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Feiern und Gedenken | 25 Jahre deutsche Einheit | bpb.de

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Feiern und Gedenken Zur Entwicklung einer gemeinsamen Erinnerungskultur seit dem 3. Oktober 1990

Costanza Calabretta

/ 20 Minuten zu lesen

Aus dem Ringen um das Datum für den neuen nationalen Feiertag ist schließlich der 3. Oktober siegreich hervorgegangen. Über das emotionale Potenzial des feierlichen Gedenkens an den 9. Oktober und den 9. November 1989 verfügt er allerdings nicht.

Im Juni 1990 führte "Die Zeit" eine Umfrage unter Persönlichkeiten aus Kultur und Politik durch (darunter Fritz Stern, Hans Modrow, Ernst Nolte, Ralph Dahrendorf, Golo Mann, Antja Vollmer und Lea Rosh) und bat darum, Namen, Datum und Hymne für einen Nationalfeiertag für das neue Deutschland vorzuschlagen. Am schwierigsten schien die Frage nach dem Datum zu sein. Dies zeigte sich nicht zuletzt an den zahlreichen, gänzlich unterschiedlichen Vorschlägen. So wurden bereits belegte Feiertage der alten Bundesrepublik vorgeschlagen (20. Juli, Attentat auf Hitler 1944; 17. Juni, Volksaufstand in der DDR 1953 und bisheriger Tag der Deutschen Einheit in der Bundesrepublik; 23. Mai, Unterzeichnung des Grundgesetzes 1949; 8. Mai, Ende des Zweiten Weltkriegs 1945) ebenso wie der 18. März (im Gedenken an die Märzrevolution 1848) und zwei weitere Daten, die sich auf den Sturz des DDR-Regimes bezogen (9. Oktober und 9. November). Favorit schien der 9. November zu sein, ein Tag, an dem mehrere Ereignisse die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts geprägt haben: Novemberrevolution und Beginn der Weimarer Republik 1918, gescheiterter Hitlerputsch in München 1923, Reichspogromnacht 1938, Fall der Berliner Mauer 1989. Letztendlich entschieden sich die Verfasser des Einigungsvertrages für ein Datum, das nur von wenigen Befragten vorgeschlagen worden war: den Tag, an dem die politische Einheit durch den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes vollzogen werden würde. Und dies war der 3. Oktober 1990.

Mit der Wiedervereinigung verloren die gesetzlichen arbeitsfreien Feiertage der DDR ihre Gültigkeit und es wurden nur die Feiertage behalten, die auch in der Bundesrepublik galten (beispielsweise der 1. Mai und die christlichen Feiertage). Außerdem wollte man generell einen Perspektivwechsel wagen. Als zutiefst geprägt vom Diskurs des Kalten Krieges und in der Bevölkerung kaum wahrgenommen oder gelebt, wurde der in Westdeutschland seit 1954 geltende Nationalfeiertag des 17. Juni diskussionslos abgeschafft, er gilt aber nach wie vor als ein nationaler Gedenktag, an dem der Opfer des SED-Regimes gedacht wird.

Der Vorschlag, den 3. Oktober als neuen Nationalfeiertag zu wählen, wurde von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) während eines nicht öffentlichen Kolloquiums den Ministerpräsidenten der alten Bundesländer am 29. August 1990 unterbreitet und schließlich angenommen. Unverzüglich wurde der Feiertag in den Einigungsvertrag aufgenommen. Einige Tage später begrüßte Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) den Beschluss im Bundestag und erweckte den Eindruck, dieser sei auf "spontane Zustimmung" gestoßen. Einige Abgeordnete der Fraktion der Grünen unterbrachen Schäuble und wollten wissen, wann und mit wem die Wahl des 3. Oktobers besprochen worden sei. Die fehlende Diskussion auf institutioneller Ebene und der undemokratische Entstehungsprozess des Nationalfeiertages "im Grau der administrativen Beschlüsse" ließen sich auch in der Entscheidung darüber wiedererkennen, wie die Feierlichkeiten zum 3. Oktober gestaltet werden sollten. Auf ursprünglichen Vorschlag Schäubles hin beschlossen Kohl und die Ministerpräsidenten im Mai 1991, den Tag der Deutschen Einheit nicht in Berlin zu feiern, sondern in der Hauptstadt des Bundeslandes, das gerade den Vorsitz im Bundesrat inne hatte. So wollte man eine auf europäischer Ebene gänzlich unübliche Praxis einführen und den Nationalfeiertag jedes Jahr in einer anderen Stadt und einem anderen Bundesland begehen.

