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Wie stimmig sind die Ziele von Beteiligungsaktionen mit Kindern und Jugendlichen in der Kommune? | Partizipation von Kindern und Jugendlichen | bpb.de

Partizipation von Kindern und Jugendlichen Editorial Warum die junge Generation politisch stärker partizipieren muss Gesellschaftliche Beteiligung der Jugend Kinder- und Jugendforen als Beispiel neuer Formen der politischen Öffentlichkeit Wie stimmig sind die Ziele von Beteiligungsaktionen mit Kindern und Jugendlichen in der Kommune? Barrieren und Hindernisse bei der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in urbanen Umbruchsituationen

Wie stimmig sind die Ziele von Beteiligungsaktionen mit Kindern und Jugendlichen in der Kommune?

Stefan Danner

/ 17 Minuten zu lesen

In den Kommunen gibt es zahlreiche Kinder- und Jugendbeteiligungsaktionen. Ihre Ziele können dabei von unterschiedlicher Natur sein.

Einleitung

Seit einigen Jahren werden die Konzepte von Beteiligungsaktionen mit Kindern und Jugendlichen in der Kommune diskutiert. Die Intensität der bisher geführten Debatte um die politischen Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen kontrastiert mit dem Umstand, dass bislang kaum geprüftes Wissen über Beteiligungsaktionen mit Kindern und Jugendlichen vorliegt. Die folgenden Überlegungen sollen einen Beitrag leisten zur Erhellung dieses wenig systematisch ausgeleuchteten politisch-pädagogischen Bereiches. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage nach der Vereinbarkeit der Ziele, die mit Beteiligungsaktionen verknüpft werden.

Die Ziele, die explizit oder implizit mit Kinderbeteiligungsaktionen verknüpft sind, lassen sich in drei Gruppen einteilen: Sie basieren auf demokratietheoretischen Überlegungen, gründen in Ansätzen der politischen Bildung oder zeigen sich in Aussagen über die spezifische Expertise von Kindern und Jugendlichen, z. B. in Aussagen über die besonderen lokalen Kenntnisse oder den unkonventionalen Blick von Kindern und Jugendlichen.

Partizipation sei, so Gisela Ulrich, eine notwendige Voraussetzung für eine gelungene Sozialisation, die in Eigenverantwortlichkeit und Gemeinschaftsfähigkeit münde. Misslungene, gestörte oder unvollkommene Sozialisation, die uns zum Beispiel in Gestalt von Jugenddelinquenz begegne, habe also möglicherweise sehr viel mit fehlender Partizipation zu tun. Nach Ulrich müssen wir uns ins Bewusstsein rücken, "dass soziale Lernprozesse - und um nichts anderes handelt es sich dabei wohl - für ihren erfolgreichen Verlauf bestimmte Voraussetzungen brauchen". Ein unverzichtbarer Bestandteil sei das Sich-Einbringen-Können und Angenommenwerden.

Die Praxis zeigt, dass tatsächlich Erwartungen in die Beteiligung, in Expertisen von Kindern und Jugendlichen gesetzt werden. Peter Apel und Reinhard Pach berichten von einem Fall, bei dem durch die Beteiligung von Kindern ein Freiraum entstanden ist für eine außergewöhnliche Gestaltung eines Spielplatzes: "Kinder aus der ganzen Stadt ,bereisen' den Platz. Da die Planung direkt aus der Beteiligung der Kinder abgeleitet war, gab es auch keine kontroversen inhaltlichen Diskussionen im Jugendhilfeausschuss. Die Expertenfunktion der Kinder wurde anerkannt."

Überblickt man die vorliegenden Projektberichte und konzeptionellen Äußerungen zu Kinder- und Jugendbeteiligungsaktionen in der Kommune, sind es drei Ziele, die mit Beteiligungsaktionen verknüpft werden: Sie bestehen darin,

1. Kindern und Jugendlichen die Ausübung ihres Bürgerrechtes auf Selbst- und Mitbestimmung zu ermöglichen;

2. die beteiligten Kinder und Jugendlichen für die Mitgestaltung ihres Gemeinwesens nachhaltig zu befähigen und zu motivieren - Beteiligungsaktionen werden als Maßnahmen der politischen Bildung begriffen;

3. die spezifische Expertise von Kindern und Jugendlichen in Sachen kinderfreundliche Stadtplanung freizusetzen und damit die Qualität stadtplanerischer Entscheidungen zu erhöhen.

