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Finanzausgleich mit Verfallsdatum | Steuerpolitik | bpb.de

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Finanzausgleich mit Verfallsdatum

Constanze Hacke

/ 14 Minuten zu lesen

Der Name ist nicht (mehr) Programm. Denn ausgleichend wirkt das Verfahren des Länderfinanzausgleichs zumindest politisch derzeit eher weniger. Im Gegenteil: Die Beteiligten stehen sich unversöhnlich gegenüber. Vor allem in Zeiten des Wahlkampfs liefert der Länderfinanzausgleich seit jeher Zündstoff für die politische Rhetorik. Die einen schimpfen auf den Länderfinanzausgleich, wie Baden-Württembergs Regierungschef Winfried Kretschmann, der ihn ein "absolut bescheuertes System" nennt. Die anderen pochen auf das Prinzip der Solidarität und kontern mit dem Vorwurf der Gedankenlosigkeit. Die einen, das sind die Geberländer im Länderfinanzausgleich. Derzeit sind es noch drei Bundesländer, die in den Länderfinanzausgleich einzahlen: Bayern, Baden-Württemberg und Hessen. Die anderen, das sind die übrigen 13, die Nehmerländer, die zurzeit Geld aus dem System bekommen. Ermittelt nach einem recht komplizierten Verfahren, das sich an verschiedenen Faktoren wie Steuereinnahmen, Finanzkraft und landesspezifischen Gegebenheiten orientiert, ergeben die vorläufigen Zahlen für 2012 einen Finanzfluss von 7,9 Milliarden Euro, der im Ausgleichssystem rotiert.

Der Löwenanteil aufseiten der Geberländer entfällt auf Bayern, das mit 3,9 Milliarden Euro im Jahr 2012 die größte Summe in den Ausgleichstopf eingezahlt hat – gefolgt von Baden-Württemberg mit knapp 2,7 Milliarden Euro und Hessen mit 1,3 Milliarden Euro. Hamburg, im Jahr 2011 noch Geberland, ist auf die Nehmerseite gewechselt, bekommt dort allerdings die geringsten Mittel. Am stärksten profitiert Berlin mit 3,3 Milliarden Euro aus dem Länderfinanzausgleich, den zweiten Rang der Nehmerländer belegt in absoluten Zahlen das Bundesland Sachsen.

Einheitliche Lebensverhältnisse für alle

Historisch gewachsen ist der Länderfinanzausgleich aus dem Bestreben, in allen Ländern im Bundesgebiet einheitliche Lebensverhältnisse zu bewahren. Dies ist in Artikel 106 Absatz 3 des Grundgesetzes (GG) festgelegt. Deutschland ist ein föderaler Staat; das Grundgesetz weist Bund, Ländern und Gemeinden bestimmte Aufgaben zu – Aufgaben, für die sowohl Bund, Länder als auch die Kommunen Geld benötigen.

Wie Aufgaben und Finanzen verteilt wurden, hat sich über die Jahre allerdings unterschiedlich entwickelt: Zu Beginn der Bundesrepublik existierte noch ein Trennsystem zwischen Steuer- und Aufgabenverteilung mit der Zielsetzung, im Unterschied zum Kaiserreich und zur Weimarer Republik ein "‚Kostgängerwesen‘ zu vermeiden: Bund und Länder sollten gleichberechtigt und finanziell voneinander unabhängig sein." Dem Bund wurde die Gesetzgebungs- und Ertragshoheit über die Zölle, die meisten Verbrauchsteuern und die Umsatzsteuer zugestanden. Die Länder hatten das Anrecht auf die Einkommen- und die Körperschaftsteuer sowie die meisten Verkehrsteuern. Allerdings nahm schon ab dem zweiten Jahr nach Gründung der Bundesrepublik der Bund Teile der Einkommen- und Körperschaftsteuer in Anspruch – ein Vorläufer des späteren Verbundsystems bei den direkten Steuern. Schließlich wurde bereits in dieser Zeit der Finanzausgleich unter den Ländern horizontal organisiert, sodass im Jahr 1950 die ersten Vorauszahlungen in den Länderfinanzausgleich getätigt wurden. Größter Geldgeber war damals Nordrhein-Westfalen, gefolgt von Baden-Württemberg, Hamburg und Hessen. Die höchsten Beträge erhielten Schleswig-Holstein, Niedersachsen und – mit einigem Abstand – Bayern.

