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Widerstand und Opposition gegen den Sowjetkommunismus in Ostmitteleuropa - Essay | Widerstand | bpb.de

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Widerstand und Opposition gegen den Sowjetkommunismus in Ostmitteleuropa - Essay

Adam Krzemiński

/ 20 Minuten zu lesen

Aus der Perspektive des Jahres 2014 ist diese Geschichte leicht zu erzählen. Vor einem Vierteljahrhundert wurde infolge einer friedlichen Revolution im gesamten sowjetischen Herrschaftsbereich der Kommunismus abgeschüttelt, die Spaltung Deutschlands und Europas überwunden und eine irreversible Demontage nicht nur des Sowjetimperiums, sondern auch der UdSSR selbst in die Wege geleitet. Der Streit darüber, wem die eigentlichen Lorbeeren für diese epochale Wende in der europäischen Geschichte gebühren, dauert zwar seitdem an, doch es geht dabei nur um Schattierungen, welche Persönlichkeiten und welche Bewegungen mehr im Vorder- und welche eher im Hintergrund stehen sollten.

War für das annus mirabilis 1989 im 1945 von Stalin besetzten und in Jalta der sowjetischen Einflusszone zugeschlagenen Ostmitteleuropa der Widerstand von unten entscheidend, der nach vielen gescheiterten Versuchen in einzelnen Ländern endlich die Oberhand gewann? Dann müssten solche Persönlichkeiten wie Lech Wałęsa oder Václav Havel im Vordergrund stehen. Nicht von ungefähr wurden der Danziger Werftarbeiter und der Prager Schriftsteller als Galionsfiguren der Oppositionsbewegungen in Polen und Tschechien 1990 in ihren Ländern zu Staatspräsidenten gewählt.

Oder war es die schiere wirtschaftliche und politische Schwäche des Sowjetreiches, das eine durch die Umstände erzwungene Reformbewegung von oben wagte und damit – immerhin ohne Blutbad – grandios scheiterte? Dann müssten die "Helden des Rückzugs" aus der Geschichte auf dem Podest stehen, wie der "gute Zar" Michail Gorbatschow und seine einsichtigen Mitstreiter in den sowjetischen Kolonien – etwa jene ungarischen Verantwortlichen, die im Juni 1989 die Grenze zu Österreich öffneten, fünf Monate bevor die Berliner Mauer geöffnet wurde. Zu den "Helden des Rückzugs" ist auch der ehemalige polnische Staatschef Wojciech Jaruzelski zu zählen, zumal Adam Michnik – langjähriger politischer Häftling unter Jaruzelski – wegen der Verdienste des Generals bei der Machtrochade 1989 ostentativ an seiner Beisetzung im Mai 2014 teilnahm und sich öffentlich zu ihrer späten Freundschaft bekannte.

Doch nicht nur sie wären dann zu nennen, sondern auch Politiker und Persönlichkeiten im Westen wie der (bis 1989 amtierende) US-Präsident Ronald Reagan, die durch ihre Beharrlichkeit, aber auch Umsicht politischen und wirtschaftlichen Druck auf die Kremlführung ausübten und die Opposition im Ostblock stützten.

Allerdings dürften dabei auch die Entspannungspolitiker der 1970er Jahre nicht vergessen werden – die westdeutschen, die mit der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze die Abhängigkeit der Volksrepublik Polen von den Moskauer Grenzgarantien milderten, aber auch diejenigen in Westeuropa und Amerika, die 1975 den Regierenden im Ostblock durch die Helsinki-Akte gewisse Freiräume für eine demokratische Opposition im kommunistischen Machtbereich abtrotzten.

Und eine besondere Würdigung gebührt natürlich Papst Johannes Paul II. als einem großen Schirmherrn der Revolution des Jahres 1989. Mit dem ersten Besuch in seiner polnischen Heimat 1979 hinterließ er dem bereits 1980 folgenden Arbeiterprotest die Erfahrung der Selbstdisziplin während der riesigen Freilichtmessen. Danach half er der ersten freien Gewerkschaftsbewegung im Ostblock, der Solidarność, die Repressalien des im Dezember 1981 verhängten Kriegsrechts zu überstehen und wirkte auf die Machthaber um General Wojciech Jaruzelski ein, sich im Zaum zu halten. 1988 erzwang eine erneute Streikwelle den Runden Tisch, an dem im April 1989 die Modalitäten einer partiellen Machtabgabe durch die Kommunisten ausgehandelt und die ersten halbfreien Parlamentswahlen im Ostblock auf den 4. Juni 1989 festgesetzt wurden.

Alle diese Faktoren – Widerstand und Opposition von unten, wirtschaftliches Desaster im Ostblock und die Bürde des sowjetischen Krieges in Afghanistan, die Entspannungspolitik und der Doppelbeschluss der NATO (aufrüsten, aber den Dialog nicht abreißen lassen) und schließlich die politisch-moralische Schwäche des sowjetischen Realsozialismus, der sowohl der wirtschaftlichen Stärke des Westens als auch seiner geistigen freiheitlich-demokratischen Ordnung wenig entgegenzusetzen hatte, trugen 1989 gemeinsam zum Kollaps des Kommunismus bei.

