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Ein Präsident im Regen | Frankreich | bpb.de

Frankreich Editorial "Dschihadisten lieben die extreme Rechte". Ein Gespräch über die Wurzeln des Terrorismus in Frankreich Was ist los mit Frankreich? Ein Präsident im Regen. François Hollandes Amtszeit Opfert Frankreich seine Jugend? Eine Bestandsaufnahme An der Schwelle zur Macht? Der Front National zwischen Normalisierung und Isolation Chronisch zersplittert. Die französische Linke vor den Wahlen Zum Stand der deutsch-französischen Beziehungen

Ein Präsident im Regen François Hollandes Amtszeit

Claire Demesmay

/ 16 Minuten zu lesen

Kaum ein französischer Präsident wurde so schnell so unbeliebt wie François Hollande. Warum ist das so? Welche Erwartungen seiner Wählerschaft konnte Hollande erfüllen, welche nicht? Was sind jenseits der Umfragen die politischen Leistungen seiner Präsidentschaft?

Kein französischer Staatschef wurde so oft im Regen fotografiert wie François Hollande. Von seinem Amtsantritt im Mai 2012 bleibt das Bild eines frisch gewählten Präsidenten, der im offenen Wagen über die Champs-Elysées fährt – im nassen Anzug und mit beschlagener Brille. Solche Szenen haben sich inzwischen unzählige Male wiederholt, das Fotoalbum der Legislaturperiode ist voll mit Regenbildern. Im Pariser Politbetrieb amüsiert man sich schon lange darüber, und auch Hollande versucht, es mit Humor zu nehmen. Von dem alten Spruch "gouverner c’est prévoir" (Regieren heißt voraussehen) hat er nun seine eigene Interpretation: "gouverner c’est pleuvoir" (Regieren heißt regnen).

Der Regen auf den Bildern seiner Präsidentschaft wäre kaum mehr als eine Anekdote, wenn er nicht auch als Metapher für die Stimmung in Frankreich funktionieren würde. Bereits bei Hollandes Amtsantritt lag Frankreichs Staatsverschuldung auf einem sehr hohen Niveau, und mehrere Ratingagenturen hatten das Land herabgestuft. Auch die Arbeitslosigkeit erreichte Ende 2012 einen neuen Rekord und überschritt erstmals seit 1999 wieder die zehn Prozent; insbesondere die Jugendlichen sind davon betroffen: Ein Viertel von ihnen ist arbeitslos. Diesen Wirtschaftsdaten entsprechend waren die Franzosen schon zu Beginn von Hollandes Amtszeit Weltmeister des Pessimismus.

Diese Stimmung schlägt sich in den Beliebtheitswerten des Präsidenten nieder. Kaum ein Staatschef wurde in Frankreich so schnell unpopulär wie Hollande. Schon drei Monate nach seiner Amtseinführung fiel die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger unter die symbolische Marke von 50 Prozent – bei seinem Vorgänger Nicolas Sarkozy hatte es immerhin acht Monate gedauert. Diese Unbeliebtheit zog sich wie ein roter Faden durch Hollandes Amtszeit. Im September 2016 wünschte sich eine überwiegende Mehrheit der Französinnen und Franzosen, übrigens auch im Lager der Sympathisanten der Sozialistischen Partei (PS), dass Hollande 2017 nicht zur Wiederwahl antrete.

Was sind die Gründe für eine solche Unzufriedenheit? Welche Erwartungen seiner Wählerinnen und Wähler konnte Hollande erfüllen, und welche nicht? Und was sind jenseits der Umfragen die politischen Leistungen seiner Präsidentschaft?