Mit der Finanzreform im Jahr 1955 wurde das Trennsystem zu den Akten gelegt, Einkommen- und Körperschaftsteuer wurden auf Bund und Länder im Verhältnis von eins zu zwei aufgeteilt. Eine zweite Finanzreform aus dem Jahr 1969 legte das Fundament für die Finanzverfassung des Grundgesetzes, die im Wesentlichen bis heute Gültigkeit besitzt: Das Verbundsystem für die Hauptsteuerarten, die Einkommensteuer, die Körperschaftsteuer und die Umsatzsteuer wurde eingeführt. Die Steuereinnahmen aus den aufkommensstärksten Steuerarten werden seitdem zwischen Bund, Ländern und Gemeinden aufgeteilt. Diese Gemeinschaftssteuern, auch Verbundsteuern genannt, sind Steuern, deren Erträge allen staatlichen Ebenen zustehen. Die jeweiligen Anteile werden nach bestimmten Schlüsseln zugewiesen.

Damit Bund, Länder sowie Städte und Gemeinden die Ausgaben für die ihnen zugewiesenen Aufgaben auch decken können, erhalten sie also die Einnahmen aus verschiedenen Steuerarten, entweder ganz für sich oder aufgeteilt. Das bedeutet aber nicht: Wer kassiert, bestimmt. Die Finanzverfassung des Grundgesetzes definiert sehr genau, welche föderale Ebene die Gesetzgebungskompetenz hat und wem die Einnahmen zustehen (Ertragskompetenz). Darüber hinaus ist in Artikel 108 GG mit der Verwaltungskompetenz festgelegt, wer die Steuern eintreibt. Wer die Gesetzgebungskompetenz nach Artikel 105 GG besitzt, darf eine neue Steuer einführen, eine existierende Steuer verändern oder sogar abschaffen. Bei vielen Steuerarten hat jedoch der Bund die Gesetzgebungskompetenz.

Ausgleich unterschiedlicher Finanzkraft

Die Verteilung von Aufgaben und Ausgaben wird als passiver Finanzausgleich betrachtet. Der aktive Finanzausgleich hingegen verteilt – in mehreren Stufen – die Steuereinnahmen auf die verschiedenen föderalen Ebenen und sorgt für den horizontalen Ausgleich zwischen den Ländern. Im Grundgesetz ist dieser in Artikel 107 Absatz 2 festgeschrieben. Dort heißt es: "Durch das Gesetz ist sicherzustellen, dass die unterschiedliche Finanzkraft der Länder angemessen ausgeglichen wird; hierbei sind die Finanzkraft und der Finanzbedarf der Gemeinden (Gemeindeverbände) zu berücksichtigen. Die Voraussetzungen für die Ausgleichsansprüche der ausgleichsberechtigten Länder und für die Ausgleichsverbindlichkeiten der ausgleichspflichtigen Länder sowie die Maßstäbe für die Höhe der Ausgleichsleistungen sind in dem Gesetz zu bestimmen. Es kann auch bestimmen, dass der Bund aus seinen Mitteln leistungsschwachen Ländern Zuweisungen zur ergänzenden Deckung ihres allgemeinen Finanzbedarfs (Ergänzungszuweisungen) gewährt."

Der Länderfinanzausgleich hat vor allem ein prinzipielles Ziel: die Einnahmen so (um-) zu verteilen, dass alle Ebenen und alle Regionen annähernd die gleichen Mittel besitzen, um Politik zu gestalten. Dieser Ausgleich wird in mehreren Schritten vorgenommen und betrifft sowohl die vertikale (Bund zu Ländern zu Gemeinden) als auch die horizontale (Länder zu Ländern) Linie. Außerdem lässt sich das System in einen primären und einen sekundären Finanzausgleich aufteilen: Der primäre Finanzausgleich regelt, wie die Steuern zwischen den Ebenen aufgeteilt werden (Art. 106 GG). Der sekundäre Finanzausgleich ergänzt und korrigiert den ersten Weg (Art. 107 GG). Gestritten wird vor allem um den sekundären Finanzausgleich.

