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Deutschland und Frankreich und die Krise im Euro-Raum | Deutschland und Frankreich | bpb.de

Deutschland und Frankreich Editorial Zur Bedeutung des Élysée-Vertrags "Eiserner Kanzler" und "Grande Nation" Die Meistererzählung von der "Versöhnung" Von "Merkozy" zu "Merkollande"? Deutschland und Frankreich und die Krise im Euro-Raum Hat der deutsch-französische Bilateralismus Zukunft? Grenzüberschreitende Kooperation am Beispiel Lothringen Ein kritischer Zwischenruf zur Kulturpolitik

Deutschland und Frankreich und die Krise im Euro-Raum

Daniela Schwarzer

/ 16 Minuten zu lesen

In der Finanz- und Verschuldungskrise haben Frankreich und Deutschland ihre traditionelle europapolitische Rolle als Impulsgeber und Kompromissfinder erst relativ spät eingenommen. Als die Finanzkrise 2008/2009 zunächst Mittel- und Osteuropa erfasste, haben im Wesentlichen Deutschland und Österreich, die besonders von den Auswirkungen betroffen waren, die Prinzipien und Instrumente des Krisenmanagements mitgestaltet, die später Modell für das Vorgehen in der Eurozone standen. Erst als die Verschuldungskrise Anfang 2010 Griechenland ergriff, rückten Berlin und Paris in den Mittelpunkt des Krisenmanagements und brachten später wichtige Reformvorschläge für die Governance-Strukturen der Eurozone ein.

Obgleich die Ausgangspositionen Deutschlands und Frankreichs in vielen Punkten auseinanderlagen, ist das Interesse an gemeinsamen Antworten enorm hoch. Grund hierfür sind nicht nur die direkten Auswirkungen der Entwicklungen in Südeuropa und Irland auf beide Volkswirtschaften. Die Verschuldungs- und Bankenkrisen sind aufgrund ihres systemischen Risikos die größten Herausforderungen für die EU und ihre Mitgliedstaaten seit Beginn der Integration: Eine weitere Ausdehnung der Krise, etwa auf Italien, bedroht die Existenz der Eurozone. Bereits jetzt stößt die finanzielle Belastung der Geberländer an politische, verfassungsrechtliche und ökonomische Grenzen. Eine Kapitalflucht aus dem Euroraum hat eingesetzt, die immer schwieriger umzukehren wird.

Die aktuelle Vertrauenskrise kann nur überwunden werden, wenn das Krisenmanagement effektiv funktioniert und den Investoren glaubwürdige Schritte hin zu einer Beilegung der Funktionsdefizite der Eurozone aufgezeigt werden. Die Initiativen und Einigungsfähigkeit der beiden größten Staaten der Eurozone, die zusammen 47 Prozent ihrer Wirtschaftskraft und den entsprechenden Anteil an Garantien und Kapital in den europäischen Rettungsmechanismen stellen, sind hierfür entscheidend.

Unterschiedliche Sichtweisen auf die Wirtschafts- und Fiskalpolitik

In der Diskussion um Krisenmanagement und Governance-Reformen sind alte deutsch-französische Konflikte über die Gestaltung der Währungsunion wieder aufgebrochen. Der Vertrag von Maastricht, der 1992 die Grundlage für die Schaffung der gemeinsamen Währung legte, hatte diese überdeckt, nicht aber grundsätzlich ausgeräumt. Beide Regierungen formulieren ihre Positionen vor dem Hintergrund divergierender ökonomischer und politischer Vorstellungen und unterschiedlicher materieller Interessen.

Auf deutscher Seite dominiert traditionell ordnungspolitisches Denken: Prioritär sind Geldwertstabilität und eine unabhängige Zentralbank. Der Staat soll vor allem den Rahmen für den Wettbewerb setzen. Das neoklassische Paradigma, das Lehre und Forschung in Deutschland stark beeinflusst, prägte überdies die deutsche Antwort auf die Krise. Seine Verfechter argumentieren, dass sich Volkswirtschaften rasch auf Schocks einstellen, vor allem durch angebotsseitige Maßnahmen. Bei schwacher Nachfrage und hoher Arbeitslosigkeit verbessern demnach sinkende Preise und Löhne die Wettbewerbsfähigkeit und damit die Wachstumsaussichten, da die Märkte auf Basis rationaler Annahmen der Akteure die Preise entsprechend bestimmen.

