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Lateinamerika Editorial Lateinamerikas unsichere Zukunft Demokratie in Lateinamerika Armut in Lateinamerika als soziales und politisches Problem Lateinamerika: Der vergessene Hinterhof der USA? Das Projekt einer gesamtamerikanischen Freihandelszone aus lateinamerikanischer Perspektive Spielt Europa in Lateinamerika noch eine Rolle?

Lateinamerika: Der vergessene Hinterhof der USA?

Detlef Nolte Anika Oettler Anika Detlef / Oettler Nolte

/ 26 Minuten zu lesen

Durch den Kampf gegen den internationalen Terrorismus geriet Lateinamerika in den Hintergrund der US-Interessen. Die Bush-Administration sieht Handelspolitik unter geostrategischen Gesichtspunkten. Dies könnte dazu führen, dem Kontinent fremde Konzepte aufzudrücken.

Einleitung

Im Präsidentschaftswahlkampf 2000 hatte der damalige Gouverneur von Texas, George W. Bush, plakativ sein besonderes Interesse an Lateinamerika bekundet und mit blumigen Worten die Vision eines Jahrhunderts der Amerikas umschrieben: "With persistence and courage, we shaped the last century into an American Century. With leadership and commitment, this can be the century of the Americas ((...)). Should I become president, I will look South, not as an afterthought, but as a fundamental commitment to my presidency."



Drei Jahre später, kurz nach der Halbzeit seiner Präsidentschaft, schlugen nordamerikanische Lateinamerikaspezialisten und ihre lateinamerikanischen Freunde wieder einmal Alarm. Mark Falcoff vom American Enterprise Institute beklagte ein Aufmerksamkeitsdefizit der US-Administration gegenüber Lateinamerika und befürchtete, dass der Region selbst im besten Fall aus der Sicht des Weißen Hauses, des Außen- und Finanzministerium oder des Pentagon nicht einmal zweitrangige Bedeutung zukommen werde. Vom Inter-American Dialogue, der regelmäßig hochrangige amerikanische und lateinamerikanische Wissenschaftler und Politiker zusammenführt, wurde darauf verwiesen, dass in Lateinamerika die Ansicht weit verbreitet sei, Washington habe das Interesse an der Region verloren.

Nachfolgend soll der Frage nachgegangen werden, ob die Klagen über eine Vernachlässigung Lateinamerikas durch die USA berechtigt sind. Dabei wird für die beiden Felder Handelspolitik und Sicherheitspolitik untersucht, wie sich die Bush-Regierung in der Lateinamerikapolitik von der Clinton-Administration absetzt.

I. Das Vermächtnis der Clinton-Administration

Als Präsident Bill Clinton im Januar 1993 sein Amt antrat, hatte ihm sein Vorgänger, der Vater des heutigen Präsidenten, den Vertrag zur Schaffung einer nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) hinterlassen, die neben den USA auch Kanada und Mexiko umfassen sollte. Die Ratifizierung durch den US-Kongress war alles andere als sicher, zumal gegen den NAFTA-Vertrag eine breite Kampagne geführt wurde und große Teile der Demokratischen Partei das Vertragswerk ablehnten. Ohne das Engagement von Clinton und Vize-Präsident Al Gore hätte der Vertrag vermutlich nicht die knappe Mehrheit von 234 zu 200 Stimmen im Repräsentantenhaus (61 zu 38 im Senat) gefunden. Diese Erfahrung ließ weitere Freihandelsinitiativen gegenüber Lateinamerika zunächst einmal unwahrscheinlich erscheinen, wäre da nicht ein weiteres Vermächtnis von Präsident George Bush sen. gewesen: die Idee einer gesamtamerikanischen Freihandelszone, die von Alaska bis Feuerland reichen sollte. Als sich die Präsidenten aus Nord-, Zentral- und Südamerika im Dezember 1994 in Miami zum ersten Gipfel der Amerikas trafen, wurde diese Idee erneut aufgegriffen, vor allem von lateinamerikanischen Politikern. Die Freihandelsinitiative musste der Clinton-Regierung regelrecht aufgedrängt werden, was bei der heutigen Diskussion über die gesamtamerikanische Freihandelszone ALCA (Area de Libre Comercio de las Americas) häufig vergessen wird.

Lateinamerika zählte zwar nicht zu den außenpolitischen Prioritäten der Regierung Clinton, aber der ALCA-Prozess fügte sich in die übergreifende handelspolitische Initiative zur Erhöhung des Lebensstandards und der US-amerikanischen Wettbewerbsfähigkeit mittels der Durchsetzung und Erhaltung offener Märkte ein. Die Clinton-Administration fand hierzu eine intellektuelle Abstützung in den geoökonomischen Überlegungen von Wissenschaftlern des Institute for International Economics. Hauptziel US-amerikanischer Außenhandelsinitiativen waren dabei die zehn Big Emerging Markets, zu denen u.a. Mexiko, Argentinien und Brasilien gehören.

Während der Amtszeit Clintons nahm die Bedeutung der westlichen Hemisphäre als Handelspartner der USA deutlich zu (vgl. Tabellen 1 und 2). Vor allem im Handel mit Mexiko waren beträchtliche Fortschritte zu verzeichnen. Demgegenüber veränderte sich der Anteil des restlichen Lateinamerika kaum. Insgesamt gingen am Ende der Amtszeit von Präsident Clinton fast 22 Prozent der US-Exporte nach Lateinamerika (einschließlich Mexiko), und die USA bezogen ca. 17 Prozent ihrer Importe aus der Region. Von strategischer Bedeutung sind die Erdölimporte aus Lateinamerika, vor allem aus Mexiko und Venezuela, aber auch aus Kolumbien, deren Anteil (31 Prozent) größer ist als der aus dem Persischen Golf. Was die US-Direktinvestitionen betrifft, so stieg der Anteil Lateinamerikas an den US-Auslandsinvestitionen (Bestand) zwischen 1990 und 2000 von 16,6 auf 19,2 Prozent und lag zeitweilig (1997) schon einmal bei 20,8 Prozent.

Gleichwohl kamen die Freihandelsverhandlungen, soweit Lateinamerika betroffen war, nur mühsam voran. Nachdem die auf dem ersten Gipfel der Amerikas angekündigte Anbindung Chiles an die NAFTA nicht zustande gekommen war, wurden viele lateinamerikanische Regierungen zunehmend skeptischer, ob die USA genügend Gegenleistungen für eine Öffnung ihrer Märkte bieten würden. Die Skepsis wurde zusätzlich dadurch geschürt, dass es Präsident Clinton im Gegensatz zu seinen Amtsvorgängern nicht gelang, vom Kongress eine "fast track-Autorisation" in Handelsfragen zu erhalten, die 1994 ausgelaufen war; diese hätte es dem Präsidenten ermöglicht hätte, dem Kongress Handelsverträge als Paket zur Abstimmung vorzulegen.

