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Rapkultur und Politik | Rap | bpb.de

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Rapkultur und Politik Eine US-amerikanische Geschichte

Jeffrey O.G. Ogbar

/ 18 Minuten zu lesen

Seit seiner Entstehung in der New Yorker South Bronx in den 1970er Jahren war Rap als "schwarze Kunstform" von Natur aus stark politisch aufgeladen. Die Willensbekundung und Mobilisierung mithilfe von Rap hat im Laufe der Zeit verschiedene Formen angenommen.

HipHop setzt sich laut traditioneller Definition aus vier Elementen zusammen, die von vier Rollen verkörpert werden: dem DJ (oder Turntablist), dem Rapper (oder Master of Ceremony, im Folgenden MC), dem B-Boy/B-Girl (oder Breakdancer) und dem Graffiti-Writer. Historisch gehen diese vier Elemente auf die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Wirren der frühen 1970er Jahre und die South Bronx in New York City zurück. Offiziell erfasst wurden sie im November 1973 von der ersten HipHop-Organisation, der Universal Zulu Nation. Der Name dieser Organisation – in erster Linie eine Art Kulturverein junger Leute – spiegelt den fundamentalen politischen Einfluss und die kulturelle Wirkung der Black-Power-Bewegung wider, die ihren Höhepunkt erlebte, als sich HipHop noch im Anfangsstadium befand.

Black Power und HipHop

Wie alle kulturellen Phänomene geht HipHop auf eine Reihe komplexer und vielschichtiger Entwicklungen zurück, zu denen über die Musik hinaus der kühne, respektlose Stil, das Selbstbewusstsein und die Prahlerei gehörten, die den zu jener Zeit berühmtesten Schwarzen der Welt auszeichneten: den Schwergewichtschampion Muhammad Ali.

Ali, sichtbarstes Mitglied der größten schwarzen nationalistischen Organisation in den Vereinigten Staaten, der Nation of Islam, trat als Schüler von deren Sprecher Malcolm X in Erscheinung. Hellsichtig merkte dieser an, dass Ali dadurch, dass er Champion geworden war, die weit verbreiteten Darstellungen von Schwarzen als Menschen ohne Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein und Kampfgeist ad absurdum führe. Denn der Boxkämpfer sei "das genaue Gegenteil von allem, was charakteristisch für das Neger-Image war. Er behauptete, er sei der Größte." Ali bereitete den Urhebern von popkulturellen Karikaturen des unterwürfigen Schwarzen Kopfzerbrechen, weil "es nun Schwarze gab, die die Straße entlang gingen und behaupteten ‚Ich bin der Größte‘".

Dem HipHop-Forscher Imani Perry zufolge verkörperte Ali "eine der Grundvoraussetzungen für das explosionsartige Vordringen des HipHop, einer künstlerischen Variante traditioneller schwarzer Kulturformen, in die amerikanische Popkultur". Der Zeitgeist, der unter jungen Schwarzen in den Vereinigten Staaten der frühen 1970er Jahre herrschte, war derart, dass sie nicht nur explizit das Schwarzsein feierten, sondern auch von Ali inspiriertes Selbstvertrauen, großspuriges Auftreten sowie Respektlosigkeit gegenüber kulturellen Konventionen an den Tag legten. Im Verbund mit der breiter gefassten Ästhetik der Black Arts, einer Bewegung, zu der verschiedene Musikgenres zählten, war Ali das Erfolgsrezept für die kulturelle Grundlage des HipHop, auch wenn die neue Kunstform nicht explizit politisch engagiert war.

Tatsächlich wurde HipHop auch von afroamerikanischen Musikgenres mit langer Tradition beeinflusst, von Jazz über Rock und Disco bis hin zu Funk. Doch was hier von einer Generation zur nächsten weitergegeben wurde, war mehr als Musik. Wie der Kulturwissenschaftler Reiland Rabaka schreibt, "haben HipHopper, wenngleich unbewusst, sowohl die kulturelle Ästhetik als auch die konservative, liberale und radikale Politik früherer afroamerikanischer Kulturästhetik sowie anderer gesellschaftspolitischer Bewegungen geerbt". Tatsächlich ging es bei dieser neuesten Erscheinungsform schwarzer Kulturproduktion um mehr als Gesang und Tanz. Unter Anspielung auf Amiri Barakas klassische Studie über afroamerikanische Musik, "Blues People" von 1963, merkt Rabaka an, dass "schwarze Musik schon immer mehr als nur Musik gewesen ist. Sie ist die Musik der Ausgegrenzten und Verstoßenen, die (…) dunklen Rhythmen des Hervortretens aus den Schattenseiten von und den Verbannungen in Amerika."

