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Die auswärtige Kulturpolitik vor einem Wendepunkt | Deutsche Außenpolitik | bpb.de

Deutsche Außenpolitik Editorial Die auswärtige Kulturpolitik vor einem Wendepunkt Zehn Jahre als europäische Großmacht Determinanten zukünftiger deutscher Außenpolitik Deutschland im multipolaren Gleichgewicht der großen Mächte und Regionen Europas Rolle in der Weltpolitik des 21. Jahrhunderts

Die auswärtige Kulturpolitik vor einem Wendepunkt

Horst Harnischfeger

/ 9 Minuten zu lesen

In seinem Essay setzt sich der Autor für ein Konzept der auswärtigen Kulturpolitik ein. Dieses ist an der Frage ausgerichtet, welche Leistungen von der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellt werden müssen.

Einleitung

Schließungen von Goethe-Instituten, Proteste dagegen und von zuständigen Politikern gezeichnete Untergangsszenarien lassen den aufmerksamen Zeitgenossen fragen, ob dies nicht Zeichen für einen Abgesang auf eine seit nahezu 50 Jahren erfolgreiche Politik sei.

Die Antwort der Bundesregierung findet sich in ihrem jüngsten Bericht zur auswärtigen Kulturpolitik. "Die Auswärtige Kulturpolitik bleibt unter der neuen Bundesregierung die unverzichtbare Dritte Säule der deutschen Außenpolitik. . . . ihre Bedeutung (nimmt) im Zeitalter der Globalisierung und der wachsenden Notwendigkeit eines weltweiten kulturellen Dialogs zu." Am 1. Dezember 1999 hat Bundesaußenminister Fischer dem zuständigen Ausschuss des Deutschen Bundestages eine "Konzeption 2000" für die auswärtige Kulturpolitik vorgelegt.

Das heutige System von Grundsätzen, Zielen und organisatorischen Gegebenheiten hat seinen Ursprung in den sechziger Jahren und wurde Mitte der siebziger Jahre durch die Enquetekommission des Deutschen Bundestages und eine Stellungnahme der Bundesregierung zu deren Bericht festgeschrieben. Doch die Welt hat sich seitdem unter vielen Gesichtspunkten grundlegend verändert.

Ohne ein Weltpanorama des Wandels entwerfen zu wollen und vor diesem Hintergrund die auswärtige Kulturpolitik zu erörtern, müssen einige Elemente benannt werden, die für die Behandlung der internationalen Kulturbeziehungen wichtig sind: Zum einen gibt es die enorm gewachsene Mobilität von Personen, Informationen und Waren über staatliche Grenzen hinweg; zum anderen hat sich - und das hängt auch mit den zunehmend durchlässigen Staatsgrenzen zusammen - die Funktion des Staates wesentlich gewandelt. Will man also nicht nur an den Gewohnheiten festhalten, so gilt es, die Konsequenz aus diesen veränderten Rahmenbedingungen zu ziehen. Sie besteht darin, die Frage in den Mittelpunkt zu stellen, was dem Bürger nützt, und das Bedürfnis des Staates und seiner Organe nach Selbstrepräsentation und Machterweiterung als historisch überholt anzusehen.

Dies sei zunächst am Beispiel der Information erläutert. Sie ist traditionell eine Aufgabe der auswärtigen Kulturpolitik. Die ihr dienenden Einrichtungen sollen die Welt über Deutschland und alles, was dort geschieht, unterrichten: die Deutsche Welle, das Goethe-Institut, Inter Nationes u. a. Ohne Zweifel war dies für die interessierten Empfänger so lange nützlich, solange es praktisch keine anderen Möglichkeiten gab, eben jene Nachrichten und Einsichten in die deutschen Verhältnisse zu erhalten. Hier ist aber ein grundlegender Wandel durch die Entwicklung der Medien vom Satelliten- und Kabelfernsehen bis zum Internet eingetreten. Wer etwas wissen will, kann es auch ohne die staatliche Hilfestellung in Erfahrung bringen. So sieht es - allerdings nur vordergründig - aus. Es gibt nämlich nach wie vor Hürden, die manchmal nicht oder nur schwer zu überwinden sind. Die Sprache ist sicherlich eine der wichtigsten.