Die ökonomische Debatte in Frankreich wie auch im Vereinigten Königreich oder den Vereinigten Staaten macht sich eher für eine Wachstumsförderung durch eine Stabilisierung der Nachfrage stark. Lohn- und Preissenkungen werden als nur begrenzt durchsetzbar erachtet und sind in ihrer Wirkung umstritten, da deflationäre Tendenzen die Nachfrage, Beschäftigungsentwicklung und so die mittel- und langfristigen Wachstumsperspektiven belasten könnten.

Auch in der Fiskalpolitik setzen Paris und Berlin immer wieder unterschiedliche Schwerpunkte. Inmitten der Wirtschaftskrise 2009 wurde in Deutschland diskutiert, wann das Konjunkturprogramm baldmöglichst beendet werden könnte, um der gewachsenen Verschuldung Einhalt zu gebieten. Im August 2009 wurde die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert. Zeitgleich initiierte der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy den sogenannten Grand emprunt, um von 2010 bis 2012 mit Investitionen von 35 Milliarden Euro Projekte in den Bereichen Bildung, Forschung, Industrieentwicklung, kleine und mittelständische Unternehmen, Informationstechnologie und nachhaltige Entwicklung zu fördern. Die unterschiedliche Bedeutung, die zu diesem Zeitpunkt Konjunkturprogrammen beigemessen wurde, erklärt sich erstens aus der wirtschaftlichen Situation der beiden Länder: Frankreichs Wachstum ist stärker abhängig von einer robusten Binnennachfrage als die exportorientierte deutsche Wirtschaft. Zudem wird die nachfragestimulierende Wirkung von Fiskalpolitiken unterschiedlich gesehen: In der deutschen Debatte werden Sparprogramme auch in Zeiten niedrigen Wachstums als wenig problematisch eingeschätzt; sinkende Staatsausgaben (statt erhöhte Steuern) würden das Vertrauen der Privatwirtschaft und damit Investitionen ankurbeln. In Frankreich wird bei rigider Sparpolitik tendenziell ein Nachfragerückgang erwartet; wenn Löhne und Preise sinken, könne die Arbeitslosigkeit steigen, die Wirtschaft in eine Rezession rutschen und der Anteil der Schulden im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) zunehmen.

Trotz dieser unterschiedlichen Grundhaltungen änderte sich die haushaltspolitische Debatte in Frankreich ab 2010. Gründe waren die Zunahme der Staatsverschuldung, die mittlerweile bei rund 90 Prozent des BIP liegt, und steigende Risikoaufschläge auf französische Staatsanleihen ab Mai 2011. Die Anfang 2012 erfolgte Herabstufung der Kreditwürdigkeit wurde bereits befürchtet. Im Januar 2010 initiierte Sarkozy eine erste "Defizit-Konferenz" und verwies auf das deutsche Beispiel der Schuldenbremse. Am 13. Juli 2011 nahm die Nationalversammlung ein Gesetz zur Einführung einer Regel zur Begrenzung der Verschuldung an. Die ursprünglich angestrebte Verfassungsänderung ließ Sarkozy jedoch fallen, da die notwendige Drei-Fünftel-Mehrheit der Parlamentarier im Kongress von Versailles schwer erreichbar schien, nachdem die Wahl im September 2011 eine linke Senatsmehrheit hervorgebracht hatte.

Im Präsidentschaftswahlkampf 2012 forderten indes beide Kandidaten der Stichwahl, den Staatshaushalt auszugleichen, Nicolas Sarkozy mit dem Zieljahr 2016, François Hollande mit 2017. Obwohl der neue Präsident Hollande Bedingungen für die Ratifizierung des Fiskalpakts in Frankreich formulierte, wie etwa mehr öffentliche Investitionen und eine europäische Wachstumsstrategie, stellte auch er die Einführung einer nationalen Schuldenbremse nicht infrage.