Diese Vorstellung, dass schwarze Musik die Erfahrungen Schwarzer anspricht – sich durch unwirtlichen Raum zu bewegen, gegen Ignoranz und Hass anzukämpfen und sich zugleich Freiräume für Freude und Schönheit zu erkämpfen –, macht HipHop gewissermaßen von Natur aus politisch. Das Zelebrieren von schwarzer Freude, Kreativität, Erneuerung und schwarzem Menschsein in einer darauf fokussierten Kunstform ist ein subversiver, gegenhegemonialer politischer Akt. Aus diesem Grund ist HipHop seit seinen Anfängen mit der Black Community verbunden.

Afroamerikaner teilen mehr als jede andere Bevölkerungsgruppe in den Vereinigten Staaten eine politische Prägung. Während Weiße politische Verhaltensmuster zeigen, die sich traditionell je nach Wohnort, Bildungsniveau, Alter und Geschlecht deutlich voneinander unterscheiden, wählen Afroamerikaner in ihrer überwältigenden Mehrheit links von der Mitte. Politikwissenschaftler bezeichnen dieses Phänomen als "verknüpftes Schicksal": Demzufolge ist für Afroamerikaner die ökonomische, kulturelle und soziale Landschaft der Nation so stark von Rassenzugehörigkeit beeinflusst, dass die Black Community nicht entlang unterschiedlicher Interessen in Klassen-, regionale oder geschlechtsspezifische Gruppierungen zerfällt.

Mögen schwarze Milliardäre wie die TV-Moderatorin Oprah Winfrey und der Unternehmer Robert Johnson von Steuerentlastungen für Reiche profitieren, so sind sie doch davon überzeugt, dass Sozialleistungen für die Schwächsten der Gesellschaft dem Allgemeinwohl dienen, wie bessere Bildungschancen, ein umfangreicherer Zugang zur Gesundheitsversorgung, ein höherer Mindestlohn und ein Ende der Masseninhaftierung. Andere links von der Mitte angesiedelte politische Ziele wie Umweltschutz, das Recht auf Abtreibung und die gleichgeschlechtliche Ehe mögen keine Kernanliegen der Black Community sein. Sie lehnt sie aber auch nicht in einer Intensität ab, die ihre Unterstützung progressiver Politik allgemein gefährden könnte.

Vor diesem Hintergrund kann es kaum überraschen, dass sich politische Äußerungen in einer populären schwarzen Kunstform grundsätzlich an einer Politik links der Mitte ausrichten und zuweilen sogar über den typischen Liberalismus hinausgehen, wie er vom Gros der schwarzen politischen Klasse befürwortet wird. Dennoch war Rap anfangs zum großen Teil apolitische Partymusik mit prahlerischem Duktus und eher spärlich geäußerter Gesellschaftskritik, obwohl er in kommerziellen Bereichen ausschließlich von schwarzen Rappern und DJs verkörpert wurde.

"War on drugs" und Politisierung des Rap

Als sich hingegen ab Mitte der 1980er Jahre die Geißel Crack in den Städten ausbreitete, waren die schwarzen Communities Ausgangspunkt für traumatisierende Gewalttaten, den Ausbau des Polizeistaats und Massenverhaftungen. Rap war das erste Genre, das diese Entwicklungen direkt und umfangreich thematisierte, sodass sich die Kunstform in der Folge politisierte.

