Vizevorsitzende der Bürgerplattform und enge Vertraute von Donald Tusk, so dass ihre zügige Nominierung folgerichtig war. Am 22. September 2014 wurde sie von Staatspräsident Bronisław Komorowski zur Ministerpräsidentin berufen und zugleich ihr Kabinett vereidigt. Sie steht damit der Koalitionsregierung aus PO und Polnischer Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL) vor.

Mit ihrer Regierungsmannschaft präsentierte Ministerpräsidentin Kopacz auch gleich zwei erste Überraschungen. Zum einen berief sie die einer breiteren Öffentlichkeit nahezu unbekannte, ihr aber vertraute PO-Abgeordnete Teresa Piotrowska zur neuen Innenministerin als Nachfolgerin des parteilosen Bartłomiej Sienkiewicz, der in der "Abhöraffäre" vom Juni dieses Jahres nicht die beste Figur abgegeben hatte, und zum anderen den ehemaligen Rivalen von Donald Tusk und in der PO nach wie vor sehr populären Grzegorz Schetyna zum Außenminister. Er folgt damit Radosław Sikorski, der Ewa Kopacz im Amt des Sejmmarschalls beerbt. Da Elżbieta Bieńkowska, Ministerin für Infrastruktur und stellvertretende Ministerpräsidentin, im September 2014 von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zur EU-Kommissarin berufen wurde, wurde Verteidigungsminister Tomasz Siemoniak neuer stellvertretender Regierungschef. Ein Schwergewicht ist auch der stellvertretende Parteichef Cezary Grabarczyk, der dank sehr guter Wahlergebnisse in den Parlamentswahlen eine starke Position in der Partei hat und der als Justizminister u. a. eine Regelung zur In-vitro-Fertilisation durch den Sejm bringen muss. Chef der Kanzlei der Ministerpräsidentin bleibt wie bei ihrem Vorgänger der parteilose Jacek Cichocki, während für den langjährigen Finanzminister Jacek Rostowski kein Platz in der Regierung mehr war. Seine Ernennung zum Staatssekretär in der Staatskanzlei blockierte die PSL, die seine Rückkehr im Rang eines Ministers auch mit Blick auf den Koalitionsproporz und seine Entscheidungen als Finanzminister nicht mehr wünschte. Alles in allem gehören der neuen Regierung fünf neue Minister von insgesamt 18 Regierungsmitgliedern an, so dass sich das Revirement im Rahmen hielt.

Ewa Kopacz betonte in ersten Äußerungen zur Regierungsmannschaft, dass ihr das Team wichtig sei. Zudem möchte sie das verlorene Vertrauen in die Regierung und in die Politik zurückgewinnen, was wohl die Wahl des populären Grabarczyk und Schetynas zu Ministern mit erklärt. Zugleich versucht sie im Vorfeld der Wahlen die Unruhe in der PO zu mindern, indem sie mit ihnen zwei wichtige Akteure in die Regierungsdisziplin einbindet.

Das Exposé: Pragmatismus und Bürgernähe

In ihrem im Sejm am 1. Oktober vorgestellten Exposé erklärte die neue Ministerpräsidentin es zu ihrer wichtigsten Aufgabe, das Vertrauen in die politischen Institutionen, und hier vor allem in den Sejm, zu stärken. Seit Jahren wird die Arbeit der beiden Parlamentskammern – Sejm und Senat – von den Polen wenig geschätzt, und auch das Vertrauen in Politiker und die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie sind seit Jahren auf sehr niedrigem Niveau. Ewa Kopacz betont daher in diesem Zusammenhang, dass sie für die schweigende Mehrheit der Polen arbeiten möchte, die vom Parteiengezänk genug hätte.

