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Jugendarbeitslosigkeit und Beschäftigungspolitik in der EU

Jale Tosun

/ 18 Minuten zu lesen

Die Entwicklung der politischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Jugendarbeitslosigkeit in Europa ist dynamisch. Das vorgestellte, in der Praxis bereits erprobte Förderinstrument könnte eine Handlungsoption für die Zukunft darstellen.

Schon seit vielen Jahren haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) Schwierigkeiten, junge Menschen zwischen 15 und 24 Jahren in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Mit der Finanz- und Schuldenkrise, in der sich Europa seit 2008 befindet, nahm die Jugendarbeitslosigkeit in einigen Mitgliedstaaten dramatische Ausmaße an. Die Daten von Eurostat für den Oktober 2014 zeigen, dass Spanien, Griechenland und Italien mit Jugendarbeitslosenquoten von 53,9 Prozent, 49,3 Prozent und 43,3 Prozent besonders stark von diesem Problem betroffen sind. Zum Vergleich: In Deutschland lag zum gleichen Zeitpunkt die Jugendarbeitslosenquote bei 7,7 Prozent, in den Niederlanden bei 9,7 Prozent und in Österreich bei 10 Prozent. Auch wenn das Ausmaß innerhalb Europas sehr unterschiedlich ausfällt, muss festgehalten werden, dass derzeit knapp 5 Millionen junge Europäer(innen) arbeitslos sind. Selbst wenn junge Menschen Arbeit finden, handelt es sich häufig um Zeit- und Teilzeitarbeit. Hinzu kommt, dass es eine Gruppe – bezeichnet mit dem englischen Akronym NEETs (not in education, employment or training) – von 7,5 Millionen Jugendlichen und jungen Erwachsenen gibt, die nicht nur von Arbeitslosigkeit betroffen sind, sondern auch keine Schule besuchen und sich nicht in beruflicher Ausbildung befinden. Hieraus ergibt sich das Bild, dass der Übergang vom Jugend- ins Erwachsenenleben vielfach nicht reibungslos verläuft und junge Menschen Probleme haben, wirtschaftlich selbstsuffizient zu werden und somit auch nur eingeschränkt am sozialen und politischen Leben teilhaben.

In Anbetracht dieser Problemlage ist die Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit neben der Finanz- und Schuldenkrise das dominierende Thema auf der europäischen Politikagenda. Dieser Beitrag betrachtet die Jugendarbeitslosigkeit in Europa aus drei Blickwinkeln. Im ersten Teil werden die Entwicklung der bisherigen EU-Beschäftigungspolitik und der Stellenwert der Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit umrissen. Im nächsten Schritt wird erläutert, wie das Verbundforschungsprojekt CUPESSE Jugendarbeitslosigkeit aus einer inter- und transdisziplinären Perspektive untersucht, um Empfehlungen für das zukünftige politische Handeln abzugeben. Im dritten Teil wird ein Lösungsansatz aus der Praxis vorgestellt, dem bereits Modellcharakter zugeschrieben wird und der sich in Zukunft als eine Handlungsoption etablieren könnte.

EU-Maßnahmen gegen Jugendarbeitslosigkeit

Das Erreichen eines hohen Beschäftigungsniveaus ist seit den frühen 1990er-Jahren ein prioritäres Thema für die EU. Der außerordentliche Beschäftigungsgipfel im November 1997 in Luxemburg rief die Europäische Beschäftigungsstrategie (EBS) ins Leben, die den Weg für den durch den Vertrag von Amsterdam neu geschaffenen Beschäftigungstitel bereitete und das Instrument für dessen Umsetzung schuf. Auch wenn die Beschäftigungspolitik auf EU-Ebene verankert wurde, besitzen damals wie heute die Mitgliedstaaten die alleinige Gesetzgebungskompetenz in diesem Bereich. Allerdings wurde mit der EBS ein Rahmen geschaffen, innerhalb dessen die nationalen Beschäftigungspolitiken der Mitgliedstaaten mittels im jährlichen Turnus definierten beschäftigungspolitischen Leitlinien und nationalen Aktionsplänen koordiniert und deren Umsetzung überwacht werden. Bei diesem als "offene Methode der Koordinierung" bezeichneten Verfahren geht es darum, best practices zu identifizieren und das wechselseitige Lernen zu stimulieren.