Versprechen sozialer Gerechtigkeit

Ohne die Finanzkrise und ihre langfristigen Auswirkungen auf die wirtschaftliche und soziale Lage im Land wäre François Hollande 2012 wahrscheinlich nicht zum Staatspräsidenten gewählt worden. Die Franzosen waren tief verunsichert. Entsprechend drehte sich der Wahlkampf um grundsätzliche Fragen: Es ging um den Umgang mit der Staatsverschuldung, die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und den besten Weg, der Jugend wieder eine Perspektive zu geben. Während Hollandes Amtsvorgänger und konservativer Gegenkandidat Nicolas Sarkozy sich schwer tat, in diesen Fragen seine Bilanz zu verteidigen, präsentierte sich Hollande als gemäßigter Kandidat, der die Sanierung des Haushalts mit sozialen Fortschritten vereinbaren wollte. Unter dem Motto "Le changement, c’est maintenant" (Der Wandel beginnt jetzt) setzte er sich für die Aufrechterhaltung der sozialen Rechte und einen Abbau der Ungleichgewichte ein. So versprach er unter anderem 60.000 neue Stellen im öffentlichen Bildungswesen sowie eine Verbesserung der Situation der Jugendlichen beim Eintritt ins Berufsleben, die Wiedereinführung der Rente mit 60 Jahren und eine Reichensteuer von 75 Prozent auf Jahreseinkommen von über einer Million Euro. Die Botschaft war klar: Die Krise müsse gelöst werden, jedoch nicht auf Kosten des französischen Sozialmodells.

Diese Botschaft scheint für Hollandes Wahl von Bedeutung gewesen zu sein. Beim ersten Wahlgang gaben 65 Prozent seiner Wähler an, dass er in ihren Augen den Wandel verkörpere – deutlich stärker als die rechtsradikale Marine Le Pen aus Sicht ihrer Wähler. Die drei Themen, um die sich Hollandes Wähler am meisten sorgten, waren die Kaufkraft, die Arbeitslosigkeit und die sozialen Ungleichheiten. Am Tag des zweiten Wahlgangs sprach sich eine breite Mehrheit von Hollandes Wählerschaft für grundlegende Veränderungen in der französischen Gesellschaft aus. Über deren Richtung herrschte relativer Konsens: Zwei Drittel legten den Schwerpunkt auf Gleichheit statt auf Freiheit und wünschten sich eine stärkere Kontrolle der Wirtschaft durch den Staat.

Diese Prioritäten lassen sich zum Teil dadurch erklären, dass die Mehrheit von Hollandes Wählern der Arbeiterklasse oder sozial benachteiligten Gruppen angehörte. Die besten Wahlergebnisse erreichte er bei Leuten mit niedrigeren Einkommen,also bei denjenigen, die am härtesten von der Krise betroffen waren und sich von einem Machtwechsel bessere Lebensbedingungen erhofften. Umso größer war ihre Enttäuschung, als ihnen klar wurde, dass der neue Staatschef nicht all seine Versprechen in den Bereichen Beschäftigungs- und Umverteilungspolitik umsetzen würde.

Zu dieser Desillusion trug zunächst die Schließung des Peugeot-Werks in Aulnay-sous-Bois in der Nähe von Paris bei, die das Unternehmen zwei Monate nach Hollandes Wahl ankündigte. Kurz darauf gab auch ArcelorMittal bekannt, sein Hüttenwerk im lothringischen Florange mit über 2500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern schließen zu wollen – ein Flaggschiff der französischen Stahlindustrie. Florange wurde zum Politikum: Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg setzte sich für eine provisorische Nationalisierung von ArcelorMittal ein; zugleich arbeiteten die Sozialisten im Parlament ein Gesetz aus, das Großunternehmen verpflichten sollte, im Falle einer Werksschließung nach einem Aufkäufer zu suchen. Es beruhte auf einem Wahlversprechen Hollandes und wurde im Frühjahr 2014 als Loi Florange verabschiedet. Doch inzwischen sind viele Mitarbeiter des Hüttenwerks im Ruhestand oder besetzen eine andere Stelle, und die Hochöfen liegen still. Im kollektiven Bewusstsein der Franzosen steht Florange nun für die Ohnmacht der Politik in Zeiten der Globalisierung und für ein gebrochenes Wort der Sozialisten.