Kommunizierende Röhren des Widerstandes

Die langen Linien jener Entwicklung, die 200 Jahre nach der Französischen Revolution von 1789 die Folgen der russischen Oktoberrevolution von 1917 in Ostmitteleuropa außer Kraft setzten, sind viel schwieriger zu erzählen. In den meisten Festreden anlässlich der "Friedlichen Revolution" 1989 werden als ihre Vorläufer die Aufstände am 17. Juni 1953 in der DDR, im Juni 1956 in Polen und im Oktober desselben Jahres in Ungarn genannt, die über den Prager Frühling 1968, die Entstehung der Solidarność 1980, die Massenflucht der DDR-Deutschen im Sommer 1989 und die Montagsdemonstrationen im Herbst jenes "wundersamen Jahres" zum Sturz Erich Honeckers und zur Öffnung der Berliner Mauer führten. Alle diese nationalen Umbrüche scheinen ungleichzeitig, aber gleichsam in einer linearen Verbindung miteinander gewesen zu sein, um dann im Jahre 1989 ihre Erfüllung zu finden.

Es gibt überzeugende Indizien für die kommunizierenden Röhren des demokratischen Widerstandes gegen die kommunistische Herrschaft im Ostblock. Der 17. Juni 1953 in der DDR war eine Reaktion nicht nur auf die unentschlossene Deutschlandpolitik Moskaus nach Stalins Tod und die Normenerhöhung beim Bau der Stalinallee in Ost-Berlin, sondern hatte seine Initialzündung auch in den Massenstreiks von über 300.000 tschechischen Arbeitern in Pilsen, Kladno und Ostrau Ende Mai 1953. Zu dem blutig unterdrückten Arbeiteraufstand in Posen drei Jahre später kam es auf der Welle des "Tauwetters" in der UdSSR, nach der Geheimrede Nikita Chruschtschows während des XX. Parteitags der KPdSU, in der die Verbrechen Stalins angeprangert wurden. Sie geriet über Polen in den Westen, und die westlichen Sender vermittelten sie dann den Osteuropäern.

Der Aufstand in Ungarn im Oktober 1956 begann wiederum mit einer Solidaritätsadresse ungarischer Intellektueller an die Polen, wo infolge des Massakers in Posen die Stalinisten von der Macht verdrängt wurden und der noch kurz davor inhaftierte Nationalkommunist Władysław Gomułka neuer Parteichef wurde. Während der Kämpfe gegen die sowjetische Intervention in Budapest gab es dann wiederum in Polen Solidaritätskundgebungen und Blutspenden für die Ungarn.

Der Oktober 1956 war eine Zäsur für den gesamten Ostblock. Polen verschaffte er eine Verschnaufpause. In einer dramatischen Auseinandersetzung mit Chruschtschow auf dem Warschauer Flughafen, als sowjetische Panzer schon auf die polnische Hauptstadt zurollten, gelang es Gomułka, einen Kompromiss mit den Machthabern im Kreml auszuhandeln: Warschau behält seine innenpolitischen Freiräume, wenn die Kommunisten an der Macht bleiben.

Das half den oppositionellen Intellektuellen in den 1960er Jahren, sich zu formieren. Sie ermahnten die Regierenden, die erworbenen Freiheiten nicht zu beschneiden ("Brief der 34" Intellektuellen gegen die Zensur, 1964), tiefere Systemveränderungen bis hin zur "Finnlandisierung" des Landes vorzunehmen (Jacek Kurońs und Karol Modzelewskis "Brief an die Partei", 1964), die nationale Geschichte nicht zu verfälschen und oppositionelle Intellektuelle und Studenten nicht zu maßregeln (Studentenproteste im März 1968). Im Dezember 1970 endete dieses Jahrzehnt der "kleinen Stabilisierung" in Polen mit einem außenpolitischen Einschnitt, der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch die Bundesrepublik Deutschland, und innenpolitisch mit einem Massenprotest der Arbeiter an der Ostseeküste gegen Preiserhöhungen.

In den nachfolgenden 1970er Jahren genoss die VR Polen zunächst eine Öffnung nach Westen und bescheidenen Wohlstand auf Pump. Der erneute Versuch der Regierenden, 1976 die Preise zu erhöhen, hatte auch diesmal eine Streikwelle zur Folge. Die anschließenden Repressalien verbanden nicht nur die oppositionellen Intellektuellen mit den gemaßregelten Arbeitern, sondern führten zur Gründung zahlreicher Gruppierungen, darunter das Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (KOR), die Bewegung zur Verteidigung der Menschen- und Bürgerrechte (ROPCiO) oder die Konföderation für die Unabhängigkeit Polens (KPN), außerdem diverse Arbeitskreise, Selbstverlage, alternative Gewerkschaftsgruppen und Bildungsseminare der "fliegenden Universitäten", in denen Modelle eines etappenweisen Systemwechsels diskutiert wurden.