Nach diesen allgemeinen Ausführungen beschränkte sich das knappe, 45 Minuten dauernde Exposé auf Schwerpunkte in den einzelnen Politikbereichen. Ewa Kopacz begann mit Polens Position in der EU, verwies auf die enormen Summen, die Polen aus den EU-Töpfen im Rahmen der Kohäsionspolitik erhält, und bekannte sich zu einer aktiven Rolle Polens in der EU. Ferner warb sie für eine Freihandelszone zwischen der EU und den USA und befürwortete auch klar eine zügige Einführung des Euro, sobald Polen die Bedingungen erfüllen wird, da der Euro positiv für die polnische Wirtschaft sei – ein Akzent gegen PiS, die sich gegen eine schnelle Einführung des Euro ausspricht und für ein Referendum optiert. Als zentral hob Ewa Korpacz auch Fragen der äußeren Sicherheit hervor. Sie möchte die Ausgaben im Wehretat schon im Jahr 2015 erhöhen und die Armee modernisieren, was möglicherweise einer der Gründe ist, dass Verteidigungsminister Siemoniak einer von zwei Vizeregierungschefs wurde – neben Wirtschaftsminister Janusz Piechociński, dem das Amt als Chef des Koalitionspartners PSL zugefallen ist. Für Firmen, die vom russischen Embargo betroffen sind, plant die Regierung ein Antikrisengesetz, der Bergbau soll eine rentable Branche werden und schließlich soll auch der Ausbau der Infrastruktur mit dem Bau von Autobahnen und Schnellstraßen weiter vorangetrieben werden. Ein weiterer Schwerpunkt des Exposés war die Sozialpolitik. Hier möchte Ewa Kopacz den Ausbau von Krippen und Kindergärten unterstützen und ab 2016 den Elternurlaub für alle Eltern, beschäftigt oder nicht, einführen. Ferner soll die noch von der Vorgängerregierung Tusk beschlossene Rentenanpassung im Jahr 2015 erfolgen. Für die Hochschulen sind höhere Ausgaben vorgesehen: Der Anteil für die Hochschulen soll bis 2020 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. Zugleich soll ein Praktikumsprogramm in öffentlichen Einrichtungen für Studenten gestartet und ein Studium im Ausland für die begabtesten Studierenden gefördert werden, unter der Bedingung, dass sie anschließend fünf Jahre in Polen arbeiten. Zum Schluss ihrer Ausführungen bat die neue Ministerpräsidentin nicht um einhundert ruhige Tage, sondern um Zusammenarbeit in für Polen wichtigen Fragen wie nationale Verteidigung, Energiesicherheit und die Zukunft der polnischen Kohle.

Ein interessanter Aspekt gleich im ersten Teil der Regierungserklärung war nach einer Würdigung ihres Vorgängers Donald Tusk der Appell an den Oppositionsführer Jarosław Kaczyński, "den Fluch des Hasses (gegen Tusk) von Polen zu nehmen".

Die Reaktionen auf das Exposé waren gemischt. Naturgemäß kritisierte die Opposition die Regierungschefin. Leszek Miller, Vorsitzender der Demokratischen Linksallianz (Sojusz Lewicy Demokratycznej – SLD), warf ihr vor, die Versäumnisse der letzten sieben Jahre der PO-geführten Regierungen innerhalb eines Jahres nachholen zu wollen, und auch PiS sprach ihr das moralische Recht ab, an der Spitze der Regierung zu stehen, zumal sie russischen Aussagen zur Untersuchung der Flugzeugkatastrophe von Smolensk Glauben geschenkt habe, als sie Gesundheitsministerin gewesen war. Eine Rolle spielt in konservativen Kreisen und Blogs aber auch der Umstand, dass Ewa Kopacz in den 1980er Jahren der Vereinigten Bauernpartei (Zjednoczone Stronnictwo Ludowe – ZSL), einer Blockpartei, angehört hatte, wie der Sprecher des Koalitionspartners PSL, Krzysztof Kosiński, publik machte. Das trifft allerdings auch auf andere Spitzenpolitiker wie zum Beispiel den Vizeregierungschef Piechociński selbst zu und galt bisher nicht als ehrenrührig.