Seitdem hat der illegale Drogenhandel mit all seinen Verwicklungen unauslöschliche Spuren in der Kernästhetik, dem Stil, der Ikonografie und den Botschaften des HipHop hinterlassen. Tatsächlich war für die lyrische Landschaft des Rap keine Kraft von so herausragender Bedeutung wie der Drogenhandel. Ob Rapper sich nun als MC, Revolutionär, Gangster oder Underground bezeichneten, bei ihren Auftritten bezogen sie sich auf das Thema und verwendeten dabei Tropen, die in der Folge untrennbarer Bestandteil ihrer künstlerischen Identität wurden. Der Drogenhandel im Allgemeinen und der Handel mit Crack im Besonderen wurde ein zentraler, symbolträchtiger Bezugspunkt der HipHop-Authentizität.

Songs wie "8 Million Stories" (1983) von Kurtis Blow und Run-DMC, oder "The Message" (1982) von Grandmaster Flash and the Furious Five thematisierten Drogenhandel, Verbrechen und Verwahrlosung und lieferten abschreckende Beispiele dafür, welch zerstörerische Folgen Sucht, Kriminalität und Armut haben können. Der HipHop trat in eine neue Ausdrucksphase, die einen besonderen Blick auf die soziale und politische Landschaft jener Communities bot, die Rap kultivierten. Dieses Maß an politischer Willensbekundung war in der Popmusik der 1980er Jahre einzigartig. Denn obwohl afroamerikanische Communities durch hohe Arbeitslosenquoten, Armut, Kriminalität und eine neuerliche Drogenplage belastet wurden, schwiegen schwarze Musiker außerhalb der Rapszene zu diesen Themen.

Gegen Ende des Jahrzehnts war die Politisierung des Genres so weit fortgeschritten, dass Rapkünstler sich über das Thema des Drogenhandels hinaus in ihren Songs zunehmend auch mit Bildungspolitik, dem Gesundheitssystem, Polizeigewalt, Apartheid sowie Masseninhaftierung kritisch auseinandersetzten.

Public Enemy 1988 (© Getty Images, Kevin Cummins)

Freiheitskampf versus Nihilismus

Unauslöschlich geprägt wurde das Genre von einer politischen Wende, die 1988 ihren Anfang nahm, als zwei bahnbrechende LPs veröffentlicht wurden: "It Takes a Nation of Millions to Hold Us Back" von der New Yorker Gruppe Public Enemy und "Straight Outta Compton" von N.W.A (Niggaz Wit Attitudes) aus Los Angeles. Zwar waren beide gegenhegemoniale, subversive Stimmen und thematisierten soziale Missstände, ideologisch standen sie jedoch einander gegenüber.

Public Enemy verankerten ihren Stil und ihre Ästhetik explizit in der radikalen schwarzen Tradition. Sie bezogen sich auf schwarze Freiheitskämpfer wie Nelson Mandela, Assata Shakur oder den berühmtesten Anführer von Sklavenaufständen in den Vereinigten Staaten, Nat Turner, und ihr Sicherheitsteam trug Kleidung, die von den Anhängern der Black Panther Party inspiriert war (Abbildung 1).

Demgegenüber zelebrierten N.W.A Prügeleien, Frauenfeindlichkeit sowie nihilistisches Gangster-Draufgängertum, während sie sich wie Mitglieder von Straßengangs in Los Angeles kleideten (Abbildung 2). Zwar scheuten sich N.W.A vor schwarzenfreundlichen Narrativen, mit denen White Supremacy, also die Ideologie weißer Überlegenheit, explizit angeprangert wurde. Doch mindestens zwei Songs der Band – "Fuck tha Police" und "Express Yourself" – strahlten den zunehmend politisch aufgeladenen Geist im Rap aus, der sich nun von prahlerisch daherkommenden Party-Erzählungen löste.

N.W.A 1989 (© Getty Images, Raymond Boyd)

Es waren vor allem die politisch aufgeladenen Songs von Public Enemy, die in der Rapszene auf enormen Widerhall stießen. Die Gruppe veröffentlichte ein ganzes Stück, in dem sie die Schrecken von Crack thematisierten: In dem Song "Night of the Living Baseheads" (1988) spricht Lead-Rapper Chuck D von "shame on a brother", weil er Crack verkauft, und prangert den Blutzoll an, den dieser Handel fordert.