Wenn es also das politische Ziel ist, jedem auch außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik zu ermöglichen, sich über Deutschland zu informieren, so heißt heute die Methode nicht mehr, ihm die Information durch staatliche Instanzen oder ihre Auftragnehmer zu geben, sondern zu helfen, die Hürden, die den Zugang zu dem reichlich vorhandenen Informationsangebot erschweren, zu überwinden. Das kann in der Praxis bedeuten, dass Nachrichten in fremde Sprachen übersetzt, dass Erkenntnisse und Informationen für den Nachfragenden aus dem Kontext erläutert werden. Eine solche Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, würde den Bürgern anderer Länder helfen, mit Bürgern in Deutschland in Kontakt zu treten und zu kommunizieren. Umgekehrt sollten die Institutionen der auswärtigen Kulturpolitik auch deutschen Staatsbürgern im In- und Ausland solche Dienstleistungen darbieten: Informationen über die Kultur der Gastländer, über die spezifischen interkulturellen Schwierigkeiten bei der Arbeit in dem Gastland oder bei der Zusammenarbeit mit Bürgern dieses Landes und vieles andere.

Es muss in Anbetracht der vorhandenen Informationsfülle gefragt werden, ob wir Einrichtungen brauchen, die diese Informationen in staatlichem Auftrag erstellen. Der Bundesrechnungshof hat bei der Überprüfung von Inter Nationes 1999 festgestellt, dass dessen Eigenproduktionen viel zu teuer und auch nicht besser sind als das, was auf dem Bücher-, Zeitschriften- und Informationsmarkt angeboten wird. Wir müssen aber die Frage noch weiter ins Grundsätzliche wenden und nach der Rolle des Staates fragen, Informationen über sich selbst und die Verhältnisse in der Gesellschaft und ihrer Kultur mit großem Aufwand zu produzieren. Ist dies nicht vielmehr eine Aufgabe der Wissenschaft bzw. des freien Journalismus?

Das heutige System der auswärtigen Kulturpolitik kann seine Herkunft aus der Kulturpropaganda der Nationalstaaten vom Anfang des vorigen Jahrhunderts nicht ganz verleugnen, auch wenn es mit anderen Inhalten und Methoden gefüllt wurde. So heißt es in Paragraph 4 des Deutsche-Welle-Gesetzes von 1997: "Die Sendungen der Deutschen Welle sollen den Rundfunkteilnehmern im Ausland ein umfassendes Bild des politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens in Deutschland vermitteln und ihnen die deutschen Auffassungen zu wichtigen Fragen darstellen und erläutern." Das Vorgängergesetz aus dem Jahre 1953 sprach noch von "der deutschen Auffassung" im Singular. Das neue Gesetz hat also konsequent eine Wendung zum Pluralismus vollzogen. Die Deutsche Welle soll eben kein Regierungssender sein. Die Regierung hat und nutzt nämlich viele Kanäle, um ihre Auffassung vor der deutschen und internationalen Öffentlichkeit darzulegen. Weshalb bedarf es also eines Bundesrundfunks? Hier liegen also Widersprüche im System, die Anlass sein sollten, zu einer Klarheit vorzudringen, die auch für die Zukunft trägt.

Wenn man sich die Mühe macht, die Nachrichten verschiedener Fernsehsender wie ARD, ZDF, RTL neben denjenigen der Deutschen Welle zu sehen und zu vergleichen, so wird man keine substanziellen Unterschiede feststellen - bestenfalls eine mindere Qualität beim Staatssender Deutsche Welle. Vor allem kann die Deutsche Welle - selbst mit ihren fremdsprachigen Programmen - nicht das leisten, was sie als Gegenstand ihres Auftrags ansieht, nämlich sich auf die fremden Öffentlichkeiten einzustellen. Diese sind viel zu heterogen, als dass eine spezifische Ansprache möglich wäre. Die Lösung aus diesem Dilemma kann nur darin bestehen, dass der Sender sich auf eine Vermittler- und Dolmetscherfunktion beschränkt. Das Angebot hinsichtlich Inhalt und Qualität ist auf dem deutschsprachigen Markt so außerordentlich groß, dass eine Vermittlungsagentur aus dem Vollen schöpfen kann. Die Deutschen im Ausland und die ausländischen Öffentlichkeiten würden ein solches Programmangebot sicherlich noch mehr schätzen als das heutige. Verzichtete die Deutsche Welle auf Eigenproduktionen, so könnte sie auch ihre derzeitigen Finanzprobleme überwinden, denn die eigenen Produktionen sind allemal teurer als die Lizenzgebühren.