Die Kommentatoren in den Zeitungen gingen etwas differenzierter mit dem Exposé um. Jacek Żakowski von der einflussreichen Wochenzeitung "Polityka" lobte Ewa Kopacz nachdrücklich für den Appell an Kaczyński, die Aussagen zur Energiepolitik und den Realismus des Exposés. Sergiusz Trzeciak kritisierte in derselben Zeitung aber die fehlende Strategie der Ministerpräsidenten und den häufigen Verweis auf die Umsetzung der Pläne ab dem Jahr 2016, d. h. nach einem möglichen Wahlsieg im kommenden Jahr. Allerdings ist der Vorwurf, dass Ewa Kopacz sich in Details verloren habe, kaum haltbar, wenn man sie mit ihrem Vorgänger vergleicht, dauerte sein Exposé nach der Übernahme der Regierung im Jahr 2007 doch über drei Stunden!

Bereits im Oktober hat Ewa Kopacz mit Besuchen in den Ministerien begonnen, um sich einen Überblick über die Arbeit der Ressorts und der Vizeminister zu verschaffen. Dies ist sicherlich ein Versuch, als energische Regierungschefin wahrgenommen zu werden, nicht zuletzt um das verlorene Vertrauen in die Regierung im Besonderen und in die Politik im Allgemeinen wiederzugewinnen. Zudem waren mit dem Abgang von Tusk auch die Vizeminister zurückgetreten, so dass hier letztlich auch Personalentscheidungen über politische Spitzenbeamte fallen werden, wie sie nach Regierungswechseln üblich sind. Ungewöhnlich ist eher, dass die Regierungschefin diese Überprüfungen selber mittels Besuchen in den Ressorts durchführt und sich für diese Prozedur drei Wochen Zeit nimmt.

Auch wenn die Regierung erst sechs Wochen im Amt ist, haben einige Entscheidungen bzw. Vorfälle doch bereits Schlagzeilen gemacht. Hier ist in erster Linie die Haltung der polnischen Regierung auf dem Klimagipfel der EU in Brüssel am 23. und 24. Oktober 2014 anzuführen. Wie in ihrem Exposé angeführt, möchte Ewa Kopacz den polnischen Bergbau konkurrenzfähig erhalten und eine Verteuerung der Energie vermeiden. Entsprechend setzte sie sich auf dem Gipfel dafür ein, dass Energie in Polen nicht teurer wird. Zwar beschloss der EU-Rat auf seinem Treffen eine Reduzierung der Treibhausgase im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent bis 2030 und soll auch der Anteil der erneuerbaren Energie ebenso wie die Energieeffizienz um 27 Prozent zunehmen, aber für ärmere Länder wie Polen mit einem Bruttosozialprodukt unter 60 Prozent des EU-Durchschnitts sind Ausnahmen im Rahmen einer sogenannten Flexibilitätsklausel vorgesehen. So kann Polen bis zum Jahr 2030 Emissionsgenehmigungen kostenlos auf seine Energieunternehmen übertragen und auf diese Weise die Energiepreise nach Ansicht der Regierung stabil halten. Unabhängig davon, dass die EU-Klimaziele nach wie vor nicht ehrgeizig genug sein dürften, ist für Polen die Situation ausgesprochen schwierig, da rund 90 Prozent seines Energiebedarfs mit Kohle gedeckt werden. Die Regierung bewertete daher das Ergebnis von Brüssel als Erfolg der Regierung. Für PiS ist die erreichte Vereinbarung aber nicht ausreichend und Oppositionsführer Kaczyński hat für den Fall eines Regierungswechsel eigene Bemühungen um ein opt-out angekündigt.