Im Verlauf der beiden folgenden Jahre taten es ihnen Dutzende anderer Rapper gleich. Die Gruppe Brand Nubian blickt in ihrem Track "Slow Down" (1990) ähnlich kritisch auf eine Cracksüchtige und veranschaulicht in ihren Versen, wie fratzenhaft und unattraktiv eine Frau im Laufe ihrer Sucht wird. Diese Songs beschreiben Cracksüchtige unmissverständlich als im schlimmsten Fall ekelhaft und erbärmlich sowie als im besten Fall tragische, schwache und verlorene Seelen. Nirgends wird die Einnahme von Crack romantisiert oder als cool betrachtet, die Droge gilt als zerstörerische Kraft und Plage für die Community.

Anfang der 1990er Jahre entbrannte ein regelrechter ideologischer Wettstreit darüber, wessen subversive Stimme am überzeugendsten war. Dabei setzten sich die musikalischen Nachfahren von N.W.A gegenüber denen von Public Enemy durch. Das Genre, das unter der Bezeichnung "Gangsta-Rap" Bekanntheit erlangte, gewann in den Reihen der weißen Basis von Rapkonsumenten an Attraktivität, während letzteres als "Conscious Rap" bezeichnet wurde, "sozial verantwortungsbewusster Rap, der sich gezielt an historischen Vorbildern politischen Protests und an fortschrittlichen, gesellschaftskritischen Kräften orientiert". Da er sich enger an der Politik des verknüpften Schicksals in der Black Community orientierte, übte Conscious Rap auf weiße Fans weniger Anziehungskraft aus als Gangsta-Rap.

Die Drogennarrative verbanden sich zunehmend mit einer allgemeinen Verurteilung korrupter Institutionen, zu denen die Polizei, das Sozialsystem sowie die Regierung im Allgemeinen zählten. In seinem Song "When Will They Shoot" (1994) konstruiert Ice Cube den Drogenhandel als Erweiterung eines breit angelegten Plans zum Völkermord an Schwarzen und bezichtigt die US-Regierung: "Uncle Sam is Hitler without an oven/Burning our black skin, bomb the neighborhood, then push the crack in."

Gleichzeitig fand eine bemerkenswerte Veränderung in der kommerziellen Rapmusik statt: Apolitische, ohne Flüche auskommende, nicht gesellschaftsfeindliche, nicht sexistische, lebensfrohe Partymusik war wirtschaftlich nicht mehr lebensfähig. Zwei 1990 veröffentlichte LPs, nämlich "To the Extreme" von Vanilla Ice und "Please Hammer Don’t Hurt ’Em" von MC Hammer läuteten diese Entwicklung ein. Ihr beispielloser kommerzieller Erfolg – beide LPs verkauften sich besser als sämtliche Rapalben zuvor – kam dank einer überwiegend weißen Fanbasis zustande. Dies sowie der apolitische Stil, bei dem auf die Krisen im schwarzen Amerika weder mit radikalen Bekenntnissen wie von Public Enemy noch mit nihilistischer Souveränität, wie sie N.W.A zu eigen war, eingegangen wurde, veranlasste die vor allem aus jungen Schwarzen bestehende eingefleischte HipHop-Community zu ätzender Kritik. Verhöhnt und verspottet, wurden Vanilla Ice und MC Hammer zu Symbolen des "Bubblegum-Rap", wie er hämisch bezeichnet wurde.

In der Folge wurde es zunehmend schwierig, als Rapper glaubwürdig zu bleiben, wenn man der Situation von Afroamerikanern keine oder zu wenig Aufmerksamkeit widmete. Dabei war wiederum der Drogenhandel vorrangiger Tropus. Dennoch begann in dieser kritischen Phase der Geschichte des kommerziellen HipHop eine Diskrepanz zwischen den zentralen politischen Anliegen der Black Community und dem, was kommerzielle Rapkünstler artikulierten, hervorzutreten.

Marginalisierung des Politischen

Mitte der 1990er Jahre hatte sich die Art der politischen Willensbekundung im Rap weiterentwickelt, während das Genre selbst immer beliebter wurde und ein größer werdendes Segment weißer Konsumenten für sich gewinnen konnte. The Notorious B.I.G., Lil’ Kim, Jay-Z, Too Short, Three 6 Mafia, Snoop Dogg, Dr. Dre sowie zahlreiche andere veröffentlichten vielerlei Songs, in denen es darum ging, wie der Drogenhandel Menschen zu Reichtum verhalf, vermischt mit frauenfeindlich geprägten Tropen, Erzählungen von der Ermordung von "Niggas" und einem allgemeinen Schweigen in Bezug auf White Supremacy.