Auch Hollandes gescheiterter Versuch, eine Neuverhandlung des europäischen Fiskalpakts zu initiieren – ein weiteres zentrales Wahlversprechen –, enttäuschte viele seiner Wähler. Davon hatte Hollande sich erhofft, nicht nur einen Teil der Europaskeptiker an sich zu binden, sondern auch seinen Spielraum für die Wiederbelebung des Wachstums und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu erweitern. Zwar stellte er nie die Sanierung des öffentlichen Haushalts infrage, setzte aber als Grundvoraussetzung für Konjunkturprogramme auf eine Änderung des europapolitischen Kurses, den der Fiskalpakt verkörperte. So bemühte er sich um Bündnisse mit europäischen Partnern. In den Monaten nach seiner Wahl traf er sich mehrmals mit den Regierenden Spaniens und Italiens, noch im Wahlkampf war er mit der SPD-Troika aus Sigmar Gabriel, Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier zusammengekommen. Doch das Vorhaben stieß auf dem europäischen Parkett auf Widerstand. Insbesondere Deutschland stellte sich gegen eine Neuverhandlung des zentralen Regelwerks für Haushaltsdisziplin in der EU. Frankreich konnte im Juni 2012 zwar einen EU-Wachstumspakt durchsetzen, der zur Ergänzung des Stabilitätspakts 120 Milliarden Euro für Investitionen vorsah. Dabei handelte es sich aber in erster Linie um bereits bestehende Fonds, die umorientiert wurden und also keine weiteren Konjunkturprogramme ermöglichten. Den EU-Fiskalvertrag hingegen ratifizierte die Assemblée nationale in unveränderter Form.

In der Folge waren Hollandes Gestaltungsmöglichkeiten für eine ambitionierte Sozialpolitik von Anfang an beschränkt – und das Frustpotenzial entsprechend groß. In diesem engen Rahmen entschied er sich dafür, den Fokus auf die Jugend zu legen. Schon im Wahlkampf hatte er angekündigt, die Lebensbedingungen einer "verratenen, aufgeopferten, aufgegebenen" Jugend verbessern zu wollen – daran müsse der Erfolg seiner Politik gemessen werden, hatte er Anfang 2012 in seiner vielzitierten Wahlkampfrede von Le Bourget verkündet. Am Ende seiner Amtszeit ist die Situation der Jugend in Frankreich nach wie vor düster, insbesondere mit Blick auf die Arbeitslosigkeit – und das, obwohl Hollande in diesem Bereich die meisten seiner Wahlversprechen tatsächlich eingehalten hat.

Im nichtkommerziellen Sektor wurden 150.000 emplois d’avenir (Zukunftsstellen) für geringqualifizierte Jugendliche geschaffen – viele davon in banlieues und in den Übersee-Departements, wo die Jugendarbeitslosigkeit am höchsten ist. Eingeführt wurde auch der "Generationenvertrag", der Staatshilfen für kleine und mittlere Unternehmen vorsieht, die einen Berufseinsteiger einstellen und zugleich die Stelle eines älteren Arbeitnehmers sichern; von den 50.0000 geplanten Verträgen wurden aber wegen mangelnder Nachfrage nur 40.000 abgeschlossen. Auch im Bildungsbereich ist der Präsident auf gutem Wege, sein Hauptversprechen einzuhalten und 60.000 neue Stellen zu schaffen – zumindest sind sie im Haushalt 2017 fest eingeplant. Außerdem wurde die Grundausbildung für Lehrer, die sein Vorgänger Nicolas Sarkozy abgeschafft hatte, wieder eingeführt. Zusätzlich zu diesen Versprechen wurde ein Integrationsprogramm für Jugendliche in prekärer Lage entwickelt (garantie jeunes), das neben einer Beihilfe in Höhe der sozialen Mindestsicherung auch eine Unterstützung bei der Arbeitssuche beziehungsweise Ausbildung vorsieht; bis Ende der Legislaturperiode sollen 200.000 Jugendliche an dem Programm teilnehmen.