Schlagzeilen machten auch Äußerungen des neuen Sejmmarschalls Radosław Sikorski in einem Interview für das amerikanische online-Nachrichtenmagazin "Politico". Laut der Veröffentlichung hat der russische Präsident Wladimir Putin im Jahr 2008 Ministerpräsident Donald Tusk eine Aufteilung der Ukraine vorgeschlagen. Zwar ist Sikorski mit einer Entschuldigung zurückgerudert und auch Tusk sowie die russische Regierung haben dementiert, aber der Schaden war angerichtet und die Regierung hatte ihre erste innen- wie außenpolitische Krise. Allerdings stellte sich Ewa Kopacz nach einem Gespräch hinter den Sejmmarschall, so dass eine Abberufung, wie von der Opposition gefordert, keine Chance hat.

Eine weiter reichende Bewertung der Regierung ist momentan kaum möglich, da noch nicht einmal die sprichwörtlichen einhundert Tage verstrichen sind. Aber erste Personalentscheidungen und Umfragewerte erlauben vorsichtige Aussagen darüber, ob es sich um eine Übergangsregierung von Tusks Gnaden oder womöglich um ein dauerhafteres Projekt handelt.

Regierung auf Abruf?

Bereits in den ersten Kommentaren zur Personalie Kopacz wurde von manchen Kommentatoren und auch von Oppositionspolitikern gemutmaßt, dass Ewa Kopacz letztlich von Tusk abhängen und die Regierung noch von ihm gesteuert würde. Aber bereits in ihrem Exposé distanzierte sich Ewa Kopacz deutlich und unterstrich, dass sie die Regierungschefin sei und die volle Verantwortung übernehme. Auf einem Parteitag der PO Anfang Oktober 2014 sagte sie, dass sich die Partei von den Menschen entfernt habe und sie – wie im Exposé hervorgehoben – die Interessen der einfachen Wähler realisieren möchte. Ob ihre Regierung nur eine Regierung auf Abruf sein wird, wird im Wesentlichen von zwei Faktoren abhängen: Erstens davon, ob es ihr gelingen wird, die Bürgerplattform geschlossen hinter sich in den Wahlkampf zu führen, und zweitens ob sie imstande sein wird, über Regierungshandeln das Vertrauen der Menschen für einen weiteren Regierungsauftrag zu erlangen.

Was die Bürgerplattform betrifft, hat sich Ewa Kopacz nicht gescheut, prominente PO-Politiker mit großer Hausmacht in ihre Regierungsmannschaft aufzunehmen und so das Profil der PO für die Wahlen zu schärfen und zugleich die Reihen zu schließen. Grabarczyk und Schetyna müssen sich nun in ihren Ressorts bewähren und dort Erfolge vorweisen. Konsequenterweise wird die Ministerpräsidentin auch Donald Tusk im Amt des Parteivorsitzenden auf einem Parteitag im November folgen. Allerdings soll sie die Partei nur bis zu den Wahlen im nächsten Jahr führen; erst dann ist eine längerfristige Bestimmung des Parteichefs vorgesehen.

Die von manchen Kritikern nach Vorstellung des Exposés im Sejm bemängelte fehlende Strategie könnte für die neue Ministerpräsidentin auch ein Vorteil sein. Wie der Soziologe und politische Kommentator Henry Domański in einem Interview hervorhob, erwarten die Polen heute konkrete Entscheidungen und keine Revolution. Zudem sind viele Menschen im Land die scharfen politischen Auseinandersetzungen und Grabenkämpfe leid, so dass der Appell von Ewa Kopacz, den Hass zu beenden, positiv aufgenommen werden dürfte. Da ihr zudem gerade einmal ein gutes Jahr zur Verfügung steht, um die Wähler zu überzeugen, dürfte es taktisch klug gewesen sein, schwierige normative Fragen zumindest im Exposé nicht in den Vordergrund gestellt zu haben. Weder die Frage der In-vitro-Befruchtung noch gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften wurden erwähnt und auch der Landwirtschaft wurde kein Raum eingeräumt. Jedoch ist gerade hier nach wie vor großer Reformbedarf, weil das System der Landwirtschaftlichen Sozialversicherung (Kasa Rolniczych Ubezpieczeń Społecznych – KRUS) nach einem Urteil des Verfassungsgerichtes aus dem Jahr 2010 reformiert werden muss: Das Gericht war der Ansicht, dass die Landwirte ihre Abgaben für die Gesundheitsversicherung selbst aufbringen müssten. Allerdings regelt ein Gesetz aus dem Jahr 2004 bis heute die Finanzierung dieser Abgaben aus dem Staatssäckel. Da das Verfassungsgericht für eine entsprechende Gesetzesänderung 15 Monate Zeit ließ, ist eine neue Regelung mehr als überfällig. Allerdings ist auch hier für die neue Ministerpräsidentin wenig politischer Gewinn zu machen, da sich ihr Koalitionspartner, die Bauernpartei PSL, kaum leicht mit einer Änderung des Systems wird anfreunden können. Hier dürften Veränderungen erst nach der Wahl anstehen.