Insgesamt besteht der Finanzausgleich aus den folgenden vier Stufen:

1. Aufteilung der Steuereinnahmen zwischen den Ebenen.

Im primären Finanzausgleich werden die Steuereinnahmen aus den Verbundsteuern den einzelnen föderalen Ebenen zugeordnet. Von einem Euro Lohn- und Einkommensteuer erhalten Bund und Länder zurzeit beispielsweise jeweils 42,5 Cent, die Kommunen bekommen 15 Cent. Der Länderanteil an der Umsatzsteuer belief sich 2012 auf knapp 45 Prozent, der Bund erhielt rund 53 Prozent. Den Gemeinden steht auch hiervon ein Anteil zu – im vergangenen Jahr waren dies etwa zwei Prozent. An der Abgeltungsteuer werden die Gemeinden am Aufkommen der Einnahmen beteiligt, die bislang dem Zinsabschlag unterlagen, und zwar mit einer Quote von zwölf Prozent. Die Städte und Gemeinden müssen wiederum einen Teil der Gewerbesteuer über die sogenannte Gewerbesteuerumlage den Ländern und dem Bund abgeben. Der genaue Anteil wird mithilfe eines komplizierten Verfahrens errechnet: Das Gewerbesteueraufkommen einer Kommune wird durch den Hebesatz, der von der Gemeinde erhoben wird, geteilt und mit einem Vervielfältiger multipliziert.

2. Ausgleich des Umsatzsteueraufkommens.

Mit der zweiten Stufe des Finanzausgleichs (sekundärer Finanzausgleich) beginnt der horizontale Weg, den die Länder zur Umverteilung der Einnahmen beschreiten. Denn das Grundprinzip bei der Verteilung der Einnahmen zwischen den einzelnen Ländern lautet eigentlich: Maßgeblich ist das örtliche Aufkommen; der Länderanteil der Umsatzsteuer wird zum größten Teil nach Einwohnern verteilt. Hier aber setzt die erste Schranke an: Bis zu einem Viertel des Länderanteils an der Umsatzsteuer wird für eine Art Ausgleichstopf verwendet. Mit diesen finanziellen Mitteln werden finanzschwächere Länder gestützt, deren Einnahmen aus der Einkommensteuer, der Körperschaftsteuer und den Landessteuern je Einwohner unter dem Schnitt der anderen Länder liegen.

Allerdings werden die Lücken nicht komplett, sondern nur anteilig gefüllt. Dieses System wird auch als Umsatzsteuervorwegausgleich bezeichnet. Das Volumen des Umsatzsteuervorwegausgleichs ist um einiges höher als der horizontale Länderfinanzausgleich als solches; im Jahr 2012 wurden auf diese Weise knapp 11,2 Milliarden Euro an einnahmeschwächere Länder verteilt.

Auch die "Geberseite" ist nicht identisch mit dem Länderfinanzausgleich: Neben Bayern, Baden-Württemberg und Hessen erhielten auch Nordrhein-Westfalen und Hamburg weder 2011 noch 2012 Aufstockmittel aus dem Umsatzsteuervorwegausgleich.

3.Länderfinanzausgleich.

Auch der nächste Schritt im Finanzausgleich geschieht auf horizontaler Ebene – also zwischen den Bundesländern. Um zu ermitteln, wie die tatsächliche Finanzkraft der einzelnen Länder aussieht, werden mehrere Messgrößen verwendet. Grundsätzlich besteht die Finanzkraft eines Bundeslandes aus der Summe seiner Einnahmen (nach dem Umsatzsteuervorwegausgleich) und zu 64 Prozent der Summe der kommunalen Einnahmen. Dies bedingt, dass Länder mit finanzschwachen oder verschuldeten Städten und Gemeinden in der Regel auf höhere Finanzspritzen aus dem Länderfinanzausgleich hoffen dürfen. Sind die Steuereinnahmen überdurchschnittlich gewachsen, wird ein Selbstbehalt abgezogen. Aus diesen Daten ergibt sich die Finanzkraftmesszahl. Diese wird wiederum mit der Ausgleichsmesszahl verglichen. Dieser Faktor soll darstellen, welche Einnahmen ein Land hätte, wenn seine Einnahmen den durchschnittlichen Einnahmen der Länder pro Einwohner entsprechen würden.

Im Anschluss wird dieser Faktor mit der Einwohnerzahl des betreffenden Bundeslandes multipliziert. Die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen genießen hier einen Sonderstatus: Weil angenommen wird, dass ihre Ballungs- und Verwaltungskosten höher sind, zählt jeder Einwohner das 1,35-Fache – sie werden gewissermaßen veredelt. Ähnliches gilt für dünner besiedelte Bundesländer wie Mecklenburg-Vorpommern (1,05), Brandenburg (1,03) und Sachsen-Anhalt (1,02).