Wie die Proteste der Bewegung "Nuit debout" (Nacht auf den Beinen) und die Massendemonstrationen gegen das geplante Arbeitsgesetz im Frühling 2016 zeigten, ist es dem Präsidenten trotzdem nicht gelungen, seine Wählerschaft zu überzeugen. Das liegt zum einen daran, dass sich die Wirtschaftslage in seiner Amtszeit kaum verbessert hat – sei es, weil die Reformen zu kurz oder noch nicht greifen. Zum anderen erkennen sich viele Wähler Hollandes in seiner Wirtschaftspolitik nicht wieder. In dieser Frage ist das linke Lager nach wie vor gespalten.

Während ein Teil der Sozialisten dem freien Markt misstraut und auf einen starken, in die Wirtschaft intervenierenden Staat setzt, pflegen Präsident und Regierung eine "Angebotspolitik von links". Ziel ist die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Der Senkung der Lohnnebenkosten im Rahmen der "Steuergutschrift für Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung" (CICE) in Höhe von 20 Milliarden Euro pro Jahr folgte bald eine weitere Entlastung der Arbeitgeber, unter anderem durch eine Senkung der Sozialabgaben. Darüber hinaus wurde im Sommer 2016 nach heftigem Protest ein neues Gesetz verabschiedet, das den Arbeitsmarkt flexibilisieren soll (Loi Travail). Das Arbeitsrecht wurde gelockert, und in manchen Fragen, etwa in Bezug auf die Arbeitszeit, haben Betriebsvereinbarungen nun Vorrang vor Branchen-Tarifverträgen.

Gleichzeitig entschied sich Hollande in der Haushaltspolitik für einen Konsolidierungskurs. Er verfehlte zwar das Ziel, bis Ende der Legislaturperiode einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen – laut der aktuellen Zielsetzung soll das Defizit im Wahljahr 2,7 Prozent des BIP betragen. Auch die Schuldenquote stieg weiter und erreichte im Sommer 2016 98,4 Prozent des BIP. Nichtdestotrotz bemühte sich die Regierung während Hollandes Präsidentschaft, das Ausmaß der Neuverschuldung zu begrenzen. Zu diesem Zweck wurden aber nicht die Staatsausgaben reduziert, die stabil bei 57 Prozent des BIP liegen (der europäische Durchschnitt liegt bei 48 Prozent), sondern vor allem die Steuern der Privathaushalte erhöht: Von 2012 bis 2015 stieg ihre Abgabenquote von 24,18 auf 25,45 Prozent – mit Auswirkungen auf die Kaufkraft. Dies sorgt umso mehr für Unmut, als die Abgabenquote für Unternehmen in derselben Zeit gesunken ist und das Vorhaben einer Reichensteuer schnell aufgegeben wurde.

Suche nach linken Werten

Einem Teil der Sozialisten ist eine solche Politik ein Dorn im Auge. Auch wenn sich die Regierung immer wieder um Zugeständnisse bemüht, wirft der linke Flügel der PS Hollande und seinem Premierminister Manuel Valls vor, den Unternehmen zu sehr entgegenzukommen und einen zu strikten Haushaltskonsolidierungskurs zu verfolgen, und plädiert stattdessen für eine nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik. Dieser parteiinterne Konflikt schwelt seit den Diskussionen um die Ratifizierung des EU-Fiskalpakts im Mai 2012.

Die kritischen Stimmen wurden lauter, als sich François Hollande 2014 als Sozialdemokrat "outete" und kurz danach mit Manuel Valls einen Premierminister aus dem liberalen Flügel der PS ernannte. Für den tiefen Riss, den dieser Schritt durch die Partei zog, steht nichts symbolischer als der Rücktritt der drei Minister, die sich der sozialdemokratischen Linie des Präsidenten widersetzten, Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg, Kulturministerin Aurélie Filippetti und Bildungsminister Benoît Hamon, im August 2014. Seitdem machen die frondeurs (Rebellen) keinen Hehl aus ihrer Unzufriedenheit mehr und enthalten sich regelmäßig im Parlament, sodass die Regierung im Sommer 2016 das Arbeitsgesetz nach Artikel 49 Absatz 3 der Verfassung verabschiedete, um das Risiko einer Abstimmung in der Nationalversammlung zu vermeiden.