II. Wie stimmig sind die Ziele?

Bemerkenswert ist, dass die drei Ziele in den verschiedenen bislang vorgelegten Konzepten häufig nebeneinander angeführt und dabei nur zum Teil explizit ausgewiesen werden. In der Regel wird in den Konzepten stillschweigend von der Voraussetzung ausgegangen, dass alle Ziele in einer konkreten Beteiligungsaktion gleichzeitig verfolgt werden können und in diesem Sinne stimmig sind. Es wird unterstellt, dass eine Beteiligungsaktion politische Aktion, Lernarrangement und Expertenwerkstatt zugleich sein kann.

Dass die Frage nach der Vereinbarkeit dieser Richtungsvorgaben berechtigt ist, wird deutlich, wenn man sich klarmacht, dass jedes der drei Ziele eine bestimmte Rollenzuschreibung für die Kinder und Jugendlichen zur Folge hat. Ziel 1 schreibt ihnen die Rolle des partiell mündigen Bürgers zu, der ein Recht auf Mitbestimmung hat, Ziel 2 die des Lernenden und nach Ziel 3 sind sie Bürger mit unverzichtbaren Spezialkenntnissen.

Es scheint so, als würde sich die Interaktionsform je nach Zielvorgabe anders gestalten: Ziel 1 scheint auf eine symmetrische Interaktionsform hinauszulaufen (Kind und Erwachsener sind gleichberechtigt), Ziel 2 die Symmetrie zugunsten des Erwachsenen (dieser hat das Wissen und vermittelt es den Kindern), Ziel 3 zugunsten des Kindes zu verschieben (der Erwachsene lernt vom Kind).

Diese erste Einschätzung ist noch recht unscharf. Es scheint daher angebracht, dem Problem von Symmetrie und Asymmetrie im Verhältnis von Kindern/Jugendlichen und Erwachsenen genauer nachzugehen, um in einem zweiten Schritt noch einmal die Frage nach der Vereinbarkeit der drei genannten Ziele von Beteiligungsaktionen in den Blick zu nehmen.

III. Politisch gedeutete Beteiligungsaktionen

Wird das erste - demokratietheoretisch fundierte - Ziel in einer Beteiligungsaktion angestrebt, so bedeutet dies, dass hier weniger ein pädagogisches Verhältnis zwischen Kindern/Jugendlichen und Erwachsenen, sondern eher ein politisches Verhältnis zwischen beiden Gruppen intendiert ist. Die Kinder und Jugendlichen werden nicht primär als Lernende, sondern als Mitbestimmende und Vertreter der eigenen Interessen aufgefasst.

Auf den ersten Blick scheinen die entsprechenden politisch geprägten Interaktionsformen symmetrisch angelegt zu sein, auf den zweiten Blick zeigen sich aber auch hier verschiedene Grade von Asymmetrie bzw. Symmetrie. Deutlich wird dies beispielsweise in dem Modell von Richard Schröder, der verschiedene Arten der politischen Beteiligung von Kindern und Jugendlichen erläutert und in Form einer Stufenleiter veranschaulichend zusammenfasst. Die Stufenleiter reicht von reiner Fremdbestimmung bis hin zur Selbstverwaltung. Sie umfasst im Einzelnen die Stufen Selbstverwaltung, Selbstbestimmung, Mitbestimmung, Mitwirkung, Teilhabe, Alibi-Teilnahme, Dekoration und Fremdbestimmung.

Bei den Formen Mitwirkung, Mitbestimmung, Selbstbestimmung und Selbstverwaltung werden die Kinder und Jugendlichen als (fast) gleichberechtigte politische Partner aufgefasst. Je nachdem, welche dieser Formen realisiert wird, übernehmen die Erwachsenen unterschiedliche Rollen gegenüber den Kindern und Jugendlichen:

- Im Falle der Mitwirkung ist der Erwachsene Initiator sowie Entscheider.

- Im Falle der Mitbestimmung ist er Initiator sowie Mitdiskutant und Mitentscheider.

- Im Falle der Selbstbestimmung ist er Berater, der auf die Initiative der Kinder positiv reagiert und nicht mitentscheidet.

- Im Falle der Selbstverwaltung ist er informierter Außenstehender.

Die Analyse der Erwachsenenrolle kompliziert sich durch den Umstand, dass die Erwachsenen, die im Kontext von Beteiligungsaktionen stehen, entweder zu einer Gruppe entscheidungsbefugter Erwachsener gehören oder gegenüber diesen Entscheidungsbefugten vermittelnd wirken.