2005 wurde die EBS dahingehend erneuert, dass sie einen mehrjährigen Zeitrahmen für die Koordinierung der nationalen Beschäftigungspolitiken vorsieht und auf integrierten Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung fußt. Die aktualisierte EBS ist eine Säule der Wachstumsstrategie "Europa 2020", zu deren Kernzielen es gehört, bis zum Jahr 2020 die Beschäftigungsquote der 20- bis 64-Jährigen auf 75 Prozent zu erhöhen, wobei im Mittelpunkt junge Menschen sowie ältere und geringqualifizierte Arbeitnehmer stehen. Zudem strebt die im Jahr 2010 verabschiedete zehnjährige Wachstumsstrategie die soziale Eingliederung und Bekämpfung von Armut sowie die Verbesserung der Qualität und Leistung der allgemeinen beruflichen Ausbildung an.

Die EU-Kommission hat im April 2012 eine Reihe beschäftigungsfördernder Maßnahmen aufgelegt, die im sogenannten Beschäftigungspaket zusammengefasst sind. Die darin vorgeschlagenen Maßnahmen sind in drei übergeordnete Bereiche untergliedert. Der erste umfasst die Förderung der Schaffung von Arbeitsplätzen durch die Ankurbelung der Nachfrage nach Arbeitskräften, der Steigerung des Potenzials arbeitsplatzintensiver Branchen sowie die Bereitstellung von Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds. Der zweite Bereich beinhaltet die Wiederherstellung der Dynamik der Arbeitsmärkte durch die Förderung der internen Flexibilität, die Ausweitung des lebenslangen Lernens und aktiver arbeitsmarktpolitischer Strategien sowie die Schaffung von Chancen und die Vorlage eines gesonderten Beschäftigungspakets für junge Menschen. Hinzu kommen Investitionen in die Qualifikation der Arbeitskräfte und die Schaffung eines europäischen Arbeitsmarktes durch die Beseitigung rechtlicher und praktischer Hindernisse für die Arbeitnehmerfreizügigkeit sowie eine bessere EU-weite Abstimmung von Arbeitsplatzangebot und -nachfrage. Der dritte Bereich bezieht sich auf eine effektivere Steuerung auf EU-Ebene durch eine stärkere Koordinierung und multilaterale Überwachung der Beschäftigungspolitik, eine wirksame Beteiligung der Sozialpartner und die Verwendung einschlägiger Finanzinstrumente.

Die Situation junger Menschen ist seit 2001 ein integrativer Bestandteil europäischer Beschäftigungspolitik. Die Grundlage hierfür war die Veröffentlichung des Weißbuchs "Jugend", das zu einer verstärkten Berücksichtigung der Bedürfnisse junger Menschen bei den auf europäischer und nationaler Ebene getroffenen politischen Maßnahmen aufrief. Im März 2005 verabschiedete der Europäische Rat den "Europäischen Pakt für die Jugend", der darauf abzielte, die allgemeine und berufliche Bildung, die Mobilität sowie die berufliche und soziale Eingliederung junger Menschen zu verbessern und zugleich die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familienleben zu erleichtern. Für die nachfolgenden Ausführungen ist hierbei besonders bedeutsam, dass bereits im Rahmen dieses Paktes auf das Unternehmertum und die Vermittlung unternehmerischer Kompetenzen verwiesen wurde, um ein höheres Beschäftigungsniveau bei jungen Menschen zu erzielen.

2007 wurde das Programm "Jugend in Aktion" aufgelegt, das die Mobilität, nicht-formales Lernen, den interkulturellen Dialog sowie die Einbeziehung aller jungen Menschen unabhängig von ihrem bildungsbezogenen, sozialen und kulturellen Hintergrund fördert. Parallel hierzu wurden junge Menschen eine der Hauptzielgruppen des Europäischen Sozialfonds. Zudem wurden im Februar 2012 noch verfügbare Gelder aus den EU-Strukturfonds für den Programmplanungszeitraum 2007 bis 2013 mobilisiert, um die Beschäftigungssituation in den Mitgliedstaaten mit der zu diesem Zeitpunkt höchsten Jugendarbeitslosigkeit zu verbessern.

