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Der schwierige gesamtdeutsche Umgang mit der DDR-Geschichte | DDR-Geschichte | bpb.de

DDR-Geschichte Editorial Der schwierige gesamtdeutsche Umgang mit der DDR-Geschichte Memoiren aus dem Stasi-Milieu Das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik in der SBZ/DDR von 1945 bis 1961 Von der Volkserhebung zum Mauerbau

Der schwierige gesamtdeutsche Umgang mit der DDR-Geschichte

Christoph Kleßmann

/ 8 Minuten zu lesen

Das Interesse an der DDR-Geschichte ist gewissen Schwankungen unterworfen. Gleichfalls stellt sich die Frage, wie man mit ihr korrekt umgehen solle?

I. Abschnitt

Dass die DDR nach ihrem Ende größere öffentliche Aufmerksamkeit gefunden hat als zu ihren Lebzeiten, ist zu Recht häufig betont worden. Aber das allgemeine Interesse hat ein Jahrzehnt nach der deutschen Vereinigung abgenommen. Die Konjunktur der Beschäftigung mit der DDR-Geschichte verzeichnet einen Abschwung, wenn auch noch keine Rezession. Angesichts einer fast unüberschaubaren Zahl von Publikationen und Forschungsprojekten sind gewisse Ermüdungserscheinungen unübersehbar. Die beiden Enquete-Kommissionen des Deutschen Bundestages zur "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur" und zur "Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit" haben ein riesiges Material an Zeitzeugenbefragungen und Expertisen zu nahezu allen Bereichen der DDR-Geschichte zu Tage gefördert und damit auch dokumentiert, dass sich die fatale Verzögerung einer intensiven politischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur in Westdeutschland nicht wiederholen sollte. In Teilen der ostdeutschen Öffentlichkeit entstand aber zugleich der Eindruck, hier säßen Westdeutsche über die Geschichte der Ostdeutschen zu Gericht. Dieser Eindruck war ohne Zweifel falsch, hatten doch gerade ostdeutsche Bürgerrechtler und Bürgerrechtlerinnen das Zustandekommen der Enquete-Kommissionen wesentlich angestoßen und ihre Schwerpunkte und Debatten geprägt. Dennoch gab es ein verbreitetes Unbehagen und eine nachlassende Resonanz.

Konjunkturen sind aber labile Größen. Die Neubildung des Berliner Senats mit Tolerierung durch die PDS, die gewundenen und halbherzig wirkenden Erklärungen der PDS zum Mauerbau, schließlich das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts in Sachen Stasi-Akten über Helmut Kohl haben plötzlich wieder die Aufmerksamkeit der Medien gesteigert und der DDR-Geschichte erneut politische Aktualität verliehen. Zwar ist die Geschichte des zweiten deutschen Staates nicht in ähnlicher Weise wie die des "Dritten Reichs" eine "Vergangenheit, die nicht vergehen will", und sie hat auch keinen vergleichbaren Historikerstreit ausgelöst wie den des Jahres 1986. Die inhaltlichen Dimensionen sind zu verschieden. Dennoch bestimmen die Nachwirkungen der SED-Diktatur mental und politisch in erheblichem Ausmaß die Gegenwart. Geschichtswissenschaft und Zeitgeschichte insbesondere waren und sind immer anfällig für politische Instrumentalisierung. Der bereits mit harten Bandagen begonnene Berliner Wahlkampf macht das erneut deutlich. Der 40. Jahrestag des Mauerbaus ist in der früher brutal zerschnittenen Stadt ein Thema, das geradezu politische Konfrontation herausfordert. Der Satz des PDS-Vostandsmitglieds Peter Porsch von der friedenserhaltenden Rolle des Mauerbaus, wie isoliert er auch immer aus einem kritischen Gesamttext zitiert wurde, ist so absurd, dass er keine weitere Diskussion lohnte, schiene dahinter nicht ein Stück vergangener SED-Interpretation auf, deren Wirkung offensichtlich immer noch nicht ganz verschwunden ist. Die PDS-Führung hat das Grenzregime der DDR dann zwar als "inhuman" verurteilt, eine Entschuldigung für den Mauerbau jedoch abgelehnt.