Im Sommer 1980 brach an der Ostseeküste erneut ein Arbeiterstreik aus, der sich innerhalb weniger Wochen faktisch zu einem landesweiten Generalstreik ausdehnte und die Regierenden zu offenen Verhandlungen mit dem Streikkomitee zwang. Dass namhafte oppositionelle Intellektuelle vom Streikkomitee als Berater akzeptiert wurden, markierte eine Verbindung beider Oppositionslinien: der "Intelligenz" und der "Werktätigen". Als nach der Registrierung im September 1980 mit der Solidarność und später auch einer "Solidarność der Bauern" die ersten unabhängigen Gewerkschaften im Ostblock entstanden, errangen nun alle nominell den Staatssozialismus tragenden sozialen Schichten ihre nichtkommunistische Vertretung. Die Legitimität der "führenden Rolle der Partei" wurde de facto infrage gestellt.

Mit der Botschaft des ersten Kongresses der Solidarność vom 8. September 1981 "An die Werktätigen Osteuropas" wandten sich die Delegierten an die Arbeiter Albaniens, Bulgariens, der Tschechoslowakei, der DDR, Rumäniens, Ungarns "und aller Nationen der UdSSR". Sie hoben die Schicksalsgemeinschaft mit ihnen hervor und versicherten, "dass wir entgegen aller Lügen, die in euren Ländern verbreitet werden, eine zehn Millionen starke authentische Vertretung der Werktätigen sind, die im Ergebnis von Arbeiterstreiks entstanden ist. Unser Ziel ist der Kampf für die Verbesserung des Daseins aller Menschen der Arbeit. Wir unterstützen diejenigen unter euch, die sich entschlossen haben, den schwierigen Weg des Kampfes um eine freie Gewerkschaftsbewegung zu beschreiten. Wir glauben, dass unsere und eure Vertreter sich schon bald zu einem gewerkschaftlichen Erfahrungsaustausch werden treffen können."

Vor der Geschichte sollten die Ideengeber des Aufrufes Recht behalten. Einer von ihnen, Jerzy Buzek, war von 1997 bis 2001 Ministerpräsident im freien Polen und von 2009 bis 2012 Vorsitzender des Europäischen Parlaments. Tagespolitisch aber war die "Botschaft" für die Machthaber im Ostblock ein Fanal. Parteiorgane verurteilten die "antisozialistische und antisowjetische Hetze". Leonid Breschnew nannte sie während einer Politbürositzung gefährlich und provokant: "Worte enthält sie wenige, aber sie hauen alle in dieselbe Kerbe. Ihre Autoren würden gern Chaos in den sozialistischen Ländern stiften und Abweichlergrüppchen verschiedener Art anspornen."

Ähnlich wie Ludvík Vaculíks "Manifest der 2000 Worte" während des Prager Frühlings 1968 war 1981 die "Botschaft" einer der Vorwände für die Betonköpfe im Ostblock, eine "Bruderhilfe zur Rettung des Sozialismus in Polen" zu fordern. Drei Monate später, am 13. Dezember 1981, wurde in Polen das Kriegsrecht verhängt. Aktive Mitglieder der Solidarność wurden interniert, die bestreikten Betriebe gestürmt und die Gewerkschaft suspendiert. Für die Unzufriedenen im Ostblock war es ein erneutes Signal: Eine riesige Protestbewegung war wie schon 1956 in Ungarn und 1968 in der Tschechoslowakei nun auch in Polen gescheitert.

Unterschiedliche Ansätze und Bezugspunkte

Dennoch: Bei den Machthabern im Kreml saß der polnische Schock tief. Ein junges Politbüromitglied, Michail Gorbatschow, wurde zum Vorsitzenden einer parteiinternen "Polen-Kommission" ernannt, die die Krise analysieren und Reformvorschläge für die UdSSR ausarbeiten sollte. Perestrojka ("Umbau") und Glasnost ("Offenheit, Transparenz"), die er 1985 als Generalsekretär der KPdSU ankündigte, sollten erneute Eruptionen im sowjetischen Machtbereich verhindern, die Sowjetunion von oben her reformieren und den "sozialistischen Bruderstaaten" größere Freiräume bei der Umgestaltung der Wirtschaft und Innenpolitik gewähren.

Die Katastrophe in Tschernobyl 1986 offenbarte dann die technologische Schwäche, den administrativen Schlendrian und die verlogene Öffentlichkeitsstruktur des abgewirtschafteten Systems. Eine Verständigung mit den Vereinigten Staaten über strategische Abrüstung war die Folge, die Sowjetunion durch liberale Reformen von Grund auf zu reformieren, die einzige Chance.