In den Texten von The Notorious B.I.G. kamen radikale nationalistische Positionen, wie sie etwa bei Ice Cube, Brand Nubian oder X-Clan zu hören waren, ebenso wenig vor wie revolutionäre Standpunkte à la The Coup, Paris oder Public Enemy. Stattdessen verkündeten sie, verpackt in effektvoller lyrischer Gewandtheit, zutiefst frauenfeindlichen Versen und hervorragender musikalischer Produktion, schlichtweg die Kapitulation vor den Verhältnissen in den Ghettos.

Und während sich "Biggies" Tendenz, das Dealen mit Crack zu verherrlichen, von den Rändern in das Zentrum der HipHop-Drogenthemen schob, rückten Motive an den Rand, die den Drogenhandel als zerstörerische Kraft für Schwarze behandelten. Diese Marginalisierung politisch subversiver Texte war in gewissem Maße Folge eines beispiellosen Drucks seitens verschiedener Fangemeinden, die sich gegen Rap wandten, in dem explizit die Polizei als rassistisch oder Politiker als korrupt attackiert wurden.

Dem HipHop-Forscher Murray Forman zufolge "sträubten sich große Plattenfirmen häufig dagegen, Musiker mit explizit politisierter Haltung unter Vertrag zu nehmen, und gaben entweder zu verstehen, die Thematik sei zu eng auf kulturelle Belange von Schwarzen ausgelegt und drohe den weit größeren weißen Verbrauchermarkt abzuschrecken, oder sie äußerten dahingehend Bedenken, dass die aufrührerischen Texte des politischen Conscious Rap den Zorn konservativer Kulturhüter oder Politiker auf sich ziehen könnten und dadurch die Reputation des Labels aufs Spiel gesetzt würde". Rapper wie Paris, die revolutionäre Politik befürworteten, sowie Public Enemy wurden entweder von ihren Labels fallen gelassen, oder man rangierte ihre LPs aus beziehungsweise verbannte ihre Videos aus dem Musikfernsehen.

Repolitisierung im neuen Jahrtausend

Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts nahm die politisierte Haltung im HipHop wieder Fahrt auf. Die Präsidentschaft von George W. Bush von 2001 bis 2009 ließ bei vielen Menschen neuerliche Frustrationen aufkommen, da seine Amtszeit von Krieg, Völkerrechtsverstößen, wachsender Arbeitslosigkeit und Armut, einer Staatsverschuldung in Rekordhöhe, finanziellen Zusammenbrüchen, Kriminalität und Obdachlosigkeit geprägt war. Darüber hinaus wurde der Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung eingeschränkt, während die reichsten Amerikaner zugleich von Steuererleichterungen profitierten. Nach dem erschreckend inkompetenten Umgang mit den verheerenden Verwüstungen an der Golfküste nach Hurrikan Katrina 2005 fiel Bushs Beliebtheitswert auf unter 40 Prozent und erlitt mit zwei Prozent unter schwarzen Amerikanern völlig Schiffbruch.

Als 2003 zwischen 12 und 15 Millionen Menschen weltweit auf die Straße gingen, um gegen den Einmarsch der USA im Irak zu protestieren, waren Rapper die ersten Mainstream-Musiker, deren explizite Antikriegssongs im Radio und Fernsehen in die Rotation übernommen wurden. Zu den bekanntesten gehören "Beware of the Boys" (2003) von Panjabi MC und Jay-Z sowie "Mosh" (2004) von Eminem.

Ein weiterer Protestsong war der Remix "Why" (2004), in dem der Rapper Jadakiss vor dem Hintergrund der Terroranschläge des 11. September 2001 fragte "Why did Bush knock down the towers?" und der Chicagoer MC Common, der als erster bedeutender MC Barack Obama unterstützte, den jungen, ebenfalls aus Chicago stammenden Politiker nach dessen programmatischer Rede auf der Versammlung der Demokratischen Partei im Juli 2004 als Alternative zu Bush vorschlug: "Why not impeach [Bush] and elect Obama?"