2010 wurde die Leitinitiative "Jugend in Bewegung" als Teil der Strategie "Europa 2020" verabschiedet. Dieses Maßnahmenpaket ist bedeutsam, weil es das erste seiner Art ist, das sich ausschließlich mit den Chancen junger Menschen bei der Arbeitssuche befasst. Eine Komponente dieses Maßnahmenpakets stellt die Initiative "Chancen für junge Menschen" dar, die 2012 bis 2013 Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds nutzte, um die Berufsausbildungsmöglichkeiten zu verbessern sowie Jungunternehmer(innen) und soziales Unternehmertum zu fördern. Die zweite Komponente stellen Maßnahmen zur Förderung der Arbeitsmarktmobilität dar. Ein Beispiel ist das Programm "Dein erster EURES-Arbeitsplatz", bei dem das Portal zur beruflichen Mobilität (EURES) junge Menschen bei der Suche nach einem Arbeits-, Ausbildungs- oder Praktikumsplatz in anderen EU-Ländern unterstützt. Eine weitere Maßnahme ist die Förderung kleiner Unternehmen und die Aufnahme selbständiger Tätigkeiten durch das Mikrofinanzierungsinstrument PROGRESS.

2012 wurde das "Paket zur Jugendbeschäftigung" verabschiedet, in dessen Rahmen im April 2013 eine "Jugendgarantie" eingeführt wurde. Diese ruft die Mitgliedstaaten dazu auf sicherzustellen, dass allen jungen Menschen unter 25 Jahren innerhalb eines Zeitraums von vier Monaten, nachdem sie arbeitslos werden oder die Schule verlassen haben, eine hochwertige Arbeitsstelle, ein Ausbildungs- beziehungsweise Praktikumsplatz oder eine Weiterbildungsmaßnahme angeboten wird. Im Juli 2013 wurde die "Europäische Ausbildungsallianz" ins Leben gerufen, die eine qualitative und quantitative Verbesserung des EU-weiten Ausbildungsangebots angestrebt. Zudem wurde ein Qualitätsrahmen für Praktika vereinbart, damit junge Menschen unter fairen Bedingungen einschlägige Berufserfahrungen sammeln können.

Ein besonders wichtiges Instrument stellt die "Beschäftigungsinitiative für junge Menschen" dar, die der Europäische Rat im Februar 2013 beschlossen hat. Für den Zeitraum 2014 bis 2020 werden insgesamt 6 Milliarden Euro für Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigung der NEETs-Gruppe zur Verfügung gestellt. EU-Regionen, in denen die Jugendarbeitslosigkeit bei über 25 Prozent liegt, erhalten als Erste Zugang zu diesen Mitteln, die jeweils zur Hälfte vom Europäischen Sozialfonds und von der eigenständigen Haushaltslinie "Jugendbeschäftigung" bereitgestellt werden.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass sich die Jugendarbeitslosigkeit mit der Verabschiedung des Programms "Jugend in Aktion" 2007 als ein eigenständiges Handlungsfeld innerhalb der Beschäftigungspolitik etabliert hat und somit die Problematisierung bereits vor dem Beginn der Finanz- und Schuldenkrise in Europa stattfand. Interessant ist hierbei, dass bereits ab diesem Zeitpunkt zur Erhöhung der Beschäftigungsquote der Jugendlichen und jungen Erwachsenen finanzielle Mittel aus dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung und insbesondere dem Europäischen Sozialfonds bereitgestellt wurden. Die Mittel flossen zunächst in die Bezuschussung von Fortbildungs- oder Beratungsmaßnahmen und in Projekte, die darauf ausgerichtet waren, einem frühen Schul- oder Ausbildungsabbruch vorzubeugen sowie den Wiedereinstieg in die formale Allgemein- oder Berufsbildung und den Übergang von der Schule ins Erwerbsleben durch Mentoring und individuelle Beratung zu erleichtern. Angesichts der Tatsache, dass sich die EU-Beschäftigungspolitik über lange Zeit durch allgemeine Politikempfehlungen auszeichnete, ist es bemerkenswert, dass die Maßnahmen für Jugendarbeitslosigkeit konkret sind und zudem mit EU-Mitteln finanziell unterstützt werden.

Die europäischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit weichen somit von den klassischen Maßnahmen im Bereich der EU-Beschäftigungspolitik ab, da sie inhaltlich genauer formuliert sind und mit der Bereitstellung finanzieller Mittel einhergehen. Zudem ist – seit der Zuspitzung der Situation auf dem Arbeitsmarkt – die EU zunehmend von ihrer früheren Strategie abgewichen, allein die Beschäftigungsfähigkeit junger Menschen zu stärken. Stattdessen will sie auch strukturelle beziehungsweise institutionelle Veränderungen in den Bildungs- und Ausbildungssystemen sowie den Arbeitsmärkten herbeiführen.