Im nächsten Rechenschritt werden Finanzkraftmesszahl und Ausgleichsmesszahl gegenübergestellt: Ist die Ausgleichsmesszahl kleiner als die Finanzkraftmesszahl, gehört das Land zu den Geberländern und muss Ausgleichsbeiträge in das System zahlen. Ist das Umgekehrte der Fall, zählt das Land zu den Nehmerländern und bekommt Zuweisungen aus dem Länderfinanzausgleich.

4. Bundesergänzungszuweisungen.

Die vierte und letzte Stufe des Systems bewegt sich wieder in vertikaler Linie. Der Bund kann an dieser Stelle Finanzmittel aus dem Bundeshaushalt gewähren – um den akuten Finanzbedarf oder politische Sonderkosten zu decken. Dazu zählen gegenwärtig teilungsbedingte Sonderlasten der ostdeutschen Länder und Berlin (Teil des Solidarpakts II) oder auch Sonderlasten durch strukturelle Arbeitslosigkeit.

Wettbewerbsföderalismus versus kooperativer Föderalismus

Die aktuelle Struktur des Länderfinanzausgleichs läuft 2019 aus und muss spätestens dann neu geregelt werden. Gestritten wurde um das System aber schon seit Gründung der Bundesrepublik. Im Kern dreht sich die Diskussion darum, welche Art von Föderalismus in Deutschland politisch gewollt ist.

Ein Wettbewerbsföderalismus setzt bewusst auf die Eigenständigkeit der Länder und lässt Anreize zum Wettbewerb zu. In einem solchen System wird eine scharfe Trennlinie zwischen den Zuständigkeiten von Bund und Ländern gezogen – dies gilt auch für das Steuerverteilungssystem. Wenn überhaupt, gibt es einen vertikalen Ausgleich von Bund zu Ländern, jedoch nicht zwischen den einzelnen "Bundesstaaten".

Der kooperative Föderalismus hingegen stellt gleichwertige oder gar einheitliche Lebensverhältnisse (Artikel 106 Absatz 3 GG) in den Vordergrund. Damit sind die finanziellen Ungleichheiten zwischen den einzelnen Ländern auszugleichen, auf vertikaler wie auf horizontaler Ebene. Die Politikfelder sind stark verflochten, es gibt Gemeinschaftssteuern.

Wie aktuell zu sehen, stößt die Debatte um den Länderfinanzausgleich mit diesen beiden Polen auf einen inneren Widerspruch. Elemente der beiden Föderalismustypen sind nur schwer zu vereinbaren – ein Grund dafür, warum das derzeitige System so komplex ist. Dazu kommen zwei weitere Probleme: Zum einen konzentrierten sich die Lasten des Finanzausgleichs in der jüngsten Vergangenheit auf einige wenige Bundesländer – vor allem Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Bayern. Zum anderen wurde die Ursache dafür, dass ein finanzieller horizontaler Ausgleich überhaupt nötig ist, bislang nicht behoben – mit Bayern wechselte bislang nur ein einziges Bundesland von der Nehmer- auf die Geberseite.

Die finanziellen Folgen der Wiedervereinigung tun – bis heute – ihr Übriges. "Es ist bemerkenswert, dass mit der bestehenden Finanzverfassung die fiskalischen Folgen der Wiedervereinigung bewältigt werden konnten, allerdings um den Preis stark anwachsender Staatsverschuldung, von Nebenhaushalten, Ausweitung des Länderfinanzausgleichs und der Bundesergänzungszuweisungen. Diese Entwicklungen können nicht dauerhaft aufrechterhalten werden", prognostiziert etwa eine Studie der Bertelsmann Stiftung.

Ostdeutschland hat aber nach wie vor ernste Probleme: schwach entwickelte Industrie, wenig ausgelastete Werften – und selbst die Hoffnungsträger aus der Solarbranche melden inzwischen reihenweise Insolvenz an. Lediglich der Tourismus könnte sich im Osten und Nordosten zur Zukunftsbranche mausern. Aber auch im Westen gibt es Problemkinder – etwa das Ruhrgebiet, dem nach wie vor der Strukturwandel zu schaffen macht, oder der Norden, der mit den wirtschaftsstarken Bundesländern im Süden der Republik kaum konkurrieren kann.