Was nach außen hin eine überzogene, für die Vermessenheit des HipHop charakteristische Frage zu sein schien, war in Wirklichkeit Ausdruck des kühnen und kompromisslosen politischen Stils, mit dem die Unterstützung für Obama bereits sehr früh deutlich artikuliert wurde – Monate bevor dieser zum Senator gewählt und landesweit bekannt wurde.

Während die Weichen für eine klare Abkehr vom bisherigen politischen Kurs gestellt waren, formierte sich landesweit die dazugehörige zivilgesellschaftliche Bewegung. Gruppen wie die "League of Pissed off Voters" und andere Basisorganisationen registrierten Wählerinnen und Wähler und riefen sie dazu auf, den Wahlvorgang und die für ihre jeweilige Community wichtigsten Themen aufmerksam zu verfolgen. Einige davon nutzten HipHop als Kommunikationsmittel, um junge Menschen anzusprechen.

HipHop-Größen P. Diddy, Mary J. Blige, Jay-Z und Beyoncé Knowles auf einer "Promote the Vote"-Party 2008 (© Getty Images, Jeff Fusco)

HipHop, Obama und die Mobilisierung der Millennials

2003 gründete eine Gruppe von Aktivisten die National HipHop Political Convention (NHPPC). Ihr Ziel war es, über verschiedene Medienkanäle für progressive Agenden zu begeistern, die Rassismus, Sexismus, Armut, Masseninhaftierung und Krieg thematisierten. Die Gruppe war eine von mehreren, für die HipHop unverkennbar Dreh- und Angelpunkt ihrer Organisationsbemühungen war. Bei ihrem ersten Treffen kamen mehr als 3000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem ganzen Land zusammen, um eine nationale politische Agenda für die sogenannte HipHop-Generation aufzustellen.

In den Reihen der Mitbegründer stach die Journalistin Rosa Clemente als freimütige und leidenschaftliche Figur hervor. Besonders bemerkenswert war ihre Berichterstattung über die verheerenden Folgen des Hurrikans Katrina und die nachlässige Reaktion der US-Regierung. Tatsächlich hallte das Debakel besonders in der HipHop-Community nach: Fat Joe, Lil Wayne, Mos Def und zahlreiche andere Rapper sprachen das Thema in Songs sowie im Rahmen von Spendenaktionen an, und der in Mississippi beheimatete Rapper David Banner sponserte am 17. September 2005 in Atlanta zur Unterstützung der Opfer das größte jemals in einer Stadt abgehaltene Benefizkonzert.

Als Obama 2008 Präsidentschaftskandidat der Demokraten und Liebling der HipHop-Millennials sowie der HipHop-Generation insgesamt wurde, lud die NHHPC zu einer landesweiten Versammlung in Las Vegas neben Journalisten, Wissenschaftlern und Aktivisten eine beeindruckende Vielfalt an HipHop-Künstlern ein. Obgleich Obamas aufsteigender Stern sich als unglaublich inspirierend für eine Generation von Menschen erwies, die sich einen schwarzen Präsidenten im Leben nicht erträumt hatten, wurde er dort offen und die "Obamania" verhalten kritisiert. Trotz seiner Wurzeln als aktives Mitglied seiner Community, seiner Antikriegsreden und seiner allgemein als liberal geltenden Linie betonten einige Teilnehmer der Versammlung, Obama sei kein Allheilmittel für die Probleme unterdrückter Menschen.

Das HipHop Summit Action Network (HSAN) veranstaltete in dieser Zeit ebenfalls zahlreiche landesweite Treffen. Das Netzwerk bot eine wichtige Plattform für den Dialog zwischen Popkultur und Politik, wie es sie zuvor nicht gegeben hatte. Die Organisation beschränkte sich ideologisch nicht auf eine explizit "schwarze" Agenda, sondern bildete eine breite Plattform für junge Leute und die HipHop-Generation im weiteren Sinne. Obwohl Rassenzugehörigkeit kein ideologischer Eckstein für die Agenda des Netzwerks war, wurde sie von den Sorgen und Anliegen in afroamerikanischen Communities beeinflusst. "Ich halte es nicht für effektiv, sich rund um das Thema Schwarzsein zu organisieren. Ich halte es für effektiv, sich rund um die Themen Klassenzugehörigkeit, Bildung und Strafrecht zu organisieren – Dinge, die im Übermaß auf uns einwirken, weil wir schwarz sind", brachte es der Politikwissenschaftler und HSAN-Unterstützer Alexis McGill auf den Punkt.