Auseinandersetzungen um den Termin des neuen Nationalfeiertages

Vorteilhaft war zwar, dass der 3. Oktober geschichtlich nicht negativ besetzt war, aber er erinnerte auch lediglich "an etwas so Aufregendes wie ein bürokratisches Verfahren". Allein der Name verlieh dem Tag etwas mehr Feierlichkeit: Getauft wurde er "Tag der Deutschen Einheit", "um als Staatsgründungstag Geltung im Bewusstsein der Bevölkerung zu erlangen". Es wurde bei der Wahl des 3. Oktobers nur wenig Wert auf Symbolik gelegt. Dies ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, wie wichtig die Symbolik gewesen war "während der Revolution vom Oktober und November 1989. Die Entlegitimierung der DDR und das Streben nach Wiedervereinigung waren wochen-, gar monatelang allgegenwärtig in den öffentlichen Demonstrationen. (…) Gerade Symbole und kulturelle Aktionen trugen entschieden dazu bei, den Sturz des DDR-Regimes zu beschleunigen." Dass man der Symbolik so wenig Beachtung geschenkt hat, könnte eventuell dadurch zu erklären sein, dass ein gewaltiger Druck bestand, innerhalb kürzester Zeit außergewöhnlich viele Entscheidungen zu treffen, um das Ziel der Wiedervereinigung zu erreichen. Gleichzeitig wird deutlich, dass die tief greifenden kulturellen und sozialen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland und der "Grad der Entfremdung", wie es der Historiker Fritz Stern genannt hat, maßgeblich unterschätzt wurden.

Aufgrund der nicht erfolgten Aussprache im Bundestag kam es immer wieder zu öffentlicher Kritik an der Wahl des 3. Oktobers als Datum des Nationalfeiertages. Unter anderem von den Historikern Arnulf Baring und Hans-Ulrich Wehler wurden Alternativen wie der 17. Juni und der 18. März vorgeschlagen. Hauptkonkurrent des 3. Oktobers blieb jedoch der 9. November.

Einer der einflussreichsten Befürworter des 9. November war im Jahr 2000 der damalige Außenminister Joschka Fischer (Bündnis 90/Die Grünen), der in einem "Spiegel"-Interview erklärte: "Für mich ist immer noch die Frage, warum diese Republik nicht den Mut hatte, den 9. November zum Nationalfeiertag zu bestimmen. (…) Das ist unsere ganze Geschichte. Tiefste Trauer und Betroffenheit über das, was der deutsche Staat seinen jüdischen Bürgern und anderen angetan hat. (…) Der 9. November war aber auch die Nacht, in der die Mauer fiel, als die Menschen auf der Straße tanzten. Dieses Datum hat eine ganz besondere emotionale Qualität." Paul Spiegel, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, antwortete wenige Wochen später gegenüber demselben Magazin: "Der Gedanke, sich zwischen Würstchenbuden und Volksfeststimmung an die Pogromnacht vom 9. November 1938 zu erinnern, erscheint mir unvorstellbar." Der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) bezeichnete den 9. November als "verfluchtes deutsches Datum" und fand ähnliche Worte: An einem Tag, der an die Pogromnacht 1938 erinnern solle, "finde ich es einfach deplatziert, wenn man sich an Bierständen und Würstchenbuden in die Schlange stellt".

Die Gefahr, dass die Erinnerung an die Reichspogromnacht von 1938 durch die Feierlichkeiten zum Gedenken an den Mauerfall verdrängt werden könnte, wurde im Übrigen schon sehr früh von dem Publizisten und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel benannt. Dieser kritisierte im Dezember 1989 den Westberliner Bürgermeister Walter Momper (SPD) für seine Äußerung, der 9. November würde in die Geschichte eingehen. Dabei habe Momper vergessen, "dass der 9. November seinen Platz in der Geschichte bereits hat: An diesem Tag vor 51 Jahren fand die ‚Reichskristallnacht‘ statt". Wenngleich die fehlende historische Bedeutung und emotionale Wertigkeit gegen den 3. Oktober sprachen, so waren es doch eben diese Argumente, die den 9. November historisch und emotional so überfrachteten, dass es unmöglich war, diesen Tag zum Nationalfeiertag zu ernennen.

