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Technikfolgenabschätzung zwischen Neutralität und Bewertung | Technik, Folgen, Abschätzung | bpb.de

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Technikfolgenabschätzung zwischen Neutralität und Bewertung

Marc Dusseldorp

/ 15 Minuten zu lesen

Technikfolgenabschätzung ist mit widersprüchlichen Anforderungen konfrontiert. Eines der Spannungsfelder liegt zwischen den Polen Neutralität und Bewertung. Was aber ist mit Neutralität gemeint, und inwieweit kann sie realisiert werden?

Technikfolgenabschätzung (TA) ist mit widersprüchlichen Anforderungen konfrontiert, die mitunter die Grundfesten ihrer Forschungspraxis betreffen. Eines der Spannungsfelder lässt sich mit dem Begriffspaar "Neutralität und Bewertung" umreißen. Es ist wohl nicht übertrieben, dieses als das zentrale Spannungsfeld der TA zu bezeichnen – jedenfalls wirft es die grundlegendsten, ihr Selbstverständnis als Forschungsfeld betreffenden Probleme auf. Daher nimmt es nicht Wunder, dass kontroverse Debatten über die angemessene Positionierung zwischen Neutralität und Bewertung die TA seit ihren Anfängen begleiten. Bevor diese Thematik in den Blick genommen wird, ist jedoch zu klären, was im Folgenden unter TA verstanden werden soll, denn die Verwendungsweisen dieses Namens differieren mitunter beträchtlich.

Forschung zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit

Technikfolgenabschätzung ist ein disziplinübergreifendes Forschungsfeld, das den wissenschaftlich-technischen Wandel zum Gegenstand hat. Programmatischer Anspruch der TA ist es, Beiträge zur Lösung gesellschaftlicher Problemlagen zu leisten, die Bezüge zum wissenschaftlich-technischen Wandel aufweisen. Entsprechend lässt sich TA als problemorientierte oder transdisziplinäre Forschung charakterisieren. Jenseits dieses Anspruchs erweist sich das Feld der TA als außerordentlich heterogen. In institutioneller Hinsicht lässt sich parlamentarische TA unterscheiden von TA in Regierungseinrichtungen, in universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen sowie in Verbänden wie etwa dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI). Die disziplinären Einflüsse reichen von den Sozialwissenschaften über die Philosophie bis hin zu Natur- und Ingenieurwissenschaften. Schließlich lassen sich auch einige "TA-Konzepte" unterscheiden, programmatische Entwürfe mit je eigener theoretischer Fundierung und Forschungsmethodik, welche die teils grundlegenden Differenzen innerhalb der TA-community besonders deutlich zutage treten lassen.

Wenn TA als problemorientierte Forschung charakterisiert wird, ist damit bereits der Ursprung des eingangs skizzierten Spannungsfeldes benannt. TA versteht sich – trotz aller Unterschiede zur disziplinären akademischen Forschung – als wissenschaftliche Praxis. Dies ist mit Blick auf TA an öffentlichen Forschungseinrichtungen offensichtlich, gilt jedoch auch für andere Institutionalisierungskontexte. Das Prädikat der Wissenschaftlichkeit stellt nicht auf die Zugehörigkeit zum gesellschaftlichen Subsystem der Wissenschaft ab, sondern ist substanziell gemeint: Jede Art von TA orientiert sich an Kriterien der Wissenschaftlichkeit, insbesondere hinsichtlich der Begründungsstandards. Dieser enge Bezug zur Wissenschaft bringt einen weitreichenden Impuls für das Selbstverständnis der TA mit sich: den Impuls nämlich, sich praktischer Stellungnahmen zu gesellschaftlich relevanten Fragestellungen zu enthalten. Die Problemorientierung der TA geht ihrerseits mit einem zweiten, gegenläufigen Impuls einher. Will TA einen Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Problemlagen leisten, muss sie sich auf diese beziehen, muss Ursachen und Lösungsansätze reflektieren und schließlich auch auf eine Weise kommunizieren, von der sie sich gesellschaftliche Wirksamkeit erhoffen kann. Kurzum: Sie bewegt sich in einem Kontext, in dem praktische Stellungnahmen unabdingbar sind.

