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Warum "Die Linke" schwächelt | bpb.de

Warum "Die Linke" schwächelt Eine Analyse

Harald Bergsdorf

/ 12 Minuten zu lesen

Das Jahr 2011 brachte der Linkspartei überwiegend negative Nachrichten. Dazu beigetragen haben ihre schwache, wenig medientaugliche Parteiführung, das vorläufige Ende schnaubender Reformpolitik in der Bundesrepublik sowie Diskussionen über Israelfeindlichkeit in der Linkspartei und über ihr Verhältnis zum Kommunismus und dessen Opfern.

"Auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit"?

Logo der Partei "Die Linke". (© Die Linke)

Kurz nach Mauerfall und Wiedervereinigung schien die PDS am Ende, jene "Partei des Demokratischen Sozialismus", die aus der Staatspartei der DDR, der SED, hervorgegangen war. Experten gaben der früheren Diktaturpartei damals nur geringe Überlebenschancen. So sah Heinrich Bortfeldt die Partei 1992 "auf dem Weg in die politische Bedeutungslosigkeit". Dennoch gewann die PDS seither, später als Linkspartei, erhebliche Stimmenanteile – und das fast kontinuierlich, zuletzt – seit dem Wahlbündnis mit der "Wahlernative für Arbeit und Soziale Gerechtigkeit" (WASG) und deren anschließendem Beitritt zur Partei – auch im Westen Deutschlands. So errang sie bei der jüngsten Europawahl 2009 ihr bislang bestes Wahlergebnis (7,5 Prozent). Das gilt ebenfalls für die Bundestagswahl im selben Jahr (Zweitstimmenanteil: 11,9 Prozent). Inzwischen sitzt "Die Linke" mit Faktionen in 13 von 16 Landtagen; nicht vertreten ist sie in den Landesparlamenten von Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. In den östlichen Bundesländern landete sie bei Landtagswahlen oft vor SPD oder CDU auf dem zweiten Platz, auch ist sie hier in kommunalen Parlamenten fast flächendeckend mit Fraktionen verankert. Zusätzlich stellt "Die Linke" in den jungen Bundesländern seit vielen Jahren Landesminister, Landräte und zahlreiche Bürgermeister. Alles in allem eine große Erfolgsgeschichte. Deshalb schien es bis 2010 nur eine Frage der nahen Zukunft zu sein, wann die Linkspartei in Ostdeutschland einen Ministerpräsidenten hervorbringen würde. Doch inzwischen scheint ihr rasanter, beinahe bruchloser Aufstieg nach 1989/90 zumindest gebremst. Das zeigt – neben Umfragen – vor allem eine Bilanz des Wahljahres 2011. Sowohl bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg (2,8 Prozent) als auch der in Rheinland-Pfalz (3,0 Prozent) scheiterte "Die Linke" klar an der Fünf-Prozent-Hürde. Allein in Baden-Württemberg verlor die Partei im Vergleich zur Bundestagswahl 2009 zwei Drittel ihrer Stimmen. In Sachsen-Anhalt sank ihr Stimmenanteil von 24,1 Prozent bei der Landtagswahl 2006 auf 23,7 Prozent der Zweitstimmen 2011 – bei stark gestiegener Wahlbeteiligung. In Magdeburg verfehlte "Die Linke" ihr Ziel, in die Regierung einzuziehen. Bei der Bürgerschaftswahl in Bremen schrumpfte sie innerhalb von vier Jahren von 8,4 auf 5,6 Prozent. Immerhin hielt sie in Hamburg ihr Ergebnis (5,6 Prozent) der vorherigen Bürgerschaftswahl.

Bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern am 4. September erhöhte die Linkspartei zwar ihren Stimmenanteil leicht (18,4 Prozent der Zweitstimmen). Doch gemessen an absoluten Stimmen verlor sie an Zustimmung – von rund 137 500 auf zirka 123.000 bei gesunkener Wahlbeteiligung. Erneut landete sie mit knapp 19 Prozent auf dem 3. Platz hinter SPD und CDU. Damit scheiterte sie deutlich an ihrem Ziel, erstmals (mit Helmut Holter) einen Ministerpräsidenten zu stellen. Bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus verlor "Die Linke" ebenfalls Stimmenanteile. Mit knapp 12 Prozent landete sie in der Wählergunst hinter SPD, CDU und Grünen auf Platz 4 (2006: Platz 3). Durch das Wahlergebnis muss sie nun nach zehn Jahren von der Regierung in die Opposition wechseln.