In diesem angespannten Kontext bemühte sich der Präsident schon früh, sein Lager auf dem Terrain der Werte zu einigen. In Bezug auf wirtschaftspolitische Fragen war ein Konsens von Anfang an schwer zu erreichen, anders bei gesellschaftlichen Themen, die mit weniger externen Zwängen verbunden sind.

So wurde die mariage pour tous (Ehe für alle) zu einem wichtigen Projekt. Im Wahlkampf hatte sich Hollande klar für ihre Einführung ausgesprochen, und schon im Juni 2012 kündigte Premierminister Jean-Marc Ayrault einen Zeitplan für die Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes an. Damals erhielt das Vorhaben nicht nur im linken Lager Zuspruch (81 Prozent), sondern auch eine Mehrheit der französischen Bevölkerung war davon überzeugt (65 Prozent, und immerhin 45 Prozent der Katholiken). Umso überraschender kam der heftige Protest, als das Kabinett im November 2012 den Gesetzentwurf billigte. Mehrere Monate lang demonstrierten Hunderttausende dagegen; seit drei Jahrzehnten hatte es in Frankreich keine vergleichbare Demonstrationswelle gegeben. Verbale Entgleisungen und homophobe Übergriffe begleiteten diese heftige Auseinandersetzung; konservative Bürgermeister drohten, das Gesetz nicht anzuwenden. Auch wenn die Sozialisten unter diesem Druck auf die Bestimmung über die Fortpflanzungsmedizin verzichteten, gaben sie beim Ehe- und Adoptionsrecht für homosexuelle Paare nicht nach. Das Gesetz, das Justizministerin Christiane Taubira hartnäckig verteidigte, wurde im Frühling 2013 verabschiedet.

Die Diskussion über die gleichgeschlechtliche Ehe spaltete die französische Gesellschaft zutiefst und machte unerwartete Bruchlinien sichtbar. Als Staatspräsident gelang es Hollande nicht, das Klima zu beruhigen. Doch auf indirektem Wege profitierte er dennoch von diesem Streit. Denn ausgerechnet der starke Widerstand, auf den das Gesetz stieß, machte aus dem Vorhaben ein hochpolitisches Symbol des Kampfes für mehr Gerechtigkeit, und dass Hollande standhaft blieb, wird ihm im linken Lager hoch angerechnet.

Der gleichen Logik folgend, setzte sich Hollande schon als Präsidentschaftskandidat für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen ein. Er versprach nicht nur, mit einem paritätisch besetzten Kabinett zu arbeiten – was er bis auf wenige Ausnahmen umsetzte –, sondern trat auch für Frauenrechte ein. Mehrere Gesetze wurden verabschiedet, etwa zur härteren Bestrafung sexueller Belästigung oder zur Erhöhung der finanziellen Sanktionen gegen Parteien, die weniger als 25 Prozent Frauen in ihre Kandidatenlisten aufnehmen, und Unternehmen, in denen es ein Karriere- und Lohngefälle zwischen Männern und Frauen gibt. Gleichberechtigung ist für die Sozialisten ein wichtiges Thema. In Krisenzeiten zieht eine entsprechende Politik aber wenig Aufmerksamkeit auf sich, sodass ihre integrative Wirkung bei PS-Sympathisanten schwach blieb.

Diese Wirkung hätte sich bei den stärker polarisierenden Themen Integrations- und Zuwanderungspolitik entfalten können – umso mehr, als Sarkozy während seiner Präsidentschaft und auch im Wahlkampf 2012 hier mit dem rechten Rand "geflirtet" hatte. Hollande machte zwar umstrittene Regelungen seines Vorgängers wieder rückgängig. So wurde etwa die Legalisierung des Status von Menschen ohne Aufenthaltspapiere vereinfacht und das Solidaritätsdelikt für Bürger abgeschafft, die sie unterstützen. Die Regierung bemühte sich ferner um eine Reform des Asylrechts – allerdings nur bedingt erfolgreich. Insgesamt blieb sie aber vorsichtig und verzichtete etwa darauf, die alte Forderung der Sozialisten nach einem Kommunalwahlrecht für Nicht-EU-Ausländer umzusetzen, die seit mindestens fünf Jahren in Frankreich leben.