Jahre später, nach dem gescheiterten Janajew-Putsch von 1991, jenem verzweifelten Versuch von konservativen Parteioberen, die den Umbau der Sowjetunion noch verhindern und – nach dem Verlust der DDR durch die Vereinigung Deutschlands – die restlichen Sowjetkolonien bei der Stange halten wollten, bekannte Gorbatschow (nach der Auflösung der UdSSR ein Privatmann) eine sozialdemokratische Gesinnung. Geprägt habe ihn während seiner Studienzeit die Freundschaft mit Zdeněk Mlynář, später einer der aktivsten tschechischen Reformkommunisten des Prager Frühlings. Der am 21. August 1968 durch die militärische Intervention der Warschauer-Pakt-Staaten jäh unterbrochene Versuch der tschechoslowakischen KP, einen "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" zu errichten und das 1948 von Stalin aufgezwungene Staats- und Parteimodell zu liberalisieren, schwebte den sowjetischen Reformkommunisten Ende der 1980er Jahre als Vorbild für eine Perestrojka von oben im Zentrum des Imperiums vor.

Gorbatschow sah sich dabei einer Phalanx konservativer Dogmatiker im Ostblock gegenüber: Erich Honecker in der DDR, Gustáv Husák in der ČSSR oder Nicolae Ceaușescu in der VR Rumänien. Die VR Polen betrachtete er – wie er mehrmals öffentlich betonte – als ein Experimentierfeld für Reformen von oben. Unter dem ständigen Druck der Opposition von unten und der fatalen Wirtschaftslage leitete General Jaruzelski endlich zaghafte Systemreformen ein: Ein Verfassungsgericht und das Amt des Ombudsman wurden eingerichtet und ein Referendum über die Wirtschaftsreform abgehalten (und verloren), außerdem setzte ein öffentlicher Dialog mit oppositionellen Intellektuellen ein, allerdings blieb die Solidarność weiterhin illegal.

Polen war insofern ein Vorreiter im Ostblock der 1980er Jahre. Doch mit der nicht nachlassenden Wucht des Widerstandes, mit der zwar unterdrückten, aber dennoch präsenten Solidarność, mit den wiederholten Papst-Reisen und der Ratlosigkeit der Regierenden blieb es ein Sonderfall. Der Danziger Arbeiterführer Lech Wałęsa, inzwischen Friedensnobelpreisträger, hatte keine Entsprechung im Ostblock, wo sich auch die Sympathien für die aufmüpfigen Polen in Grenzen hielten. Waren sie im Dezember 1981 mit der Verhängung des Kriegsrechts nicht genauso gescheitert wie die DDR-Deutschen 1953, die Ungarn 1956 oder die Tschechoslowaken 1968?

So sah es auch ein oppositioneller protestantischer Pastor in Rostock, Joachim Gauck. Und dennoch erreichte "der polnische Bazillus" die Kapillarzellen des Sowjetsystems. Der eine oder andere in der DDR, Wolfgang Templin und Ludwig Mehlhorn etwa, lernte gar Polnisch, um die Texte der polnischen Oppositionellen zu lesen und dann auch hektografiert ins Deutsche zu übersetzen. Andere schauten interessiert oder befremdet-neugierig auf die ganz unterschiedliche politische Kultur im Nachbarland und versuchten – wie eine junge Physikerin aus Berlin, Angela Merkel – das Abzeichen der Solidarność als Andenken an Gespräche in Polen und vielleicht auch als Talisman für die Zukunft in die DDR zu schmuggeln.

Dennoch blieb für die kritische Intelligenz in der DDR in den 1980er Jahren eher der Prager Frühling als die Solidarność der Bezugspunkt – der Wunschtraum nach liberalen Reformen von oben und einer Öffnung nach Westen also und nicht die Perspektive eines Massenprotestes und anschließend der Machtfrage von unten. Die Schriften der DDR-Oppositionellen, ob Robert Havemanns "Kommunismus ohne Dogma" in den 1960er Jahren, Wolfgang Harichs "Kommunismus ohne Wachstum" oder Rudolf Bahros "Die Alternative" aus den 1970er Jahren, bewegten sich immer noch im Kreis einer Generalüberholung des marxistischen Staats- und Wirtschaftsprojektes, während sich Leszek Kołakowski in den "Hauptströmungen des Marxismus" und Jacek Kuroń mit den nach der Streikwelle 1970 entwickelten Ideen der "selbstverwalteten Republik" von jeglichem Marxismus längst verabschiedet hatten.