Offenbar wachsen die Bäume der Linkspartei derzeit nicht gerade in den Himmel. Zusätzlich sinkt ihre Mitgliederzahl – und das stärker als die aller anderen im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien. Zwischen 2009 und 2010 schrumpfte die Zahl ihrer Mitglieder um 5,6 Prozentpunkte – zuvor war sie drei Jahre lang mitunter deutlich gestiegen, vor allem im Jahr 2007, als die WASG der PDS beitrat. Kurz: Das Jahr 2011 bescherte der Linkspartei überwiegend negative Nachrichten. Nachhaltig profitierte sie weder von gravierenden Veränderungen noch von grassierenden Verunsicherungen in und nach den weltweiten Finanzkrisen.

Führungskrise

Dass "Die Linke" seit Monaten schwächelt, ist auf viele Ursachen zurückzuführen – jenseits von spezifischen Gründen für ihre jeweiligen Wahlergebnisse. Die Linkspartei krankt derzeit unter anderem daran, dass ihr eine erfahrene und starke Führungsfigur wie Oskar Lafontaine fehlt, der sich 2010 auf Bundesebene vom Partei- und Fraktionsvorsitz zurückzog. Dadurch leidet die Partei derzeit unter einem Führungs- und Mobilisierungsproblem. Gerade ihre westdeutschen Wahlerfolge verdankte "Die Linke" primär dem ehemaligen SPD-Chef. Vor allem darauf beruht seine innerparteiliche Autorität. Der Vollblutpolitiker gilt gerade im Westen als Identifikationsfigur der Linkspartei. Gerade durch eine stärkere Verankerung und Wahlerfolge im Westen will "Die Linke" bundesweit auch langfristig sicher über die Fünf-Prozent-Hürde gelangen. Dafür dürften ihre ostdeutschen Erfolge auf die Dauer nicht genügen.

Umso wichtiger war Lafontaine für "Die Linke". Durch seine Autorität verdeckte er die kulturellen Konflikte in der Partei, die zuletzt wieder verstärkt aufbrachen, gerade auch in der Debatte über ihr neues Parteiprogramm und über die strategische Frage, wie zielstrebig sie in Regierungen drängen soll. Ulrich Maurer, Vizevorsitzender der Linksfraktion im Deutschen Bundestag, bescheinigt eigenen Funktionären inzwischen gar "narzisstische Störungen". Seit Monaten beschäftigt sich seine Partei mehr mit sich selbst als mit politischen Inhalten. Das verschreckt die überwältigende Mehrzahl der Wähler. Selten war der innere Zusammenhalt der Linkspartei schwächer als heute. Viele Diskussionen in der Partei laufen weniger intern als extern über die Medien – gerade für ehemalige SED-Mitglieder eine eher ungewohnte Situation. Darunter leidet das Image ihrer Parteiführung.

Die Doppelspitze der "Linken": Klaus Ernst und Gesine Lötzsch, 11. Juli 2011. (© Ullsteinbild, Foto: Boness/IPON)

Lafontaine hingegen verstand es, "Die Linke" zu disziplinieren, Inhalte politisch zuzuspitzen und professionelle Kampagnen zu fahren. Immer wieder erhob er gekonnt seine Stimme für das wütende Prekariat an den Rändern der Gesellschaft. Das fehlt der Partei jetzt weitgehend. Die derzeitigen Parteichefs Gesine Lötzsch und Klaus Ernst sind keine Politiker, die Souveränität und Selbstbewusstsein ausstrahlen. Ihnen misslingt es bislang, durch starke Auftritte, wirksame Kampagnen und vor allem durch Wahlerfolge innerparteiliche Autorität und politisches Gewicht in der Öffentlichkeit zu gewinnen. In der Wahrnehmung der Bevölkerungsmehrheit gehören weder Ernst noch Lötzsch zu den zehn wichtigsten Politikern in Deutschland – anders als Lafontaine zu seinen Hochzeiten als Chef der Linkspartei.