Auch in anderen Feldern der Lateinamerika-Politik konnte sich Präsident Clinton wenig profilieren. So wurde gegenüber Kuba zwar eine Lockerung des Embargos und eine Verbesserung der Beziehungen angestrebt. Dies scheiterte aber am immer noch starken Einfluss der Exilkubaner in den USA und an der Politik des Castro-Regimes, das eine allzu große Annäherung als Gefahr betrachtete und gegebenenfalls die US-Hardliner provozierte. Durch das Helms-Burton-Gesetz (Cuban Liberty and Democratic Solidarity Act) vom März 1996 und die damit verbundene stärkere Kontrolle der Kuba-Politik durch den US-Kongress ist der Handlungsspielraum der US-Präsidenten deutlich eingeschränkt worden.

II. Positive Signale nach dem Amtsantritt von George W. Bush

Lateinamerikanische Politiker und Unternehmer reagierten zunächst erwartungsvoll auf den Amtsantritt von George W. Bush, dessen Vater wichtige handelspolitische Initiativen eingeleitet hatte. Als Texaner und aufgrund familiärer Bande galt er gegenüber lateinamerikanischen Anliegen, vor allem von Seiten Mexikos, als besonders aufgeschlossen. Der erste Staatsbesuch nach seinem Amtsantritt führte Bush nach Mexiko, womit aus US-Sicht der "special relationship" mit diesem Land Ausdruck verliehen werden sollte. Die Chancen auf eine großzügige Regelung für die mexikanischen Migranten in den USA und eine größere Durchlässigkeit der Grenzen zwischen beiden Ländern schienen günstig zu sein.

Allerdings zeigten sich von Anfang an auch gegenläufige Trends. Die Ernennung von Hardlinern aus der Regierungszeit von Bush senior oder Ronald Reagan, die vor allem während der zentralamerikanischen Bürgerkriege eine unrühmliche Rolle gespielt hatten, stieß in Lateinamerika auf Befremden. Zu erwähnen sind die Ernennung des ehemaligen Botschafters in Honduras (1981 - 1985), John D. Negroponte, zum Botschafter bei den Vereinten Nationen oder des Exil-Kubaners Otto J. Reich zum Staatssekretär für die westliche Hemisphäre im US-Außenministerium. Diese Ernennung wurde vom Senat formal nicht bestätigt. Auch Reichs designierter Nachfolger, der vormalige Botschafter bei der OAS (Organization of American States), Roger F. Noriega, zählt zu den Hardlinern. Er war jahrelang ein enger Mitarbeiter des erzkonservativen Senators Jesse Helms gewesen. Reich selbst wurde nach seinem Ausscheiden aus dem Außenministerium Anfang Januar 2003 zum Special Envoy for Western Hemisphere Initiatives befördert und ist damit direkt der Sicherheitsberaterin von Präsident Bush, Condoleezza Rice, untergeordnet. Zu seinen Aufgaben gehört die Koordination wichtiger Lateinamerika-Initiativen der US-Regierung (U.S./Mexico Partnership, Andean Regional Initiative, Caribbean Third Border Initiative, New Cuba Initiative).

In der Handelspolitik zeigten sich viele Kontinuitätslinien zur Clinton-Administration, und Präsident Bush konnte bedeutende Erfolge verzeichnen. Mit Robert B. Zoellick hatte er einen erfahrenen Exponenten der Freihandelspolitik, der schon seinem Vater während der Uruguay-Runde und den NAFTA-Verhandlungen gedient hatte, zum Handelsbeauftragten ernannt. In einer Rede in der Heritage Foundation hat Zoellick am 29. Juni 2001 den Kern der US-Handelstrategie eines "Liberalisierungswettbewerbs" klar umschrieben: "We are advancing trade liberalization and American interests - globally, regionally, and bilaterally. We are creating a 'competition on liberalization' with the United States at the center of a network of initiatives. (...) By leading, the United States is guiding the merger of regional integration within an open global system. By leading, the United States helps create models of liberalization that we can apply elsewhere." Nach dieser Konzeption sind die Verhandlungen im Rahmen des ALCA-Prozesses nur ein Chip in einem Mehrebenenspiel, das neben bilateralen Verhandlungen mit einzelnen lateinamerikanischen Ländern oder Ländergruppen auch umfassende multilaterale Verhandlungen im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) einschließt.

Wider Erwarten gelang es der Regierung, wenn auch knapp, im August 2002 vom Kongress die so genannte Trade Promotion Authority zu erhalten (als Nachfolge der fast-track-Autorisation). Dies musste allerdings mit Zugeständnissen erkauft werden. Mit den steigenden Subventionen für die US-Landwirtschaft und dem Schutz der einheimischen Stahlindustrie gab die Bush-Aministration protektionistischen Forderungen in Bereichen nach, in denen die Interessen einzelner lateinamerikanischer Volkswirtschaften negativ tangiert werden. Mit Chile wurden demgegenüber die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen am 11. Dezember 2002 nach zwei Jahren und 14 Verhandlungsrunden abgeschlossen und im Juni 2003 der Vertrag unterzeichnet, dessen Ratifizierung im Kongress noch aussteht. Mit den zentralamerikanischen Ländern wurden Ende Januar 2003 offizielle Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen aufgenommen.

III. Der Platz Lateinamerikas in der neuen Weltordnung

Aus sicherheitspolitischer Perspektive kam Lateinamerika in den neunziger Jahren auf den ersten Blick keine zentrale Bedeutung in der US-Politik zu. Nach dem Ende des Kalten Krieges hatten die klassischen Bedrohungsszenarien an Bedeutung verloren. Die Bürgerkriege in Zentralamerika, die im Rahmen des Ost-West-Konfliktes angeheizt worden waren, konnten beendet werden, und auch Kuba wurde nicht mehr als unmittelbare Bedrohung der amerikanischen Sicherheit wahrgenommen. Nachdem Russland seine Truppen abgezogen, die Abhöreinrichtungen abgebaut und die Subventionierung des Castro-Regimes eingestellt hatte, wurde Kuba noch stärker als zuvor zu einem Problem der Innenpolitik. Im Rahmen eines erweiterten Sicherheitsbegriffs gewannen andere Themen an Bedeutung, die sich zu einem neuen Bedrohungsszenario verdichteten. Das Spektrum der Bedrohungen reichte in einem Papier des von den USA maßgeblich beeinflussten Inter-American Defense Board von Terrorismus, Nuklear- und Massenvernichtungswaffen, ökonomischer Krisenanfälligkeit, extremer Armut und organisierter Kriminalität bis hin zu "nationalistischen indigenen Bewegungen".

