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Kulturpolitik in Zeiten der Globalisierung | Kultur | bpb.de

Kultur Editorial Zum Funktionswandel des Kulturjournalismus in der Mediengesellschaft Künste und kulturelle Bildung als Kraftfelder der Kulturpolitik Kulturpolitik in Zeiten der Globalisierung Kunst und Kultur im Wohlfahrtsstaat Soziokultur in Ostdeutschland Kulturelle Standortbestimmung Europas

Kulturpolitik in Zeiten der Globalisierung

Max Fuchs

/ 17 Minuten zu lesen

Kulturpolitik in Zeiten der Globalisierung muss nicht nur die ökonomischen Rahmenbedingungen sichern, sondern auch die eigenen kulturellen Traditionen betonen. Nur so erhält der interkulturelle Dialog Substanz.

I. Ein Politikfeld auf der Suche nach seinem Gegenstand

Wirtschaftspolitik versucht, die Wirtschaft zum Florieren zu bringen; Finanzpolitik bemüht sich um die Füllung der öffentlichen Kassen. Doch um was kümmert sich die Kulturpolitik? Offenbar muss es sich um "Kultur" handeln. Wie schwierig dieser Begriff zu fassen ist, wird immer wieder durch die Aufzählung völlig unterschiedlicher Begriffskombinationen illustriert wie etwa Unternehmenskultur, Kulturhauptstadt, Kulturbeutel. Was Letzteren betrifft: Die Hygiene und Kosmetik kann als Teil einer "Selbstsorge" - durchaus im Sinne der alten Griechen - verstanden werden. Man möchte gepflegt in Erscheinung treten. Pflege, man erinnere sich, ist jedoch der Ausgangspunkt von Kultur: die Analogie zwischen dercultura agri (Landwirtschaft) und der Pflege des Geistes, der cultura animi, in den tusculanischen Schriften von Cicero. Kultur ist also nicht bloß Pflege schlechthin, sondern genauer die Pflege und Gestaltung einer Lebensweise, die manin einer überlegten Art - also "kultiviert" - vollzieht.

Kultur ist, wie der Mensch lebt und arbeitet, so hieß es schon bei Bert Brecht. Und über die geeignete Art und Weise dieses Lebens und Arbeitens denkt zumindest der moderne Mensch ständig nach. Denn spätestens seit der Entdeckung der Individualität in der Renaissance ist die Eigenverantwortlichkeit des Individuums bei der Gestaltung seines Lebens ein Kennzeichen unserer Gesellschaft: Es ist die zentrale Bildungsaufgabe des Menschen. Kultur ist Lebensweise, Lebensweise ist eine Bildungsaufgabe, Kultur und Bildung hängen also aufs engste zusammen. In der Tat befinden wir uns hier im Begriffskosmos sowohl der UNESCO als auch der deutschen kulturpolitischen Reflexion seit den siebziger Jahren. Denn "Kultur" ist dort der gesamte Komplex unterschiedlicher spiritueller, materieller, intellektueller und emotionaler Ausdrucksformen, die eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe kennzeichnen. Sie schließt nicht nur die Künste und Literatur, sondern auch die Weisen des Lebens, die fundamentalen Menschrechte, Wertesysteme, Traditionen und Glaubensrichtungen ein. Dies ist er also, der oft bemühte - und häufig kritisierte - "weitere Kulturbegriff" der UNESCO.

Kulturpolitik in diesem Sinne hat es zu tun mit allen Problemen und Entwicklungstrends, die unsere Gesellschaften berühren, ist also Gesellschaftspolitik. Dies gilt insbesondere für die Globalisierung, die von den einen euphorisch begrüßt, von anderen dagegen mit größter Sorge beobachtet und von Einzelnen sogar vehement bekämpft wird. Denn die Internationalisierung der Finanzmärkte sowie die internationale Vernetzung der Ökonomie gehen einher mit Prozessen der politischen, sozialen und kulturellen Vernetzung.

Die so genannte Kulturwirtschaft gerät dabei als Erstes in den Blick. Denn entsprechend der expansiven Marktlogik ist es insbesondere die englischsprachige Musik- und Filmindustrie, die mit wenigen Global Playern riesige Marktanteile erobert hat und mit ihren marktschnittigen Kulturwaren weltweit präsent ist. Legt man zudem den weiten Kulturbegriff zu Grunde, betrachtet also insbesondere die Lebensweise als Teil von Kultur, dann sind es nicht nur die Kulturwaren, sondern eben auch alltägliche Konsumgegenstände mit ihrem Einfluss auf die Lebensweise - also die Nahrungsaufnahme und die vielfältigsten Konsumwaren in ihren ausgetüftelten Erscheinungsformen -, von denen Globalisierungsskeptiker oder -kritiker sagen, dass sie den lokalen und regionalen kulturellen Ausdruck (de)formieren. Eine Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik auf der Basis des weiten Kulturbegriffs muss sich dabei angesprochen fühlen, wenn es um die Globalisierung geht.