Im Hintergrund steht die Frage nach einer angemessenen Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft oder, anders formuliert, nach dem Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit. Die Wissenschaft sieht sich zu großen Teilen einem Ethos verpflichtet, welches sie auf eine deskriptive Bezugnahme zur Welt festlegt. Die Sphäre des praktischen Urteilens auf gesellschaftlicher Ebene hingegen steht nach (auch in den Wissenschaften) dominierender Ansicht anderen Instanzen zu, vor allem der Legislative beziehungsweise der demokratischen Öffentlichkeit. TA als problemorientierte Forschung muss sich entweder auf diese Instanzen beziehen oder aber ihre gesellschaftliche Rolle anders interpretieren, um sich für die Lösung technikassoziierter Probleme engagieren und praktisch wirksam werden zu können. Die Bestimmung dieser Rolle indes wird sowohl innerhalb der TA als auch in Politik und Öffentlichkeit als problematisch wahrgenommen. Bedenken hinsichtlich von Grenzüberschreitungen der Wissenschaft einerseits sowie einer Instrumentalisierung der Wissenschaft andererseits markieren wichtige Positionen in der Debatte. In diesem Zusammenhang wird häufig das Konzept der Neutralität bemüht, um eine angemessene Rolle der TA zu kennzeichnen. Insbesondere in der parlamentarischen TA ist ein (Selbst- und Fremd-)Verständnis als "neutrale Politikberatung" praktisch common sense. Was aber ist mit Neutralität gemeint, und inwieweit ist sie realisierbar?

Streifzüge durch das Begriffsfeld der Neutralität

Der Begriff der Neutralität lässt sich etymologisch auf neutralitas, den "Zustand des Nichtgebundenseins an eine von mehreren Seiten oder Parteien" zurückführen. Er bedeutet ursprünglich so viel wie "Nichteinmischung" beziehungsweise "Nichtbeteiligung an Kriegen". In diesem Sinn kann von Neutralität als Unparteilichkeit gesprochen werden. Mit Blick auf den TA-Kontext fragt sich, wie die Forderung nach Neutralität verstanden werden soll. Als Forderung nach Nichteinmischung in (potenzielle) Technikkonflikte kann sie schwerlich interpretiert werden, da eine derart distanzierte TA keine praktische Wirksamkeit zeitigen könnte. Es könnte vielmehr gemeint sein, dass TA sich nicht auf die Seite einer (Konflikt-)Partei schlagen, nicht die Position einer Partei vertreten dürfe - jedenfalls nicht allein deshalb, weil es sich um die Position einer bestimmten Partei handelt.

Eng verbunden mit der Forderung nach Unparteilichkeit ist die Forderung nach Unabhängigkeit, da diese eine zentrale Voraussetzung für die Möglichkeit unparteiischer Arbeit darstellt. Angesichts der Abhängigkeit von TA-Institutionen von finanzieller Förderung ist ihre Unabhängigkeit in der Forschungspraxis durchaus nicht selbstverständlich. Dies gilt primär für TA außerhalb öffentlicher Forschungseinrichtungen, insofern die relativ weitreichenden Autonomierechte der Forschung hier nicht greifen. Für das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) etwa ist in der Geschäftsordnung des Bundestages eine enge Begrenzung von dessen Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Arbeit des TAB geregelt. Während das TAB in Fragen des eigenen Personals gänzlich und bei der Projektbearbeitung weitgehend unabhängig von seinem Auftraggeber ist, spielt der Bundestag bei der Definition der Forschungsthemen eine zentrale Rolle. Die Frage, inwieweit TA-Institutionen unabhängig sind beziehungsweise sein können, bedarf also einer differenzierteren Betrachtung der jeweiligen Forschungsprozesse.

Am Anfang eines jeden Forschungsprozesses steht die Initiative, ein – zunächst meist nur grob bestimmtes – Themenfeld zu bearbeiten. Sie kommt im Falle parlamentarischer TA primär von Seiten der Politik, kann aber auch von den entsprechenden TA-Einrichtungen ergriffen werden. Dies ist insbesondere dann angezeigt, wenn ein Themenfeld in der öffentlichen Debatte noch nicht als potenziell problematisch wahrgenommen wird: Nur so kann TA ihre Frühwarnfunktion wahrnehmen. Anschließend sind die Aufgabenstellung des Projekts zu definieren (problem framing) sowie die Art seiner Bearbeitung zu planen: Wo sollen die Grenzen des betrachteten Systems liegen? Welche Forschungsmethoden sollen zum Einsatz kommen? Welche Disziplinen, Institutionen, Personen sollen am Forschungsprozess beteiligt werden? Hinter diesen Punkten verbergen sich jeweils zahlreiche Entscheidungen, die im Zuge eines Projektes zu treffen sind. Und sie alle haben Einfluss auf das Ergebnis: unter anderem indem sie bestimmen, welche Facetten eines Themas behandelt werden und welche nicht, in welcher Terminologie darüber gesprochen wird oder welche praktischen Schlüsse gezogen werden.