70 Prozent (1998: 55 Prozent) der Amerikaner sahen 2002 in der Kontrolle und Verringerung der illegalen Einwanderung ein wichtiges außenpolitisches Ziel, 81 Prozent (1998: 81) im Stopp des Zuflusses illegaler Drogen. Immerhin zwei Drittel der befragten US-Bürger befürworten den Einsatz von US-Truppen zur Bekämpfung von Drogenbossen in Kolumbien.

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 kam es zu einer Aufwertung der sicherheitspolitischen Komponente in der Lateinamerikapolitik, die zunehmend andere Themen überlagert. In einem aktuellen Bericht des Wissenschaftlichen Dienstes des US-Kongresses hinsichtlich der im laufenden Jahr anstehenden Themen zu Lateinamerika stehen an erster Stelle die Bekämpfung von Terror und Drogen in der Andenregion, danach Handelsfragen und die potentiellen Bedrohungen für die Demokratie und Stabilität in der Region.

Im Magazin "Esquire" hatte Thomas P. M. Barnett die "neue Weltkarte des Pentagon" vorgestellt. Barnett, dessen Artikel in den USA eine heftige Debatte entzündet hatte, betrachtet die US-amerikanische Sicherheitspolitik aus einem Blickwinkel, der, so undifferenziert er auch sein mag, eine gefährliche Logik aufweist. Der Irak-Krieg werde, so der Autor, einen historischen Wendepunkt markieren, da er einem neuen sicherheitspolitischen Paradigma zum Durchbruch verhelfe. Dieser Krieg begegne der Gefahr, die aus dem Nicht-Eingebundensein in die globalisierte Welt resultiere, denn: "disconnectedness defines danger". Barnett unterteilt die Welt des beginnenden 21. Jahrhunderts in einen "funktionierenden Kern" (functioning core), der sich durch die Anpassung an den entstehenden globalen Regelsatz von Demokratie, Transparenz und freien Handel auszeichne, und in ein "Ozonloch der Globalisierung", die nicht integrierte Lücke (non-integrating gap), in der die Wahrscheinlichkeit für eine militärische Intervention der USA besonders hoch sei. Die Grenzen der zweigeteilten Welt sind dabei äußerst unbeständig. Einen zentralen Schauplatz im Kampf zwischen Kern und Lücke bilden die "Saumstaaten" (seam countries), die entlang "the gap's bloody boundaries" liegen. Nicht nur die USA als Kernland bekämpfen das "Ozonloch der Globalisierung", auch Russland und Australien etwa tragen Gefechte in ihren Hinterhöfen aus. Vor dem globalen Hintergrund einer zweigeteilten Welt werden drei Säulen einer nationalen Sicherheitsstrategie der USA benannt: "1) Increase the Core's immune system capabilities for responding to September 11-like system perturbations; 2) Work the seam states to firewall the Core from the Gap's worst exports, such as terror, drugs, and pandemics; and, most important, 3) Shrink the Gap."

Obgleich Barnett "große Teile Südamerikas" dem Kern zurechnet, sind diese keineswegs so beständige Elemente wie etwa die USA oder die EU. Auf den kartographischen Illustrationen der neuen Weltordnung ist eine Dreiteilung der westlichen Hemisphäre abgebildet: a) der nördliche, zum Zentrum gehörende Block mit Kanada, den USA und Mexiko; b) ein Gürtel der nichtintegrierten Lücke, der von der Karibik über Zentralamerika, die Andenkette (Venezuela, Ecuador, Kolumbien, Peru, Bolivien) bis nach Paraguay führt; c) ein "Saum", der in diesem Bild von allen übrigen südamerikanischen "Kernländern" (Chile, Argentinien, Uruguay und Brasilien) gebildet wird. Obwohl Lateinamerika und die westliche Hemisphäre im Vergleich mit anderen Weltregionen keine "hot zone" im Krieg gegen den Terrorismus darstellen, erwächst aus der geographischen Nähe zu den USA eine besondere Bedrohung.

Die Durchlässigkeit der gemeinsamen Grenze zum "Saumstaat" Mexiko (aber auch zu Kanada) wird nicht mehr allein wegen der illegalen Einwanderung als problematisch erachtet. Die "weiche Flanke" der USA gilt als potentielles Einfallstor für Terroristen. In den Verhandlungen über eine größere Durchlässigkeit der Grenzen zwischen Mexiko und den USA, die nach dem Amtsantritt von Präsident Bush mit guten Erfolgsaussichten geführt wurden, zeichnete sich nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ein Stillstand ab. Mehr noch, es ist mit einer weiteren Verschärfung der Grenzkontrollen zu rechnen. Und es gibt Bestrebungen, die mexikanischen wie auch die kanadischen Streitkräfte in ein umfassendes Konzept der Verteidigung des amerikanischen "homeland" einzubinden, wie überhaupt eine stärkere Abstimmung in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik zwischen den NAFTA-Partnern für wünschenswert erachtet wird, wobei dies unter Rücksichtnahme auf die mexikanischen Befindlichkeiten sehr diskret geschieht. Zugleich werden vor dem Hintergrund der Neustrukturierung der Verteidigung in der westlichen Hemisphäre das Territorium Kanadas und Mexikos (und Teile der Karibik) aus der Sicht des US-Militärs bereits beide dem Einzugsbereich des US Northern Command zugeordnet - in Abgrenzung zum US Southern Command (SOUTHCOM), das für die Kooperation mit den nationalen Streitkräften in Zentralamerika, weiten Teilen der Karibik und Südamerika zuständig ist.

IV. Der Kampf gegen Drogen und verwandte Gefahren

Der Kampf gegen die in Lateinamerika für den US-amerikanischen Markt produzierten Drogen wurde nach dem Ende des Kalten Krieges von Militärstrategen als sicherheitsstrategische Priorität wahrgenommen und hatte unter Präsident Bill Clinton bereits ganz oben auf der außenpolitischen Agenda gestanden. Nach dem 2002 modifizierten Zertifizierungsverfahren für die Kooperation bei der Bekämpfung des Drogenhandels durch ausländische Regierungen befanden sich nach dem aktuellen International Narcotics Control Strategy Report (INCSR) des Außenministeriums unter 23 aufgelisteten Hauptdrogenproduktions- oder Transitländern 14 lateinamerikanische Länder. Zwei dieser Staaten, Haiti und Guatemala, wurde neben Burma für 2002 zunächst eine ungenügende Kooperation bei der Drogenbekämpfung vorgeworfen; aufgrund vitaler Interessen der USA wurden aber keine Sanktionen verhängt. Der guatemaltekischen Regierung wurde nachfolgend eine verbesserte Kooperation bei der Drogenbekämpfung bescheinigt. Die Bekämpfung des Drogenhandels konzentrierte sich auf Kolumbien, dem für den US-Markt mit einem Anteil von ca. 90 Prozent bei weitem bedeutendsten Exporteur von Kokain und Heroin.