Finanzausgleich auf dem richterlichen Prüfstand

Soll am Prinzip des kooperativen Föderalismus festgehalten werden, ist nicht damit zu rechnen, dass die horizontalen Finanzströme auf kurze Sicht eingestellt werden können. So, wie es jetzt ist, kann es aber nicht bleiben – diese Meinung vertreten zumindest die Landesregierungen von Bayern und Hessen, die im Februar 2013 eine Klage beim Bundesverfassungsgericht auf den Weg gebracht haben.

Trotz der medialen Aufmerksamkeit, die dieser Schritt zurzeit erlangt: Es ist nicht die erste Klage in Karlsruhe gegen den Länderfinanzausgleich. In den Entscheidungen der Jahre 1986 und 1992 musste sich das Bundesverfassungsgericht vor allem mit der Rolle der Bundesergänzungszuweisungen befassen. Außerdem urteilte das Gericht, dass die Finanzkraft der Gemeinden berücksichtigt werden müsse. 1999 erzielten die Kläger – auch damals die Geberländer Bayern, Baden-Württemberg und Hessen (allerdings unter rot-grüner Landesregierung) – einen Teilerfolg: Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass der Finanzausgleich in der geltenden Form verfassungswidrig war und verordnete eine Neuregelung.

Im Einzelnen befanden die Verfassungsrichter, dass der Finanzausgleich nicht dazu führen dürfe, dass ein Empfängerland über den Durchschnitt angehoben wird (Nivellierungsverbot). Zudem dürfe nur die natürliche und keine gewichtete Einwohnerzahl als Bezugsgröße heranzogen werden – sofern sie nicht auf objektivierbaren Kriterien beruhe. Das Gericht forderte damit die Gestaltung eines Maßstäbegesetzes, das die zentralen Größen und Faktoren des Ausgleichs konkretisieren sollte, überließ die detaillierte Gestaltung aber der Politik. Das Maßstäbegesetz sowie das ergänzende Finanzausgleichsgesetz sind seit 2005 in Kraft – ein Ausgleichssystem mit Verfallsdatum, denn die Regelungen sind bis Ende 2019 befristet.

Anlass für eine neuerliche Reform besteht allemal, denn die Kritik ist auch jenseits der aktuellen Klage nicht verstummt. Die Hauptkritikpunkte lauten Intransparenz, Wettbewerbsfeindlichkeit und Ineffizienz. Ein weiteres Kernargument, das nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Politiker ins Feld führen, lautet, dass das System von Fehlanreizen bestimmt sei: "Die Fehlanreize im jetzigen Länderfinanzausgleich betreffen sowohl die Geberländer als auch die Nehmerländer. Alle haben keinen Anreiz, mehr Steuern einzunehmen, da nur wenig von diesen Mehreinnahmen in den eigenen Landeskassen bleibt", erklärte vor Kurzem die hessische Landtagsfraktion der Grünen.

Darüber hinaus trägt der Länderfinanzausgleich nicht immer dazu bei, dass sich Lebensverhältnisse angleichen, sondern dass sich bestehende Verhältnisse zementieren. Aktuelle Beispiele dafür liefert der Stabilitätsrat: Dieses Gremium wurde im Zuge der Föderalismusreform II 2009 geschaffen und dient dazu, die Haushalte von Bund und Ländern zu überwachen. Der Stabilitätsrat stellt drohende Haushaltsnotlagen fest und leitet Sanierungsverfahren ein. Aktuell sind vier Nehmerländer des Finanzausgleichs in solchen Sanierungsverfahren: Berlin, Bremen, Saarland und Schleswig-Holstein.

Mangelnde Transparenz und Nachvollziehbarkeit

Ein weiterer Kritikpunkt ist das Berechnungsverfahren an sich. Für Steuerzahler und manchen Politiker gleichermaßen intransparent, fördert der komplexe Rechenweg Stammtischparolen und liefert Munition für Wahlkampfzeiten. Dazu kommt das Problem der mangelnden Nachvollziehbarkeit. Ob darüber hinaus die Zahl der Einwohner ausreicht, um den Finanzbedarf eines Landes abzubilden, darf bezweifelt werden – selbst wenn bestimmte Prozesse, etwa der Einwohnerrückgang in einigen ostdeutschen Ländern, durch "Einwohnerveredelung", ausgeglichen werden sollen. Die Alters- und Erwerbsstruktur der jeweiligen Bevölkerung ist damit noch nicht berücksichtigt – und schlägt sich dennoch in Kosten nieder, beispielsweise für Wohnungsbau oder soziale Hilfeleistungen.