Im Hintergrund dessen, was hier am Beispiel von Inter Nationes und der Deutschen Welle erörtert wurde, steht die Frage nach der Rolle des Staates. Hierzu enthält auch die Fischer'sche Konzeption 2000 ein bemerkenswertes Diktum: "Die zunehmende Entstaatlichung vieler Lebensbereiche führt auch zu einem Abbau der vom Staat wahrzunehmenden Aufgaben bei der Kulturförderung." Nun ist die auswärtige Kulturpolitik zwar kein Mechanismus der Kulturförderung, sondern vielmehr ein Instrument, eine Reihe von staatlichen Zielen zu fördern. Es geht auch nicht darum, dass sich der Staat einfach zurückzieht, sondern er muss seine Aufgabe neu definieren.

So wie die einzelnen Staatsbürger heute nicht mehr wie zu Hochzeiten des Nationalstaats ihre Identität wesentlich über die Zugehörigkeit zu einem Staat definieren, so hat auch dieser zunehmend seine nahezu alle Lebensbereiche umfassenden Ambitionen aufgegeben. Er versteht sich nicht mehr als die aus den Staatsbürgern zusammengesetzte Person, wie sie auf dem Titelbild des Hobbes'schen Leviathan erscheint. Die staatliche Souveränität ist nach innen und außen löchrig geworden. Der Begriff wie die Sache der Nationalkultur verlieren in einer multikulturellen Gesellschaft ihre Wirkungs- und Prägekraft. Die staatliche Aufgabe kann im Lichte dessen nicht sein, sich selbst und seine Kultur nach außen zu präsentieren oder zu repräsentieren. Dies wirkt zunehmend antiquiert und hohl auf die ausländischen Öffentlichkeiten ebenso wie auf die eigenen Staatsbürger. Vielmehr sollte man die Leistungen für die Bürger oder ihre Vereinigungen in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen, den Staat als diejenige Instanz ansehen, die die internationalen Beziehungen ihrer Bürger erleichtert bzw. ermöglicht und dafür die nötige Infrastruktur schafft.

Ein solcher Ansatz würde es erlauben, die bisherigen Praktiken und Prioritäten der auswärtigen Kulturpolitik auf den Prüfstand zu stellen und neu zu definieren. Man muss sich zunächst frei machen von den gebetsmühlenartig wiederholten Zielen und Mythen - wie die Mehrung des Ansehens der Republik, der Abbau von Vorurteilen, die Völkerverständigung, die Förderung des Friedens und universaler Werte.

Hat man z. B. hinsichtlich der nationalen Vorurteile inzwischen etwas erreicht? Die Antwort lautet eindeutig nein. Stereotype über Nachbarn und fernere Völker haben ein zähes Leben. Es muss doch bedenklich stimmen, wenn der britische Zeithistoriker Richard J. Evans in einem Vortrag am 25. Oktober 1999 in Stuttgart zu dem Ergebnis kommt, dass das englische Deutschlandbild der neunziger Jahre das negativste seit Jahrzehnten sei. Man vergisst oft, dass die Vorurteile über andere Völker zum größeren Teil aus den eigenen Bedürfnissen geboren werden und erst in zweiter Linie etwas mit der Wahrnehmung des anderen zu tun haben. Sie können schon gar nicht durch "objektive" Informationen ersetzt werden, die der Apparat der auswärtigen Kulturpolitik zur Verfügung stellt.

Nüchtern betrachtet, erscheint die Vorstellung, der Staat könne den "Dialog zwischen den Völkern" organisieren, als Anmaßung. Völker können überhaupt nicht miteinander kommunizieren, lediglich Einzelne oder Gruppen sind dazu in der Lage. Und es hängt von deren Interessenlage ab, mit wem und worüber sie sich jeweils austauschen oder auf welchem Gebiet sie zusammenarbeiten wollen. Weltweit wirken Bürger auch ohne staatliche Beihilfe autonom zusammen, und diese Kontakte und Kooperationen vermehren sich exponentiell. Das wird auch in der Fischer'schen Konzeption 2000 anerkannt, indem der Rückzug des Engagements des Bundes überall dort verlangt wird, wo über Jahrzehnte ein dichtes Geflecht kultureller Beziehungen gewachsen ist. Umgekehrt wird mit Recht ein verstärktes Engagement in Mittel- und Osteuropa, Schwellenländern oder Ländern auf dem Wege zur Demokratie verlangt, dort also, wo die Netzwerke erst noch entstehen müssen oder wo aus der Sicht der Bundesrepublik das Entstehen analoger politischer Systeme unterstützt werden soll.