Auf der Suche nach einem Datum, das die Schwächen des 3. Oktobers überwinden könnte, wurde der 9. Oktober vorgeschlagen im Gedenken an die Leipziger Montagsdemonstrationen, die eine entscheidende Etappe der Friedlichen Revolution hin zum Zusammenbruch der DDR darstellten. Ab September 1989 "versammeln sich die Leipziger jeden Nachmittag um fünf in vier Kirchen im Zentrum der Altstadt. Die Pfarrer sprechen über Leipzig und über die Stadt Gottes. Weltliche begleiten sie in einem langen Gebet, dessen Text aus einer ungewöhnlichen Mischung aus Auszügen aus der Bibel und diversen Tageszeitungen besteht. Die Gläubigen nehmen sich an der Hand und singen die alten Kirchenlieder von Luther. Danach kehren sie zurück in die dunklen Straßen voller Menschen, in den Händen Kerzen und Fahnen, und bilden einen Zug, der bei seinem Marsch durch die Straßen stetig größer wird". Dem gleichen friedlichen und führerlosen Ritual folgend demonstrierten am 9. Oktober 1989 etwa 70000 Menschen gewaltfrei gegen das Regime der SED. Dieser Tag "war der entscheidende Wendepunkt der Friedlichen Revolution. Für viele Menschen, die jetzt ebenfalls Mut zum Protest fassten, wurde er zum ‚Symbol des Aufbruchs‘ in eine andere DDR."

Im Jahr 2004, fünfzehn Jahre nach 1989, erklärte Thierse, "mit dem 9. Oktober hätte vor allem auch der Beitrag der Ostdeutschen zur deutschen Geschichte gewürdigt werden können". Der Vorschlag kam bereits 1990 durch den Abgeordneten Gerald Häfner (Bündnis 90/Die Grünen) ins Spiel, der sagte, der 3. Oktober sei "wirklich der ungeeignetste Termin zum Feiern".

Aber der 9. Oktober fand nicht genug Zustimmung, um sich als Alternative zum 3. Oktober durchzusetzen. Dies lag vor allem daran, dass man den Eindruck hatte, die Bürger Westdeutschlands seien durch dieses Datum nicht ausreichend repräsentiert. Eine mögliche Lösung wäre gewesen, 1990 das Beitrittsdatum der DDR zur Bundesrepublik auf den 9. Oktober zu legen und somit die Erinnerung an die Friedliche Revolution und die Vollendung der Wiedervereinigung vom Datum her abzustimmen. Dieser vom letzten Ministerpräsidenten der DDR, Lothar de Maizière (CDU), unterbreitete Vorschlag sollte den ostdeutschen Bürgern "ein gewisses Maß an Würde wahren", fand jedoch keine Unterstützung.

Wie der 9. November gefeiert wird

Der 9. November ist weder ein gesetzlicher Feiertag noch ein offizieller Gedenktag. Trotzdem wurde die Erinnerung an den Mauerfall wachgehalten, durch verschiedene Veranstaltungen schon in den ersten Jahren nach 1989, insbesondere zu seinem fünften Jubiläum. Das Datum gewann bundesweite Bedeutung erstmalig bei seinem zehnten Jubiläum, als sowohl die Bundesregierung als auch der Berliner Senat die offiziellen Veranstaltungen organisierten.