1975 erweiterte die KSZE-Schlussakte die Durchlässigkeit nicht nur des Eisernen Vorhanges, sondern auch der Grenzen zwischen den "Bruderländern" und somit die Kontakte zwischen den Dissidenten und Oppositionellen. In polnischen Samisdat-Verlagen erschienen unzensierte Texte über den Aufstand in Ungarn, den Prager Frühling, auch über den 17. Juni 1953, Hans Mayers Skizze über das Jahr 1956 in der DDR, "Die Zelle" von Horst Bienek über seine Inhaftierung und Verbannung nach Workuta. Aber entscheidend für die Formierung der Opposition waren die Bezüge zur polnischen Kriegs- und Nachkriegsgeschichte und der Wandel in der Sowjetunion seit Stalins Tod 1953, das "Tauwetter", die Dissidenten-Bewegung, Solschenizyns "Archipel Gulag", unbotmäßige Filmemacher, Theaterleute und Dichter. Sänger wie Bulat Okudschawa oder Wladimir Wyssozki waren oft ins Polnische übersetzte Kultfiguren, während Wolf Biermann – in den 1960er, 1970er Jahren eines der Symbole der DDR-Dissidenten – mit seiner Sehnsucht nach einem geläuterten Kommunismus ("so oder so die Erde wird rot") selbst unter polnischen Germanistikstudenten in Polen auf Unverständnis stieß.

Trotz aller Ähnlichkeiten, Parallelen, Entlehnungen und kommunizierenden Röhren waren die Opposition gegen das System und der antikommunistische Widerstand in Ostmitteleuropa ungleichzeitig und entsprangen sehr verschiedenen Quellen. Selbst die enttäuschten Ex-Kommunisten, die linken Dissidenten aus Polen, Ungarn, der DDR und der Tschechoslowakei, die zuerst von einem Reformkommunismus, später oft von einer sozialdemokratischen Evolution schwärmten und noch die kleinsten Reformregungen in den Nachbarländern verfolgten, handelten entsprechend der Logik ihrer Nationalstaaten. Eine "Internationale" der ostmitteleuropäischen Dissidenten kam trotz gelegentlicher Kontakte und Freundschaften nicht zustande.

Florian Havemann schreibt in seinen Erinnerungen, dass er in den 1960er Jahren für Jacek Kuroń schwärmte und Leszek Kołakowski treffen wollte. Doch ansonsten blieb für die DDR-Dissidenten Westdeutschland der Fluchtpunkt – trotz gelegentlicher Faszinationen für das "mögliche Anderssein" in anderen "Volksdemokratien". Für die Ungarn war das nach 1956 das nahegelegene Wien, für die Tschechen nach 1968 ebenfalls Westdeutschland, die geistigen Stützpunkte für die Polen dagegen waren Frankreich mit der mächtigen Exilzeitschrift "Kultura" und ansonsten die USA, England und Schweden mit zahlreichen Exilpolen, erst später kam Westdeutschland dazu.

Sonderfall Polen

Die anwachsenden Streikwellen und Protestaktionen in Polen zwangen die Machthaber schrittweise zu strukturellen Zugeständnissen an die Gesellschaft, wie sie weder in der DDR noch in Bulgarien oder Rumänien vorstellbar waren. Von 1956 bis 1989 wurde jeder Chef der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP) infolge von Massenstreiks und Protestwellen gestürzt. Undenkbar in den Bruderländern, wo die Amtszeiten der kommunistischen Parteivorsitzenden 33 Jahre (János Kádár, Ungarn), 25 Jahre (Todor Schiwkow, Bulgarien), 21 Jahre (Nicolae Ceaușescu, Rumänien), 20 Jahre (Gustáv Husák, ČSSR) oder 18 Jahre (Erich Honecker, DDR) betrugen.

Woher dieser "polnische Sonderweg"? Oft wird die Antwort in der Stärke der katholischen Kirche in Polen und später in der Rolle des polnischen Papstes in den 1980er Jahren gesehen – ein wichtiger Faktor, den auch ich eingangs betont habe. Einen anderen muss man aber in der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts suchen.

In allen Ländern, aus denen 1944 die Rote Armee die deutsche Wehrmacht und ihre Helfershelfer verdrängte und die dann in Jalta von den "großen Drei" – Franklin D. Roosevelt, Winston Churchill, Josef Stalin – der sowjetischen Einflusszone zugeschlagen und von Kommunisten regiert wurden, regte sich in den 1940er Jahren in den bürgerlichen und Armeekreisen ein antikommunistischer Widerstand.

In Bulgarien waren es Geheimbünde wie die "Neutralen Offiziere" oder "Zar Krum", die auf einen Ost-West-Konflikt und die Beseitigung des kommunistischen Regimes hofften. Diese Organisationen wurden aber allesamt bis 1946 zerschlagen und ihre Mitglieder zum Tode oder zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Nach 1989 wurden sie rehabilitiert und – wie General Kiril Stantschew – postum befördert. Iwan Dimitrow Dotschew, ein bulgarischer Monarchist und faschisierender Politiker der Zwischenkriegszeit, ging 1944 nach Berlin, wo er einer bulgarischen Exilregierung beitrat. In der Heimat wurde er zum Tode verurteilt. Nach dem Krieg engagierte er sich in diversen Exilorganisationen in den USA. Erst 1991 kehrte er nach Bulgarien zurück und war im Bund der Demokratischen Kräfte tätig.