Jugendarbeitslosigkeit als Gegenstand trans- und interdisziplinärer Forschung

Die Virulenz von Jugendarbeitslosigkeit hat die EU-Kommission zudem dazu bewogen, dem Thema auch bei der Forschungsförderung eine prominente Stellung einzuräumen. Sowohl in der letzten Ausschreibungsrunde des 7. EU-Forschungsrahmenprogramms als auch im neuen EU-Rahmenprogramm "Horizont 2020" wurde zu Forschungsvorhaben aufgerufen, die die wissenschaftliche Grundlage der künftigen Beschäftigungspolitik für junge Menschen bilden sollen. Vor diesem Hintergrund entschied die EU-Kommission, das Verbundforschungsprojekt CUPESSE zu fördern, das bestrebt ist, die Ursachen und Auswirkungen von Jugendarbeitslosigkeit auf trans- und interdisziplinäre Weise zu untersuchen und Empfehlungen für die Politikgestaltung zu geben. Am Forschungsverbund sind neben deutschen Wissenschaftler(inne)n auch Expert(inn)en aus Dänemark, Großbritannien, Italien, Österreich, der Schweiz, Spanien, Tschechien, der Türkei und Ungarn beteiligt. Die Projektlaufzeit beträgt vier Jahre, wovon das erste im Januar 2015 endet, sodass nun erste Zwischenergebnisse berichtet werden können. Im Folgenden soll das Forschungsdesign des Projekts vorgestellt werden.

Zur Untersuchung der Ursachen von Jugendarbeitslosigkeit werden in den Wirtschaftswissenschaften zwei übergeordnete Perspektiven herangezogen: das Angebot an und die Nachfrage nach Arbeitskraft. Bei Forschungsarbeiten zur Angebotsseite steht das Konzept der Beschäftigungsfähigkeit im Mittelpunkt, die durch die Qualifikationen sowie die Motivation und Mobilität von Arbeitskräften determiniert wird. Die erworbenen Fähigkeiten, Neigungen und Verhaltensweisen haben also Einfluss darauf, ob und auf welche Weise junge Menschen in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Ausgehend von diesem Zusammenhang zielten die ersten europäischen Maßnahmen insbesondere darauf ab, die Beschäftigungsfähigkeit junger Menschen zu verbessern.

Eine wichtige Komponente der Beschäftigungsfähigkeit ist der Qualifizierungsgrad, der zum einem abhängt von Institutionen des Schul-, Ausbildungs- und Weiterbildungswesens. Die Ausgestaltung solcher Institutionen geht auf politische Entscheidungen zurück, die das CUPESSE-Projekt aus politikwissenschaftlicher Perspektive untersucht. Zum anderen sind es individuelle Eigenschaften und Entscheidungen, die Einfluss darauf haben, ob und in welcher Form die bereitgestellten Qualifizierungsangebote in Anspruch genommen werden. Die Faktoren, die hier begünstigend oder hemmend wirken können, beziehen sich auf Persönlichkeitsmerkmale, die Familie, das soziale Netzwerk aus Freunden und Bekannten und auf Erfahrungen in der Schule. Um diese Faktoren erfassen und erklären zu können, greift das Verbundforschungsprojekt Ansätze aus der Psychologie, der Soziologie und der Pädagogik auf.

So können beispielsweise Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie sowie der pädagogischen Psychologie verwendet werden, um zu erklären, wann ein erhöhtes Risiko für den Schul- oder Ausbildungsabbruch besteht. Soziologische Studien wiederum sind besonders geeignet um aufzuzeigen, ob die Einbettung in soziale Netzwerke der Mobilität und damit der Chance auf Beschäftigung zu- oder abträglich ist. Die Steigerung von Motivation und Mobilität stellen neben der Verbesserung der Ausbildung einen Schwerpunkt der europäischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit dar. Um den Erfolg der Maßnahmen abschätzen und fundierte Politikempfehlungen abgeben zu können, scheint es daher dringend geboten, Erkenntnisse aus den Erziehungs-, Sozial- und Verhaltenswissenschaften zu berücksichtigen.