Für die Feierlichkeiten im Bundestag am 9. November 1999 wurde der Rednerliste (darin vertreten: Michail Gorbatschow, George W. Bush, Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Wolfgang Thierse) erst im zweiten Anlauf Joachim Gauck hinzugefügt – evangelischer Pastor aus Rostock, Vertreter des Neuen Forums und damaliger Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen. Anfänglich war gar kein Beitrag aus den neuen Bundesländern vorgesehen, was unvermeidlich empfunden wurde als "ein Affront gegen alle Ostdeutschen, die sich wieder einmal als Bürger zweiter Klasse fühlen mussten". Wie tief die Wunde war, zeigten auch die Worte des Leipziger Schriftstellers Erich Loest, der noch vier Jahre später dazu sagte: "Peinlich war es beim zehnten Jubiläum. Zum Staatsakt im Berliner Bundestag drängelten sich Politiker, die damals dabei oder nicht dabei gewesen waren, alle, alle wollten sie auf die Tribüne und im Fernsehen zu besichtigen sein, die Liste wurde länger und länger, bis jemand darauf kam, das Volk, der große Lümmel, das auf die Straße gegangen war und eine marode Greisenriege vom Thron gestürzt hatte, war schlicht vergessen worden."

Auch bei der Feierstunde des Berliner Senats im Roten Rathaus am Vormittag des 9. Novembers 1999 bereitete die Auswahl der Redner die größten Sorgen. Die ostdeutsche Komponente sollte zwar vorherrschend sein, "es sollte aber kein nostalgisches Bürgerbewegungs-Revival über die Ideale der Runden Tische werden". Man wollte Redner auswählen, die erfolgreiche Persönlichkeiten darstellten und von der Wiedervereinigung nicht desillusioniert waren. Neben dem Berliner Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) ergriffen zwei ehemalige Aktivisten der Demokratiebewegung, Rainer Eppelmann (CDU) und Stephan Hilsberg (SPD), das Wort und erinnerten an den Weg hin zur Befreiung aus der DDR, den die Bürger eigenständig beschritten hatten, und an den Weg hin zur Demokratisierung des ostdeutschen Staates, der die Wiedervereinigung überhaupt erst ermöglicht hatte.

Der Berliner Senat, der neben der Bundesregierung für die Gestaltung des zehnten Jahrestag der Maueröffnung zuständig war, betonte die Notwendigkeit, dem 3. Oktober und dem 9. November klar zu unterscheidende Profile zu verleihen. Ersterer sei ein Tag, an dem Bilanz gezogen werden sollte zur Einheit Deutschlands und zu dem, was politisch bereits erreicht wurde und was es noch zu erreichen galt. Der 9. November hingegen sei ein Tag "der historischen Vergegenwärtigung und Einordnung".

Zehn Jahre später wurde die Feier anlässlich des Mauerfalls als "Fest der Freiheit" international übertragen und mitverfolgt. An den Feierlichkeiten am Abend des 9. November 2009 nahmen neben dem Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), der Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundespräsident Horst Köhler auch Vertreter der vier Besatzungsmächte – der britische Premierminister Gordon Brown, der französische Präsident Nicolas Sarkozy, die US-Außenministerin Hillary Clinton und der russische Präsident Dmitrij Medwedew – teil, ebenso Zeitzeugen und wichtige Akteure der Wiedervereinigung, so Michail Gorbatschow, Hans Dietrich Genscher, Lech Wałęsa und Miklós Németh sowie einige Mitglieder der Widerstandsbewegung der DDR wie Roland Jahn und Marianne Birthler.

Eingeleitet durch ein Konzert unter der Leitung von Daniel Barenboim war der Höhepunkt des Abends die Inszenierung des Mauerfalls durch den Fall tausender Dominosteine entlang des ehemaligen Mauerverlaufs. Den Abschluss bildete der Auftritt eines bekannten DJs. Die Gestaltung des Abends wurde eng mit der Liveübertragung im Fernsehen (ZDF) abgestimmt, und auch die Wahl des bekannten Entertainers Thomas Gottschalk zum Moderator der Veranstaltung zeigt, dass sie nunmehr zu einer medialen Unterhaltungsshow geworden war.

Der Erfolg des Festes in puncto Besucherzahlen und Fernsehzuschauer ließ erneut Forderungen laut werden, den 9. November zum Nationalfeiertag zu küren. Gleichzeitig gab es jedoch auch Kritik an der Gestaltung der Feier. So sprach der Publizist Thomas Moser von einer "Profanisierung und Boulevardisierung der Revolutionen von vor 20 Jahren". Die linke Tageszeitung "taz" bemängelte die fehlende politische Dimension der Feierlichkeiten und bezeichnete die offizielle Haltung Deutschlands gegenüber seiner jüngsten Vergangenheit als unreif und kindisch, während ein Kommentar bei "Spiegel Online" die Veranstaltung als "Plunder (…) auf dem Niveau der Samstagabendunterhaltung im deutschen Fernsehen" beschrieb.