Dabei wurde das Geflecht von organisierter Kriminalität, Drogenanbau und -handel und der kolumbianischen Aufstandsbewegung als besondere Gefahr erkannt. Bereits 1997 wurden die FARC (ca. 16 000 Mitglieder), die älteste Guerilla Lateinamerikas, und die ELN auf die Liste der gefährlichen internationalen Terrororganisationen gesetzt und mit dem Begriff des "narcoterrorism" auf ihre Bedeutung in der Drogenökonomie reduziert. Später wurden auch die in der AUC organisierten paramilitärischen Gruppen als terroristische Organisation eingestuft. Diese Organisationen schaffen innerhalb des kolumbianischen Territoriums "Ozonlöcher" der staatlichen Kontrolle, die sich auf die angrenzenden Staaten auszuweiten und aus US-Sicht die nationale Sicherheit der USA anzugreifen drohen.

Der "Kampf gegen Drogen" konzentriert sich auf die militärische Bekämpfung von "narcotráfico" und "narcoterrorismo" und die gleichzeitige biologisch-chemische Reduzierung der Anbauflächen von Koka und Schlafmohn. Nachdem er zunächst die Friedensverhandlungen zwischen Präsident Pastrana und der Guerilla unterstützt hatte, bereitete Präsident Clinton - als sich ein Scheitern des Friedensprozesses abzeichnete - einer Wende in der Kolumbienpolitik den Weg. Mit dem "Plan Colombia" legte Präsident Andrés Pastrana 1999 eine militarisierte Drogenbekämpfungsstrategie vor, die von der Clinton-Administration maßgeblich mitentwickelt worden war. Allerdings bemühte sich die Clinton-Administration, wenn auch zunehmend aus kosmetischen Gründen, um eine Unterscheidung zwischen Drogen- und Guerillabekämpfung. Unter Präsident George W. Bush wurde diese Unterscheidung endgültig aufgehoben. US-Rüstungsgüter, Ausbildungsprogramme und geheimdienstliche Informationen können vom kolumbianischen Militär für beides eingesetzt werden. Allerdings ist formal noch kein Einsatz von US-Truppen vorgesehen.

Unter George W. Bush wurde eine erweiterte offizielle Drogenbekämpfungsstrategie formuliert und im Mai 2001 unter dem Titel "Andean Regional Initiative" präsentiert. Für diesen Plan wurden im Haushaltsjahr 2003 928 Millionen US-Dollar für Drogenbekämpfungsmaßnahmen, den Aufbau demokratischer Strukturen und für Entwicklungshilfe bewilligt, die Bolivien, Brasilien, Ecuador, Kolumbien, Panama, Peru und Venezuela zugute kommen sollen. Über die Hälfte der Mittel sind für Kolumbien vorgesehen. Als George W. Bush im März 2003 das Regime Saddam Husseins militärisch zum Einsturz zu bringen begann, reihte sich Kolumbien in die Kriegskoalition ein. Ende März bewilligte der US-Kongress den militärischen Zusatzhaushalt, der auch einen Betrag von 105 Millionen US-Dollar für das kolumbianische Militär enthielt. In Ecuador (Manta) ist eine der Forward Operating Locations der SOUTHCOM zur Bekämpfung des Drogenhandels im östlichen Pazifik stationiert, die weiter ausgebaut werden soll.

Der von der US-Regierung verwendete Begriff des "narcoterrorism" spiegelt die enge Verflechtung von politisch motiviertem Terrorismus und organisierter Kriminalität wider. Der Drogenanbau und -handel stellt dabei lediglich einen Pfeiler der kriminellen Netzwerke dar und wird von Geldwäsche, Menschen- und Waffenhandel und der "Entführungsindustrie" ergänzt. Im Kampf gegen die organisierte Kriminalität zeigt sich eine nach den Anschlägen vom 11. September steigende Tendenz zur offenen Militarisierung der Kriminalitätsbekämpfung. Neben Kolumbien gilt auch Zentralamerika diesbezüglich als Schlüsselregion, da hier die illegalen Handelsrouten für Menschen und Drogen verlaufen. Durch die Nähe zum Panamakanal erhielten die USA mit der Ausweitung des kolumbianischen Konflikts auf die Darién-Region einen weiteren Legitimationsgrund zur Einflussnahme in dieser geostrategisch bedeutenden Region. Die verstärkte Zusammenarbeit bei der Drogenbekämpfung zeigt sich in Zentralamerika etwa in der gemeinsamen Luft- und Seeüberwachung, in der Durchführung militärischer Trainingsprogramme und in der Nutzung von Einrichtungen durch US-Streitkräfte in El Salvador und Honduras.

Mit der Ausweitung der militärischen Drogenbekämpfung stiegen zugleich die Hoffnungen des SOUTHCOM auf eine Aufwertung der Rolle der US-Streitkräfte in Lateinamerika. Vor diesem Hintergrund untermauert es die Bemühungen des Pentagon um die Wiedererlangung der Zuständigkeit bei der Drogenbekämpfung, die Anfang der neunziger Jahre auf das State Department übertragen worden war. Welch sonderbare Bedrohungsszenarien zu diesem Zweck entwickelt werden, zeigen die Ausführungen des Oberkommandierenden des SOUTHCOM vor einem Senatsauschuss im März 2003: General James T. Hill verwies darauf, dass jedes Jahr ca. 19 000 Amerikaner direkt aufgrund von Drogenmissbrauch sterben, indirekt möglicherweise noch einmal 55 000. Die Drogen seien somit mit Massenvernichtungswaffen vergleichbar (und folglich ähnlich zu bekämpfen). Derartige Denkspiele öffnen den Militärs ein weites Feld.

V. Kuba - der lateinamerikanische "Schurkenstaat"

George W. Bush hatte bereits mit der Ernennung von Otto J. Reich zum Assistant Secretary for Western Hemisphere Affairs die exilkubanische Position in der US-Regierung gestärkt. In der Folge wurden die Mittel für Radio- und Fernsehprogramme, die nach Kuba ausgestrahlt werden, und zur Unterstützung von NGOs und oppositionellen Gruppen erhöht. Die Regierung Bush hat außerdem angedroht, gegen jegliches Gesetz, das eine Aufweichung des Embargos gegen Kuba impliziert, ihr Veto einzulegen. Damit ist nach der innenpolitischen Verhärtung des Castro-Regimes und der harten Bestrafung von Dissidenten, die von den USA mit einer Einschränkung der Bewegungsfreiheit kubanischer Diplomaten in Washington sanktioniert wurde (Kuba hatte zuvor die gleiche Maßnahme getroffen), auch nicht zu rechnen.