Auf der konzeptionellen und theoretischen Ebene wird Kulturpolitik als spezifisches Gestaltungsfeld zumindest in Konturen greifbar. Doch entspricht dieses Bild auch der alltäglichen Realität in den Kulturausschüssen der Kommunen, der Landtage oder des Bundestages? Stehen die "Lebensweisen" im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen wirklich auf der Agenda der Kulturverbände? Vermutlich zeichnet man kein Zerrbild dieser Akteure, wenn man diese Fragen vorsichtig verneint. Denn der Alltag kulturpolitischer Debatten wird sehr stark von Finanzierungsfragen geprägt: Es wird über Rahmenbedingungen gesprochen, über Strukturen, Haushalte, Urheber- und Verwertungsrechte, über die Künstlersozialkasse. Kulturpolitik ist in der Praxis auf Bundesebene sehr stark kulturelle Ordnungspolitik, auf Landes- und kommunaler Ebene überwiegend Kulturfinanzpolitik und in Verbänden Interessenpolitik für die jeweilige Berufsgruppe oder für die betreffenden Kultureinrichtungen.

Kulturpolitik kommt in der Praxis also überwiegend pragmatisch daher, die theoretischen Höhenflüge der Kultur(politik)theorie müssen praktisch umgesetzt werden: Einrichtungen mit ihren Arbeitsplätzen müssen erhalten werden, KünstlerInnen ohne Ängste alt werden können. Es kann jedoch auch die Suche nach neuen Geldquellen durchaus zu gesellschaftspolitisch ambitionierten Diskursen führen. Denn die Säulen der Kultur(förder)politik, von denen man heute spricht (öffentliche Kulturförderung, Kulturförderung der Wirtschaft, private Kulturausgaben und neuerdings vermehrt Stiftungen) haben sehr viel damit zu tun, welche Rolle dem Staat, der Wirtschaft und dem bürgerschaftlichen Engagement des Einzelnen in der Gesellschaft zukommt. Selbst eine noch so pragmatische kulturelle Ordnungspolitik wird sich den Diskursen über den sozialen, ökonomischen, politischen und kulturellen Wandel stellen müssen, weil hier neue Rahmenbedingungen geschaffen werden, die auch für den Kulturbereich relevant sind. Man kann sogar die These aufstellen, dass eine bloß pragmatische Kulturpolitik zur Zeit an ihr Ende zu kommen scheint, weil sie nicht mehr genügend Überzeugungskraft angesichts stark wachsender Legitimationsanforderungen entfaltet. Ich will daher zumindest einige Hinweise auf mögliche Begründungen von Kulturpolitik geben und dabei Ergebnisse der kulturellen Ordnungspolitik der letzten Jahre vorstellen.

II. Wozu Kultur?

"Kulturelle Ordnungspolitik" ist nicht unbedingt ein in der Praxis beliebter Begriff. Denn "Kultur" bezieht sich zwar immer auch auf die Gewohnheiten von Gruppen und Gesellschaften, hat aber - gerade in den Künsten - stets auch ein gesellschaftskritisches Potenzial: Kultur ist immer auch Kulturkritik. In einer systemtheoretischen Betrachtungsweise der Gesellschaft kann man die Subsysteme Wirtschaft, Politik, Soziales und Kultur unterscheiden, die alle vielfach miteinander in Beziehung stehen. Trotz der innergesellschaftlichen Vernetzung hat jedes dieser Subsysteme seine spezifische gesellschaftliche Aufgabe: die derWaren- und Dienstleistungsversorgung (Wirtschaft), der politischen Steuerung (Politik), der Schaffung sozialen Zusammenhalts (Soziales) und schließlich - als Aufgabe des Kulturbereichs - die Förderung des gesellschaftlichen Diskurses.