Hier wird deutlich, dass die Frage nach der Neutralität von TA weit mehr umfasst als das Vermögen, bei der Bewertung einer neuen Technologie nicht dem Urteil einer Partei anzuhängen. Neutralität als Unparteilichkeit heißt streng genommen, bei keinem der Faktoren, die für die praktische Wirksamkeit der TA eine Rolle spielen, einer Partei zu folgen. Nun ist nicht nur das TAB, sondern TA in Beratungskontexten generell durch eine bisweilen intensive Abstimmung mit dem Auftraggeber gekennzeichnet. Dieser kann an verschiedenen Stellen des Forschungsprozesses an den skizzierten Entscheidungen beteiligt sein. Dies aber lässt sich so interpretieren, dass die TA ihre inhaltliche Unabhängigkeit in dem Maße einbüßt, in dem sie der Position ihres Auftraggebers folgen muss.

Damit wäre der TA in Beratungskontexten eine lediglich eingeschränkte Neutralität zu attestieren. Dagegen ließe sich einwenden, dass zumindest im Falle parlamentarischer TA die "Partei", deren Position sie sich teilweise zu eigen macht, das Legislativorgan des Staates und als solches zur Festlegung allgemeinverbindlicher Normen demokratisch legitimiert ist. Allerdings tritt das Parlament in der Frühphase wissenschaftlich-technischer Entwicklungen häufig nicht "monolithisch" auf, sondern weist vielmehr eine Vielfalt an (parteilichen) Positionen auf. Zudem stellt die Fokussierung auf die Legislative eine starke Vereinfachung des komplexen Systems staatlicher (und außerstaatlicher) technology governance dar.

Fiktive Beratung und Nachhaltigkeit

Bislang war vor allem von TA als (Politik-)Beratung die Rede. Diese bezieht sich auf ihren Auftraggeber, um ihre Forschungsarbeit an gesellschaftlichen Problemlagen zu orientieren. Ein Großteil der TA ist jedoch in institutionellen Konstellationen (vor allem der universitären und außeruniversitären Forschung) verankert, in denen eine solche Bezugnahme nicht zur Verfügung steht. Sie muss ihre Problemdefinition, ihr Forschungsdesign und die anderen Entscheidungen der Projektgestaltung auf andere Weise begründen.

Ein wichtiger Ansatz hierfür – in quantitativer Hinsicht der vielleicht bedeutendste – ist die Bezugnahme auf normative Begriffe, die als gesellschaftlich konsensual interpretiert werden. Bis in die frühen 1990er Jahre dienten Begriffe wie "Umweltverträglichkeit" oder "Sozialverträglichkeit" diesem Zweck. Seither hat sich der Begriff der "nachhaltigen Entwicklung" als wichtigste normative Grundlage für die TA etabliert. Er wurde von der World Commission on Environment and Development (WCED) in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre geprägt und von der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (UNCED) in Rio de Janeiro 1992 einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht. Die TA rezipierte die anschließende Diskussion schon früh und bezog sie intensiv in die eigene Arbeit ein. Die konzeptionelle Arbeit am Nachhaltigkeitsbegriff legt hiervon beredtes Zeugnis ab: Ein beträchtlicher Teil der Nachhaltigkeitskonzepte im deutschsprachigen Raum wurde von TA- oder der TA nahestehenden Institutionen erarbeitet.

Diese Arbeit am Nachhaltigkeitsbegriff diente auch dazu, eine Bewertungsgrundlage für die eigene, problemorientierte Forschung zu schaffen. Hierfür scheint der Begriff prädestiniert zu sein, stellt er doch ein von einem (zumindest rhetorisch) breiten Konsens getragenes, umfassendes Leitbild gesellschaftlicher Entwicklung dar. Um ihn für die Projektarbeit nutzbar zu machen, musste er zunächst "operationalisiert" werden – eine Begründungsarbeit, die in mehreren Studien geleistet wurde.