Diese Vorsicht lässt sich nicht zuletzt mit dem Erstarken des Front National erklären. Sowohl bei der Europawahl 2014 als auch im ersten Wahlgang der Regionalwahlen 2015 wurde die rechtsextreme Partei von Marine Le Pen jeweils stärkste politische Kraft. Zunehmend gewinnt sie auch Teile der traditionellen linken Wählerschaft für sich. Aus Angst, weitere Wähler zu verlieren, vermeidet es die Regierung, sich in Fragen der Integrations- und Zuwanderungspolitik zu weit aus dem Fenster zu lehnen.

Vor allem aber verschärfte sich Hollandes Ton nach den Terroranschlägen von 2015 und 2016. Nach dem Angriff auf die Redaktion der Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" im Januar 2015 appellierte er an den gesellschaftlichen Zusammenhalt und betonte die Werte der französischen Republik: Redefreiheit, Kultur, Schaffenskraft, Pluralismus und Demokratie. Doch als weitere Anschläge im November 2015 folgten, sprach er von einem "Krieg gegen den internationalen Terrorismus" und entschied sich mit seinem Premier Valls für einen klassischen Law-and-order-Ansatz. Der Notstand wurde am 13. November 2015 ausgerufen und seitdem mehrmals verlängert. Er verleiht zivilen Sicherheitskräften besondere Vollmachten und erlaubt ihnen, Freiheitsrechte einzuschränken. Solche Maßnahmen schaffen eine Atmosphäre des Misstrauens und verschärfen gesellschaftliche Spannungen – ausgerechnet dies hatten die Sozialisten unter Sarkozy stets kritisiert, und Hollande hatte im Wahlkampf bekundet, die Nation wieder zur Ruhe bringen zu wollen.

Was das linke Lager noch tiefer spaltete, war allerdings die Debatte über die Verfassungsreform nach den Anschlägen, die auf Hollandes Vorschlag folgte, Terroristen mit doppeltem Pass die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Dies hätte allein Bürger mit Migrationshintergrund betroffen und also auf Diskriminierung beruht. Der Front National, der genau diese Maßnahme seit Jahren fordert, sprang dem Präsidenten sofort bei. Doch innerhalb seines eigenen Lagers stieß Hollandes "Schielen nach rechts" auf größtes Unverständnis. Die Parteibasis der PS lehnte den Vorschlag entsetzt ab, weil sie darin einen Verrat an linken Werten sah. Prominente PS-Politiker wie die ehemalige Arbeitsministerin Martine Aubry protestierten öffentlich dagegen. Nach Monaten des Streits und dem Rücktritt aus "Selbstachtung" von Justizministerin Christiane Taubira, der Symbolfigur linker Sozialisten, wurde die Verfassungsreform aufgegeben. Damit war die Wertekrise der Sozialisten aber lange nicht beendet.

Von einem Balanceakt zum Anderen

Sowohl in der Wirtschaftspolitik als auch bei gesellschaftlichen Themen hat sich François Hollande von seinen Wählern immer weiter entfernt. Die Debatte über die Ausbürgerung führte zu einem ideologischen Bruch, den die Verabschiedung des neuen Arbeitsgesetzes an der Nationalversammlung vorbei im Sommer 2016 endgültig machte. Dabei ist es nicht allein der von Hollande eingeschlagene Kurs, der für Irritationen und Unzufriedenheit sorgt, sondern auch, dass es diesem an Klarheit fehlt.