Mit den weltpolitischen Entwicklungen, die am 11. September 2001 ihren Anfang genommen und mit dem Irak-Krieg ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht haben, fand die US-Regierung einen weiteren Grund, einen härteren Kurs gegenüber dem kubanischen Regime einzuschlagen. Das Land wird seit vielen Jahren (schon unter Clinton) zu den Schurkenstaaten ("rogue states") gerechnet, die es gemäß dem neuen sicherheitspolitischen Paradigma jetzt aktiv zu bekämpfen gilt. Kuba wird nunmehr - neben Iran, Irak, Libyen, Nordkorea, Syrien und dem Sudan - zu den "state sponsors of terrorism" gezählt, obgleich die kubanische Regierung unmittelbar nach dem 11. September alle zwölf internationalen Anti-Terrorismus-Konventionen ratifiziert hatte. Für die Qualifizierung Kubas als staatlichem Unterstützer terroristischer Aktivitäten war vor allem der Beistand für und die Beherbergung von Mitgliedern kolumbianischer Guerillaorganisationen sowie der baskischen ETA und der irischen IRA ausschlaggebend. Außerdem wurde kritisiert, dass Kuba in Opposition zu dem von den USA geführten Krieg gegen den internationalen Terrorismus stehe, und es wurde behauptet, dass kubanische Agenten die Untersuchung der Anschläge vom 11. September weltweit, an nicht näher spezifizierten Orten behinderten. Daneben wird Kuba vom US-Außenministerium die technische Fähigkeit zugeschrieben, biologische Waffen zu entwickeln.

Im Mai 2002 hatte US-Staatssekretär John Bolton in einer Rede vor der Heritage Foundation sogar behauptet, dass Kuba ein Biowaffenprogramm unterhalte und anderen Schurkenstaaten "dual-use biotechnology" zukommen lasse. Diese Vorwürfe wurden allerdings später von US-Verteidigungsminister Colin Powell relativiert. Mit der Klassifizierung als "state sponsor of terrorism" wird Kuba als potenzielle Bedrohung der nationalen Sicherheit der USA eingestuft. Der "Krieg gegen den Terror" stellt für das US-kubanische Verhältnis insofern eine Zäsur dar, als er auch eine militärische Intervention gegen das Castro-Regime legitimieren könnte. Gleichwohl hat Rumsfeld am 14. April 2003 betont, dass es keine Invasionspläne gebe.

VI. Rechtsfreie Räume und sicherheitspolitische Vernetzung

Vor dem Hintergrund der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus stellen aus US-amerikanischer Sicht die Schwächung der Demokratie in Lateinamerika, mehr noch die Schwächung staatlicher Strukturen im Bereich der äußeren und inneren Sicherheit und die damit verbundene Ausweitung von rechtsfreien Räumen, eine Gefahr dar. In seiner Rede auf dem 5. Treffen der Verteidigungsminister der Amerikas (Defense Ministerial of the Americas) in Santiago de Chile am 19. November 2002 hatte Verteidigungsminister Rumsfeld diese Bedrohungsvorstellung klar beschrieben. Demnach nützen Terroristen, die aus einem Land verjagt werden, die rechtsfreien, nicht beherrschten Gebiete in anderen Ländern als Rückzugsgebiet. Es liege in der Verantwortung der demokratischen Regierungen, die Macht zu nutzen, die ihnen durch die Wählerstimmen übertragen worden sei, und die effektive Staatsgewalt auf dem gesamten Territorium auszuüben.

Aus US-Sicht sind es vor allem weite Regionen Kolumbiens, aber auch das Dreiländereck zwischen Paraguay, Argentinien und Brasilien mit einem bedeutenden muslimischen Bevölkerungsanteil, die als besonders gefährliche Zonen gelten. General Hill, Kommandant der SOUTHCOM, verwies auf die Gefahr, die von radikalen islamistischen Gruppierungen ausgehe, die in dieser Region wie auch in anderen Zonen Lateinamerikas operierten. Das Außenministerium unterstrich in den "Patterns of Global Terrorism 2002" zwar, dass trotz einer Vielzahl entsprechender Medienberichte keine Präsenz von Al-Qaida in der Region nachgewiesen werden konnte. Dennoch begründet die Existenz eines Unterstützungssystems für Hamas und Hizbollah eine verstärkte militärische Kooperation zwischen Argentinien, Brasilien, Paraguay und den USA, die bereits 1998 zur Einsetzung einer "Drei-plus-Eins"-Kommission geführt hatte.

In diesem Kontext hatte Rumsfeld auf dem Verteidigungsministertreffen vom November 2002 einerseits die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Seestreitkräften, den Küstenwachen, den Zollbehörden und der Grenzpolizei eingefordert, um das nicht explizit formulierte Ziel einer effizienteren Kontrolle des Personen- und Güterverkehrs in der Region zu verwirklichen. Andererseits sollten, so Rumsfeld, die militärischen Ressourcen für gemeinsame Einsätze innerhalb und außerhalb der Region gestärkt und nach Möglichkeit regionale Einheiten zur Friedenssicherung gebildet werden. Dies erklärt, warum die USA kleine Truppenkontingente aus El Salvador, Honduras, Nicaragua und der Dominikanischen Republik für den Einsatz im Irak angefordert haben. Der militärische Wert im Irak mag zwar gering sein, aber es werden militärische Kapazitäten für gemeinsame Einsätze in der westlichen Hemisphäre geschaffen.

Und es gibt noch weiter gehende Überlegungen. In einer Studie des Strategic Studies Institute des U.S. Army War College vom August 2002 wird die Idee einer bis zu 6 000 Mann starken südamerikanischen Eingreiftruppe für humanitäre Einsätze, aber auch zur Friedenssicherung und - durchsetzung präsentiert, die nur auf Beschluss einer reformierten OAS eingesetzt werden sollte. In dieser Eingreiftruppe sollten vor allem Brasilien als "pivotal state", Chile und Argentinien zusammenarbeiten - die drei südamerikanischen "Saumstaaten" im Konzept von Thomas P. M. Barnett.

Nach dem Ende des Kalten Krieges und der Etablierung demokratischer Regierungen in fast ganz Lateinamerika stand das interamerikanische Sicherheitssystem, wie es sich während und nach dem Zweiten Weltkrieg etabliert hatte, auf dem Prüfstand. Seit Anfang und verstärkt seit Mitte der neunziger Jahre gab es verschiedene Bestrebungen, die Sicherheitspolitik in der westlichen Hemisphäre neu zu definieren, tradierte Sicherheitsstrukturen in Frage zu stellen und alternative Organe zu schaffen. Nach dem 11. September erhielten viele dieser Initiativen eine andere Stoßrichtung.

1995 kam es auf Anregung des damaligen US-Außenministers, William Perry, in Williamsburg (Virginia/USA) erstmals zu einem Treffen der Verteidigungsminister der Region (das so genannte Defense Ministerial of the Americas). Die nachfolgenden Treffen fanden in Bariloche (Argentinien) 1996, Cartagena (Kolumbien) 1998, Manaus (Brasilien) 2001 und zuletzt in Santiago de Chile 2002 statt. Anfänglich dienten diese Treffen zur Stärkung der zivilen Kontrolle über das Militär, jetzt dienen sie einer besseren Koordination im Kampf gegen internationalen Terrorismus.