Ad acta gelegt schien die Kritik, die noch 1999 an den Feierlichkeiten im Bundestag geäußert worden war, dies nicht zuletzt dank Kanzlerin Merkel, die die Feierlichkeiten zum 9. November 2009 mit einem Spaziergang entlang der Bösebrücke in der Nähe der Bornholmer Straße begann, wo 1989 nachts der erste Grenzübergang geöffnet worden war. Begleitet wurde sie von Gorbatschow, Wałęsa und Vertretern der Bürgerrechtsbewegung der ehemaligen DDR und rückte somit symbolisch die nationalen und internationalen Akteure der Revolution ins Zentrum der Aufmerksamkeit.

An der Zwanzigjahrfeier waren erstmals neben den offiziellen Stellen wie Berliner Senat und Bundesregierung auch ehemalige Protagonisten der Friedlichen Revolution aktiv beteiligt. Insbesondere die Robert-Havemann-Gesellschaft und die Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen organisierten 2009 zahlreiche öffentliche Veranstaltungen, in denen der Fokus größtenteils auf die nationalen und internationalen Ereignisse gerichtet war, die letztendlich zum Niedergang der DDR und ihrer Hauptvertreter geführt hatten. Die Robert-Havemann-Gesellschaft war außerdem federführend an einer großen Open-Air-Ausstellung am Alexanderplatz beteiligt, in der der Verlauf der Friedlichen Revolution mit all ihren Akteuren und der Weg hin zur Einheit dargestellt wurden. Der Schwerpunkt wurde auf die Oppositionsbewegung der DDR-Bürger gelegt, ohne dabei die internationalen Aspekte zu übergehen. Ziel war es, sich auf die Bürgerbewegungen zu konzentrieren, deren Rolle in der stark auf die Opfer des SED-Regimes (Stasi-Opfer, Mauertote) bezogenen Aufarbeitung allzu häufig vernachlässigt wurde. Man wollte ihnen einen Platz in der kollektiven Erinnerung sichern und sie wieder in den öffentlichen Diskurs aufnehmen. Der Titel der Ausstellung lautete "Wir sind das Volk!"

Der 25. Jahrestag des Mauerfalls wurde ebenfalls von Berliner Senat und Bundesregierung gemeinsam gestaltet und war genau wie die Zwanzigjahrfeier ein großes öffentliches Event mit gewaltiger medialer Resonanz und hunderttausenden Zuschauern. Volksfest und künstlerische Performance waren die Hauptelemente. Auf einer Strecke von 15 Kilometern entlang des ehemaligen Mauerverlaufs wurden achttausend leuchtende Ballons aufgestellt. Am Abend ließ man dann ausgehend vom Brandenburger Tor, wo die Hauptbühne stand, die Ballons zu den Klängen der "Ode an die Freude" steigen. Diesmal erklärte "Spiegel Online": "Ein modernes Erinnern, entstaubt und frisch, gelang erstaunlich gut."

Wenngleich eine so überwältigende Gedenkfeier den Eindruck erweckt, man wende sich nun mehr der jüngeren Vergangenheit und den positiveren Aspekten der deutschen Geschichte zu, ist die Erinnerung an den 9. November 1938 nicht gänzlich aus den Veranstaltungen verschwunden. So erklärte Kanzlerin Merkel zur Eröffnung des Fests der Freiheit 2009: "der 9. November markiert eine wahrhaft glückliche Stunde der deutschen und der europäischen Geschichte (…). Doch für uns Deutsche ist der 9. November auch ein Tag der Mahnung. Heute vor 71 Jahren wurde in der Reichspogromnacht das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte aufgeschlagen: die systematische Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden und vieler anderer Menschen." Fünf Jahre später während der Eröffnung der neuen Ausstellung der Gedenkstätte Berliner Mauer begann Angela Merkel ihre Rede mit einem kurzen Abriss der Ereignisse des 9. November 1918 und 1923, um dann schließlich auf den 9. November 1938 einzugehen: "Der 9. November wurde ein Tag der Scham und der Schande (…) Deshalb empfinde ich heute, am 25. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer, nicht nur Freude, sondern vor allem auch die Verantwortung, die uns die deutsche Geschichte insgesamt aufgegeben hat."