Umgang mit Griechenland

Die Zuspitzung der Verschuldungskrise Anfang 2010 korrelierte mit einer schrittweisen Dynamisierung der deutsch-französischen Zusammenarbeit, die in der ersten Phase der Krise nur schleppend gewesen war. Nach der symbolischen "Wiederbelebung" des Tandems im Zuge der Feierlichkeiten zum 11. November 2009 in Paris wurde im Februar 2010 eine Liste mit 80 deutsch-französischen Projekten veröffentlicht. Die Mehrzahl davon waren keine gänzlich neuen Initiativen und hatten keinen direkten Bezug zur Krise. Doch zeugten sie von einem neu erstarkenden politischen Willen, gemeinsame Initiativen zu starten, andere sichtbarer zu machen und Berlin und Paris wieder in die Rolle des politischen Motors der EU zu bringen. Kurz darauf wurden aber die Differenzen zwischen der deutschen und der französischen Regierung über den Umgang mit Griechenland manifest. Zwar versprachen die Staats- und Regierungschefs den unter Druck geratenen Ländern am 11. Februar 2010 unisono finanzielle Unterstützung und sendeten somit ein wichtiges Signal an die Marktakteure. Aber in den folgenden Wochen zeigte sich, dass die deutsche Regierung viel zögerlicher als die französische war, Griechenland rasche Hilfe zukommen zu lassen.

Hierfür gab es mindestens vier Gründe. Erstens wollte sie größtmöglichen Druck aufrechterhalten, um die Reformagenda des damaligen Premiers Georgio Papandreou zu unterstützen. Das deutsche Denken war stark von der eigenen Erfahrung mit Ausgabensenkungen und Reformen im Rahmen der Agenda 2010 geprägt, die in Verbindung mit Lohnzurückhaltung Deutschland nach der Wiedervereinigung zu starker Wettbewerbsfähigkeit verholfen hatte. Rettungspakete, so wurde befürchtet, könnten politische Reformwilligkeit ersticken.

Zweitens gibt es eine starke Überzeugung, dass in der Eurozone die auf Beharren Deutschlands im Vertrag von Maastricht festgelegten Prinzipien angewendet werden müssten – Geldwertstabilität und Zentralbankunabhängigkeit, gesunde öffentliche Finanzen und die No-bailout-Klausel. Diese Erwägungen spielten auch bei den notwendigen Ratifizierungen der Hilfspakete im Bundestag eine große Rolle.

Darüber hinaus gab es drittens eine juristische Dimension: Eine deutsche Beteiligung an Rettungsmaßnahmen könnte vor dem Bundesverfassungsgericht angefochten werden. Die Entscheidungsträger sahen deshalb unter anderem die Notwendigkeit, Hilfsmaßnahmen mit dem Argument zu rechtfertigen, dass die Stabilität des Euro in Gefahr sei. Präventivem Eingreifen, das von Frankreich favorisiert wurde, stand diese Überlegung entgegen.

Viertens war die öffentliche Skepsis gegenüber finanzieller Hilfe für ein überschuldetes Land groß, zumal Griechenland selbst für seine Lage verantwortlich gemacht wurde. Angesichts bevorstehender Landtagswahlen und schlechter Umfragewerte für die schwarz-gelbe Regierungskoalition im Frühjahr 2010 wurde die Haltung der Bevölkerung genau beobachtet. Das deutsche Eigeninteresse an der Unterstützung Griechenlands wurde derweil zunächst nicht breit diskutiert.

Die genannten Faktoren erklären, warum die Bundesregierung darauf bestand, Hilfe nur unter strikter Einhaltung bestimmter Bedingungen zu gewähren und nur, wenn die Finanzstabilität insgesamt gefährdet sei. Darüber hinaus sollten die Governance-Strukturen der Eurozone so reformiert werden, dass künftig nationale Politiken besser kontrolliert werden würden. In Paris wurde hingegen befürchtet, dass die Eurozone in eine sich selbst erfüllende Krise geraten könnte, im Verlauf derer das Verhalten der Investoren die reale Situation substanziell verschlechtern könnte. Das deutsche Zögern wurde als zentraler Grund für die Zuspitzung der Krise angesehen. Der Akzent der französischen Debatte lag weniger auf der "Schuld" Griechenlands oder der Analyse struktureller Gründe der Krise, sondern auf politischen Maßnahmen zur Eindämmung der Marktdynamiken, die unter anderem den französischen Bankensektor zu erschüttern drohten.

Die öffentliche Meinung, die Bedeutung des Parlaments und verfassungsmäßige Zwänge spielten in Frankreich eine untergeordnete Rolle, als es seinen Anteil von 20 Prozent an den Rettungsmaßnahmen bestätigte. Eine großzügige und schnelle finanzielle Unterstützung seitens der Mitgliedstaaten wurde nicht nur als "natürliches" Engagement für die europäische Solidarität gesehen, sondern als notwendige Antwort auf die Dynamiken der Märkte. In Deutschland hingegen wurde Solidarität in der EU vor allem eher als Respekt gegenüber den gemeinsamen Regeln interpretiert.