In Rumänien entstanden militante Gruppen, wie die Partizanii României Mari (Partisanen Großrumäniens), die 1948 in Bukarest antikommunistische Flugblätter verteilten und zusammen mit anderen Untergrundorganisationen Attentate auf kommunistische Führer planten. Eine etwa 70 Personen starke Partisanengruppe um Adrian Mihuțiu wurde bis 1956 von der Securitate verfolgt.

Wie verwickelt der Weg antikommunistischer Offiziere in Ungarn oft war, zeigt die Biografie von General Lajos Veress Dálnoki, der in den 1930er Jahre Generalstabschef war und 1941 ungarische Einheiten befehligte, die zusammen mit der deutschen Wehrmacht Jugoslawien und die UdSSR überfielen. 1944 wurde er nach Ungarns missglücktem Seitenwechsel von den Deutschen zu elf Jahren Haft verurteilt. Im Frühjahr 1945 floh er aus dem Gefängnis und gründete die Untergrundorganisation "Ungarische Gemeinschaft", die einen Aufstand gegen die Kommunisten vorbereiten sollte. Er wurde verhaftet und zuerst zum Tode, dann zu einer lebenslänglichen Gefängnisstrafe verurteilt. Während des ungarischen Aufstandes 1956 befreit, ging er anschließend nach London, wo er dem Weltbund Ungarischer Freiheitskämpfer vorstand.

Selbst in der Tschechoslowakei, wo die Kommunisten relativ stark waren, gab es ähnliche Versuche. Slowakische Emigranten gründeten 1945 den antikommunistischen Geheimbund Bela Légia, der Fluchthilfe leisten und für die USA Informationen über das Land sammeln sollte. Der Chef der Gruppe wurde entführt und zu einer langjährigen Haftstrafe, seine Mitarbeiter dagegen zum Tode verurteilt. Die tschechische Sabotagegruppe "Der schwarze Löwe" sorgte 1953 für internationales Aufsehen, als den Brüdern Mašínov nach einer Serie von Attentaten trotz einer Schießerei mit Volkspolizisten und einer Riesenrazzia die Flucht durch die DDR nach West-Berlin gelang. Nach 1989 kehrten sie nicht in die Heimat zurück, wo sie von vielen Menschen für gewöhnliche Banditen gehalten werden. Allerdings zeichnete sie der tschechische Ministerpräsident Mirek Topolánek 2008 in den USA aus.

Auch in den baltischen Ländern und in der Westukraine, die nach dem Hitler-Stalin-Pakt von der UdSSR annektiert wurden, operierten bis in die 1950er Jahre hinein antikommunistische Partisanengruppen, die lettischen, litauischen oder ukrainischen Verbänden entstammten und 1941 in der Hoffnung auf eine Befreiung vom Kommunismus auf die deutsche Karte gesetzt hatten. Dass sie dabei auch Handlangerdienste bei der deutschen "ethnischen Flurbereinigung" in Ostmitteleuropa leisteten, machte es der sowjetischen Propaganda leicht, sie als Faschisten abzustempeln. Und auch im Westen regte sich nach 1989 heftige Bestürzung, als in Lettland oder in der Westukraine ehemalige Mitglieder der Waffen-SS als antikommunistische Helden gefeiert wurden.

Polen war in den 1940er Jahren insofern ein Sonderfall, als es im Krieg kein Satellit Hitlerdeutschlands war, sondern vom 1. September 1939 an auf der richtigen Seite stand. Nach der gemeinschaftlichen Aufteilung des Landes durch Hitler und Stalin wurde es von einer Exilregierung in London und einigen Armeeverbänden im Westen vertreten, außerdem verfügte es über gut funktionierende Strukturen eines Untergrundstaates und eine 300.000 Mann starke Heimatarmee. Es gab in London zwar auch eine tschechische Exilregierung unter dem früheren Ministerpräsidenten Edvard Beneš, aber das Protektorat Böhmen und Mähren war eine eher ruhige Waffenschmiede des "Dritten Reiches" und die Slowakei mit Pfarrer Andrej Hlinka als Staatschef voll im deutschen Tross.

Polen dagegen war ein Zankapfel der Westalliierten im Tauziehen mit Stalin um Ostmitteleuropa. Einerseits war Polen der Grund, warum Großbritannien am 3. September 1939 zusammen mit Frankreich Deutschland den Krieg erklärt hatte, andererseits befürchtete man in London und Washington nach Stalingrad, Stalin könne erneut einen Separatfrieden mit Hitler schließen. Polen war somit zum Objekt der Großmächte geworden, nachdem Stalin im Sommer 1943 die Beziehungen zur polnischen Exilregierung abgebrochen hatte und kurz darauf ihr Ministerpräsident, General Władysław Sikorski, in einer Flugzeugkatastrophe in Gibraltar umgekommen war. Den Vorwand für den Bruch hatte die polnische Forderung nach einer internationalen Untersuchung des 1940 von Angehörigen des sowjetischen Volkskommissariats für innere Angelegenheiten (NKWD) verübten Massenmordes an Tausenden polnischen Offizieren in Katyn geliefert.