Punkten kann man als neuer Regierungschef eher auf der diplomatischen Bühne und hier spricht einiges dafür, dass die Beziehungen zu Deutschland weiterhin gut sein werden. Während des Energiegipfels der EU akzeptierte Kanzlerin Merkel die polnische Position, was Ewa Kopacz den Start auf europäischer Ebene erleichtert hat und für Rückenwind in Polen gesorgt haben dürfte. Am 20. November soll es überdies zu einem symbolträchtigen Treffen zwischen Angela Merkel und Ewa Kopacz in Kreisau (Krzyżowa) kommen, 25 Jahre nach der Versöhnungsgeste zwischen Helmut Kohl und Tadeusz Mazowiecki.

Letztlich wird aber der Wähler über den Erfolg der neuen Regierung entscheiden und nach den bisherigen Umfragen kann man Ewa Kopacz einen guten Start bescheinigen. Zwar liegen nach Daten des Meinungsforschungsinstitutes CBOS (Centrum Badania Opinii Społecznej – Zentrum zur Erforschung der öffentlichen Meinung) vom Oktober dieses Jahres PO und PiS ex aequo bei 34 Prozent in der traditionellen Sonntagsfrage, aber die Sympathiewerte für die neue Ministerpräsidentin sind nach oben geschossen. Noch im September bedachten 48 Prozent der Befragten die Sejmmarschallin mit Sympathie, etwas mehr als für den damaligen Ministerpräsidenten Tusk (46 Prozent) und etwas weniger als für den damaligen Außenminister Sikorski (49 Prozent). Nur Staatspräsident Komorowski lag mit 79 Prozent Zustimmung prominent an der Spitze. Im Oktober legte die frisch ernannte Ministerpräsidentin um 11 Punkte zu und befindet sich nun mit einem Vertrauenswert von 59 Prozent deutlich an zweiter Stelle hinter Staatspräsident Komorowski (80 Prozent).

Auch die an ihre Regierung geknüpften Erwartungen und Hoffnungen sind größer als beim zweiten Kabinett Tusk im Jahr 2011. Hier hatte sich der Tusk-Effekt bereits etwas verbraucht und seine Wahlerfolge sind auch der nach Ansicht vieler Wähler mangelnden Alternative zuzuschreiben. Allerdings hat die Regierung Kopacz nach den vorliegenden Daten nur wenig mehr Anhänger als Jarosław Kaczyński im Sommer 2006. Viele Menschen empfinden eine große Distanz gegenüber der Politik und damit auch gegenüber der neuen Regierung, wie die Regierungschefin ja selbst in ihrem Exposé unterstrich.

Ein durchschlagender Erfolg wäre ihre Regierung nicht nur, wenn sie und ihre Partei die nächsten Wahlen gewinnen würden, sondern vor allem, wenn es ihr gelänge, das Vertrauen in die Politik wieder zu vergrößern. Ein erster Test dafür werden die Kommunal- und Regionalwahlen am 16. November sein.

Fussnoten

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Prof. Dr. Stefan Garsztecki, Politologe, ist Professor für Kultur- und Länderstudien Ostmitteleuropas an der TU Chemnitz.