Erschwerte Bedingungen

Auch inhaltlich punktet "Die Linke" momentan kaum. Sie profitiert nicht von den positiven Schlagzeilen der letzten Monate über den wirtschaftlichen Aufschwung, vor allem über die Belebung am Arbeitsmarkt, die Deutschland besser durch die jüngsten Krisen gebracht hat als fast alle anderen Länder. Seit Juli 2005 verlor das Thema Arbeitslosigkeit – in der Wahrnehmung der Bevölkerungsmehrheit – sehr stark an Bedeutung. Das gibt der Linkspartei keinen politischen Rückenwind. Kritik an der Atomkraft, die zu den zentralen Themen im Wahljahr 2011 gehörte, zählt ohnehin nicht zu den Paradethemen der Partei.

Obendrein reformieren die Regierungsparteien seit drei Jahren das Reformpaket "Hartz IV", und Auslandseinsätze der Bundeswehr stoßen inzwischen auf wachsende Ablehnung in der Parteienlandschaft – bei der Mehrheit der Bürger ohnehin. Am Libyen-Einsatz vieler NATO-Staaten hat Deutschland sich nicht beteiligt. Der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr nähert sich seinem Ende. Die Anfang des neuen Jahrtausends eingeführten Studiengebühren entfallen inzwischen in den meisten Bundesländern – ohne Regierungsbeteiligung der Linkspartei, selbst im strukturell eher konservativen Baden-Württemberg. Dadurch verliert "Die Linke" viele für sie kampagnenfähige Themen. Umso mehr leidet sie unter ihrem einseitigen Profil. Sie ähnelt zunehmend einer Ein-Thema-Partei. "Die Linke" gilt fast nur für ein Thema als kompetent: soziale Gerechtigkeit. Da dieses Thema jedoch mit vielen anderen Politikfeldern verflochten ist, wie zum Beispiel Steuern, Bildung, Integration, Wirtschaft, kann das unter für sie günstigen Umständen auch für große Erfolge reichen, aber eben nur dann.

Ungünstig für "Die Linke" verliefen auch die jüngsten Debatten über das SED-Unrecht, die Deutschland vor allem in den drei Gedenkjahren 2009, 2010 und 2011 führte – 20 Jahre nach Mauerfall und Wiedervereinigung sowie 50 Jahre nach dem Mauerbau. Weil die politische Debatte wieder stark polarisiert ist, gibt es auch weniger Raum für die Linkspartei. Anders als früher kann sie kaum noch als angeblich einzig wahre Alternative zu allen anderen Parteien punkten. Obendrein bräuchte Rot-Grün derzeit laut Umfragen – dank des Höhenfluges der Grünen – "Die Linke" auf Bundesebene nicht zum Regieren. Dadurch wird sie vorerst politisch und medial uninteressanter.

Dass die SPD derzeit im Bund in der Opposition ist und keine unpopulären Regierungsentscheidungen treffen muss, wirkt sich eher zum Nachteil der Linkspartei aus. Zwischen 1998 und 2009 dagegen, als die SPD als stärkste bzw. zweitstärkste Partei in der Bundesregierung agierte, konnte die PDS und später die Linkspartei unter Lafontaine unpopuläre Themen wie "Hartz IV", die "Rente mit 67" und Auslandseinsätze der Bundeswehr für sich nutzen. Das fehlt ihr heute weitgehend. Insofern agiert die aktuelle Führung der Linkspartei auch unter schwierigeren Bedingungen als seinerzeit vor allem Lafontaine. Die Zeiten schnaubender Reformpolitik scheinen in Deutschland vorerst vorbei – zulasten der Linkspartei.