Der 9. Oktober auf dem Weg zum lokalen Feiertag

Es war die "Initiative Tag der Friedlichen Revolution – Leipzig 9. Oktober" (kurz "Initiative 9. Oktober"), die den 9. Oktober als festen Gedenktag einrichten wollte. Sie besteht aus ehemaligen Aktivisten der Bürgerrechtsbewegungen und nichtstaatlichen Einrichtungen, die einen direkten Bezug zum Herbst 1989 haben, darunter die Gedenkstätte Museum in der "Runden Ecke" im ehemaligen Sitz der Stasi, die Universität Leipzig, das Zeitgeschichtliche Forum Leipzig und die Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen.

Mitte der 1990er Jahre begann die Initiative mit öffentlichen Treffen und dem traditionellen Friedensgebet und erreichte dann zum zehnten Jahrestag 1999 erstmals Breitenwirkung, als vor der Nikolaikirche als einem der ersten Denkmäler der Friedlichen Revolution eine Säule zur Erinnerung an die Ereignisse errichtet wurde. Zum traditionellen Ablauf des 9. Oktobers gehören mittlerweile drei Elemente: das Friedensgebet in der Nikolaikirche, die Rede zur Demokratie und das Lichtfest. Die Auswahl der Redner für die Rede zur Demokratie ging bis dato in zweierlei Richtungen. Zunächst wurden Vertreter der Bundesrepublik als Redner eingeladen (die Präsidenten von Bundestag und Bundesrat, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, der Bundespräsident), die dazu aufgerufen wurden, sich für die offizielle Anerkennung des 9. Oktober einzusetzen. In jüngerer Zeit wandte man sich eher Persönlichkeiten aus Polen, Ungarn und der Tschechischen Republik zu, um die internationale Komponente der Revolution von 1989 zu betonen. Im Laufe der Zeit wurden die Feierlichkeiten nicht mehr nur von der "Initiative 9. Oktober", sondern auch vom Land Sachsen, dem sächsischen Parlament und der Stadt Leipzig organisiert.

Ebenso wie die Gedenkfeier zum Mauerfall erreichte auch die zum 9. Oktober ihren bisherigen Höhepunkt zum zwanzigsten Jahrestag, als 2009 der Tag in Leipzig zum lokalen Feiertag gekürt wurde. Die Feierlichkeiten begannen mit der Einweihung der Demokratieglocke am Augustusplatz, danach folgte die offizielle Zeremonie mit Bundespräsident Horst Köhler, dem Bürgerrechtler Werner Schulz, dem Leipziger Bürgermeister, dem Landtagspräsidenten und dem sächsischen Ministerpräsidenten. Highlight war nach wie vor das abendliche Lichtfest mit rund 150.000 Teilnehmern. Im Anschluss daran wurde der Teil des Leipziger Stadtrings abgelaufen, auf dem zwanzig Jahre zuvor die Montagsdemos stattgefunden hatten. Das symbolische Wachrufen der Ereignisse in der kollektiven Erinnerung ermöglichte es, auch die Menschen, die an den Protesten 1989 nicht teilgenommen hatten, "zwanzig Jahre später physisch einzubinden in eine ‚authentische‘ Veranstaltung, die basierend auf ihrem historischen Vorbild, ein starkes Gefühl emotionaler Bindung erzeugte".

Zentrales Argument der Leipziger Gedenkfeier ist, was auch in der Rede zur Demokratie von Bürgerrechtler Werner Schulz 2009 klar zum Ausdruck kam: "Ohne den 9. Oktober in Leipzig hätte es den 9. November in Berlin nicht gegeben. Und nicht den 3. Oktober 1990." So versucht man einerseits, ein Gegengewicht zu Berlin zu schaffen, andererseits will man aber vor allem "die Aufmerksamkeit darauf konzentrieren, die Erinnerung an Friedliche Revolution und Mauerfall nachhaltig im Gedächtnis der Nation zu verankern". Ein ähnlicher Appell ging von der "Initiative 9. Oktober" unter dem Titel "40 + 20 = 60 Jahre Bundesrepublik" aus. Mit dieser Rechenformel wollte man die Erinnerung an die Gründung der Bundesrepublik (1949) mit dem 20. Jahrestag der Friedlichen Revolution in Verbindung setzen und somit letzteres Ereignis in die demokratische Tradition Gesamtdeutschlands einbetten und als Geschehnis hervorheben, auf das "alle Deutschen stolz sein können".

