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Die Obergrabenpresse | Autonome Kunst in der DDR | bpb.de

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Die Obergrabenpresse

Uta Grundmann

/ 3 Minuten zu lesen

Eberhard Göschel, Peter Herrmann und A.R. Penck gründeten 1978 die Dresdner Obergrabenpresse als Künstlervereinigung und Druckwerkstatt, Verlag und Galerie.

Eberhard Göschel, Peter Herrmann und A.R. Penck waren in der Kunstszene Dresdens der 1970er Jahre keine Unbekannten. Göschel und Herrmann gehörten seit 1976 zum verantwortlichen Arbeitskreis des Interner Link: Leonhardi-Museums, das für seine unkonventionellen Expositionen landesweit geschätzt wurde. Penck war 1971 Mitbegründer der bis dahin in der DDR einzigartigen und 1976 aufgelösten Künstlergruppe "Lücke“ gewesen. Als Göschel 1978 von seinem Neustädter Atelier am Obergraben 9 in ein größeres zog, stand die Drei-Zimmer-Wohnung für Experimente zur Verfügung. Peter Herrmann nannte eine reparaturbedürftige Mailänder Andruckpresse von 1908 sein eigen, die von Bernhard Theilmann, einem befreundeten Dichter und gelernten Druckmaschinenbauer, instand gesetzt werden konnte. Der ebenfalls zum Freundeskreis gehörende Drucker Jochen Lorenz suchte anspruchsvollere Aufgaben als für die Reichsbahn Fahrpläne zu drucken, und Penck entwickelte zu dieser Zeit seine Theorie "Vom Untergrund in den Obergrund“. Die Gründung der Dresdner Obergrabenpresse als Künstlervereinigung und Druckwerkstatt, Verlag und Galerie war daher naheliegend.

Obergrabenpresse

(© SLUB Dresden/Deutsche Fotothek, Christian Borchert) (© SLUB Dresden/Deutsche Fotothek, Christian Borchert) (© SLUB Dresden /Deutsche Fotothek, Christian Borchert) (© SLUB Dresden/Deutsche Fotothek, Christian Borchert)

Die Zusammenarbeit von bildenden Künstlern und Dichtern in die unabhängige Produktion von hochwertigen Auflageneditionen zu überführen wurde als Affront gegen die staatlich reglementierte Veröffentlichungspraxis aufgefasst. Nicht nur war der private Besitz von Produktionsmitteln illegal, auch jeder zu veröffentlichende Text hatte eine offizielle Druckgenehmigungsnummer zu erhalten. Bernhard Theilmann oblag es, die Gedichte vom Rat der Stadt, Abteilung Kultur, genehmigen zu lassen, was ihm nach etlichen Vorsprachen auch für die ersten beiden Mappenwerke gelang: 1978 erschien "grafiklyrik1“ mit je fünf Aquatinta-Radierungen von Göschel und Gedichten von Theilmann, 1979 "grafiklyrik2“ mit sieben Holzschnitten von Peter Herrmann und sechs Gedichten von Michael Wüstefeld. Die dritte Edition "Kneipen und Kneipentexte“ mit zwölf einfarbigen Radierungen, darunter sechs Textblätter von A.R. Penck, konnte von vornherein keine Genehmigung erhalten und wurde trotzdem gedruckt. Üblicherweise stellte die Obergrabenpresse neue Editionen in ihren Räumen aus. Penck blieb dies bei seiner Mappe versagt, er hatte kurz zuvor die DDR verlassen. Peter Herrmann folgte ihm 1983.

Inzwischen hatte sich die Obergrabenpresse als hervorragende Kunstdruckwerkstatt einen Namen gemacht. Selbst die Druckerei des Verbandes Bildender Künstler empfahl in speziellen Fällen doch bitte dahin zu gehen. 1983 arbeiteten während der "Internationalen Dresdner Grafikwerkstatt“ zum ersten Mal offiziell Künstler aus dem In- und Ausland in der Ritzenbergstraße, wohin die Werkstatt im Jahr zuvor gezogen war. Zur Ausstellung "Grafik aus Dresdner Druckwerkstätten“, die 1985 in der Galerie Rähnitzgasse stattfand, wurde die Obergrabenpresse ebenfalls eingeladen. Gleichwohl existierte sie nach wie vor am Rande der Legalität. Eberhard Göschel war Mitglied des Verbandes Bildender Künstler und wurde gerade deshalb vom Rat des Bezirkes mehrfach unter Druck gesetzt, er dürfe die Räume und Maschinen nur Mitgliedern und Kandidaten des Verbandes oder für Aufträge des Staatlichen Kunsthandels zur Verfügung stellen – eine Forderung, die Göschel und seine Mitstreiter ignorierten.

1984 erschien in der "Welt“ ein Artikel des Schriftstellers Siegmar Faust, eines damaligen Freundes von Theilmann. Er feierte die Herausgabe einer Anthologie mit Gedichten als erste Samisdat- und Untergrundproduktion der DDR. Die Behörden nahmen dies zum Anlass, gegen Göschel, Theilmann, Wüstefeld und Lorenz ein Ermittlungsverfahren wegen „staatsfeindlicher Hetze“ einzuleiten. Die Bekanntheit der Obergrabenpresse mochte der Grund dafür gewesen sein, dass es bei den Vernehmungen blieb. Auch die zahlreichen Versuche der Staatssicherheit, die Künstlergemeinschaft konspirativ zu zersetzen, hatten keinen Erfolg.

Bis 1989 entstand pro Jahr mindestens eine Grafik-Lyrik-Mappe im Eigenverlag: Die wichtigsten sind die 1984 erschienene Edition "Ritze“, die in vierzigfacher Ausführung Autografen von Adolf Endler, Elke Erb, Eberhard Häfner, Uwe Hübner, Bert Papenfuß und Rüdiger Rosenthal zu Radierungen von Dieter Goltzsche, Michael Morgner, Strawalde (Jürgen Böttcher), Max Uhlig, Claus Weidensdorfer und A.R. Penck vereinte, sowie die von Christoph Tannert 1986 herausgegebene Anthologie "Treibsand“ mit Radierungen, Siebdrucken, Holz- und Linolschnitten von 29 jüngeren Künstlern.

Nach 1989 arbeitete die Obergrabenpresse mit bewährtem Konzept bis zum Sommer 2008.

Quellen / Literatur

Unter Druck. 20 Jahre Obergrabenpresse Dresden. Hrsg. vom Verein der Freunde des Kupferstich-Kabinetts e.V. Dresden 1999.

Fussnoten

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Geb. 1965, Kunsthistorikerin, arbeitet als freiberufliche Autorin und Lektorin in Berlin.