Seine Rolle versteht der Präsident als die eines Vermittlers und Impulsgebers, der sich aus politischen Streitfragen heraushält und das Tagesgeschäft seinem Premierminister überlässt. Vor allem aber hat er den Anspruch, unterschiedliche, gar widersprüchliche Positionen zu vereinbaren. Das spiegelte zu Beginn seiner Amtszeit die Zusammensetzung des Kabinetts wider. Die Reaktion der Regierung auf die angekündigte Werksschließung von Peugeot im Juli 2012 offenbarte eine Rollenverteilung zwischen den Ministern: Während Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg als weißer Ritter öffentlich gegen die Führung des Automobilherstellers wetterte, bemühte sich Arbeitsminister Michel Sapin um eine sachliche Diskussion zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaftern. Eine solche Rollenverteilung bietet zwar die Chance, die Interessen verschiedener Bevölkerungsgruppen und Parteiflügel zu bedienen – zumindest rhetorisch. Zugleich birgt sie jedoch die Gefahr, verwirrende Signale zu senden, wenn die Kabinettsarbeit nicht ausreichend orchestriert und die Kommunikation nach außen mangelhaft ist.

Inzwischen sind im Kabinett nur noch Minister vertreten, die der sozialdemokratischen Linie des Präsidenten treu sind. Nichtsdestotrotz hält Hollande nach wie vor an seinem Anspruch fest, unterschiedliche Interessen unter einen Hut zu bringen. Das jüngste Beispiel ist das Arbeitsgesetz. In linken Kreisen gilt es als Symbol eines autoritären Regierungsstils, da es ohne Abstimmung in der Assemblée nationale verabschiedet wurde. Doch im Vorfeld gab es ausführliche Diskussionen unter Beteiligung der gemäßigten Gewerkschaft CFDT, woraufhin die Regierung durchaus Kompromisse einging und den ersten Gesetzentwurf abschwächte. Doch statt die Gemüter zu beruhigen, stimmte die Suche nach Kompromissen alle Seiten unzufrieden: Während Arbeitnehmer und Gewerkschaften die Zugeständnisse der Regierung für unzureichend halten, sind Arbeitgebervertreter der Meinung, dass die Aufweichung der Reform zu weit geht, sodass sie kaum wirken wird.

In der Tat stellt sich nach einem solchen Ausbalancieren auch die Frage nach dem Erreichten. Nicht selten gibt es viel Lärm um nichts, wie die Territorialreform zeigte: Zur Reduzierung der öffentlichen Ausgaben wollte die Regierung Regionen zusammenlegen und die 101 Departements abschaffen – von 12 bis 25 Milliarden Euro Einsparungen war anfangs die Rede. Nach heftigem Streit und einem weiteren Balanceakt des Präsidenten steht nun das Gesetz: Seit 2016 gibt es nur noch 13 (statt 22) Regionen, doch die Zahl der Regionalräte hat sich nicht verändert, und die Departements bleiben bestehen. Welche Wirkung die Reform im Endeffekt auf die öffentlichen Finanzen haben wird, ist fraglich.

Dabei macht ein kompromissorientierter Ansatz in einem Land wie Frankreich durchaus Sinn. Denn seit Jahrzehnten ist es von Blockaden und konfrontativen Verhältnissen zwischen den Tarifpartnern geprägt, die Reformen erschweren und das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik schwächen. Hollande hat das Problem erkannt. Um Spannungen abzubauen, setzte er auf eine Modernisierung des sozialen Dialogs. In diesem Sinne wurde das Arbeitsministerium gleich im Sommer 2012 beauftragt, eine "große Sozialkonferenz" zu organisieren, um die Tarifpartner an den Entscheidungsprozessen in Bezug auf den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, die Ausbildungspolitik und die Rentenreform zu beteiligen. Andere Treffen folgten, aber der Erfolg blieb bescheiden. Denn mit Ausnahme der CFDT, die sich von Anfang an konstruktiv an den Reformdiskussionen beteiligte, halten die Gewerkschaften am alten Konfrontationskurs fest. Ein Gesetz über den sozialen Dialog, das die Regierung 2015 beschloss, soll nun den Austausch zwischen den Sozialpartnern in den Unternehmen verbessern.