Aber auch bei der Verfolgung inhaltlicher politischer Ziele darf man sich die Sache nicht so vorstellen, dass es darum geht, Propaganda für Demokratie und Menschenrechte zu machen. Vielmehr kann es sich nur um die Herstellung von Kontakten etwa zwischen Menschenrechtsaktivisten handeln oder um die Aufklärung von Interessierten über demokratische Verfahren und Institutionen, ja, ein Goethe-Institut kann denen, die sich für demokratische Werte einsetzen wollen, als Forum dienen, wie es dies in Zeiten der Diktatur in Griechenland, Spanien, Portugal oder Chile getan hat.

Die auswärtige Kulturpolitik sollte in der Zukunft nicht mehr ihre Aufgabe darin sehen, dass sie aktive "Sender" finanziert, die deutsche Sprache und Kultur verbreiten. In Anbetracht der sich wandelnden Funktion des Staates besteht ihre vornehmste und vordringlichste Aufgabe darin, den Bürgern die Verfolgung ihrer Interessen über die Grenzen hinweg zu erleichtern oder zu ermöglichen. Die Alternative für die Zielsetzung ist nicht "Lehren oder Lernen", wie es Wolf Lepenies einmal formuliert hat, denn bei jeder Art des Zusammenwirkens ereignet sich beides. Die Alternative heißt vielmehr "Machen oder Ermöglichen". Lässt man sich auf das Ermöglichen ein, so gewinnen viele Aspekte des heutigen Instrumentariums eine neue Qualität: Stipendien werden nur dann vergeben, wenn der Bewerber wegen seiner Qualifikationen erwarten lässt, dass er später ein wichtiger Ansprechpartner für Bürger aus Deutschland sein wird, und nicht, weil eine Länderquote erfüllt werden muss. Sprachunterricht braucht nicht von deutschen Institutionen im Ausland erteilt zu werden, denn überall gibt es Einheimische, die die deutsche Sprache hinreichend lehren. Von den knapp 20 Millionen Deutschlernern weltweit sind beispielsweise an Goethe-Instituten nur zirka 80 000 eingeschrieben. Allerdings bedürfen die ausländischen Einrichtungen der Unterstützung bei Inhalts-, Methoden- und Prüfungsfragen, für die andere Quellen nicht zur Verfügung stehen. Nur dadurch kann die Qualität und Effizienz des Unterrichts gesichert werden. Wo trotz Bekanntmachung der Möglichkeiten kein Interesse an Informationen aus Deutschland und an der Vermittlung von Kontakten besteht, kann man auf entsprechende Zentren verzichten.

Ein Konzept für die auswärtige Kulturpolitik, das an der Frage ausgerichtet ist, welche Leistungen notwendig von der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellt werden müssen, um die freie Tätigkeit der Bürger über Grenzen hinaus zu erleichtern oder zu ermöglichen, würde die bisherige Frage nach dem Nutzen für den Staat in den Hintergrund drängen, obwohl der indirekte Nutzen für die Gesamtheit der Bürger und ihre Werte gar nicht zu bestreiten ist. Ansätze zu einem solchen Umdenken kann man in der Konzeption des Bundesaußenministers erkennen. Die Konzeption legt z. B. Wert auf die Nachhaltigkeit von Programmen: längerfristige Kontakte, Netzwerke und auf Dauer angelegte Ausbildungsprogramme sollen zu Lasten von Einzelmaßnahmen mit nur kurzfristigem Effekt gefördert werden. Hinzu kommt die geforderte Orientierung an der Nachfrage. Und institutionell werden vermehrt Mischformen der öffentlichen und privaten Trägerschaft von kulturellen Aktivitäten empfohlen. Kurz: dies ist im Ansatz ein Konzept, das nicht auf die Selbstrepräsentation des Staates aus ist, sondern darauf, eine Infrastruktur für die Bürger zur Verfügung zu stellen und, wo nötig, Katalysator-Effekte oder private Initiativen zu erzeugen und zu ermutigen.

Dr. jur., geb. 1938; Lehrbeauftragter an der Universität Konstanz für auswärtige Kulturpolitik.

Anschrift: Volpinistr. 62, 80638 München.

Veröffentlichungen u. a.: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Grundrechten. Planung in der sozialstaatlichen Demokratie, Hamburg 1966; zahlreiche Aufsätze zu Themen der Bildungs- und auswärtigen Kulturpolitik.