Hausgemachte Negativschlagzeilen

Kommunismus-Debatte

Hinzu kommen die fast serienmäßigen Negativschlagzeilen, die das Image der Partei seit Monaten dominieren und verdunkeln. So entfachte Gesine Lötzsch Anfang 2011 eine neue "Kommunismus"-Debatte. Die Vorsitzende der Linkspartei hatte in einem Gastbeitrag für die "Junge Welt" unter dem Titel "Wege zum Kommunismus" diesen als Ziel ihrer Partei proklamiert – normalerweise distanziert sich die Parteispitze vom Begriff des Kommunismus und verwendet stattdessen den Terminus "demokratischer Sozialismus". Ohne auf die Opfer des Kommunismus zu verweisen, schrieb Lötzsch: "Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung." Mit ihrem Text provozierte Lötzsch sogar innerparteilich viel Kopfschütteln, weil sie es an politischer Professionalität fehlen ließ. Das galt auch für ihre Bereitschaft, mit einer reuelosen Ex-Terroristin wie Inge Viett öffentlich zu diskutieren, die einst in Paris einen Polizisten niedergeschossen hatte. Über Wochen prägte diese Debatte die Berichterstattung über "Die Linke".

Israelfeindliche Positionierungen

Das gilt auch für israelfeindliche Positionierungen von führenden Funktionären der Linkspartei – Stellungnahmen, die teilweise weit über legitime Kritik an israelischer Politik hinausgingen und das Existenzrecht des Staates Israel negierten, der derzeit einzigen Demokratie im Nahen Osten. Auch darüber diskutierte "Die Linke", aber auch die breitere Öffentlichkeit heftig vor allem Frühsommer des Wahljahres 2011. So nannte ein Flugblatt der Duisburger Linkspartei Israel einen "wahren Schurkenstaat und Kriegstreiber", forderte einen Boykott israelischer Waren und sprach geschichtsrevisionistisch vom "sogenannten Holocaust". Über dem Appell prangte ein Hakenkreuz, das mit einem Davidstern verflochten war. Derartige Fundamentalkritik an Israel artikulierte die Duisburger "Linke" nicht zum ersten Mal. Schon 2009 hatte ihr damaliger Oberbürgermeister-Kandidat, Hermann Dierkes, der weiterhin die Fraktion seiner Partei im Duisburger Stadtrat führt, einen Boykottaufruf gegen Israel unterstützt. Später landete im Internet ein Video, in dem Dierkes das Existenzrecht Israels "läppisch" nannte.

Danach bot "Die Linke" auch auf Bundesebene weitere Anlässe zur Externer Link: Diskussion über antisemitische und israelfeindliche Positionen in ihren Reihen. So nahmen zwei ehemalige Mitglieder und ein aktuelles ihrer Bundestagsfraktion an dem Hilfskonvoi der türkischen "Mavi Marmara" nach Gaza teil, an dem islamistische Organisationen federführend mitwirkten. Der Konvoi wurde von der israelischen Marine mit Waffengewalt aufgebracht, was jüngst von der UNO zwar als völkerrechtlich vertretbar, zugleich in der Durchführung jedoch als unverhältnismäßig bewertet wurde. Stoff zur Diskussion bot neben anderem ebenfalls das Verhalten der Abgeordneten Sahra Wagenknecht, die bei der Begrüßung des Festredners zu der Gedenkveranstaltung des Deutschen Bundestages im Januar 2010, des israelischen Staatspräsidenten Shimon Peres, demonstrativ sitzen blieb.

Diese und andere Vorfälle zeigen, dass es in der Linkspartei – ihren anderslautenden Beschlüssen und Erklärungen zum Trotz – israelfeindliche Positionierungen gibt, die aber innerparteilich zu keinen nennenswerten Konsequenzen führen. Die Partei distanziert sich meist nur zurückhaltend von solchen Tendenzen, die an Antisemitismus grenzen. Daran ändern auch die Versuche vor allem Gregor Gysis wenig, "Die Linke" auf eine differenzierte Sicht Israels einzuschwören, dessen Existenzrecht zur deutschen Staatsräson zähle.