Stalin ging es um die Bestätigung seiner Annexionen von 1939 und folglich um eine Unterwerfung Ostmitteleuropas. Und er hatte beim Zusammentreffen mit Roosevelt und Churchill in Teheran (1943) Verständnis dafür gezeigt, dass Polen für seine territorialen Verluste im Osten mit deutschen Gebieten im Westen entschädigt werden sollte. Angesichts des Vorrückens der Roten Armee nach Mitteleuropa ging es aber um die Souveränität des Landes und nicht nur um seine "Westverschiebung". Der Warschauer Aufstand im August 1944 war zwar militärisch gegen die deutsche, politisch aber gegen die neue sowjetische Besatzung und die Errichtung einer kommunistischen Herrschaft in Polen gerichtet. Nach zwei Monaten verbissener Kämpfe endete er mit dem Tod von rund 200.000 Zivilisten und der völligen Zerstörung der Hauptstadt. Die Rote Armee schaute vom anderen Weichselufer untätig zu, während die Westalliierten halbherzig aus Italien Nachschub heranflogen, die in England ausgebildete polnische Luftlandetruppe aber bei Arnheim verheizten.

Die Katastrophe des Warschauer Aufstandes war eine Zäsur im polnischen politischen Selbstverständnis. Die Enttäuschung über die Nachgiebigkeit des Westens gegenüber Stalin trieb nicht wenige Nichtkommunisten dazu, sich in dem von Kommunisten regierten Staat zu engagieren, um wenigstens die nationale Substanz zu retten. Doch nicht wenige Verbände der Untergrundarmee setzten die Partisanenkämpfe – diesmal gegen die kommunistische Verwaltung – fort. Sie hofften auf eine westliche Offensive, die Churchill auch tatsächlich in Erwägung zog. Die neuen Machthaber verunglimpften bald die Soldaten der Heimatarmee als "geifernde Zwerge der Reaktion". Die Führung des Untergrundstaates wurde vom NKWD nach Moskau entführt und in einem Schauprozess zum Tode verurteilt. Tausende Soldaten der Heimatarmee landeten im GULag. Namhafte Kommandeure des Warschauer Aufstandes wurden als "Bandenführer" gejagt und hingerichtet.

Dieses Trauma hatte in der polnischen Gesellschaft zweierlei Konsequenzen. Einerseits wurden der Widerstand gegen die deutsche Besatzung und der Einsatz der polnischen Flieger in der "Battle of Britain", der polnischen Kriegsschiffe in der "Atlantikschlacht", der polnischen Brigaden in Tobruk oder Monte Cassino zum nationalen Mythos, andererseits blieb der Warschauer Aufstand eine offene Wunde und mehr oder weniger ein Streitfall – Heldentum und Opferbereitschaft auf der einen Seite, katastrophale Folgen auf der anderen. Die Lehre daraus war: Widerstand ja, aber unterhalb der Schwelle eines militärischen Aufstandes. Damit lässt sich auch erklären, warum Warschau sich im Oktober 1956 anders als Budapest verhielt, und warum die Verfolgung der Solidarność im Kriegszustand zu keiner militanten Gegenwehr führte.

In einem Land wie Polen, das seit dem 18. Jahrhundert durch eine lange Geschichte nationaler Aufstände geprägt worden war, blieb die Tradition der Auflehnungen gegen die russischen Besatzer weiterhin fundamental. Die jungen Menschen, die sich in der Solidarność engagierten, wähnten sich oft als Nachfolger der Aufständischen von Warschau. Aber ihr realer Widerstand fand neue Formen einer Mischung von vordergründigem Arrangement mit den kommunistischen Machthabern und einem beständigen Druck von unten. Dazu gehörten Massenstreiks, Proteste der Intellektuellen, eine starke Präsenz der Kirche, die Bildung einer unabhängigen Massenbewegung, aber auch das zunehmende Bewusstsein nicht weniger Parteimitglieder, dass die Geschichte Polens keineswegs mit der Macht des Sowjetkommunismus zu Ende ist.

All das ermöglichte erst die im gesamten Ostblock einmalige politisch-mentale Konstellation, die nach den Erschütterungen des Kriegsrechts über die Abmachungen des Runden Tisches und der halbfreien Wahlen vom 4. Juni 1989 eine friedliche Machtübergabe an die antikommunistische Opposition einleitete.