Kritisch aufgenommen wurde in Frankreich Angela Merkels Vorschlag, dass Länder, die wiederholt den ökonomischen Orientierungen der Union zuwiderhandeln, aus der Eurozone ausgeschlossen werden könnten. Die französische Regierung teilte die Sorgen der Europäischen Zentralbank (EZB), dass Staatsbankrotte und Austritte unkontrollierbare Entwicklungen im europäischen und weltweiten Bankensystem provozieren könnten.

Krise bei den Wurzeln packen

Aus Sicht der Bundesregierung und der Mehrheit der Bundestagsabgeordneten waren die Annahme des Rettungspakets für Griechenland und die Schaffung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) im April und Mai 2010 nur akzeptabel, wenn parallel Maßnahmen ergriffen würden, um die Ursachen der Krise zu bekämpfen und eine ähnliche Situation der Staatsverschuldung in Zukunft zu verhindern. Wenig überraschend plädierte Deutschland für stärkere Regeln und mehr Automatismus in den Sanktionen, einem geringen Grad der Risikoteilung und wenig Raum für politische Diskretion. Im Mai 2010 stellte Finanzminister Wolfgang Schäuble neun Vorschläge zur Reform der Eurozone vor. Hierzu gehörte eine Reform des Stabilitätspakts, um die Überwachung und Koordination der nationalen Haushaltspolitiken zu verbessern, die Umsetzung der Verfahren zu automatisieren und Sanktionen einzuführen. Er schlug zudem einen neuen Mechanismus zur Koordination der Wirtschaftspolitiken vor. Die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf Wettbewerbsfähigkeit und außenwirtschaftliche Ungleichgewichte sollten von Staaten mit außenwirtschaftlichen Defiziten korrigiert werden. In der Tradition neoklassischen Denkens sollten Regierungen zu Einsparungen und strukturellen Reformen bewegt werden, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen und Investitionen der Privatwirtschaft zu stärken.

In Frankreich wurde diese Politik als potenziell gefährlich aufgefasst. Paris stimmte einer besseren Koordinierung der Wirtschaftspolitik zu, allerdings solle dies mit dem Ziel geschehen, negative Effekte der angebotsseitigen Politiken zu mildern. Dort, wo eine Senkung des Preisniveaus zum Ausgleich von Wettbewerbsschwierigkeiten notwendig sei, solle diese durch eine Stimulierung der Nachfrage flankiert werden. Dies kann durch eine Investitionspolitik auf europäischer Ebene geschehen, wie dies Präsident Hollande vorgeschlagen hat, oder auch durch nationale Haushaltspolitiken, falls die fiskalischen Regelungen und die Kosten der Refinanzierung dafür Raum lassen. Der Abbau volkswirtschaftlicher Ungleichgewichte solle in symmetrischer Form vor sich gehen, nicht nur die Defizit-, auch die Überschussländer müssten ihren Teil dazu beitragen. In diesem Sinne forderte die damalige französische Finanzministerin Christine Lagarde Lohnsteigerungen in Deutschland – und erntete damit in der deutschen Debatte zunächst viel Kritik.

Unter dem Eindruck der Auswirkungen der Spar- und Reformpolitik auf das Wachstum in Südeuropa änderte sich die deutsche Haltung jedoch etwas. Wenngleich die Bundesregierung noch immer in der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit die Voraussetzung für eine wirtschaftliche Erholung der Krisenländer sah, räumte Schäuble im Mai 2012 ein, dass die Löhne in Deutschland schneller ansteigen könnten, um die Ungleichgewichte in der Eurozone zu reduzieren.

Der dritte deutsche Vorschlag war ein permanenter Krisenlösungsmechanismus, der neben einem Stabilisierungsfonds auch ein Verfahren zur Abwicklung möglicher Staatsbankrotte umfassen sollte. Die "Drohung", dass ein Staat Pleite gehen könnte, sollte fiskalpolitische Regeln durch Marktdruck stützen. In Frankreich wurden die Schaffung eines institutionellen und rechtlichen Rahmens zur Schuldenrestrukturierung und der Einbezug des Privatsektors in die Lösung der Krise wegen möglicher Destabilisierungseffekte mit Vorbehalten gesehen.