In Krisenzeiten sind Zuhören und Kompromissbereitschaft wichtige Führungsqualitäten, um Blockaden zu vermeiden. Doch müssen sie auch von Überzeugungs- und Durchsetzungskraft begleitet sein. In den vergangenen Jahren hat François Hollande jedoch selten ein Machtwort gesprochen. Eine Ausnahme bildeten seine unmittelbaren Reaktionen auf die Terroranschläge von Januar und November 2015. Bei diesen traurigen Anlässen schien der Präsident den Umfragen zufolge den Erwartungen der Bevölkerung gerecht zu werden. Als Vater der Nation, der an den gesellschaftlichen Zusammenhalt appelliert, gelang es ihm, sich Respekt zu verschaffen. Und als energischer Kriegsherr, der sich für Auslandseinsätze in Mali, Zentralafrika und Syrien entschied, erntete er parteiübergreifend Zuspruch. In diesen Situationen konnte er die Autorität und die stolze Haltung verkörpern, die sich die Franzosen von ihrem Staatschef wünschen. In der Regel aber wird Hollande als zögerlicher Präsident wahrgenommen, der sich weder entscheiden noch durchsetzen kann.

Sogar die Regenbilder tragen zu diesem Eindruck bei. Auf einem Foto der Feierlichkeiten zum 70. Jubiläum der Befreiung von Nazi-Deutschland im Sommer 2014 ist der Präsident zu sehen, wie er bei sintflutartigem Regen völlig durchnässt eine Rede hält. Auf Nachfrage von Journalisten erklärte ein Sprecher des Elysée-Palasts, Hollande habe damit seine Widerstandskraft signalisieren und zeigen wollen, dass er nicht über dem Volk stehen mag. Doch in den sozialen Netzwerken sorgte das Foto für Spott. Die Franzosen hätten sich vielmehr einen Präsidenten gewünscht, der sich sofort einen Regenschirm bringen lässt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. BVA/Le Parisien/Aujourd’hui en France, Baromètre mondial de l’espoir économique, Dezember 2011.

  2. Vgl. Ipsos/Le Point, Le baromètre de l’action politique, August 2012.

  3. Vgl. Elabe/BFM TV, Les Français et François Hollande, September 2016.

  4. Vgl. Emilio Grossman/Nicolas Sauger, Un président normal? Presidential (In-)Action and Unpopularity in the Wake of the Great Recession, in: French Politics 12/2014, S. 86–103, hier S. 86.

  5. Vgl. Ipsos/Logica Business Consulting/France Télévisions/Radio France/Le Monde/Le Point, 1er tour présidentielle 2012, Comprendre le vote des Français, April 2012.

  6. Vgl. hier und im Folgenden OpinionWay-Fiducial/Le Figaro, Sondage jour du vote au 2nd tour présidentielle 2012, Mai 2012.

  7. Vgl. Ipsos et al. (Anm. 5).

  8. Siehe auch den Beitrag von Camille Peugny in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

  9. Vgl. Julie Hamann, Frankreichs bewegter Frühling, DGAP-Analyse 6/2016.

  10. Henrik Uterwedde, Angebotspolitik von links, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 3/2014, S. 35–38.

  11. Vgl. Ingrid Feuerstein, Impôts: le bilan fiscal du quinquennat Hollande, 9.10.2016, Externer Link: http://www.lesechos.fr/economie-france/budget-fiscalite/0211370540342-impots-le-bilan-fiscal-du-quinquennat-hollande-2033547.php.

  12. Vgl. Ifop/La lettre de l’opinion, Les Français, les catholiques et les droits des couples homosexuels, August 2012.

  13. Vgl. Mathieu Tardis, Arbeiten Deutschland und Frankreich in der europäischen Flüchtlingskrise zusammen?, DGAP-Analyse 7/2016.

  14. Siehe hierzu auch den Beitrag von Jean-Yves Camus in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

  15. Vgl. Claire Demesmay/Ronja Kempin, Ein Land im Kampf – Frankreich und der Terrorismus, SWP-Aktuell 37/2016.

  16. Rudolf Walther, Frankreich in der Eskalationsspirale, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 3/2016, S. 21–24, hier S. 21.

  17. Vgl. Claire Demesmay, François Hollande erprobt einen neuen Regierungsstil in Frankreich, DGAP-Kompakt 6/2012.

Lizenz

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ist promovierte Politikwissenschaftlerin und leitet das Frankreich-Programm der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin. E-Mail Link: demesmay@dgap.org