Der 25. Jahrestag des 9. Oktobers im Jahr 2014 wurde nach dem bis dahin etablierten Ablauf gestaltet. Bundespräsident Joachim Gauck zeichnete in seiner Rede zur Demokratie ein umfassendes und facettenreiches Bild der wichtigsten Ereignisse und Errungenschaften der Friedlichen Revolution von 1989 und betonte: "Kein 9. November ohne den 9. Oktober. Vor der Einheit kam die Freiheit." Auf Wunsch von Gauck selbst waren beim Festakt in Leipzig auch die Präsidenten Polens, Ungarns, der Tschechischen Republik und der Slowakei zugegen, um den internationalen Rahmen und das Zusammenspiel der osteuropäischen Demokratiebewegungen hervorzuheben und den Eindruck zu vermeiden, die Befreiung wäre ein ausschließlicher Akt der heldenhaften Selbstbefreiung des ostdeutschen Volkes gewesen. Mit rund 200.000 Besuchern war das Lichtfest ein erneuter Erfolg. Jedoch gab es auch kritische Stimmen, die in den Feierlichkeiten eher eine Marketing-Veranstaltung sahen, mit der Leipzig versucht habe, "ein Revolutions-Disneyland zu erschaffen, in dem Bestreben, die Marke ‚Leipzig‘ zu promoten".

Schlussfolgerungen

Trotz des wachsenden öffentlichen Interesses an den Gedenkfeierlichkeiten des 9. Oktobers und des 9. Novembers wird wahrscheinlich der 3. Oktober Nationalfeiertag bleiben. Auffallend ist jedoch, dass – wie eingangs ausgeführt – im Laufe der Jahre immer wieder Alternativvorschläge laut wurden, die Unterstützung auch von Vertretern höchster Stellen fanden. Das Problem scheint nicht zu sein, dass die Deutschen "unfähig" sind, zu feiern. Die Schwierigkeit scheint vielmehr darin zu liegen, eine angemessene Sprache zu finden, der es gelingt, den jüngsten zeitgeschichtlichen Ereignissen wie der Friedlichen Revolution und der Wiedervereinigung Rechnung zu tragen, ohne dabei allzu große Nabelschau zu betreiben oder ein übertriebenes Medienspektakel zu entfachen. Der 3. Oktober ist bekannt als ein Tag, an dem sich Staatsmänner und politische Elite selbst feiern, ohne dabei das Volk allzu sehr mit einzubeziehen.

Den Befürwortern des 9. November ist es nicht gelungen, einen neuen Gründungsmythos entstehen zu lassen, dies vor allem aufgrund der Mehrdeutigkeit des Datums und laut dem Politologen Herfried Münkler auch aufgrund der räumlichen Eingeschränktheit des Mauerfalls, den das westdeutsche Volk schließlich nur als Beobachter verfolgt hat. Dies gilt umso mehr für den 9. Oktober, der trotz des gestiegenen medialen Interesses, der Teilnahme hoher Bundesvertreter und aller Bemühungen der Organisatoren nach wie vor als eine ausschließlich ostdeutsche, wenn nicht sogar lokale Feierlichkeit wahrgenommen wird.