Das erwies sich in der Tat als wirkungsvoll: Gegen Ende der 2000er Jahre trotzten junge Afroamerikaner dem Klischee, wenig mehr als politisch teilnahmslose, staatsbürgerlich unbeteiligte Zyniker zu sein. Das Center for Information and Research on Civic Learning and Engagement meldete, afroamerikanische Jugendliche seien "die am stärksten politisch engagierte Rassen- beziehungsweise ethnische Gruppe. Im Vergleich zu anderen Gruppen gehen Afroamerikaner am ehesten regelmäßig zur Wahlurne, gehören Gruppierungen an, die sich mit Politik befassen, spenden Kandidaten und Parteien Geld, tragen Buttons oder Abzeichen und informieren sich in den Medien."

Die Mobilisierung von HipHop-Millennials durch Basisorganisationen wie HSAN oder auch The League, die von P. Diddy ins Leben gerufene Initiative Citizen Change sowie Conquering Human Rights Action Needed Global Empowering (CHANGE) oder durch Campusorganisationen wie dem HipHop Congress spielte eine wesentliche Rolle für die Registrierung von Millionen junger Leute als Wählerinnen und Wähler. Im Gegensatz zu jedem zuvor geführten Wahlkampf sprach Obamas Kampagne die HipHop-Generation an, und diese reagierte begeistert.

Rapper Vince Staples und Jay Electronica mit den Eltern von Michael Brown, Michael Brown Sr. und Lesley McSpadden, sowie Rapper Common bei der Verleihung der BET HipHop Awards 2014 (© Getty Images, Prince Williams)

Black lives matter

Doch erst nachdem Obama zum US-Präsidenten gewählt worden war, kam es zum deutlichsten Ausdruck der Überschneidung von Graswurzelaktivismus und HipHop, als sich nach dem Freispruch des Wachmanns George Zimmerman nach der Tötung des unbewaffneten 17-jährigen Afroamerikaners Trayvon Martin 2013 die Bewegung Black Lives Matter formierte. Landesweit und international bekannt wurde sie, nachdem 2014 in der Kleinstadt Ferguson im Bundesstaat Missouri ein weißer Polizeibeamter den ebenfalls unbewaffneten 18-jährigen Schwarzen Michael Brown erschoss, kein Verfahren gegen ihn eingeleitet wurde und es zu monatelangen Unruhen und Demonstrationen gegen rassistisch motivierte Polizeigewalt kam.

Zahlreiche Rapper haben sich seitdem mit Black Lives Matter auseinandergesetzt. MCs wie Jeezy, Nelly, Talib Kweli und The Game besuchten Orte wie Ferguson. J. Coles Song "Be Free" thematisierte den gewaltsamen Tod von Michael Brown. The Game veröffentlichte den Song "Don’t Shoot" (2014) mit einer All-Star-Besetzung aus diversen Rappern, darunter Yo Gotti, 2 Chainz, Rick Ross, Fabolous. In diesem Song werden die Namen von unbewaffneten Schwarzen aufgeführt, die durch Polizeigewalt zu Tode kamen, ohne dass die Verantwortlichen für schuldig befunden wurden – etwa Sean Bell, auf den an seinem Hochzeitstag im Jahr 2006 Polizisten 50 Kugeln abfeuerten, oder Ezell Ford, dem 2014 ein Beamter in den Rücken schoss. Er kommt sogar auf den 14-jährigen Emmett Till zu sprechen, dessen Ermordung 1955 ein Auslöser für die moderne Bürgerrechtsbewegung war.

2015 feierte der Rapper Kendrick Lamar mit seinem sozialkritischen Album "To Pimp a Butterfly", in dem er sich unter anderem mit schwarzer Identität und Rassismus auseinandersetzt, einen herausragenden Erfolg. Auf Protestmärschen und Veranstaltungen von Black Lives Matter singen die Teilnehmer den Song "Alright" oder skandieren die Zeile "We gon’ be alright".