Stattdessen nutzt "Die Linke" ihren propagierten "Antifaschismus" weiterhin primär dazu, sich als einzig demokratische Partei darzustellen. Aus ihrer Sicht verhindert im Kern nur der "Sozialismus" den "Faschismus", weil er dessen angebliche Basis, die "kapitalistische Produktionsweise", ausrotten werde. "Sozialismus" sei damit per definitionem "antifaschistisch" und in einer sozialistischen Partei könne es deshalb keine "faschistischen", antisemitischen oder xenophoben Tendenzen geben.

Rechtfertigung des kubanischen Regimes
und des Mauerbaus


Im Sommer 2011 diskutierte die Öffentlichkeit – auch "Die Linke" – über den Mauerbau, der sich am 13. August zum 50. Mal jährte, und über den Geburtstagsbrief der beiden Linkspartei-Vorsitzenden an Fidel Castro – beides keine Eigenwerbung. In ihrem Brief an den "Maximo Lider" schrieben Gesine Lötzsch und Klaus Ernst in bestem Politbüro-Deutsch, Castro könne "voller Stolz auf ein kampferfülltes Leben und ein erfolgreiches Wirken an der Spitze der kubanischen Revolution zurückblicken". Die "Errungenschaften" des Sozialismus auf Kuba seien Vorbild für "viele Völker der Welt". Deshalb möge Castro seine "politische Weitsicht auch weiterhin den neuen Generationen politischer Aktivisten zur Verfügung" stellen. Für die Zukunft versicherten Lötzsch und Ernst ihm ihre "unverbrüchliche Freundschaft und Solidarität", ohne Menschenrechtsverletzungen des kubanischen Regimes und Mangelwirtschaft auf der Insel zu erwähnen.

"Die Linke" Mecklenburg-Vorpommern begann am 13. August 2011 ihren Landesparteitag in Rostock im Zeichen der Debatte um die Maueropfer. (© picture-alliance/AP)

Fast zeitgleich disputierte "Die Linke" über die Berliner Mauer und ihre Opfer. Parteichefin Lötzsch versuchte, den Mauerbau in altbewährter Manier "antifaschistisch" zu legitimieren – ausgerechnet zum 50. Gedenktag. Für sie war die Mauer eine nahezu zwangsläufige Folge von Hitlers Überfall auf die Sowjetunion. Mehr noch: Als der "Linke"-Parteitag in Mecklenburg-Vorpommern just am 13. August, wenige Wochen vor der Landtagswahl, der Maueropfer gedachte, verharrten mehrere Delegierte demonstrativ auf ihren Sitzen. Unter dieser kleinen Minderheit der Parteitagsdelegierten befand sich eine frühere Landesministerin. Die parteinahe Zeitung "Junge Welt" ging noch weiter. Sie sagte am Gedenktag auf ihrer Titelseite in großen Lettern schlicht "Danke" für den Mauerbau: "Danke für 28 Jahre Club Cola und FKK", "Danke für 28 Jahre Hohenschönhausen ohne Hubertus Knabe" – eine Verhöhnung derer, die in dem Stasi-Gefängnis einsitzen mussten, und eine Kampfansage an die Aufarbeitung der DDR-Geschichte. Daraufhin diskutierte "Die Linke" heftig über die Frage, ob sie gegen das einstige FDJ-Blatt einen Anzeigenboykott verhängen solle, wie unter anderem Gregor Gysi gefordert hatte.

Fazit

2011 bekam die Linkspartei bei den Landtagswahlen von der eigenen Bundesführung eher Gegen- als Rückenwind. Momentan ist "Die Linke" weit davon entfernt, wieder in die politische Offensive zu kommen. Vorrangig beschäftigt sich die Partei mit sich selbst – und das seit Monaten. Noch ist die Linkspartei freilich nicht am Ende. Trotz ihrer jüngsten Probleme und Wahlniederlagen verfügt sie vor allem im Osten Deutschlands immer noch über starke, wenn auch schwindende Bastionen. Immer noch agieren bundesweit über 6.000 Mandatsträger aus den Reihen der Linkspartei – schwerpunktmäßig in den östlichen Bundesländern.