Insgesamt ergibt sich so folgende Liste von Handlungsrollen:

Liste 1

Der Erwachsene kann sich im Kontext von Beteiligungsaktionen, die als politische Maßnahmen aufgefasst werden, definieren als Informierter, Berater, Mitplaner (der gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen einen Plan erarbeitet, festlegt und einem Entscheidungsgremium vorlegt), entscheidungsbefugter Mitplaner (der gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen einen Plan erarbeitet, festlegt und dem Entscheidungsgremium vorlegt, dem er selbst angehört) oder Entscheidungsbefugter (der nach Einholung der Meinung der Kinder und Jugendlichen gemeinsam mit anderen Erwachsenen in dem zuständigen Gremium entscheidet).

Während die ersten beiden Rollen sowie die letztgenannte mit asymmetrischen Beziehungen korrespondieren, weisen die dritte und die vierte Rolle auf relativ symmetrische Beziehungen hin.

IV. Pädagogisch gedeutete Beteiligungsaktionen

Wenden wir uns nun den pädagogischen Interaktionen zu. Rainer Winkel befasst sich aus schulpädagogischer Sicht mit der Frage nach Asymmetrie und Symmetrie im Verhältnis von Kindern/Jugendlichen und Erwachsenen. Als Planungsschritte des Unterrichts unterscheidet er "stellvertretende Entscheidungen", "behutsame Partizipation", "regressiv-komplementäres Agieren" und "symmetrisches Agieren" .

Theodor Ballauff gibt eine Übersicht über Charakterisierungen der Lehrerrolle, die sich in der pädagogischen Literatur finden. Als Beispiele nennt er unter anderem: der Lehrer als Vermittler, Sozialingenieur, Organisator, Multiplikator und Informator. Auch hier impliziert jede Charakterisierung ein bestimmtes Maß an Symmetrie und Asymmetrie im Verhältnis von Erwachsenen und Kindern. Eine Sonderstellung übernimmt in diesem Zusammenhang die Charakterisierung des Pädagogen als Mäeuten.

Überblickt man die in diesen und anderen Konzepten vorgelegten Rollenbeschreibungen von Erwachsenen in pädagogischen Interaktionen und wählt man jene aus, die in Beteiligungsprojekten relevant sind, lässt sich folgende vorläufige Liste erstellen:

Liste 2

Der Erwachsene kann sich im Kontext von Beteiligungsaktionen, die als pädagogische Maßnahmen aufgefasst werden, definieren als Berater (den die Kinder/Jugendlichen fragen, wenn sie Hilfe bei den von ihnen selbst gewählten Aufgaben brauchen), Anbieter von Aktionen und Material (aus dem die Kinder/Jugendlichen wählen können, aber nicht müssen), Festleger eines Aktionsrahmens und eines Materialensembles (aus dem die Kinder wählen), Gesprächsmoderator (der die Gesprächsergebnisse zusammenfasst und das Wort erteilt, um alle zum Zuge kommen zu lassen), Mäeut (der die Kinder in ein Denkproblem verwickelt, fragt, Widersprüche benennt, aber keine Antworten und Lösungen gibt), Festleger einer zu erledigenden Aufgabe, direkt Belehrender (durch Lehrvortrag oder Lehrgespräch), Lobender, Ermahnender, Überprüfer und Bewerter (von erledigten Aufgaben der Kinder) oder als Strafender.

Es ist leicht zu sehen, dass sich die direkte pädagogische Beeinflussung von Position zu Position schrittweise erhöht und sich entsprechend die Asymmetrie zwischen Erwachsenen und Kindern/Jugendlichen verstärkt.

V. Beteiligungsaktionen, die als Expertenwerkstatt gedeutet werden

Befürworter von Beteiligungsaktionen heben hervor, dass Kinder und Jugendliche in bestimmten Bereichen über wichtige Kenntnisse verfügen, deren Nutzung zu besseren kommunalpolitischen Entscheidungen führt. Hingewiesen wird in diesem Zusammenhang auf die besondere lokale Kenntnis, über die Kinder und Jugendliche verfügen, auf ihren unkonventionellen Blick, der Wichtiges sichtbar werden lässt, und auf den Umstand, dass Kinder und Jugendliche selbst besser wahrnehmen, was ihren Interessen entspricht oder widerspricht. Insofern spielt das Ziel, Kinder und Jugendliche als Experten zu gewinnen, in Beteiligungsaktionen eine wichtige Rolle.

Wieder stellt sich die Frage, welche Folgen die Zuweisung der Expertenrolle für das Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern/Jugendlichen hat. Wie können Kinder und Jugendliche ihre Expertise zur Geltung bringen, und inwiefern entstehen dadurch Laien-Experten-Interaktionen, in denen die Erwachsenen die Rolle der Laien übernehmen?