Die Nachfrageseite von Arbeitsmarktpolitik bezieht sich auf die Eigenschaften des Beschäftigungssystems, das bestimmte strukturelle Merkmale aufweist, die in der Regel das Ergebnis von wirtschaftlichen Aktivitäten und politischen Entscheidungen sind. Ein offensichtlicher Mechanismus ist hierbei, dass in Zeiten von Wirtschafts- und Schuldenkrisen die Nachfrage nach Arbeitskräften sinkt und es somit zu Unterbeschäftigung oder gar Arbeitslosigkeit kommt, wovon ungelernte und wenig qualifizierte junge Menschen besonders stark betroffen sind. Hier setzt die "Beschäftigungsinitiative für junge Menschen" der EU an, die versucht, durch finanzielle Mittel auch die Angebotsseite zu stimulieren. Die Wirtschaftswissenschaften besitzen das analytische Instrumentarium, um zu erklären, in welchem Maß diese Maßnahmen tatsächlich zur Schaffung neuer Arbeitsplätze beitragen. Politikwissenschaftliche Ansätze hingegen können erklären, weshalb dieses Instrument gewählt wurde und vor allem welche nationalen Maßnahmen im Zuge der Schulden- und Wirtschaftskrise ergriffen wurden, um junge Menschen besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Daher kombiniert das CUPESSE-Projekt beide Perspektiven.

Besonders aufschlussreich für ein besseres Verständnis der Ursachen von Jugendarbeitslosigkeit und somit die Erarbeitung von Lösungsstrategien ist die gemeinsame Betrachtung der Angebots- und der Nachfrageseite von Jugendbeschäftigung. So hat jüngst eine von der Robert Bosch Stiftung in Auftrag gegebene Studie gezeigt, dass insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa auch auf ein qualifikatorisches Ungleichgewicht zurückführen ist: Die Arbeitgeber haben für einen Teil des angebotenen Humankapitals keinen Bedarf, da die Bildungs- und Ausbildungssysteme an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes vorbei agieren. Mittlerweile ist sich die EU-Kommission dieses Missverhältnisses zwischen Qualifikationsangebot und -nachfrage bewusst. CUPESSE geht in diesem Kontext der Frage nach, ob den jungen Menschen bewusst ist, welche Erwartungen Arbeitgeber an sie stellen.

Nicht nur die Ursachen, sondern auch die Folgen von Jugendarbeitslosigkeit lassen sich gewinnbringend aus einer trans- und interdisziplinären Perspektive untersuchen. Wirtschaftswissenschaftliche Ansätze eignen sich, um die volkswirtschaftlichen Kosten zu ermitteln. Die Politikwissenschaft kann verdeutlichen, wie Jugendarbeitslosigkeit Auswirkungen auf die Gesellschaft als Ganzes und das Vertrauen in demokratische politische Institutionen haben kann. Die Hoffnungslosigkeit junger Menschen, die keine Beschäftigungsperspektive haben, kann etwa dazu führen, dass sie extremistische Parteien wählen. Im Gegenzug kann eine anhaltend hohe Arbeitslosenquote dazu führen, dass nicht betroffene Gesellschaftsgruppen sich im Zeitverlauf weniger solidarisch zeigen, was ebenfalls den Zusammenhalt von Gesellschaften gefährden kann, wie von soziologischen und sozialpsychologischen Untersuchungen gezeigt wurde. Um diesen Punkt aufzugreifen, untersucht das CUPESSE-Projekt, ob Bürger(innen) Petitionen einreichen, die die politischen Entscheidungsträger dazu auffordern, entschlossener gegen die Jugendarbeitslosigkeit vorzugehen.

Neben diesen Auswirkungen gilt es, die zahlreichen individuellen Folgen zu bedenken. Eine psychische Verunsicherung durch das Erleben von Arbeitslosigkeit in der Jugendzeit ist mit einem höheren Risiko der Arbeitslosigkeit im Erwachsenenalter verbunden. Die Wiedereingliederung in das Arbeitsleben erfordert nicht nur die Entwicklung von Strategien für den erstmaligen oder erneuten Erwerb von Qualifizierung, sondern möglicherweise auch die Mobilisierung personaler Ressourcen und Veränderungen in der sozialen Einbettung. Diese Prozesse können nur dann hinreichend gut verstanden werden, wenn Konzepte aus der Psychologie, Soziologie und Sozialpädagogik aufgegriffen werden. Im CUPESSE-Projekt werden die personalen Ressourcen und die soziale Einbettung junger Erwachsener systematisch durch einen eigens hierfür entwickelten Fragebogen erfasst.