Im selben Jahr, 1995, schuf die Generalversammlung der OAS das Committee on Hemispheric Security (CSH) als einen Ausschuss des Ständigen Rats der OAS. Auf dem zweiten Gipfel der Amerikas in Santiago de Chile wurde dem CSH der Auftrag erteilt, eine Special Conference on Security im Rahmen der OAS vorzubereiten, auf der u.a. Themen wie Abrüstung und Rüstungskontrollen behandelt werden sollten. Dieser Beschluss wurde nachfolgend präzisiert, und die Konferenz sollte 2004 stattfinden. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 änderte sich die Zielrichtung der Konferenz, nun ging es vordergründig um die Verhinderung und Bekämpfung des Terrorismus, als Konferenztermin wurde zunächst Mai 2003 in Mexiko festgesetzt, später wurde der Termin auf den 27. bis 28. Oktober 2003 verschoben.

Daneben haben auch alte Institutionen des interamerikanischen Systems durch die Terroranschläge des 11. September eine Neubelebung erfahren. Dazu gehört das bereits 1942 in Reaktion auf die Bedrohung durch die Achsenmächte geschaffene Inter-American Defense Board (IADB), dem das Inter-American Defense College zugeordnet ist. Bereits vor dem 11. September versuchte der IADB mit eigenen Vorschlägen auf die Diskussion über eine neue Sicherheitsarchitektur im Rahmen der OAS Einfluss zu nehmen. Immerhin ist im Dezember 2002 auch Kanada dem IADB beigetreten. Nach den Anschlägen auf das World Trade Center kam auch der bereits totgesagte Rio-Vertrag (1947) zur Anwendung, den Mexiko pikanterweise kurz vor den Attentaten hatte aufkündigen wollen. So erklärten die Unterzeichner des Rio-Vertrages, dass der terroristische Angriff auf die USA einen Angriff auf alle Vertragspartner darstelle.

Alle diese Institutionen geben den USA Instrumente an die Hand, in sicherheitspolitischen Fragen auf ihre Partner in Lateinamerika einzuwirken. Es besteht das Risiko einer doppelten Militarisierung der Lateinamerikapolitik. Mangels Durchsetzungsfähigkeit des Außenministeriums könnte das Pentagon mehr und mehr die Lateinamerikapolitik an sich ziehen. Die neue, von außen, von den USA betriebene Aufwertung der lateinamerikanischen Militärs könnte deren innenpolitische Stellung stärken.

VII. Fazit

Wie der Überblick über die lateinamerikanischen Brennpunkte im Kampf gegen den Terror und die handelspolitischen Initiativen gezeigt hat, besitzen die USA ein vitales Interesse daran, Lateinamerika nicht zu vernachlässigen und das "Ozonloch der Globalisierung" in ihrem Hinterhof zu verkleinern. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Klagen über die mangelnde Beachtung Lateinamerikas durch die Bush-Administration als überzogen und spiegeln primär die Interessen der Lateinamerika-Lobby wider.

In der Handelspolitik gegenüber Lateinamerika kann die Regierung Bush durchaus Erfolge aufweisen. Dass die Fortschritte nicht größer waren, hängt auch mit den divergierenden Interessen der USA und einzelner lateinamerikanischer Regierungen zusammen, die sich gegen eine allzu rasche und allzu umfassende Handelsliberalisierung wehren. Bilaterale handelspolitische Initiativen der USA, die der Maxime des divide et impera folgen, sind aus (gesamt)lateinamerikanischer Sicht sogar eher negativ zu bewerten.

Im sicherheitspolitischen Bereich kommt - aufgrund der Weltlage seit dem 11. September nicht verwunderlich - Lateinamerika zwar nicht die erste Priorität zu, die USA haben die Region aber keineswegs aus den Augen verloren. Dabei zeigt sich eine Tendenz, die durchaus legitimen Sicherheitsanliegen der USA ideologisch zu überhöhen und in ein umfassendes manichäisches Weltbild einzuordnen. Wie bereits während des Kalten Krieges besteht die Gefahr, dass die realen Probleme Lateinamerikas der vereinfachenden Sichtweise der USA untergeordnet, den Lateinamerikanern inadäquate Lösungen oktroyiert und vorschnell militärische Lösungen ohne eine langfristige Planung gesucht werden.

Das Abstimmungsverhalten der lateinamerikanischen Länder im Weltsicherheitsrat und die nachfolgende Unterstützung für den Irak-Krieg wurde von den USA sehr genau beobachtet, und diese haben nachfolgend Vergünstigungen gewährt oder Liebesentzug angedroht. Auch im Hinblick auf die Unterzeichnung von Sonderabkommen zur Aushebelung des Internationalen Strafgerichtshofs üben die USA in Lateinamerika massiven Druck aus. Ähnlich wie in Europa werden die treuen Gefolgsleute belohnt und die Kritiker abgestraft: Die zentralamerikanischen Präsidenten, die den Irak-Krieg befürworteten, wurden mit großem Pomp im Weißen Haus empfangen, den Gegnern, wie etwa Mexiko, wurde zunächst einmal die kalte Schulter gezeigt. Nachdem sich die aus der internationalen Debatte um den Irak-Krieg erwachsenen Spannungen allmählich zu lösen beginnen, darf angesichts der großen handels- und sicherheitspolitischen Bedeutung Lateinamerikas allerdings bezweifelt werden, dass die Verstimmungen - die sich etwa darin gezeigt hatten, dass sich die Unterzeichnung des Handelsabkommens mit Chile um einige Wochen verzögerte und diese dann lediglich vom Handelsbeauftragten des US-Präsidenten vorgenommen wurde - eine langfristige Modifikation des interamerikanischen Verhältnisses bedeuten.

Vor dem Hintergrund der zu Anfang zitierten Klagen stellt sich für den Beobachter bzw. die Beobachterin aus dem alten Europa abschließend die Frage, ob im Kontext der Neuausrichtung der US-amerikanischen Außenpolitik eine Vernachlässigung Lateinamerikas, ein "benign neglect", nicht einer allzu großen Fürsorge vorzuziehen ist.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zit. bei Joseph R. Núñez, A 21st Century Security Architecture for the Americas: Multilateral Cooperation, Liberal Peace, and Soft Power, Strategic Studies Institute, U.S. Army War College, Carlisle PA, August 2002, S. 1.

  2. Vgl. Mark Falcoff, The Return of the U.S. Attention Deficit toward Latin America, in: Latin American Outlook, AEI Online vom 1. 4. 2003.

  3. Vgl. Inter-American Dialogue, The Troubled Americas. Policy Report 2003, Washington, D.C. 2003, S. 21.

  4. Zum Verabschiedungsprozess im Kongress siehe Frederick W. Meyer, Interpreting NAFTA. The Science and Art of Political Analysis, New York 1998, S. 219 - 335.