Geht man zunächst von den herkömmlichen Laien-Experten-Interaktionen im politischen Bereich aus (Stichwort: Politikberatung, Expertenanhörungen), so wird deutlich, dass hier zwei verschiedene Asymmetrien übereinander gelagert sind: Zum einen besteht die Asymmetrie zwischen dem Experten, der über ein Spezialwissen verfügt, und dem Politiker, der das Wissen zur Vorbereitung einer angemessenen politischen Entscheidung braucht, aber nicht hat - die Form der Wissensverteilung ist asymmetrisch. Zum anderen besteht die Asymmetrie zwischen dem Experten, der eine Spezialinformation und eine Empfehlung gibt, und dem Politiker, der sich die Information und Empfehlung zu Eigen machen kann oder nicht und dann die politische Entscheidung trifft - hier ist die Form der politischen Machtverteilung asymmetrisch.

Anders als in den herkömmlichen Formen der Expertenanhörungen liegt der Fall, wenn sich Bürger im Rahmen einer Zukunftswerkstatt selbst zu Experten (gleichsam zu Alternativexperten) entwickeln. Eine Schlüsselfunktion kommt dabei dem Moderator zu. Er soll Anreger, Stütze und Hilfe in einer Person sein. Jungk/Müllert zufolge muss er dabei auf das Einhalten der Werkstattregeln achten, ohne die Gruppe zu gängeln. Seine Funktion sei mit der eines sanften Geburtshelfers vergleichbar.

Bemerkenswert ist, dass in der Zukunftswerkstatt auf das mäeutische Verfahren zurückgegriffen wird . Das Verfahren setzt in diesem Kontext voraus, dass die Werkstatt-Teilnehmer über eine so genannte implizite Expertise verfügen. Implizit ist diese insofern, als sie den Teilnehmern zunächst nicht bewusst ist und erst externalisiert - also Stück für Stück ans Licht gebracht - werden muss.

Es lässt sich nachweisen, dass das Verfahren der Zukunftswerkstatt mittlerweile in modifizierter Form in Beteiligungsaktionen mit Kindern und Jugendlichen angewandt wird. In entsprechenden Projekten werden die Teilnehmer dabei auch als Experten aufgefasst.

In einem Projektbericht, der vom Landesjugendamt Westfalen-Lippe herausgegeben wurde, wird mehrfach und ausdrücklich die Expertenrolle der beteiligten Jugendlichen hervorgehoben. Bereits der Titel des Berichtes deutet darauf hin: "JUNEX - junge Experten planen ein Jugendcafé: ein Partizipationsmodell". Auch hier wird in Anlehnung an das Verfahren der Zukunftswerkstatt die Rolle des externen und neutralen Moderators beschrieben.

Nach Durchsicht dieser und anderer Projektberichte ergibt sich mit Blick auf die Rollen der erwachsenen Akteure die dritte Liste:

Liste 3

Der Erwachsene kann sich im Kontext von Beteilungsaktionen, die als Expertisenwerkstatt aufgefasst werden, definieren als Bereitsteller von Medien, Organisator, Erklärer von zu lösenden Problemen und Aufgaben, Gesprächsmoderator (der die Gesprächsergebnisse zusammenfasst und das Wort erteilt, um alle zum Zuge kommen zu lassen), Anreger der Phantasie (der hilft, sich von Stereotypen zu emanzipieren), Mäeut (der hilft, Begriffe für das von den Teilnehmern implizit Gewusste zu finden), Lenker des formalen Prozesses (der, ohne die inhaltlichen Entscheidungen zu beeinflussen, darauf achtet, dass die einzelnen Arbeitsphasen in der richtigen Reihenfolge durchlaufen werden), Entscheidungsbefugter (der gemeinsam mit anderen Erwachsenen in dem zuständigen Gremium eine Expertise in Auftrag gibt und nach der Einholung über eine Maßnahme entscheidet).

VI. Auswertung: Sind die Ziele miteinander vereinbar?

Ausgangspunkt des Aufsatzes war die Beobachtung, dass es in der Regel drei Ziele sind, die mit Beteiligungsaktionen verknüpft werden. Der Beobachtung schloss sich die Kernfrage an, ob diese überhaupt miteinander vereinbar sind. Um dies herauszufinden, wurden Handlungsformen analysiert, die mit den drei Zielen einhergehen. Jedes der Ziele, so unser Zwischenergebnis, ist verknüpft mit Handlungsformen, die sich auflisten lassen nach dem Grad ihrer Eingriffsintensität. Bei Betrachtung der drei Listen stellt sich die Frage, ob sich Überschneidungsflächen finden lassen, deren Existenz erhärten könnte, dass die Ziele 1 bis 3 unter bestimmten Bedingungen in Passung gebracht werden könnten.