Eine disziplinübergreifende Betrachtung kann auch dabei helfen, die Erfolgschancen von zwei vergleichsweise neuen Ansätzen im EU-Maßnahmenpaket einzuschätzen. Der erste Ansatz bezieht sich auf die Anwendung des Flexicurity-Prinzips, um junge Menschen in Arbeit zu bringen. Flexicurity-Maßnahmen können sowohl auf interne als auch auf externe Flexibilität abzielen. Interne Flexibilität beinhaltet die Anpassung des Arbeitskräfteeinsatzes an veränderte Nachfragebedingungen. Dies kann erreicht werden durch die Anpassung der Dauer der Arbeitszeit, des Einkommens, der Arbeitsorganisation und der Qualifikation. Externe Flexibilität bezieht sich vor allem auf eine Anpassung der Beschäftigtenzahl durch Entlassungen und Einstellungen, aber auch durch den Einsatz von Befristung, Leiharbeit und Transfergesellschaften.

Auch wenn bei dieser Strategie durchaus die Sicherheit des Arbeitsplatzes sowie von Fortbildungsmöglichkeiten gewährleistet werden sollen, kann das Gebot der Flexibilisierung – insbesondere im Bereich des Kündigungsschutzes – doch dazu führen, das dieses Instrument von einigen Akteuren wie etwa den Gewerkschaften abgelehnt wird. Hieraus lässt sich die Erwartung ableiten, dass Flexicurity-Maßnahmen von den einzelnen Mitgliedstaaten in unterschiedlicher Form umgesetzt werden, je nach Verlauf der arbeitsmarktpolitischen Entscheidungsprozesse und dem Grad der Einbindung von Gewerkschaften. Daher widmet sich CUPESSE auch der Ausbreitung von Flexicurity-Maßnahmen in den EU-Mitgliedstaaten und deren konkreter inhaltlicher Ausgestaltung.

Flexicurity-Maßnahmen können allerdings auch Einfluss auf die individuellen Einstellungen zur Erwerbstätigkeit haben. Die zentrale Frage ist hierbei, ob die Flexibilisierungskomponente zu einem veränderten Risikobewusstsein führt und welche persönlichen Ressourcen insbesondere junge Menschen brauchen, um mit als unsicher empfundenen Beschäftigungssituationen umgehen zu können. Wirtschafts- und organisationspsychologische Studien haben gezeigt, dass unsichere Arbeitsplätze Menschen unter Druck setzen und sie Angstsymptome und Depressionen entwickeln. Wenn den jungen Menschen die persönlichen Ressourcen fehlen, um mit dieser Situation umzugehen, wird mittelfristig auch ihre Arbeitskraft darunter leiden, was sich dann wiederum negativ auf ihre wirtschaftliche Produktivität auswirkt. Diese möglichen Auswirkungen von Flexicurity-Maßnahmen gilt es im Blick zu behalten, wenn diese beschäftigungspolitische Empfehlung der EU evaluiert und neue Empfehlungen entwickelt werden sollen. Somit greifen auch an dieser Stelle verschiedene Perspektiven aus den Sozial- und Verhaltenswissenschaften ineinander und erlauben ein differenzierteres Verständnis der Konsequenzen von beschäftigungspolitischen Entscheidungen, die auf europäischer Ebene getroffen wurden.

Der zweite Ansatz betrifft die Förderung der Gründung von Unternehmen. Das Potenzial für Existenzgründungen ist bei jungen Menschen höher als in anderen Altersgruppen. 51 Prozent der 15- bis 24-Jährigen erachten laut Flash Eurobarometer-Umfragen zu Einstellungen zum Unternehmertum aus den Jahren 2007 und 2012 Selbständigkeit für erstrebenswert. Um dieses Potenzial zu nutzen, wurde der EU-Aktionsplan "Unternehmertum 2020" ins Leben gerufen, der drei Punkte umfasst: Unternehmerische Bildung, Herstellung eines Umfelds, in dem sich neu gegründete Unternehmen gut entwickeln können und Schaffung von Rollenvorbildern.

In welcher Form unternehmerisches Lernen an Schulen angeboten werden sollte, können am besten erziehungswissenschaftliche Ansätze aus der pädagogischen Psychologie darlegen. Wie groß der Anteil praktischer unternehmerischer Erfahrungen sein sollte, können Ansätze aus der Betriebswirtschaftslehre beziehungsweise der Entrepreneurship-Forschung beantworten. Psychologische Teildisziplinen können Aufschluss darüber geben, ob unternehmerisches Lernen das Risikobewusstsein junger Menschen verändern und ihnen zu gesteigerter Kreativität und Durchsetzungsvermögen verhelfen kann. Dieser Frage geht CUPESSE mit besonderem Nachdruck nach.