  5. Vgl. Richard E. Feinberg, Regionalism and Domestic Politics: U.S.-Latin American Trade Policy in the Bush Era, in: Latin America Politics & Society, 44 (2002) 4, S. 128; Nicola Phillips, Hemispheric Integration and Subregionalism in the Americas, in: International Affairs, 79 (2003) 2, S. 335.

  6. Vgl. C. Fred Bergsten, The Primacy of Economics, in: Foreign Policy, 87 (1992), S. 3 - 24.

  7. Vgl. Jeffrey Garten, Big Emerging Markets, in: The Columbia Journal of World Business, (Summer 1996), S. 6 - 31; John Stremlau, Clinton's Dollar Diplomacy, in: Foreign Policy, 97 (1994/1995), S. 18 - 35.

  8. Vgl. Donald E. Schulz, The United States and Latin America: Shaping an Elusive Future, Strategic Studies Institute, U.S. Army War College, Carlisle PA., March 2000, S. 3; Posture Statement of General James T. Hill, United States Army Commander, United States Southern Command, before the 108th Congress House Armed Services Committee, March 13, 2003, S. 2.

  9. Vgl. US Census Bureau, Statistical Abstract of the United States 2002, Tabelle 1272 (http://www.census.gov/prod/www/statistical-abstract-02.html). Der Anteil Europas an den US-Auslandsinvestitionen lag 2000 bei 52,1, der Anteil Asiens bei 12,8 Prozent.

  10. Zur US-amerikanischen Kubapolitik vgl. grundlegend Susanne Gratius, Kuba unter Castro - Das Dilemma der dreifachen Blockade. Die kontraproduktive Politik der "Demokratieförderung" seitens der USA und der EU, Opladen 2003.

  11. Vgl. Georges A. Fauriol/Sidney Weintraub, The Century of the Americas: Dawn of a New Century Dynamic, in: The Washington Quarterly, Spring 2001, S. 139.

  12. Otto J. Reich war unter Ronald Reagan Leiter des dem Außenministerium zugeordneten Office of Public Diplomacy for Democracy for Latin America and the Caribbean (1983 - 1986), das für die Zentralamerika-Politik der Regierung Propaganda machte und in der Folge der Iran-Contra-Affäre wegen illegaler Praktiken geschlossen werden musste. Reich war Botschafter in Venezuela (1987 - 1990), zeitweilig Direktor des Center for a Free Cuba und Lobbyist für exilkubanische Gruppen und US-Rüstungsunternehmen.

  13. Robert B. Zoellick, A Time to Choose: Trade and the American Nation, (Heritage Lectures, No. 710), July 3, 2001, S. 4.

  14. Die erste Abstimmung im Repräsentantenhaus 2001 ging mit 215 zu 214 Stimmen äußerst knapp aus, ebenso die zweite, entscheidende Abstimmung im Juli 2002 mit 215 zu 212 Stimmen. Im Senat war die Mehrheit für den Präsidenten mit 64 zu 34 deutlicher.

  15. Gerade im Bereich landwirtschaftlicher Produkte, die für Länder wie Brasilien interessant sind, ist der Handlungsspielraum der US-Regierung aufgrund innenpolitischer und wahlstrategischer Aspekte sehr gering. Vgl. Donald R. Mackay, Challenges Confronting the Free Trade Area of the Americas, (FOCAL Policy Paper-02 - 07), Ottawa, Juli 2002, S. 10 - 12.

  16. Von den 31 Abgeordneten, die 1998 noch gegen die Fast Track Authority für Präsident Clinton gestimmt hatten, aber 2001 bzw. 2002 der Trade Promotion Authority von Präsident Bush ihre Zustimmung gaben, gehören zehn zum so genannten "House Steel Caucus"; Gary Clyde Hufbauer/Ben Goodrich, Steel Policy, The Good, the Bad and the Ugly, in: Institute for International Economics. International Economics Policy Briefs, January 2003, Washington, D.C., S. 3.

  17. Vgl. Inter-American Defense Board: Toward a New Hemispheric Security System, Washington, September 6, 2001, http://www.jid.org/pdf/news/terrorism/english_staff_study.pdf (Stand: 25. 6. 2003). Vgl. auch D. E. Schulz (Anm. 8), S. 4, 12 - 14, 19 - 20.

  18. Vgl. Chicago Council on Foreign Relations, Worldviews 2002. American Public Opinion & Foreign Policy, Chicago 2002, S. 19/24.

  19. Vgl. Mark P. Sullivan u.a., Latin America and the Caribbean: Issues for the 108th Congress, CRS Report for Congress (RL 31726), updated May 5, 2003, Washington, D.C.

  20. Vgl. Thomas P. M. Barnett: The Pentagon's New Map, http://www.nwc.navy.mil/The PentagonsNewMap.htm. Vgl. auch ders., Global Transaction Strategy, in: Military Officer, 1 (2003) 5. Die wichtigsten Publikationen von Barnett finden sich auf dessen Homepage, http://www.geocities.com/ResearchTriangle/Thinktank/6926.

  21. In der Welt der Gegenwart, die von einer sich ständig verschiebenden Trennungslinie geteilt wird, zählen, so Barnett, Nordamerika, große Teile Südamerikas, die EU, Russland, Japan, die aufstrebenden Ökonomien Asiens (insbesondere China und Indien), Australien, Neuseeland und Südafrika zum Kern. Der "Gap" werde hingegen von den karibischen Inseln, fast ganz Afrika, dem Balkan, dem Kaukasus, Zentralasien, dem Nahen Osten, Südwestasien und großen Teilen Südostasiens gebildet.

  22. "It is always possible to fall off this bandwagon called globalization. And when you do, bloodshed will follow. If you are lucky, so will American troops"; T. P.M. Barnett, The Pentagon's New Map (Anm. 20).

  23. Vgl. U.S. Department of State, Patterns of Global Terrorism 2002, Washington, D.C., April 2003, S. 65.

  24. "The War on Terrorism is my number one priority in the region ((...)). Given our proximity and general ease of access, Latin America is a potentially vulnerable flank of the homeland, providing many seams through which terrorists can infiltrate": General James T. Hill, Columbia: Key to Security, in: The Hemisphere Heritage Lectures, No. 790, delivered April 16, 2003, S. 2.

  25. Vgl. J. R. Núñez (Anm. 1), S. 11 - 20.

  26. Vgl. ebd., S. 9 - 11, 40.

  27. Vorher musste der Präsident gegenüber dem Kongress zertifizieren, ob eine Regierung bei der Drogenbekämpfung "fully cooperated". Ein negatives Urteil schloss die betreffende Regierungen von verschiedenen Vergünstigungen, welche die US-Regierung gewährt, aus. Nach der neuen Regelung im Foreign Assistance Act (FAA) muss der Präsident angeben, ob die Regierung während der vorausgegangenen zwölf Monate bei der Bekämpfung des Drogenhandels "demonstrably failed".