Gibt es eine oder mehrere Handlungsformen, mittels derer Erwachsene gleichermaßen ein politisches Verhältnis und ein pädagogisches Verhältnis und ein Verhältnis zu Kindern/Jugendlichen als Experten aufbauen können? Falls diese Handlungsformen gefunden werden können, spricht dies für eine Vereinbarkeit der drei genannten Hauptziele von Beteiligungsaktionen.

Im Folgenden werden nun exemplarische Rollenvergleiche vorgenommen. Diese beziehen sich auf die drei Listen, die in den vorangegangenen Abschnitten erarbeitet wurden. Analysiert werden Beispiele, die am stärksten vermuten lassen, dass eine Überschneidung zwischen zumindest zwei der Listen vorliegt.

1. Der Mäeut

Es fällt auf, dass sowohl in den pädagogischen Interaktionen als auch in den Interaktionen mit Experten die Handlungsform des Mäeuten eine wichtige Rolle spielt. Auf den ersten Blick scheint eine Überschneidung vorzuliegen: Bedient sich ein Erwachsener im Rahmen einer Beteiligungsaktion mit Kindern und Jugendlichen der Handlungsform eines Mäeuten, so gelingt es ihm, gleichermaßen ein pädagogisches Verhältnis und ein Verhältnis zu den Kindern/Jugendlichen als Experten aufzubauen. - Eine genauere Prüfung zeigt, dass je nach Kontext etwas Unterschiedliches unter Mäeutik verstanden wird:

Der Pädagoge will einem Gedanken zum Durchbruch verhelfen. Neu ist für ihn allenfalls, wie dieser letztendlich erfolgt: wie das Kind um die Formulierung des impliziten Wissens ringt und welche Wege und Irrwege es dabei geht. Aber das Resultat steht im Großen und Ganzen fest und ist dem Pädagogen nicht mehr neu.

Dies kontrastiert mit der Moderatoren/Mäeuten-Rolle im Konzept der Zukunftswerkstatt. Hier weiß der Moderator nicht, auf welches inhaltliche Resultat die Werkstatt zusteuert. Er hilft, Gedanken zur Welt zu bringen, weiß aber nicht welche dies sein werden. Im Unterschied zur pädagogischen Mäeutik ist die Werkstatt-Mäeutik also ergebnisoffen.

Ähnlich wie der Pädagoge versucht der Werkstatt-Moderator die Teilnehmer von der unreflektierten Übernahme vorgefertigter Denk- und Lösungsmuster zu befreien. Der Pädagoge tut dies mit der Absicht, kritisches Denken freizusetzen und um zu gewährleisten, dass das letztendlich Erkannte tatsächlich durch und durch verstanden ist. Der Werkstatt-Moderator hingegen verfolgt das Ziel, Platz für das zu schaffen, was die Teilnehmer bereits implizit wissen, er selbst aber nicht.

2. Der Entscheidungsbefugte

Bei einem Vergleich von Liste 1 und 3 fällt auf, dass beide Listen die Rolle des Entscheidungsbefugten enthalten. Auch hier liegt zunächst der Schluss nahe, dass eine Überschneidung vorliegt und damit eine Zielvereinbarkeit denkbar ist. Indes ergibt die genauere Betrachtung, dass je nach Kontext unterschiedliche Rollenerwartungen vorliegen:

In Liste 1 wird davon ausgegangen, dass ein politisch agierender Erwachsender mit politisch agierenden Kindern und Jugendlichen kommuniziert. Im Sinne der Prinzipien der repräsentativen Demokratie werden im Zuge eines umfassenden Meinungsbildungsprozesses Informationen über die Interessen verschiedener Bevölkerungsgruppen eingeholt - auch über die Interessen der Kinder und Jugendlichen. Die befugten Erwachsenen fällen schließlich nach Abwägung der verschiedenen Informationen als gewählte Volksvertreter die Entscheidung.

Bedenkenswert erscheint Folgendes: Bei allen Rollen, die Liste 1 anführt, wird vorausgesetzt, dass Kinder und Jugendliche in ihren politischen Bürgerrechten ernst genommen werden und somit auch der politische Ernstfall (und keine Simulation) vorliegt. Genau dieser Ernstfall verläuft aber in der Regel mehr oder weniger konflikthaft. Dies wird in den politikwissenschaftlichen Konzepten zur Konkurrenzdemokratie immer wieder hervorgehoben. Für unser Thema bedeutet das: Wird das Kommunikationsverhältnis in Partizipationsprojekten tatsächlich als rein politisches gedeutet, so bedeutet das im Falle divergierender Meinungen von Erwachsenen und Kindern/Jugendlichen, dass die entscheidungsbefugten Erwachsenen die Kinder und Jugendlichen als politische "Gegner" definieren und dementsprechend agieren. Sobald Kinder und Jugendliche als politische Akteure aufgefasst werden, bewegen sie sich also nicht mehr in einem pädagogischen Schonraum, sondern unterliegen der Realität politischer Prozesse. Wie alle anderen politischen Akteure können sie aus bestimmten Kontroversen als Gewinner oder Verlierer hervorgehen.