Deauville und Eurozonengipfel

Trotz der beschriebenen Auffassungsunterschiede wurde unter dem wachsenden Druck der Krise auf dem deutsch-französischen Gipfel von Deauville am 18./19. Oktober 2010 auf Grundlage der deutschen Vorschläge ein Kompromiss erreicht. Es sollte zunächst keinen Einbezug des Privatsektors in die Lösung der Schuldenkrise geben, sondern erst für ab 2013 emittierte Schuldtitel. Während sich Sarkozy und Merkel zum Ärger einiger anderer Regierungen gemeinsam für einen Stimmrechtsentzug im Rat aussprachen, falls Regierungen mehrmals die vereinbarten Koordinierungsregeln verletzen, wurde die Idee quasi-automatischer Sanktionen fallengelassen. Dies war kein "Geschenk" für Sarkozy, sondern Ausdruck der Tatsache, dass dieser Vorschlag ohnehin nur von zwei weiteren Ländern, den Niederlanden und Finnland, unterstützt wurde und daher in den europäischen Verhandlungen gescheitert wäre.

Genauso verhielt es sich zu diesem Zeitpunkt in Bezug auf härtere fiskalische Regeln. Als sich die Krise ein Jahr später weiter verschärfte, konnten Deutschland und Frankreich ihre Partner zu einem ambitionierteren Rahmen bewegen – dem Fiskalpakt. Sarkozy akzeptierte überdies eine Reform des geltenden EU-Vertrags – ein wichtiges Anliegen Deutschlands, um rechtliche Konflikte zwischen der No-bailout-Klausel und den neuen Rettungsmechanismen zu vermeiden.

Die Deauville-Übereinkunft wurde dafür anerkannt, dass sie der Arbeit der Van-Rompuy-Gruppe, die vom Europäischen Rat beauftragt worden war, Vorschläge für eine Reform der Eurozone auszuarbeiten, eine Bezugsgrundlage gab. Auch für die ab Herbst 2011 laufenden Verhandlungen über das "Sixpack", ein Gesetzespaket zur Reform der wirtschafts- und haushaltspolitischen Koordinierung, war der Kompromiss hilfreich. Gleichzeitig aber verärgerte der deutsch-französische Alleingang die Eurozonen-Partner und sorgte für viel öffentliche Kritik.

Der Kompromiss von Deauville bestand im Wesentlichen darin, deutsche Vorschläge für Frankreich akzeptabel zu machen. Paris brachte kaum neue Vorschläge ein, warb allerdings erfolgreich gemeinsam mit dem Präsidenten des Europäischen Rats Herman van Rompuy für die Einrichtung eines Eurozonengipfels. Sarkozy hatte dies seit seiner Wahl 2007 gefordert – im Oktober 2008 schließlich gelang es ihm, die Staats- und Regierungschefs der Eurozone sowie den britischen Premierminister zu einem Bankenkrisengipfel zu versammeln. Trotz der drängenden Probleme, die insbesondere die Eurozone betrafen, wollte die deutsche Regierung zunächst die fiskalische und wirtschaftliche Koordinierung in allen 27 EU-Staaten verbessern. Berlin lehnte einen regelmäßigen Eurozonengipfel zunächst brüsk ab – wollte man doch kein politisches Gegengewicht zur EZB entwickeln. Die Tatsache, dass Sarkozy in seinem Wahlkampf 2007 (wie auch Hollande 2012) die Ziele und die Rolle der EZB infrage stellten, schürte auf deutscher Seite das Misstrauen.

Erst unter noch massiveren Druck der Krise änderte die Bundesregierung ihre Position. Beim Eurozonengipfel am 26. Oktober 2011 wurde dieser schließlich als regelmäßiges, mindestens zwei Mal jährlich stattfindendes Format institutionalisiert. Die Bundesregierung akzeptierte die Legitimität und Bedeutung der französischen Forderung, die politische Kooperation in der Währungsunion zu verbessern. Gleichzeitig betonte sie, dass damit nicht das Ziel verfolgt werde, politische Interessen auf Kosten der Geldpolitik zu unterstützen, sondern dass auf diese Weise die Konvergenz nationaler Politiken zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit (Arbeitsmarkt, Sozialpolitik, Diskussion um Mindestlöhne) sichergestellt werden solle.