Vergleicht man diese Art der Bezugnahme von TA auf "die Gesellschaft" mit dem Modus der Beratung, zeigen sich strukturelle Ähnlichkeiten: TA vertritt auch hier keine eigene Position, sondern bezieht sich auf die Position eines imaginären Dritten (in Gestalt der gesellschaftlich vorherrschenden Normen). Allerdings steht sie hier nicht in einem genuinen Beratungsverhältnis. Daher lässt sich normative Reflexion dieser Art als fiktive Beratung bezeichnen. Im Unterschied zu genuinen Beratungskonstellationen ist hier eine Interaktion zwischen Berater und (fiktiv) Beratenem freilich nicht möglich. Hieraus resultieren spezifische methodische Probleme für die TA – insbesondere das Problem, eine angemessene Interpretation des Nachhaltigkeitsbegriffs zu entwickeln. Da in dieser Konstellation die Rechtfertigung einzelner Nachhaltigkeitsziele erheblich einfacher ist als die Rechtfertigung von Gesamturteilen (das heißt von Urteilen darüber, was im Lichte der verschiedenen Nachhaltigkeitsziele "unterm Strich" nachhaltig ist), ist der Umgang mit Zielkonflikten nicht zufällig ein bis heute zentrales Problem von Nachhaltigkeitskonzepten.

Die Frage nach der Neutralität von TA im Modus fiktiver Beratung ist indes ähnlich zu beantworten wie bei TA im Modus der Beratung: Zwar lässt sich kaum bestimmen, ob die Interpretation des Nachhaltigkeitsbegriffs "im Sinne der Gesellschaft" war beziehungsweise inwieweit eigene Positionen der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler darin Eingang gefunden haben. Dem Anspruch nach aber ist diese Art der TA ebenso (oder ebenso wenig) neutral wie parlamentarische TA – sofern man Neutralität als Unparteilichkeit im oben genannten Sinne versteht.

Ist ethisch fundierte Technikfolgenabschätzung neutral – oder gerade nicht?

Anders verhält es sich mit dem dritten Modus normativer Reflexion von TA, der im Folgenden in den Blick genommen wird. Dieser kann als Modus der Ethik bezeichnet werden. Ethik ist darum bemüht, ausgehend von vorfindlichen moralischen Überzeugungen eine ethische Theorie, das heißt ein kohärentes System moralischer Überzeugungen zu entwickeln. Eine zentrale Rolle in der ethischen Methodologie spielt das Gedankenexperiment: Zum Zwecke ethischer Begründung wird darin der Standpunkt der Moral, das heißt eine um Transzendierung der eigenen Interessen bemühte Perspektive eingenommen. Auch in der TA finden sich Ansätze, die darauf zielen, im Modus ethischer Reflexion eine normative Grundlage für ihre Arbeit zu entwickeln. Als Beispiele sind Ansätze zu nennen, die in technik- oder ingenieursethischer Tradition stehen (etwa das TA-Konzept "Technikbewertung" des VDI) oder auch das Konzept der rationalen Technikfolgenbeurteilung.

Wie ist nun das Verhältnis von Ethik und Neutralität zu bestimmen? Kann eine ethisch fundierte TA als neutral bezeichnet werden, oder steht der Modus der Ethik mit der Forderung nach Neutralität in Konflikt? Versteht man Neutralität als Unparteilichkeit, als Anspruch, das eigene Urteilen und Handeln nicht an einer anderen Partei zu orientieren, so wäre der Standpunkt der Moral eher als neutral denn als parteiisch zu charakterisieren. Da es menschliche Existenz ohne Einbettung in das Soziale und darin ohne Standpunkt nicht gibt, ist der um Unparteilichkeit bemühte "Standpunkt der Moral" dem Ideal der Neutralität möglicherweise am nächsten.

Allerdings: Ethisch fundierter TA das Attribut der Neutralität zu- und es der Politikberatung abzusprechen, liefe dem in der TA üblichen Gebrauch des Neutralitätsbegriffs diametral entgegen. Was aber müsste unter "Neutralität" verstanden werden, um der üblichen Begriffsverwendung Rechnung zu tragen? "Neutralität" müsste bedeuten, die eigenen (epistemischen und moralischen) Überzeugungen, das eigene Urteilen und Handeln gegenüber den Überzeugungen, dem Urteilen und Handeln einer anderen Partei gänzlich zurücktreten zu lassen.