Entschuldigungen für historische Ereignisse und Vorgänge sind in jüngster Zeit en vogue. Ob sie ein angemessenes Instrument im Umgang mit einer schwierigen Vergangenheit sind, lässt sich durchaus bezweifeln, weil die Gefahr einer Ritualisierung nicht von der Hand zu weisen ist. Andererseits ist nicht zu leugnen, dass etwa die Entschuldigung des Papstes für die Haltung der Katholischen Kirche gegenüber den Juden oder die kürzlich vorgetragene Entschuldigung des Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft (in Anwesenheit von noch lebenden Opfern) für medizinische Experimente der Vorgänger-Institution an Menschen in Osteuropa politisch bedeutsame Gesten sind. Dass sich die PDS jetzt schwer tut, hat aber wohl weniger mit durchaus diskutablen grundsätzlichen Vorbehalten zu tun, sondern eher mit dem Dilemma, das sich bereits bei der Entschuldigung zur Zwangsvereinigung von KPD und SPD 1946 gezeigt hat. Die dezidiert kritische Position der Führung fand nur ein sehr geteiltes Echo bei der Basis der Parteimitglieder und löste im Gegenzug Forderungen nach Entschuldigungen für sozialdemokratisches Verhalten gegenüber Kommunisten in der Weimarer Republik aus. Wie auch immer die Berechtigung solcher Forderungen zu beurteilen ist, die Kette von Entschuldigungen führt schnell in Sackgassen. Vorstandserklärungen können begründete Zweifel daran, dass die PDS in der parlamentarischen Demokratie wirklich angekommen ist, solange nicht ausräumen, wie diese nicht von einer breiten Mehrheit mitgetragen werden. Eben das scheint auch im Hinblick auf das historische Urteil über den Mauerbau der Fall zu sein. Alte Rechtfertigungsstrategien scheinen hier nachzuwirken, auch wenn die groteskeste Form eines Legitimationsversuchs durch die monströse Wortschöpfung vom "antifaschistischen Schutzwall" selbst auf dem äußersten linken Flügel aus dem Verkehr gezogen ist. Ein glaubwürdiger Umgang mit der SED-Vergangenheit muss anders aussehen und breiter ansetzen. Hinweise auf den Kalten Krieg erklären vieles, aber er kann nicht als "Deus ex Machina" konkret benennbare politische Verantwortlichkeiten beiseite schieben.

II. Abschnitt

Der Umgang mit der DDR-Geschichte ist aber nicht nur eine Sache der Täter und Opfer der Diktatur. Die ganze deutsche Nachkriegsgeschichte steht zur Debatte. Ihr westdeutscher Teil gehört dazu. Wir wissen heute deutlicher als früher, wie eng beide Teile trotz staatlicher Trennung verflochten waren. Auch die getrennten Forschungsdisziplinen in Zeitgeschichte und Politikwissenschaft haben dazu beigetragen, dass der Blick auf das Trennnende und Eigenständige stärker ausgeprägt war als der auf das Gemeinsame oder die spezifischen Formen der wechselseitigen Beeinflussung. Die suggestive Formel von der "unterwanderten Republik", die vor allem die Westarbeit der SED und die Infiltrationsversuche der Stasi beinhaltet, ist für diesen Sachverhalt völlig unzureichend, weil diese Art von Einfluss in seiner tatsächlichen Bedeutung eher marginal zu bewerten ist. Auch der Verweis auf das tatsächlich und vermeintlich "schiefe DDR-Bild" im Westen gibt nur einen Teilaspekt des Problems wieder. Ohne Zweifel gab es seit den achtziger Jahren eine intensivierte öffentliche Debatte in der Bundesrepublik um die deutsche Nation und die Identität der Deutschen. Diese Debatte konnte kaum verdecken, dass sich beide Teile - freiwillig oder gezwungen - in ihrer jeweiligen Doppelhaushälfte eingerichtet hatten. Ob sich die Deutschen als "Nation ohne Haus" fühlten, lässt sich füglich bezweifeln. Nicht nur demoskopische Befunde sprechen dagegen. Auch die Historiographie bestärkte diesen Zweifel.