Kommt es also im Zusammenhang mit Partizipationsprojekten zu Kontroversen und gegebenenfalls zur Ablehnung von Vorschlägen, die Kinder und Jugendliche unterbreiten, so bedeutet dies nicht unbedingt, dass das Partizipationsprojekt schlecht war oder die Kinder und Jugendlichen als Akteure missachtet worden sind; es kann auch heißen, dass sie im Machtkampf verloren haben.

Ganz anders gestaltet sich das Verhältnis zwischen dem erwachsenen Entscheidungsbefugten in Liste 3 und den Kindern und Jugendlichen. Wie bei dem JUNEX-Projekt deutlich wird, können politisch entscheidungsbefugte Erwachsene bei Kindern und Jugendlichen eine Expertise in Auftrag geben und danach über eine Maßnahme entscheiden. Das bedeutet, dass in diesem Falle die Kinder und Jugendlichen weniger als Interessenvertreter, sondern als Experten in Sachen Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen gefragt sind . Die Erwachsenen erwarten von ihnen weniger eine politische Willensäußerung, sondern vielmehr die Darlegung eines spezifischen Wissens, über das nur sie verfügen. Zugespitzt: Es handelt sich hier weniger um ein politisches Verhältnis, sondern eher um ein Dienstleistungsverhältnis zwischen den Beteiligten.

3. Der Berater

In unserem letzten Beispiel betrachten wir die Handlungsform des Beraters. Sie findet sich sowohl in Liste 1 als auch in Liste 2.

In beiden Fällen tritt der Erwachsene als Berater auf, der Kinder und Jugendliche unterstützt, die ein Projekt selbst initiiert haben und durchführen. Im ersten Fall tut er dies, um den Kindern und Jugendlichen die Ausübung ihres Bürgerrechtes auf Selbst- und Mitbestimmung in einer spezifischen von ihnen selbst gewählten Sache zu ermöglichen. Im zweiten Fall liefert der erwachsene Berater Informationen und Interpretationen. Sein Ziel besteht darin, die Kinder und Jugendlichen für die Mitgestaltung ihres Gemeinwesens nachhaltig zu befähigen und zu motivieren, und er versteht dies als Beitrag zur politischen Bildung.

In beiden Fällen wird den Kindern und Jugendlichen ein hohes Maß an Selbstbestimmung eingeräumt. In beiden Fällen nimmt der Erwachsene eine eher reagierende Rolle ein und überlässt den Kindern und Jugendlichen die eigentliche Initiative.

Betrachten wir nun an Hand eines Beispiels, wie sich die jeweiligen Beraterrollen in einer Konfliktsituation ausgestalten. Nehmen wir an, Jugendliche unternehmen eine "Instandbesetzung" eines leer stehenden alten Gebäudes, das der Kommune gehört, um ein selbstverwaltetes Jugendzentrum einzurichten. Die Jugendlichen geraten in Konflikt mit der Polizei und der Stadtverwaltung. Sie werden in Variante A von einem Erwachsenen beraten, der politisch, aber nicht pädagogisch interessiert ist. In Variante B werden die Jugendlichen von dem Mitarbeiter eines freien Trägers der Jugendhilfe beraten, der die Jugendlichen längere Zeit in seiner Einrichtung betreut hat. Nehmen wir weiter an, dass die Jugendlichen mit ihrer harten Gangart auch mit ihren Beratern in Konflikt geraten, die der Meinung sind, dass die Forderungen der Jugendlichen überzogen sind und sich die Jugendlichen mit ihren Handlungen strafbar machen. Und nehmen wir an, dass der Dissens zwischen dem Berater und den Jugendlichen unüberbrückbar ist. - Wie interpretiert der politische und wie der pädagogische Berater den Dissens und seine möglichen Konsequenzen?

Für den politischen Berater ist die Situation vergleichsweise einfach. Er hat im Sinne einer Dienstleistung den politisch agierenden Jugendlichen Informationen und Ratschläge gegeben. Er respektiert die harte Gangart der Jugendlichen als deren Weg, das Bürgerrecht auf Selbst- und Mitbestimmung auszuüben. Er sieht sich nicht in der Verantwortung für das, was die Jugendlichen tun. Es erscheint ihm plausibel, sich aus seiner Beratertätigkeit ganz herauszuziehen, das Dienstleistungsverhältnis aufzukündigen.