In diesem Sinne ist TA neutral, wenn sie keine eigene Position vertritt, sondern sich Positionen einer anderen Partei (etwa des Auftraggebers von Beratungsleistungen) immer dann zu eigen macht, wenn diese von der eigenen Position abweichen. TA als Parlamentsberatung entspricht diesem Neutralitätsideal durchaus in einem gewissen Maße, und TA im Modus ethischer Reflexion steht im Widerspruch zu ihm. Wenngleich Neutralität als Positionslosigkeit sich von der Ursprungsbedeutung des Neutralitätsbegriffs ein gutes Stück entfernt, ist der Begriff so an die einschlägige Debatte um das Rollenverständnis problemorientierter Forschung anschlussfähig.

Zwischen Neutralität und Bewertung: Fazit

Allerdings kann das so verstandene Konzept der Neutralität nicht mehr die Funktion erfüllen, eine angemessene Verortung der TA angesichts der gegenläufigen Impulse "Wissenschaftlichkeit" und "Problemorientierung" aufzuzeigen. Es benennt vielmehr selbst einen Pol des Spannungsfeldes, in dem TA sich bewegt – zwischen Neutralität (als Positionslosigkeit) und Bewertung (als dem Vertreten eigener Positionen). Dieses Spannungsfeld ist für die TA fundamental. Auf der einen Seite bleibt das Primat der Politik bei der Setzung allgemeinverbindlicher Normen bestehen. Auf der anderen Seite gibt es verschiedene Gründe, die das Einbringen eigener epistemischer und moralischer Überzeugungen durch TA erforderlich und angemessen erscheinen lassen.

Zum Ersten erscheint dies forschungspraktisch unabdingbar. So ist Frühwarnung vor technikbedingten Risiken durch die TA notwendigerweise agenda setting auf Basis der Überzeugung, dass eine gesellschaftliche Problemlage droht.

Zum Zweiten existieren Wissenschaftler nicht nur in der Rolle des Wissenschaftlers, sondern sie sind Personen mit einer eigenen Moralität. Aus wissenschaftsethischer Perspektive erscheint es geboten, ihnen dies unter dem Aspekt der Einheit der Person grundsätzlich zuzugestehen: "Zwar gibt es spezifische Rechte und Pflichten, die mit spezifischen beruflichen Rollen verknüpft sind, aber dennoch muss das Gesamt der normativen Orientierungen in sich hinreichend kohärent sein, um dieser eine durchgängige Welt- und Handlungsorientierung zu ermöglichen. Dies gilt auch für die Person, die ihren Beruf im Bereich der Wissenschaft gewählt hat. Sie muss ihr Tun gegenüber sich und anderen auch außerhalb des wissenschaftlichen Kontextes rechtfertigen können; sie darf nicht zu einer Aufsplitterung ihrer Person in eine wissenschaftliche, öffentliche und in eine private Rolle mit je unterschiedlichen normativen Einstellungen gezwungen sein."

Schließlich muss TA im Modus ethischer Reflexion nicht im Widerspruch zu demokratischer Willensbildung gesehen werden. Ethische Reflexion stellt vielmehr ein wesentliches Element derselben dar. Sie ist keine akademische Besonderheit, sondern grundlegender Bestandteil lebensweltlicher Kommunikation. Dass sie zugleich eng mit empirischen Befunden verwoben ist, rückt die besondere Bedeutung ethischer Reflexion in der Wissenschaft ins Licht: Praktisch-ethische Argumente werden nicht im luftleeren Raum, sondern in Konfrontation mit lebensweltlichen Problemlagen entwickelt – gerade auch solchen, die im Kontext des wissenschaftlich-technischen Wandels stehen. Vor diesem Hintergrund erscheinen wissenschaftliche Beiträge zum politischen Diskurs, die auch normative Anteile umfassen, unabdingbar.

Das bedeutet freilich nicht, der Politik ihre Legitimation, allgemeinverbindliche Normen festzulegen, streitig machen oder gar absprechen zu wollen. Es verdeutlicht lediglich, dass die mit Blick auf gesellschaftliche Technikgestaltung wesentliche Differenz zwischen Wissenschaft und Politik nicht in einer vermeintlich grundlegend unterschiedlichen Qualität der Überzeugungen und Argumente liegt, sondern in den unterschiedlichen Funktionen von Wissenschaft und Politik in der Gesellschaft. Die Politik steht gleichsam am Ende eines demokratischen Diskurses, der auch die Wissenschaft umfasst.