Gleichwohl entwickeln sich Formen des Gedenkens, wie beispielsweise das Leipziger Lichtfest oder die Feierlichkeiten zum Tag des Mauerfalls, die eine neue Tendenz in der kollektiven Erinnerung der Deutschen deutlich werden lassen. Vor allem die Hervorhebung dieser beiden Daten, die in der Öffentlichkeit immer stärker gefeiert werden, zeigt den Wunsch, die Ereignisse von 1989 und 1990 getrennt zu betrachten und daran zu erinnern, dass die Wiedervereinigung zwar schnell vollzogen wurde, ihr Erfolg aber keinesfalls selbstverständlich war. Wenn man den Fokus auf die Revolution von 1989 legt, werden dadurch die nachfolgenden Schwierigkeiten außer Acht gelassen, die während des praktischen Prozesses der Wiedervereinigung aufgetreten sind. Die Friedliche Revolution, die dem Mauerfall vorangegangen war – und für die sich die Bezeichnung "die erste gelungene und gewaltfreie Revolution in der deutschen Geschichte" etabliert hat – separat zu betrachten, bedeutet vor allem, die Darstellungsweise in den Schatten zu stellen oder zumindest zu nivellieren, die sich auf den diplomatischen Erfolg der westdeutschen politischen Elite (allen voran den Erfolg von Kanzler Kohl) im Prozess der Wiedervereinigung konzentriert. Gerade an der aktiven Rolle der Vertreter der Bürgerrechtsbewegungen lässt sich erkennen, wie durchlässig die kollektive Erinnerung ist, und wie bedeutend nach wie vor die Rolle der Zeitzeugen und deren mündliche Weitergabe der Geschehnisse von 1989 sind. Dieses kommunikative Gedächtnis geht eine Wechselbeziehung mit den Institutionen ein und fordert diese zur Interaktion auf.

Die Feierlichkeiten zum 20. und 25. Jahrestag des Mauerfalls und der Montagsdemo am 9. Oktober zeigen den Versuch, jenseits der institutionellen oder offiziellen Ebene eine Ausdrucksform für das Gedenken zu finden, mit der das Volk selbst unmittelbar angesprochen und zur Interaktion und aktiven Beteiligung aufgefordert wird. Während der 9. Oktober sich vornehmlich an ein deutsches Publikum richtet, stößt der 9. November, sei es aufgrund der Tragweite des Mauerfalls oder aufgrund der Anziehungskraft Berlins, auf internationale Aufmerksamkeit und zeichnet weltweit ein positives und überzeugendes Bild von Deutschland. Auch wenn sie auf unterschiedliche Reaktionen treffen, scheinen beide Feierlichkeiten von dem Bemühen geprägt zu sein, ein neues, positiv besetztes Image Deutschlands aufzubauen. Im Gegensatz zum 3. Oktober ist der Ablauf der Feierlichkeiten stark emotional geprägt und scheint eine neue Tendenz abzuzeichnen, weg von der öffentlichen Selbstdarstellung, von der die Bundesrepublik während der Teilung Deutschlands geprägt war, in der staatliche Feierlichkeiten zumeist ein "enormes Defizit was öffentliche Emotionen in institutionalisierten Zeremonien anbelangt" aufwiesen.

Es ist schwierig, aus einem fortlaufenden Prozess wie der Entstehung einer kollektiven Erinnerung an die Friedliche Revolution und Wiedervereinigung dauerhafte Schlussfolgerungen zu ziehen. Es scheint sich jedoch ein "Wandel in der Erinnerungskultur der Deutschen zu vollziehen, in der immer mehr Bezug auf die jüngste Geschichte genommen wird" und die sich auf der Suche nach positiv besetzen Symbolen zu ihrer eigenen Identifikation befindet. Dies wird auch in der Absicht deutlich, in Berlin ein Denkmal für Freiheit und Einheit zu errichten, durch das die Geschehnisse von 1989 und 1990 "in Stein gemeißelt" werden.

Die Weiterentwicklung einer kollektiven Erinnerung der Deutschen hat schlussendlich nicht, wie befürchtet, zu einer Vernachlässigung der Erinnerung an den Holocaust geführt, die nach wie vor zumindest im öffentlichen Diskurs maßgeblicher und "ethisch orientierender" Bestandteil der deutschen Identität ist. Gleichzeitig hat man manchmal "den Eindruck, als sollte die friedliche Revolution von 1989 angesichts der Geschichte des 20. Jahrhunderts als eine Art stellvertretende Rehabilitierung aller Deutschen dienen".

Übersetzung aus dem Italienischen: Alina Plachky, Heidelberg.

M.A., geb. 1986; Historikerin und Doktorandin am Fachbereich Neue Geschichte der Università La Sapienza in Rom, lebt derzeit in Berlin. E-Mail Link: costanzacalabretta@gmail.com