Vor dem Hintergrund der alten Bedenken gegenüber dieser neuen "Wirtschaftsregierung" hatte Deutschland schon im Frühjahr 2011 den Euro-Plus-Pakt durchgesetzt, der strukturelle und fiskalische Reformen vorsieht und als erste "Arbeitsagenda" für die Staats- und Regierungschefs der Eurozone gesehen werden kann.

Zuspitzungen und Revisionen

Ende 2010/2011 nahm die Anzahl europäischer Krisengipfel deutlich zu – und wiederholt wurden sie als "Gipfel der letzten Chance" bezeichnet. Sowohl Frankreich als auch Deutschland bewegten sich von ursprünglichen Positionen weg und wurden nach der starken Kritik am bilateralen Vorgehen beim Deauville-Gipfel offener in ihrer Art, die Agenda und Entscheidungen der Eurozone vorzubereiten.

Im Februar 2011 schlugen beide Länder auf deutsche Initiative hin den erwähnten Euro-Plus-Pakt zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit vor. Frankreich unterstützte das deutsche Werben für härtere Sanktionen im Falle eines Verstoßes gegen das fiskalische Regelwerk. Deutschland hingegen akzeptierte, dass das Vergabevolumen des Europäischen Rettungsfonds EFSF auf 440 Milliarden Euro aufgestockt würde und stimmte am 21. Juli 2011 einer Erweiterung seines Instrumentariums zu. Nach einer bilateralen Kompromissfindung mit Frankreich konnte Deutschland auch die anderen Mitglieder der Währungsunion davon überzeugen, dass als Teil eines weiteren Hilfspakets eine "freiwillige" Beteiligung von Banken und Versicherungen stehen sollte.

Doch die erhoffte Beruhigung der Märkte blieb trotz dieser weitreichenden Beschlüsse weiter aus. Merkel und Sarkozy formulierten unter größtem Druck am 16. August 2011 erneut ein klares Bekenntnis zu einer Reform der Eurozone. Bestandteile sollen eine Wirtschaftsregierung, nationale Schuldenbremsen und die Einführung einer Finanztransaktionssteuer sein. Darüber hinaus wollen beide Länder eine Annäherung in der Steuerpolitik erreichen.

Im Herbst 2011 verpflichteten sich die Staats- und Regierungschefs der 17 Eurozonenstaaten auf ein noch größeres Maßnahmenpaket, um der Vertrauenskrise Einhalt zu gebieten. Teil davon war der Fiskalpakt zur Einführung nationaler Schuldenbremsen, eine deutsche Erfindung, die mit französischer Unterstützung eingebracht und beim Europäischen Rat am 8./9. Dezember 2011 in ihren Grundzügen beschlossen wurde.

Nach Monaten des Wahlkampfs und dem politischen Führungswechsel in Paris kam es im Frühsommer 2012 zu offenen Spannungen zwischen Berlin und Paris. Der neue Präsident François Hollande absolvierte zwar symbolstark seinen ersten Auslandsbesuch noch am Tag der Amtseinführung in Berlin, doch die inhaltlichen Differenzen zwischen Merkel und dem Sozialisten Hollande über das Management der Verschuldungskrise und die Notwendigkeit einer aktiven Wachstumsförderung für die Eurozone waren offensichtlich. Wie so oft in der Vergangenheit erforderte ein Regierungswechsel in einem der Staaten erst eine langsame Annäherung der Partner.

Nachdem zunächst von einem "roten Pakt gegen Merkel" die Rede war,da sich Hollande nicht nur mit der sozialdemokratischen Oppositionsspitze in Berlin sondern auch mit linken Regierungspolitikern in anderen EU-Staaten abstimmte, bewegte sich der Präsident auf die Kanzlerin zu, was die Grundlage für einen EU-Gipfelbeschluss am 28./29. Juni 2012 legte. Anders als zu Zeiten "Merkozys" wurde dieser Gipfel indes zunächst im Vierergespann mit den spanischen und italienischen Premierministern Mariano Rajoy und Mario Monti vorbereitet, bevor am Tag vor dem EU-Gipfel ein bilaterales Arbeitstreffen im Élysée-Palast stattfand.