Verschiedene Generationen haben die Trennung auf verschiedenen Ebenen unterschiedlich erlebt, aber alle sind davon geprägt worden. Aber die DDR war ein Staat ohne jede demokratische und zugleich ohne nationale Legitimation. Diese elementare Tatsache ist in der alten Bundesrepublik bisweilen in Vergessenheit geraten. Die DDR konnte nur in Abgrenzung von ihrem westdeutschen Gegenüber existieren und war doch historisch und ökonomisch eng mit ihm nolens volens verbunden. Der wechselseitige Bezug war zu allen Zeiten asymmetrisch. Die Bundesrepublik konnte problemlos ohne die DDR existieren. Auch im nachlassenden nationalen Interesse der jüngeren westdeutschen Generationen an der DDR spiegelte sich das. Der Umkehrschluss galt nie. Sowohl für die Machtelite wie für die Bevölkerung der DDR bildete die Bundesrepublik stets eine Referenzgesellschaft, mit der man sich aggressiv auseinander setzte oder an der man sich insgeheim in seinen materiellen und politischen Wünschen zumindest partiell orientierte. Gerade in den siebziger und achtziger Jahren, als die Kommunikation zwischen beiden Staaten und Gesellschaften wieder dichter wurde und die Information über das West-Fernsehen praktisch zum Alltag der DDR gehörte, ist dieser Sachverhalt ungeachtet begrenzter Loyalität zum eigenen, ungeliebten Staat unübersehbar. Trotz dieser ausgeprägten Asymmetrie sind bestimmte Prägungen der inneren Entwicklung und der politischen Kultur der alten Bundesrepublik ohne die Nachbarschaft und den "Anschauungsunterricht" durch eine kommunistische Diktatur jenseits der Grenze nicht zu verstehen. Die spezifischen Formen und Blockaden der kritischen Auseinandersetzung mit der gemeinsamen NS-Vergangenheit gehören zu den signifikantesten Beispielen. Zahllose andere ließen sich nennen und bedürfen vielfach noch intensiverer empirischer Erforschung.

In der langen Geschichte der Aufarbeitung der NS-Diktatur hat Martin Broszat 1983 die programmatische Forderung einer "Historisierung" formuliert. Sie ist oft als Relativierung missverstanden worden. Sie zielte jedoch auf einen Zugang, der das zentrale Paradoxon von unvorstellbaren Verbrechensdimensionen und alltäglicher Normalität, von kritischer Strukturanalyse und vielfach quer liegender Erfahrungsgeschichte erfassen und beide Elemente miteinander verbinden wollte. "Die lautstarke Distanzierung, die so lange erfolgte und noch geschieht", schrieb Broszat 1983, "muss verträglich gemacht werden mit einer recht verstandenen historischen Aneignung dieser Zeit, die kritisches und verstehendes Vermögen verbindet." Dieser Zugang ist für die in ihren Dimensionen viel unbedeutendere SED-Diktatur nicht minder aktuell. Die nach 1989 wieder heftig aufgeflammte Debatte um Totalitarismus und totalitäre Systeme war vielleicht unvermeidlich, um notwendige Korrekturen am "schiefen DDR-Bild" anzubringen. Ihre Reichweite war jedoch sehr begrenzt. Schon die neuere sozialgeschichtliche NS-Forschung hat die "Grenzen der Diktatur" und damit auch die Verantwortung breiter Teile der Bevölkerung deutlich gemacht. Für die viel langlebigere DDR ist die Forderung nach "Historisierung" nicht weniger wichtig.