Nach alledem erscheint es unangebracht, wenn sich TA im Spannungsfeld von Neutralität und Bewertung nur mit äußerster Zögerlichkeit bewegt. Eine allzugroße Scheu vor dem Einbringen eigener Positionen ließe sich geradezu als Überschätzung der eigenen Einflussmöglichkeiten interpretieren: In wirkungsvollen demokratischen Strukturen läuft eine von der TA geäußerte, eigene Position nicht Gefahr, unmittelbar Niederschlag in geltendem Recht zu finden. Was sich freilich verbietet, ist eine Haltung wissenschaftlicher Überheblichkeit. Zwar gilt der wissenschaftliche Anspruch, herauszufinden, was der Fall ist und was nicht – immer jedoch in Verbindung mit dem Wissen um die eigene Begrenztheit: dass man Fehler gemacht haben könnte, dass wichtige Punkte übersehen worden sein könnten, dass andere Perspektiven möglich und berechtigt sind.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Weitere Spannungsfelder sind unter anderem: TA soll gesichertes wissenschaftliches Wissen bereitstellen und zugleich an vorderster Forschungsfront anknüpfen. Sie muss im Sinne eines möglichst großen Gestaltungsspielraums bereits frühzeitig im Prozess der Technikgestaltung ansetzen, im Sinne von belastbaren Aussagen über die tatsächliche Ausprägung, Nutzungsweise und Folgen von Technik hingegen zu einem möglichst späten Zeitpunkt (Collingridge-Dilemma).

  2. Für eine ausführliche Charakterisierung der TA vgl. Armin Grunwald, Technikfolgenabschätzung. Eine Einführung, Berlin 20102; in knapper Form: Marc Dusseldorp, Technikfolgenabschätzung, in: Armin Grunwald (Hrsg.), Handbuch Technikethik, Stuttgart 2013, S. 394–399.

  3. Historisch lässt sich diese Vielfalt wie folgt erklären: Zum Ersten suchten bestehende Forschungsansätze mit TA-Charakter Anschluss an das Label "TA", das Ende der 1960er Jahre im Kontext der Einrichtung des Office of Technology Assessment beim US-amerikanischen Kongress etabliert worden war. Zum Zweiten vollzog sich in den vergangenen Jahrzehnten ein Prozess der Ausdifferenzierung der TA, der von intensiver gegenseitiger Kritik über Disziplingrenzen hinweg gekennzeichnet war.

  4. Hierzu zählen etwa die Ansätze der partizipativen TA, der konstruktiven TA sowie der rationalen Technikfolgenbeurteilung. Vgl. Georg Simonis (Hrsg.), Konzepte und Verfahren der Technikfolgenabschätzung, Wiesbaden 2013.

  5. Vgl. Armin Grunwald, Parlamentarische TA als neutrale Politikberatung – Das TAB-Modell, in: TAB-Brief Nr. 26, Juni 2004, S. 6–9. Siehe hierzu auch den Beitrag von Armin Grunwald/Leonhard Hennen/Arnold Sauter in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

  6. Das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache, Externer Link: http://www.dwds.de (15.1.2014). Das Adjektiv "neutral" wird im 16. Jahrhundert zunächst in der Sprache der Politik, seit dem späten 18. Jahrhundert in den Naturwissenschaften in der Bedeutung "weder sauer noch basisch" gebraucht, im 19. Jahrhundert schließlich in der Grammatik zur Bezeichnung des sächlichen Geschlechts.

  7. Hier zeigt sich, dass die Metapher des "Zu-keinem-von-beiden-Gehörens" nicht ohne weiteres aus dem politisch-militärischen Kontext übertragen werden kann. Während dort eine Nichteinmischung in kriegerische Auseinandersetzungen möglich ist, befindet sich TA notwendig auf dem diskursiven "Schlachtfeld".

  8. Vgl. Thomas Petermann/Armin Grunwald, Technikfolgen-Abschätzung für den Deutschen Bundestag, Berlin 2005.

  9. So muss der Bundestag der Bestellung von externen Fachwissenschaftlern als Gutachter jeweils zustimmen.

  10. Ein Beispiel: Eine Studie zur Nanotechnologie kann die Giftigkeit von Nanopartikeln ausblenden (und sich auf Ressourcenaspekte oder Innovationspotenziale konzentrieren) oder ansprechen. Im letzteren Fall kann sie eine bestimmte Stoffgruppe (etwa Nano-Silber) in den Mittelpunkt stellen, eine andere (etwa Nano-Titandioxid) hingegen nicht. Sie kann toxikologische Untersuchungen an einer bestimmten Tierart vornehmen und eine hinreichende Aussagekraft für den Menschen unterstellen (die sich im Nachhinein als falsch herausstellen kann) – usw.