Ein wichtiges Signal ging vom gemeinsamen Kommuniqué von Merkel und Hollande am 27. Juli 2012 aus, als beide angesichts des wachsenden Drucks auf Spanien und Italien erklärten, "alles zu tun, um die Eurozone zu schützen". Die Aussage wurde nicht nur als Beleg eines neuen gemeinsamen Handlungswillens, sondern auch als Unterstützung für die Europäische Zentralbank gewertet, die einen Tag zuvor – unter Protesten der Bundesbank – angekündigt hatte, mit dem OMT-Anleihekaufprogramm (OMT = Outright Monetary Transactions) weiter aktiv für eine Bekämpfung der eskalierenden Verschuldungskrise einzutreten. Paris unterstützte seit Längerem ein stärkeres Eingreifen der EZB. Die Bundesregierung hatte dies zu Beginn der Krise zunächst abgelehnt – aus grundsätzlichen Erwägungen und weil sie nicht den Eindruck erwecken wollte, dass die Politik der EZB, deren Unabhängigkeit sie verteidigt, "Befehle" erteile. Seit der Krisenverschärfung 2011 und dem wachsenden Unwillen in Deutschland, die direkt von den Regierungen garantierten Hilfsmaßnahmen auszubauen, wurden die Maßnahmen der EZB stillschweigend auch von Berlin unterstützt.

Eine anhaltende Asynchronität in der deutsch-französischen Diskussion, die nicht nur der Präsidentschaftswahl 2012 geschuldet ist, zeigt sich indes in der Debatte über eine mögliche politische Vertiefung der Eurozone. Auf die Fragen, welches Maß an politischer Integration die Eurozone braucht und in welcher Form dies realisiert werden soll, ist eine Antwort aus Paris bislang ausgeblieben – obgleich diese Debatte in Deutschland seit Mitte 2011 recht intensiv geführt wird und das publizistische Interesse an Vorschlägen aus Berlin auch in Frankreich groß ist.

Fazit

Trotz grundsätzlicher politischer und ökonomischer Auffassungsunterschiede über den Umgang mit der Eurozone, insbesondere nach dem Führungswechsel in Frankreich, kam es in der Krise zu keinem Zerwürfnis zwischen Berlin und Paris. Solange sie die Eurozone erhalten wollen, haben beide aus Eigeninteresse kaum eine attraktive Alternative zur Kompromissfindung. Die Anpassung an äußere Zwänge betrifft nicht nur europapolitische Themen und das Management der Verschuldungskrise, sondern etwa im französischen Fall auch ein Umsteuern in der nationalen Haushalts- und Wirtschaftspolitik, deren Gestaltungsspielraum aufgrund des Marktdrucks zunehmend geringer wird.

Ein solides Fundament enger Beziehungen auf Arbeitsebene, aber auch zwischen Parlamentariern und Parteien gewährleistet Kontinuität im deutsch-französischen Verhältnis, auch wenn politische Wechsel stattfinden. Ein Beispiel für die Intensität der operativen Zusammenarbeit ist eine gemeinsame Arbeitseinheit der Finanzministerien, die Vorlagen für die Minister beider Länder erstellt, damit diese im Rat der Wirtschafts- und Finanzminister mit einer Stimme sprechen. Unter dem größten Druck der Krise und bei den tiefsten Auffassungsunterschieden ist jedoch die Zusammenarbeit der "Chefs" unabdingbar.

Politische Abstimmung auf höchster Ebene kann indes materielle Interessenunterschiede und normative Positionen nicht gänzlich nivellieren. Trotz aller Nähe und gegenseitiger Abhängigkeit bleiben manche Differenzen weiter bestehen. Diese müssen unter anderem in der öffentlichen Diskussion (besser) verstanden und als legitim respektiert werden, auch wenn gerade bei der Auseinandersetzung über wirtschaftliche Themen die nationale Sicht gerne als "einzige Wahrheit" interpretiert wird. Trotz der erreichten Intensität bleibt daher für das bilaterale Verhältnis auch langfristig die "Basisarbeit" so wichtig: der lebendige Austausch zwischen Experten, Praktikern aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung, Journalisten und anderen Multiplikatoren.

Dr. rer. pol., geb. 1973; Leiterin der Forschungsgruppe EU-Integration, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP); 2012/2013 als Fritz-Thyssen-Fellow am Weatherhead Center for International Affairs der Harvard University, Cambridge, MA/USA; SWP, Ludwigkirchplatz 3–4, 10719 Berlin. E-Mail Link: daniela.schwarzer@swp-berlin.org