Experten befürworten daher nicht nur, demografische oder Arbeitsmarktfaktoren in das System zu integrieren. Vielmehr soll auch das Konnexitätsprinzip nicht mehr an der Verwaltungsebene festgemacht werden, frei nach dem Motto "Wer bestellt, soll bezahlen". "Schlussendlich sind auch finanzschwache Länder und Kommunen, wiederum bezogen auf die Ausgaben pro Einwohner, durch diese Aufgaben stärker belastet als finanzstarke. In diesen Fällen verdrängen übertragene Aufgaben des Bundes eigene politische Prioritäten und schränken die Handlungsfähigkeit der Gliedstaaten und ihrer Kommunen weiter ein."

Die Reformvorschläge – zumindest aus der Wissenschaft – sind inzwischen fast genauso zahlreich wie die Kritikpunkte am Länderfinanzausgleich. Die Politik hat sich bislang trotz verschiedener Ansätze zur Föderalismusreform in den jeweiligen Kommissionen auf kein gemeinsames, parteiübergreifendes Konzept verständigen können. Ein Reformvorschlag von mehreren Grünen-Landtagsfraktionen, der von der Universität Konstanz ausgearbeitet wurde, sah beispielsweise die Abschaffung des horizontalen Finanzausgleichs, ein neues Verteilungssystem für die Umsatzsteuer sowie zeitlich befristete Ausgleichszahlungen des Bundes für betroffene Länder vor. Das politische Problem bei diesem Vorschlag: Politiker aus den eigenen Reihen distanzierten sich umgehend von den Modellrechnungen.

Andere Konzepte setzen auf eine Neuordnung des bestehenden Systems, etwa den Verzicht auf die Einwohnerveredelung, das vollständige Einbeziehen der Gemeindesteuern in die Berechnung der Finanzkraft oder die Abschaffung des Umsatzsteuervorwegausgleichs.

Ein weiterer Vorschlag stammt aus dem Eckpunktepapier für die aktuelle Klageschrift der drei Geberländer: Sie fordern, dass Berlin gesondert durch den Bund finanziert wird – analog zur US-Hauptstadt Washington, die kein Bundesstaat, sondern ein Distrikt ist. Der Etat wird vollständig von der US-amerikanischen Regierung bestritten – allerdings auch inhaltlich bestimmt.

Eine andere Anregung geht in die Richtung, die Steuerverteilung neu zu ordnen – bis hin zu mehr Steuerautonomie für die einzelnen Länder, beispielsweise durch unterschiedliche Zu- oder Abschläge bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer. Der Preis für den größeren Wettbewerb zwischen den Ländern wäre allerdings, dass sich die (bestehenden) Unterschiede in den Lebensverhältnissen vergrößern würden. Wenn jedoch alle Länder daran interessiert sind, dass keines zurückbleibt, dürfte künftig nur eine Alternative bleiben: mehr vertikaler denn horizontaler Ausgleich. Dafür könnten die Bundesergänzungszuweisungen gestärkt werden, Berlin könnte mit einer Art "Bundeshauptstadthilfe" Finanzhilfen vom Bund erhalten. Denkbar ist auch, dass schwächere Länder (erneut) darüber nachdenken, sich zusammenzuschließen und die Aufgaben gemeinsam zu bewältigen.

Wichtig dürfte aber vor allem sein, dass die nächste Reform des Länderfinanzausgleichs ein größerer Wurf wird als die vorangegangenen, die bislang nur kleinteilige Ansätze lieferten. Die seit mehr als 40 Jahren geltende Finanzverfassung wurde unter ganz anderen Voraussetzungen und gesellschaftlichen Bedingungen entwickelt als denen, die wir heute vorfinden: Öffentliche Verschuldung, Arbeitslosigkeit und die demografische Entwicklung sind Themen, denen der Finanzausgleich nur noch bedingt gerecht wird. All diese Punkte muss eine grundlegende Reform berücksichtigen, wenn der Länderfinanzausgleich zurück zur gelebten Solidarität finden soll – ohne Verfallsdatum.

M.A., geb. 1968; Inhaberin von "Wirtschaft – leicht gemacht!", Steuerjournalistin, Dozentin und Moderatorin. E-Mail Link: ch@c-hacke.de Externer Link: http://www.c-hacke.de