Plakative Kennzeichnungen wie "Unrechtsstaat" und "Totalitäre Diktatur" zur Delegitimierung eines untergegangenen politischen Systems sind verständlich, sie vermögen jedoch komplexe moderne Staatsgebilde kaum angemessen auf den Begriff zu bringen. Sie haben zudem geringe Chancen auf breite Akzeptanz, weil gerade in den letzten Jahrzehnten der DDR-Erfahrungsgeschichte andere Akzente und deutlichere Differenzierungen gefordert sind. Die in ihrem Umfang erst nachträglich bekannt gewordenen und perverse Phantasien überbietenden Aktivitäten der Stasi sind eben nur die eine Seite der DDR-Geschichte. Daneben gab es nicht nur für Oppositionelle und Dissidenten auch vielfältige Formen eines "richtigen Lebens im falschen System", bürokratische Normalität mit hoher sozialer Sicherheit und opportunistisches Arrangement als Preis für die individuelle Nische. Der von Konrad Jarausch vorgeschlagene Begriff der "Fürsorgediktatur" vermag hier, auch wenn er kaum für die gesamte DDR-Zeit passt, eher die konstitutive Widersprüchlichkeit vom Zwangscharakter kommunistischer Utopie und egalitärem, patriarchalischem Sorgewillen zumindest für die Ära Honecker zu charakterisieren. Die Grauzonen des Lebens in der Diktatur, die Veränderung von Herrschaft durch soziale Praxis, die Formen eigen-sinnigen Umgangs mit den Zumutungen des Regimes sind neben offener und verdeckter Repression ebenfalls wesentliche Elemente der Erfahrung der Betroffenen. Sie sind auch die spannenden Aspekte einer um Komplexität, Differenzierung und breitere Akzeptanz bemühten sozial- und kulturgeschichtlichen DDR-Forschung. Der schnelle Beginn und die Intensität der wissenschaftlichen und publizistischen Beschäftigung mit der DDR-Geschichte legen es nahe, sich früher auf einen Zugang, wie ihn Broszat für das "Dritte Reich" gefordert hat, einzulassen. Methodisch und politisch lässt sich hier sehr direkt aus der Geschichte des Umgangs mit der NS-Geschichte lernen, zumal der Ost-West-Konflikt zu Ende ist und keine mentalen Barrieren des Kalten Krieges einer kritischen Differenzierung, aber auch einer wirksamen politischen Aufklärung im Wege stehen sollten.

Die Neukonzeption der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte, die weder Separat- noch ideologisierte gesamtdeutsche Nationalgeschichte ist, steht noch aus. Einige gelungene Versuche wie die von Peter Graf Kielmansegg existieren bereits, wenngleich der Blick des Autors unverkennbar ein westdeutscher ist. Wie die Geschichte der DDR als Entwicklung ohne Zukunft mit der bundesrepublikanischen Geschichte als einer im wesentlichen erfolgreichen Demokratiegründung zu verklammern ist, dürfte noch lange ein wesentlicher Diskussionsgegenstand für Historiker sein. Über die deutsch-deutsche Komponente hinaus gehört zu einem kritischen Umgang mit der Vergangenheit der SED-Diktatur aber auch eine Erweiterung des Blicks nach Ostmitteleuropa. Die DDR war Teil des sowjetischen Imperiums, ihre Geschichte lässt sich aber kaum mit dem in den fünfziger Jahren dominanten Begriff der Sowjetisierung hinreichend erfassen. Gerade vergleichende Studien zu Einheit und Vielfalt im "Sowjetblock", der im Grunde nie ein wirklicher Block war, aber lange Zeit so wahrgenommen wurde, können die spezifischen Züge der DDR im Spannungsfeld zwischen deutscher Tradition, westdeutschem Magnetfeld und Imperativen der östlichen Vormacht schärfer konturieren.

Dr. phil., geb. 1938; Professor für Zeitgeschichte an der Universität Potsdam, Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung, Potsdam.

Anschrift: Zentrum für Zeithistorische Forschung, Am Kanal 4/4a, 14467 Potsdam.

Veröffentlichungen u. a.: Die stilisierte Klasse - Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Entstehungsphase der DDR, in: Archiv für Sozialgeschichte, 39 (1999); (Hrsg. zus. mit B. Stöver) 1953 - Krisenjahr des Kalten Krieges in Europa, Köln-Weimar-Wien 1999.