Ostmitteleuropäische Revolution

Das Wunder des Jahres 1989 bestand darin, dass endlich all die verschiedenen Stränge und Ungleichzeitigkeiten in einer friedlichen Revolution zusammenkamen. Entgegen den nachträglichen nationalen Verklärungen war es keine "deutsche", "polnische", "tschechische", "ungarische" oder "rumänische", sondern eine ostmitteleuropäische Revolution, zu der sowohl die Parteidissidenten der Jahre 1956 oder 1968, als auch christliche Oppositionelle und nationale bis nationalistische Antikommunisten in unterschiedlichem Maße ihren Beitrag geleistet haben. In jedem der früheren Ostblockländer prägten sich eigene Ikonen des Jahres 1989 ein. In den ostdeutschen Bundesländern sind es die Montagsdemonstrationen und der Tanz auf der Berliner Mauer, in Ungarn das Staatsbegräbnis Imre Nagys und anderer Anführer des Aufstandes 1956, in Tschechien der triumphale gemeinsame Auftritt Alexander Dubčeks, Generalsekretär der KPČ 1968 und Galionsfigur des Prager Frühlings, mit Václav Havel, dem Initiator der "Karta 77", um den sich in der Tschechoslowakei der 1980er Jahre die Oppositionellen geschart hatten. Die Polen assoziieren das Jahr 1989 mit ihrem Runden Tisch und dem grandiosen Sieg der Solidarność in den fast freien Wahlen vom 4. Juni (eine diametral andere Lösung als in China am selben Tag).

Nach einem Vierteljahrhundert wird die Geschichte des Jahres 1989 in den ostmitteleuropäischen Ländern meist national erzählt. In den Erinnerungsbüchern werden vor allem die eigenen Dissidenten, Menschen- und Bürgerrechtler, Friedenskämpfer und Oppositionellen des antikommunistischen Widerstandes seit den 1940er Jahren hervorgehoben. Gelegentlich wird auch auf Kontakte zwischen den Bewegungen in verschiedenen "Bruderländern" hingewiesen: auf das geheime Treffen polnischer KOR-Mitglieder mit der "Karta 77" an der Grenze im Riesengebirge, auf die Ausflüge ungarischer Systemkritiker nach Polen, wo sie sich in den 1970er Jahren die Technik der Selbstverlage abguckten, an die Versuche der kritischen Intellektuellen in der DDR – wie Walter Janka – 1956 Solidarität mit Ungarn zu zeigen, oder an die jungen Sympathisanten des Prager Frühlings, die in Ost-Berlin tschechoslowakische Fahnen hissten, um gegen den Einmarsch in die ČSSR zu demonstrieren.

Doch die Kenntnis dieser kommunizierenden Röhren des antikommunistischen Widerstandes im sowjetischen Machtbereich wird meistens durch nationale Erzählungen verdeckt, in denen sich die Nachbarn nur am Rande, wenn überhaupt erkennen. Auch die Geschichte der Repressalien, der Unterdrückung und drakonischen Maßregelung der Regimegegner wird meistens national über die eigenen "Häuser des Terrors" erzählt: in Ostdeutschland über Bautzen oder Hohenschönhausen, in Polen über die Rakowieckastraße oder Białołęka, in Tschechien über Ruzyně.

In der Vorgeschichte des Jahres 1989 kann man jedoch auch eine "Internationale des Widerstandes" wahrnehmen. Ein Beleg dafür war die Welle der Verzweifelten und Empörten nach dem Einmarsch in die ČSSR am 21. August 1968: Aus Protest gegen die polnische Beteiligung an der Niederschlagung des Prager Frühlings verbrannte sich am 8. September 1968 Ryszard Siwiec, ein Veteran der polnischen Heimatarmee, im überfüllten Warschauer Stadion. Ähnlich starb auch Jan Palach am 18. Januar 1969 vor dem Prager Nationalmuseum – er hatte in der Tschechoslowakei 26 Nachahmer und einen in Ungarn, Sándor Bauer. Am 14. Mai 1972 setzte sich Romas Kalanta vor dem Nationaltheater in Kaunas aus Protest gegen die sowjetische Okkupation Litauens in Flammen. Am 18. August 1976 verbrannte sich in Zeitz Oskar Brüsewitz wegen der Verfolgung der Christen in der DDR. Und am 23. Juni 1978 zündete sich auf der Krim Musa Mamut an, um gegen die Deportation der Krimtataren aus ihrer Heimat zu protestieren.

Ihre Taten waren einsam. Sie wurden von den offiziellen Medien entweder verschwiegen oder als Ausdruck psychischer Störungen verhöhnt. Dennoch gebührt auch ihnen ein Platz im Pantheon des ostmitteleuropäischen Widerstandes gegen die 1944/1945 durch Stalin etablierten kommunistischen Diktaturen. Sie brachen 1989 infolge einer ostmitteleuropäischen Revolution zusammen, die unterschiedliche nationale Stränge hatte, die sich dann aber zu einer gravierenden Zäsur in der europäischen Geschichte verknoteten.

Geb. 1945; Publizist und Redakteur der Zeitschrift "Polityka", Koszykowa 35-2, 00553 Warschau/Polen. E-Mail Link: krzem@gmx.net