  28. Die Bahamas, Bolivien, Brasilien, die Dominikanische Republik, Ecuador, Guatemala, Haiti, Jamaika, Kolumbien, Mexiko, Panama, Partaguay, Peru und Venezuela.

  29. Zu Kolumbien vgl. Sabine Kurtenbach (Hrsg), Kolumbien zwischen Gewalteskalation und Friedenssuche. Möglichkeiten und Grenzen der Einflussnahme externer Akteure, Frankfurt/M 2001.

  30. Vgl. Plan Colombia: Plan para la paz, la prosperidad y el fortalecimiento del Estado, http://usinfo.state.gov/espanol/colombia/plan.htm (Stand: 25. 6. 2003).

  31. Nach der aktuellen Gesetzgebung darf die US-Regierung nicht mehr als 400 Soldaten und 400 Zivilpersonen nach Kolumbien entsenden. Dazu können zusätzliche quantitativ nicht spezifizierte Kontingente bei "search and rescue operations" nach vermisstem US-Personal eingesetzt werden, vgl. M. P. Sullivan (Anm. 19), S. 7.

  32. Vgl. ebd., S. 6.

  33. Die peruanische Guerillaorganisation Sendero Luminoso steht mit den drei genannten kolumbianischen Organisationen auf der Liste der internationalen Terrororganisationen, die zugleich mögliche Interventionspunkte im "Kampf gegen den Terror" markiert.

  34. Bei der Bekämpfung des Drogenhandels kommt außerdem der Joint Interagency Task Force East (JIATF-E) eine große Bedeutung als Koordinationsinstanz für die verschiedenen beteiligten US-Behörden (DEA, Finanzministerium, Außenministerium, Verteidigungsministerium und Department of Homeland Security), aber auch jene in anderen Ländern zu. Die JIATF-E koordiniert den Einsatz von US-Teams, die in den verschiedenen lateinamerikanischen Ländern bei der Drogenbekämpfung aktiv sind.

  35. General J. T. Hill (Anm. 8), S. 8; ders. (Anm. 24), S. 4.

  36. In einem strategischen Positionspapier des von Otto Reich geleiteten America Forum für die neue Regierung wird vorgeschlagen: "Sharpen Cuba policy by avoiding unilateral concessions that may strengthen the current regime, and adopt an action-oriented strategy to strengthen the forces of change." Americas Forum, The Western Hemisphere: An American Priority. Presidential Priorities and Opportunities in the Americas. Executive Summary, Washington, D.C., January 8, 2001, S. 4.

  37. Vgl. Mark Sullivan, Cuba: Issues for the 108th Congress. Updated June 2003 (CRS Report for Congress RL 31740), Washington, D.C.

  38. U.S. Department of State (Anm. 23), S. 76.

  39. Ein weiteres Ziel einer direkten US-amerikanischen Intervention oder einem Einmarsch durch verbündete Truppen könnte Haiti sein, das als "failed state" gilt; vgl. D. E. Schulz (Anm. 8), S. 24; J. R. Núñez (Anm. 1), S. 47.

  40. Statement by Secretary of Defense Donald H. Rumsfeld, Defense Ministerial of the Americas, Santiago de Chile, November 19, 2002; vgl. auch Max G. Manwaring, Strategic Effects of the Conflict with Iraq: Latin America, Strategic Studies Institute, U.S. Army War College, Carlisle PA., March 2003, S. 10.

  41. Diese Forderung wird auch in der offiziellen "National Strategy for Combating Terrorism" der Regierung vom Februar 2003 erhoben: "The United States will work in concert with our international and regional partners to ensure effective governance over ungoverned territory, which could provide sanctuary to terrorists."

  42. Vgl. General J.T. Hill (Anm. 8), S .6.

  43. Vgl. U.S. Department of State (Anm. 23), S. 66, 70 - 71.

  44. Vgl. J. R. Núñez (Anm. 1), S. 29 - 35.

  45. Vgl. ebd., S. 20 - 29.

  46. Vgl. Hal Klepak, Hemispheric Security After the Towers Went Down, FOCAL Policy Paper (FPP-02 - 4), Ottawa, February 2002, S. 6; Juan Pablo Soriano/Donal R. Mackay, Redefining Hemispheric Security After September 11, FOCAL Policy Paper (FPP-03 - 05), Ottawa, April 2003.

  47. Mexiko hat im November 2002 erstmals offiziell am Verteidigungsministertreffen teilgenommen.

  48. Es löste das 1992 geschaffene Special Committee on Hemispheric Security ab.

  49. Alle Mitglieder der OAS haben das Recht, dem IADB beizutreten, und können entweder ziviles oder militärisches Personal als Vertreter entsenden.

  50. Vgl. Inter-American Defense Board (Anm. 17).

  51. Vgl. Coletta Youngers, The U.S. and Latin America After 9 - 11 and Iraq, in: FPIF (Foreign Policy in Focus) Policy Report, June 2003 (http//www:foreignpolicy-infocus.org/papers/latam2003.html).

  52. Dieses Risiko wird durchaus auch innerhalb der US-Streitkräfte gesehen. Vgl. D. E. Schulz (Anm. 8), S. 33 - 34.

Dr. phil., geb. 1952; stellvertretender Direktor des Instituts für Iberoamerika-Kunde; Lehrtätigkeit in den Fächern Politische Wissenschaft und Lateinamerikastudien an der Universität Hamburg.
Anschrift: Institut für Iberoamerika-Kunde, Alsterglacis 8, 20354 Hamburg.
E-Mail: E-Mail Link: detlef_nolte@public.uni-hamburg.de

Veröffentlichungen u.a.: (zus. mit Heinrich-W. Krumwiede) Zur Rolle der Parlamente in den Präsidialdemokratien Lateinamerikas, Hamburg 2000; (zus. mit Sabine Kurtenbach und Klaus Bodemer) Sicherheitspolitik in Lateinamerika, Opladen 2000; (zus. mit Gilberto Calcagnotto) Südamerika zwischen US-amerikanischer Hegemonie und brasilianischem Führungsanspruch, Frankfurt/M. 2002.

Geb. 1971; wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Iberoamerika-Kunde.
Anschrift: Institut für Iberoamerika-Kunde, Alsterglacis 8, 20354 Hamburg.
E-Mail: E-Mail Link: oettler@iik.duei.de

Veröffentlichungen u.a.: Neuer Imperialismus, neuer Antiamerikanismus? Lateinamerika und der Irak-Krieg, in: Brennpunkt Lateinamerika, (2003) 8; Erinnerungsarbeit und Vergangenheitspolitik in Guatemala (i.E.).