Künftig wird "Die Linke" erfahrungsgemäß gerade dann bei Wahlen punkten, wenn die gemäßigten Parteien bei erheblichen Wählergruppen als unglaubwürdig und inkompetent vor allem für die Themen "soziale Gerechtigkeit" und "Auslandseinsätze der Bundeswehr" gelten. Denn dadurch gewönne "Die Linke" kampagnenfähige Themen, um Wahlkämpfe erfolgreich bestreiten und neben Stammwählern in nennenswerter Zahl Wechselwähler für sich mobilisieren zu können. Abzuwarten bleibt insbesondere, ob sie die grassierenden Verunsicherungen im Zuge der internationalen Finanzkrisen nutzen kann, die viele Wählerinnen und Wähler umtreiben. Denn einerseits gilt "Die Linke" zumindest für das Thema "soziale Gerechtigkeit" bei starken Minderheiten als glaubwürdig und kompetent. Andererseits schaden ihr möglicherweise die aktuellen Diskussionen über die Folgen horrender Verschuldung, weil die Partei für das Thema "solide Haushaltspolitik" kaum als glaubwürdig und kompetent gilt.

Um Chancen in politische Erfolge zu verwandeln, braucht eine Partei normalerweise aber auch eine starke Führung. Möglicherweise gibt sich "Die Linke" bereits auf ihrem bevorstehenden Parteitag in Erfurt (Oktober 2011) tatsächlich eine neue Führung, obwohl dieser ausschließlich der Programmdiskussion vorbehalten sein sollte. An einer neuen Parteiführung könnten sowohl Sahra Wagenknecht, die eloquente Ostdeutsche mit politischem Schwerpunkt im Westen, als auch Bodo Ramelow, der Westdeutsche mit politischem Schwerpunkt im Osten, stärker als bisher beteiligt sein. Das gilt auch für Dietmar Bartsch, der irgendwann Gregor Gysi als Fraktionsvorsitzenden im Bundestag ablösen könnte. Diese drei dürften in ihrer Partei, zumal "im Paket", mehrheitsfähig sein. Sie könnten sowohl zur Integration nach innen als auch zur Stimmenmaximierung nach außen stark beitragen. Ob es tatsächlich dazu kommt, bleibt freilich abzuwarten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Heinrich Bortfeldt, Von der SED zur PDS. Wandlung zur Demokratie?, Bonn 1992, S. 295.

  2. Seit Juli 2010 sinkt die Zweitstimmen-Wahlabsicht für "Die Linke": Institut für Demoskopie Allensbach, Sonntagsfrage, August 2011. Seit November 2009 sinkt ebenfalls die Zufriedenheit der Befragten mit der Linkspartei, die noch hinter der Bundesregierung, aber v.a. hinter Grünen und SPD rangiert: Forschungsgruppe Wahlen, Zufriedenheit mit Regierung und Opposition, Juli 2011.

  3. Vgl. Oskar Niedermayer, Parteimitgliedschaften 2010, in: Zs. f. Parlamentsfragen (ZfParl), 2/2011, S. 365ff.

  4. Zit.: Der Spiegel, 35/2011, S. 33.

  5. Anders als Lötzsch unterminierte Ernst seine innerparteiliche Autorität und Integrationskraft auch durch in- und externe Diskussionen, die um den Vorwurf kreisten, er akkumuliere mehrere Gehälter und leiste sich einen hedonistischen Lebensstil: vgl. Parteiinterner Zoff. Linke-Chef maßregelt seine Kritiker, in: Spiegel-Online, 12.1.2011.

  6. Vgl. Forschungsgruppe Wahlen, Politbarometer, August 2011.

  7. Vgl. Forschungsgruppe Wahlen, Wichtige Probleme in Deutschland. Zeitreihe seit 2000, Juli 2011.

  8. Gesine Lötzsch, Wege zum Kommunismus, in: Junge Welt, 3.1.2011.

  9. Zit.: Philipp Wittrock, Antisemitisches Flugblatt. Duisburger Linke verbreitet Hetze gegen Israel, in: Spiegel-Online, 27.4.2011.

Dr. Politikwissenschaftler, Bonn.