Für den pädagogischen Berater gestaltet sich die Konfliktsituation komplizierter. Er berät die Jugendlichen, weil er die Aktion der Jugendlichen als Lernprozess in Sachen Politik deutet. Aus der Sicht des pädagogischen Beraters verfügen die Jugendlichen bereits über ein hohes Maß an Selbständigkeit, das sie berechtigt, politische Aktionen in eigener Regie durchzuführen. Gleichwohl geht er davon aus, dass die Jugendlichen "nicht immer wissen, was sie tun" und noch nicht dem harten politischen Ernstfall vollends gewachsen sind. Daher liegt es für den pädagogischen Berater nahe, die Beziehung zu den Jugendlichen nicht aufzukündigen. Denn - das ist seine Auffassung - die Jugendlichen sollen sich an der Realität der Kommunalpolitik "abarbeiten", aber sie sollen nicht an dieser Realität zerbrechen.

VII. Ausblick

Das vorläufige Ergebnis des bisherigen Gedankenganges erscheint ernüchternd: Die ersten exemplarischen Prüfungen lassen keine Handlungsform erkennen, mittels derer Erwachsene gleichermaßen ein politisches Verhältnis und ein pädagogisches Verhältnis und ein Verhältnis zu Kindern/Jugendlichen als Experten aufbauen können. Dies wiederum lässt sich als Indiz für die Gültigkeit der Behauptung werten, dass es nicht möglich ist, die drei genannten Hauptziele von Beteiligungsaktionen in einer konkreten Maßnahme gleichzeitig zu verfolgen.

Diese vorläufige Erkenntnis motiviert zur Formulierung weiterer Hypothesen, die Widersprüche in der Durchführungspraxis von Beteiligungsaktionen betreffen. Denn wenn die Zielvorgaben der Beteiligungsaktionen nicht stimmig sind, müssten sich auch Unstimmigkeiten in der Durchführungspraxis bemerkbar machen. Wie könnten sich diese Unstimmigkeiten äußern?

- Möglicherweise ist der Kommunikationsstil der Erwachsenen in Beteiligungsaktionen häufig durch doppelte Botschaften geprägt: "Ich schätze Dich als Experte" und zugleich: "Ich zeige Dir, was wirklich wichtig ist".

- Vielleicht werden Beteiligungsaktionen gegenüber Kindern und Jugendlichen als echte politische Aktion "verkauft", um die Teilnahmebereitschaft zu erhöhen, verlaufen aber faktisch als Maßnahme der politischen Bildung ab - so dass der Ernstfall letztlich doch nur Simulation bleibt.

- Möglicherweise werden hin und wieder Beteiligungsaktionen gegenüber der Öffentlichkeit als Form der Mitbestimmung dargestellt, um den Eindruck zu vermitteln, dass bestimmte kommunalpolitische Entscheidungen von den Kindern und Jugendlichen explizit so gewünscht sind - und dies mit der Folge, dass Kinder und Jugendliche faktisch nicht mitbestimmen, sondern instrumentalisiert werden.

Offen bleiben Fragen, die den Einsatz von Kindern und Jugendlichen als Experten vorsehen: Was wissen wir über die spezifische Expertise von Kindern und Jugendlichen? Inwieweit entspringt sie tatsächlich einem eigenständigen Lebensweltwissen? Diese und weitere Punkte bedürfen der Klärung.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. zum Folgenden: Stefan Danner, Politische Aktion, Lernarrangement oder Expertenwerkstatt, in: Neue Sammlung, 40 (2000), S. 211-232.

  2. Ein demokratietheoretisch fundiertes Ziel impliziert beispielsweise folgende Aussage: "Langsam setzt sich durch, dass Kinder nicht mehr nur als unfertige Erwachsene, die auf die spätere Ausübung gesellschaftlicher Funktionen hin er"zo"gen werden müssen, sondern als eigenständige Subjekte und gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft gesehen werden - ausgestattet mit eigenen Rechten und Interessen. Wie andere gesellschaftliche Gruppen mit eigenen Rechten und Interessen müssen auch sie die Möglichkeit haben, aktiv an der politischen Willensbildung teilzunehmen." Peter Apel/Reinhard Pach, Kinder planen mit. Stadtplanung und Einbeziehung von Kindern, Unna 1997, S. 23.