Das Powerduo der Musikbranche, Jay-Z und Beyoncé, gilt als wichtiger Sponsor von Black Lives Matter. Die beiden stellen nicht nur umfangreiche Mittel zur Verfügung, sondern zahlen auch die Kaution, um Leute aus dem Gefängnis zu holen, die nach den Protesten in Ferguson und Baltimore inhaftiert wurden. Jay-Z hatte bereits 2008 einen Ausbildungsfonds für die Kinder von Sean Bell eingerichtet. Von der Verleihung der HipHop Awards des Fernsehsenders BET (Black Entertainment Television) 2014 über die Verleihung der Grammys 2015 bis hin zur Oscarverleihung 2015 traten Rapper in der Pose "Hands up, don’t shoot" auf (Abbildung 4).

Eine ambivalente Rolle spielt hingegen der Rapper Kanye West: Einerseits hat er jüngst mehrere Songs veröffentlicht, die sich wie der Track "New Slaves" auf die Bürgerrechtsbewegung beziehen, andererseits hat er sich vor der Wahl mehrfach positiv über Obamas Nachfolger im Weißen Haus, Donald Trump, geäußert und diesen im Trump Tower besucht.

Dabei ruft dieser bei sehr vielen Rappern von Snoop Dogg bis hin zu T.I. überwiegend beißende Kritik hervor. Beispielhaft ist in diesem Zusammenhang der Song "Fuck Donald Trump" von YG und Nipsey Hussle, der noch während des Vorwahlkampfs der Republikaner 2016 veröffentlicht wurde. Nach Trumps Wahl zum US-Präsidenten wurden mehrere Radiosender gehackt, um den Track in Dauerschleife zu spielen.

Der weiße Rapper Eminem legte während der Verleihung der BET HipHop Awards 2017 einen Freestyle-Act vor, in dem er rappte: "Racism is the only thing that [Trump] is fantastic for." Eminem, der erfolgreichste Rapper aller Zeiten, verlangte in dem Video von seinen Fans, eine Wahl zu treffen:

And any fan of mine who’s a supporter of his

I’m drawing in the sand a line: you’re either for or against

And if you can’t decide who you like more and you’re split

On who you should stand beside, I’ll do it for you with this:

Fuck you!

In einem Land, in dem 58 Prozent der Weißen für Trump stimmten, während mehr als 93 Prozent der Schwarzen ihn nicht wählten, wiegen Eminems Bemerkungen angesichts der Tatsache, dass er seinen Erfolg einer größtenteils weißen Fangemeinde verdankt, schwer. Zugleich geht Eminems politische Einstellung gut mit jener der HipHop-Community einher.

Fazit

Ob nun mittelbar oder unmittelbar mit der Black Community oder liberaler Politik verbunden oder nicht – HipHop hat sich immer wieder intensiv mit aktivistischer Politik auseinandergesetzt. Rap war als Kunstform stets wichtiges Werkzeug für politische Willensbekundung und Mobilisierung, das im Laufe der Zeit verschiedene Formen angenommen und politische Perspektiven eröffnet hat. Die meisten dieser Bemühungen unterstützen Anliegen und Agenden, die sich mit Mitte-Links-Politik decken. Andere Male gelten sie überparteilichen Anliegen wie dem Ende der Masseninhaftierung, einer Bildungsreform, der Erhöhung der Wahlbeteiligung oder auch Umweltgerechtigkeit, wie bei der Reaktion auf die Wasserkrise in Flint im US-Bundesstaat Michigan von 2015/16 seitens Künstlern wie Timbaland, Big Sean, Common, Meek Mill, Jay-Z, als Songs wie "Fresh Water for Flint" von Keke Palmers und Jon Conner entstanden. Allerdings spiegelt kommerzielle Musik nur selten die politischen Strömungen außerhalb des Studios wider.

Übersetzung aus dem Amerikanischen: Peter Beyer, Bonn.

ist Professor für Geschichte mit Schwerpunkt auf (afro)amerikanische Geschichte an der University of Connecticut in Storrs/USA und leitet das dortige Center for the Studies of Popular Music. E-Mail Link: jeffrey.ogbar@uconn.edu