Der zweite Punkt bezieht sich auf die institutionellen Rahmenbedingungen für Unternehmertum wie etwa den Zugang zu Finanzierung und den Abbau von bürokratischen Hürden, die der Forscherverbund aus einer primär politik- und verwaltungswissenschaftlichen Perspektive untersucht. Und es wird geprüft, ob die institutionellen Strukturen beziehungsweise deren Veränderungen tatsächlich neue Anreizstrukturen bieten.

Besonders interessant für trans- und interdisziplinäre Forschung ist der dritte Punkt, der vorsieht, dass Rollenvorbilder geschaffen und eine positivere Wahrnehmung sowie eine größere Wertschätzung von Unternehmern erreicht werden sollen. Auch hier verfolgt CUPESSE einen integrativen Ansatz und analysiert, wie Rollenvorbilder entstehen und zu welchem Grad dieser Prozess von außen gesteuert werden kann.

Das Förderinstrument "Jump Plus"

Auch wenn die EU-Kommission verstärkt Maßnahmen ergriffen hat, um die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen – die Handlungskompetenzen in diesem Bereich liegen hauptsächlich bei den EU-Mitgliedstaaten. Daher wird das CUPESSE-Projekt schwerpunktmäßig Erfahrungen mit diversen nationalen Maßnahmen und Modellen dokumentieren und dahingehend bewerten, wie erfolgreich und übertragbar sie sind. Das vom Jobcenter "Junges Mannheim" koordinierte und finanzierte Programm "Jump Plus", dessen Ziel die Integration von jungen Menschen zwischen 18 und 25 Jahren in Ausbildung und Arbeit ist, stellt ein solches Modell dar, das im Rahmen des Projektes bereits näher untersucht wurde. Kommunen und Arbeitsagenturen aus ganz Deutschland haben sich nach der Funktionsweise des Programms erkundigt und dessen Transfer erwogen. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Zahl der langzeitarbeitslosen Jugendlichen von 1200 (Stand: Juni 2005) auf 49 (Stand: September 2011) zurückgegangen ist. Das Mannheimer Modell wurde unter anderem durch die sogenannten Produktionsschulen in Dänemark inspiriert.

"Jump Plus" wurde noch vor den von der rot-grünen Bundesregierung unter Führung von Kanzler Gerhard Schröder beschlossenen Arbeitsmarkt- und Sozialreformen in verschiedenen Städten getestet und wegen der positiven Erfahrungen als gefördertes Sonderprogramm des Bundes in Mannheim eingerichtet. Die Strategie von "Jump Plus" entspricht dem Grundgedanken der "Agenda 2010", die im Kern das Prinzip des "Förderns und Forderns" postuliert. Junge Menschen erhalten nur dann Transferleistungen, wenn sie bereit sind, sich in Arbeit, Ausbildung oder ein Praktikum vermitteln zu lassen. Im Gegenzug erfolgt eine sofortige Aktivierung, indem bereits unmittelbar am Tag der Antragstellung eine Erstberatung zur Klärung vorrangiger Ansprüche wie etwa Berufsausbildungsbeihilfe erörtert, bei Vorliegen einer entsprechender Qualifikation die sofortige Vermittlung in Arbeit oder Ausbildung geprüft oder unmittelbare Beschäftigung beziehungsweise Qualifizierung in "Jump Plus" (in der Regel in Form eines Praktikums) angeboten werden. Die Teilnahme an der realen Arbeitswelt im Zusammenspiel mit der Betreuung durch das Jobcenter zeichnet das Mannheimer Modell aus.

Der Grundgedanke des Programms ist die Gewährung einer konsequenten individuellen Förderung, die gegebenenfalls auch durch eine Intensivbetreuung zu gewährleisten ist. Es werden Aufnahme- und Zielgespräche geführt, Maßnahmen zum Abbau von Defiziten in der Allgemeinbildung und zum Nachholen eines Schulabschlusses vereinbart sowie Hilfestellung bei der Erstellung von Bewerbungsunterlagen gewährt. Die Programm-Teilnehmer(innen) sollen zum "Durchhalten" motiviert und beispielsweise daran gehindert werden, ein Praktikum abzubrechen. Ein "Aufsuchender Dienst" bleibt mit den Teilnehmer(inne)n in Kontakt und motiviert sie zur Nutzung der Förderangebote.