  11. Für das Beispiel des TAB vgl. T. Petermann/A. Grunwald (Anm. 8); Richard Finckh/Marc Dusseldorp/Oliver Parodi, Die TA hält Rat. Zum Beratungsbegriff in einer Theorie der TA, in: Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis, 17 (2009) 1, S. 117f.

  12. Die Referenzdokumente der Nachhaltigkeitsdebatte sind bis heute der Abschlussbericht der WCED (der sogenannte Brundtland-Bericht: WCED, Our Common Future, Oxford 1987) sowie die Abschlussdokumente der Rio-Konferenz, insbesondere die Rio-Deklaration, und die Agenda 21.

  13. Hervorzuheben sind die Arbeiten der (2003 geschlossenen) Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg (Anja Knaus/Ortwin Renn, Den Gipfel vor Augen. Unterwegs in eine nachhaltige Zukunft, Marburg 1998) und des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse am Karlsruher Institut für Technologie (Jürgen Kopfmüller et al., Nachhaltige Entwicklung integrativ betrachtet – Konstitutive Elemente, Regeln, Indikatoren, Berlin 2001).

  14. Vgl. Armin Grunwald, Technikfolgenabschätzung als Nachhaltigkeitsbewertung, in: Jürgen Kopfmüller (Hrsg.), Ein Konzept auf dem Prüfstand. Das integrative Nachhaltigkeitskonzept in der Forschungspraxis, Berlin 2006, S. 39–61.

  15. Siehe Anm. 13.

  16. Zu den Merkmalen von Beratungskonstellationen vgl. Alfons Bora, "Gesellschaftsberatung" oder Politik? Ein Zwischenruf, in: Claus Leggewie (Hrsg.), Von der Politik- zur Gesellschaftsberatung. Neue Wege öffentlicher Konsultation, Frankfurt/M. 2007, S. 117–132.

  17. Der Nachhaltigkeitsbegriff kann freilich auch normativ-ethisch begründet werden. Faktisch spielt die bloße Bezugnahme auf die Begriffsverwendung in den einschlägigen Diskussionen jedoch eine bedeutende Rolle. Insbesondere ist fiktive Beratung – ebenso wie Beratung und Ethik als Modi normativer Reflexion – als Idealtypus zu verstehen.

  18. Vgl. Marc Dusseldorp, Beratung als Modus normativer Reflexion. Was die Umweltethik von der Technikfolgenabschätzung lernen kann, in: Markus Vogt/Jochen Ostheimer/Frank Uekötter (Hrsg.), Wo steht die Umweltethik?, Marburg 2013, S. 347–357.

  19. Vgl. Julian Nida-Rümelin, Theoretische und angewandte Ethik. Paradigmen, Begründungen, Bereiche, in: ders. (Hrsg.), Angewandte Ethik, Stuttgart 2005, S. 3–87.

  20. Dennoch können verschiedene Menschen, die den "Standpunkt der Moral" einnehmen, selbstverständlich zu unterschiedlichen moralischen Urteilen kommen.

  21. Julian Nida-Rümelin, Wissenschaftsethik, in: ders. (Anm. 19), S. 834–860, hier: S. 847. Freilich stellt sich die Frage, wie weit die eigene Moralität des Wissenschaftlers reichen darf. Eine Antwort lässt sich in Analogie zur Radbruchschen Formel wie folgt formulieren: Ein Wissenschaftler soll sich immer nur dann gegen die herrschende Überzeugung von Politik und Öffentlichkeit stellen, wenn eine Entwicklung als "unerträglich ungerecht" anzusehen ist.

  22. Zur Verbindung ethischer und politischer Diskurse vgl. Carmen Kaminsky, Moral für die Politik, Paderborn 2005.

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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Marc Dusseldorp für bpb.de

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Dipl.-Geoökol., geb. 1978; Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsbereich Wissensgesellschaft und Wissenspolitik am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), Postfach 3640, 76021 Karlsruhe. E-Mail Link: marc.dusseldorp@kit.edu