  3. Gisela Ulrich, Einführung in das Thema, in: Partizipation von Kindern und Jugendlichen. Dokumentation einer Fachtagung der AGJ am 2./3. Dezember 1996 in Köln, Bonn 1997, S. 7.

  4. P. Apel/R. Pach (Anm. 2), S. 117.

  5. Vgl. Deutsches Kinderhilfswerk e.ÄV. und Aktion Schleswig-Holstein (Hrsg.), Planen mit Phantasie. Zukunftswerkstatt und Planungszirkel für Kinder und Jugendliche, Berlin - Kiel 1996; Landesjugendamt Westfalen-Lippe, JUNEX - junge Experten planen ein Jugendcafé: ein Partizipationsmodell, Münster 1997.

  6. Vgl. Richard Schröder, Kinder reden mit, Weinheim 1995, S. 16.

  7. Rainer Winkel, Der gestörte Unterricht, Bochum 19966, S. 44 ff.

  8. Vgl. Theodor Ballauff, Lehrer sein einst und jetzt, Essen 1985, S. 74.

  9. Die Theorie der Mäeutik bzw. die Theorie der sokratischen Methode besagt, dass der Lehrer einer Hebamme gleicht. Der Lehrer hilft dem Schüler, Wissen zu entbinden, über das dieser bereits latent verfügt. Vgl. Theodor Ballauff, Systematische Pädagogik, Heidelberg 1962, S. 82; Gustav Heckmann, Das sokratische Gespräch, Frankfurt/Main 1993, S. 13ff; Klaus Prange, Bauformen des Unterrichts, Bad Heilbrunn/Obb. 1986, S. 29; Martin Wagenschein, Verstehen lehren, Weinheim-Basel 19827, S. 113 ff.

  10. z. B. Manfred Bönsch, Methoden des Unterrichts, in: Leo Roth (Hrsg.), Pädagogik, München 1994, S. 724.

  11. "Ziel der Arbeit in Zukunftswerkstätten ist," so Robert Jungk und Nobert R. Müllert, "jeden interessierten Bürger in die Entscheidungsfindung miteinzubeziehen, die sonst nur Politikern, Experten und Planern vorbehalten ist. Wir wollen dem Einzelnen Mut machen und ihm zeigen, dass er durchaus über große Ziele mitreden kann. Denn auch seine Erfahrungen und die daraus erwachsenden Wünsche sind für die Gestaltung der Zukunft wichtig." Robert Jungk/Norbert R. Müllert, Zukunftswerkstätten, München 1989, S. 17.

  12. Vgl. ebd., S. 147 f.

  13. Vgl. auch ebd., S. 149.

  14. Entsprechende Beschreibungen zur Moderationsmethode in Beteiligungsaktionen mit Kindern und Jugendlichen finden sich z. B. in einer Publikation des Deutschen Kinderhilfswerks und des Ministeriums für Frauen, Jugend, Wohnungs- und Städtebau des Landes Schleswig-Holstein. Vgl. Deutsches Kinderhilfswerk 1996 (Anm. 5) , S. 26.

  15. Vgl. Landesjugendamt Westfalen-Lippe (Anm. 5), S. 48 u. 52.

  16. Dies wird nicht nur in dem ursprünglichen sokratischen Verfahren sichtbar, das durch Platons "Menon" überliefert ist. Auch in den Ausführungen von Martin Wagenschein, einem zeitgenössischen Hauptvertreter des sokratischen Verfahrens, wird vorausgesetzt, dass der Gedankengang letzten Endes auf ein Ziel zusteuert, das der Pädagoge von Anfang an im Blick hat. Vgl. M. Wagenschein (Anm. 9), S. 93, 114.

  17. So unterstreicht z. B. Heinrich Oberreuter, dass Pluralismus, Streit und Machtkampf als wesentliche Elemente in politischen Vorgängen mitenthalten sind. Vgl. Heinrich Oberreuter, Defizite der Streitkultur in der Parteiendemokratie, in: Ulrich Sarcinelli (Hrsg.), Demokratische Streitkultur, Bonn 1990, S. 78 f.

  18. Vgl. Landesjugendamt Westfalen-Lippe (Anm. 5), S. 48 u. 52.

Dr. phil., geb. 1961; Professor für Erziehungswissenschaft an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (FH).

Anschrift: HTWK Leipzig, Fachbereich Sozialwesen, Postfach 30 00 66, 04251 Leipzig.

Veröffentlichungen u. a.: Wie souverän urteilt der Souverän?, in: Politisches Lernen, 16 (1998); Erwachsenenbildung im Informationslabyrinth. Theorien, Methoden und Materialien für die politische Bildung, Dresden 1998.