Eine der zum Erfolg des Modells beitragenden Bedingungen ist weiterhin, dass die Jobagentur mit einer Reihe von Beschäftigungsträgern kooperiert, die eine Qualifizierung in verschiedenen Berufsfeldern ermöglichen. Auf diese Weise können die jungen Menschen neue Berufsfelder ausprobieren, wenn ihnen ihre derzeitige Arbeit nicht zusagt. Der zentrale Vorteil von "Jump Plus" ist die Betreuung der jungen Arbeitslosen durch Mitarbeiter(innen) mit Fallmanagementkompetenz. Sie arbeiten in enger Abstimmung mit Berufsberatern und Sozialarbeitern, wobei alle Fäden bei den Fallmanagern zusammenlaufen. Für ein so anspruchsvolles Vermittlungskonzept müssen die Fallmanager entsprechend geschult werden, wofür erst einmal die Ressourcen vorhanden sein müssen. Daher stellt die Integration der verschiedenen Beratungsleistungen auch eine Schwierigkeit beim Transfer des Modells dar. Eine weitere Herausforderung ist das Etablieren eines Netzwerks aus Betriebsträgern, die dazu bereit sind, den jungen Menschen Praktikumsplätze anzubieten. Ohne ein System, in dem eine enge Kooperation mit Industrie und Handwerk sowie eine Partnerschaft mit der Stadt beziehungsweise Gemeinde besteht, ist "Jump Plus" kaum in seiner Gänze umzusetzen. Leider interessieren sich die Gemeinden und Jobagenturen, die sich nach dem Förderinstrument erkundigen, oft nur dafür, einzelne Komponenten umzusetzen.

Insgesamt greift das Programm zahlreiche Themen auf, die in der disziplinübergreifenden Forschung im Rahmen des CUPESSE-Projekts als relevant erachtet werden. Durch das Fordern von Teilnahme an Maßnahmen wird die Motivations- und Abbruchproblematik aufgegriffen. Das Einbinden von Sozialarbeitern soll dazu beitragen, dass die familiäre und soziale Einbettung der jungen Menschen ihren beruflichen Chancen nicht im Weg steht. Das Programm zielt darauf ab, eine "betriebsnahe" Aus- und Weiterbildung zu gewährleisten, um Missverhältnisse zwischen Qualifikationsangebot und -nachfrage zu beseitigen. Allerdings ist "Jump Plus" kein Programm, um das Unternehmertum junger Menschen zu stimulieren – hierzu gibt es in anderen EU-Mitgliedstaaten vielversprechendere Ansätze wie etwas das Projekt "Rural Youth Entrepreneurship", in dem junge Menschen in den ländlichen Gebieten Nordirlands Unterstützung bei der Existenzgründung erhalten.

Fazit

Die Jugendarbeitslosigkeit stellt die Politik vor große Herausforderungen, die die EU-Kommission und die nationalen Regierungen zu einer Reihe von Maßnahmen bewogen haben. Die Priorisierung dieses Themas wird auch dadurch deutlich, dass die EU-Kommission großangelegte Forschungsprojekte fördert. Das CUPESSE-Projekt legt den Fokus darauf, die Ursachen und Auswirkungen von Jugendarbeitslosigkeit aus einer trans- und interdisziplinären Perspektive zu untersuchen und Politikempfehlungen zu entwickeln. Daher sichtet und bewertet das Projekt auch Maßnahmen, die bereits im Einsatz sind. Eines von diesen ist das Förderinstrument "Jump Plus" des Jobcenters "Junges Mannheim", das Modellcharakter besitzt und das Design von Maßnahmen in anderen Städten und Gemeinden in Deutschland und Europa beeinflussen könnte. Die bisherigen Projektergebnisse bestätigen, dass die disziplinenübergreifende Vorgehensweise eine sinnvolle Strategie zur Untersuchung gesellschaftlicher Herausforderungen darstellt.

Der Beitrag basiert auf dem ersten Policy-Brief des EU-Verbundforschungsprojektes "Cultural Pathways to Economic Self-Sufficiency and Entrepreneurship" (CUPESSE; Fördernummer: 613257; Laufzeit: Februar 2014 bis Januar 2018), der von Felix Hörisch, Jennifer Shore, Jale Tosun und Claudius Werner verfasst wurde. Das Projekt wird auf www.cupesse.eu vorgestellt. Bettina Schuck und Xenia Rak haben die Rercherchen zu diesem Beitrag zusätzlich unterstützt. Joachim Burg und Manuela Guth vom Jobcenter "Junges Mannheim" gebührt Dank für die gewährten Einblicke in "Jump Plus".

Dr. rer. soc., geb. 1980; Professorin am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Heidelberg und External Fellow am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES). Institut für Politische Wissenschaft, Bergheimer Straße 58, 69115 Heidelberg. E-Mail Link: jale.tosun@ipw.uni-heidelberg.de