Man kann geradezu von "Kulturfunktionen" sprechen, die offenbar nötig sind, will eine Gesellschaft (oder soziale Gruppe) nicht in Agonie verfallen oder ihre Identität verlieren. Zu diesen Kulturfunktionen zählen etwa die Möglichkeiten zur Selbstreflexion, sich also Bilder von sich selbst zu schaffen und darüber zu diskutieren. Man braucht Angebote an Identitäten und Vorstellungen vom guten Leben; man benötigt ein soziales und kulturelles Gedächtnis, das nicht ohne Voraussetzungen entsteht. Im Kulturbereich werden Probleme thematisiert - ebenso wie im Feld der Wirtschaft und der Politik. Doch während man hier irgendwann - und oft ziemlich rasch - zu Lösungen kommen muss, dürfen und sollen sie im kulturellen Bereich offen gehalten werden. Dies gilt für den Kulturbereich insgesamt, es gilt jedoch insbesondere für die Künste, die trotz allen Redens über den "weiten Kulturbegriff" nach wie vor in dessen Mittelpunkt stehen.

Meine These ist, dass nur dann ein öffentlich geförderter Kunstbetrieb aufrechterhalten werden kann, wenn es zu zeigen gelingt, dass die Künste solche gesellschaftlich und für die individuelle Entwicklung notwendigen Kulturfunktionen erfüllen. Andernfalls werden zwar nicht die Künste aus der Gesellschaft verschwinden; sie werden jedoch dann nur noch als Wirtschaftsfaktor, als Teil einer kommunalen oder betrieblichen Selbstdarstellung oder als Standortfaktor eine Rolle spielen - also dort, wo ein eher betriebswirtschaftlich erfassbarer Nutzen belegt werden kann. Oder sie werden als Privatsache Einzelner begriffen, welche die Öffentlichkeit nicht weiter kümmern muss. Erfüllen die Künste derartige Kulturfunktionen? Hierzu nur einige Hinweise.

Wenn der künstlerische Leiter einer der bedeutendsten Ausstellungen zeitgenössischer Kunst - der 11.Documenta - davon spricht, dass es der Kunst nach wie vor um die "Erarbeitung und Entwicklung von Interpretationsmodellen für die verschiedenen Aspekte heutiger Vorstellungswelten" geht, dann spricht er von "Kulturfunktionen", die die Kunst erfüllen soll. Ähnliche Aussagen gibt es von VertreterInnen der Literatur, des Theaters, der Musik oder des Tanzes. Man erwartet also nach wie vor von den Künsten, dass sie der Gesellschaft Möglichkeiten verschaffen, sich selbst den Spiegel vorzuhalten, Lebensstile zu reflektieren, Identitätsangebote zu produzieren und Orientierungen bereitzustellen, die eine Verortung in Raum und Zeit ermöglichen. In der Geschichte der Menschheit entstanden als "Medien" einer solchen Selbstgestaltung, Selbstreflexion und Weltaneignung Religion und Mythos, aber auch Wissenschaft und Kunst. Ernst Cassirer nennt diese Hervorbringungen menschlichen Geistes symbolisch-kulturelle Formen und ihre Gesamtheit "Kultur". In dieser Hinsicht steht also die Kunst durchaus in Konkurrenz zu anderen Sinngebungsinstanzen, so dass die Skepsis von Okwui Enwezor, ob und wie die zeitgenössische Kunst diese Aufgabe der Interpretation noch erfüllen kann, verständlich wird.

Und tatsächlich zeigt die Geschichte, dass nicht alle symbolisch-kulturellen Formen zu jeder Zeit gleichmäßig in Anspruch genommen worden sind. Vielmehr geraten bestimmte Formen immer wieder in Verdacht, ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen zu können. So wurde der Mythos abgelöst durch Wissenschaft und Religion, die Religion wiederum erlebte in der Säkularisierung des 19. Jahrhunderts einen Prozess der Entwertung. Und seit einigen Jahren ist der Glaube an die Wissenschaft stark beschädigt. Verständlich ist daher die Vorsicht gegenüber der zeitgenössischen Kunst bei Okwui Enwezor, weil die Art und Weise, wie diese die genannten Funktionen erfüllt, ebenfalls ins Gerede gekommen ist. Zum Teil lag das sicherlich an künstlerischen Entwicklungen, zum Teil hatte es mit der generellen Infragestellung von Sinngebungsangeboten zu tun. Es ist also zu zeigen, wie die Künste die genannten Kulturfunktionen überhaupt erfüllen können.

Gesetzt den Fall, die Künste - als "harter Kern" der Kulturpolitik - erfüllen im Grundsatz die genannten Kulturfunktionen, dann schärfen sich erneut die Konturen dessen, was unter "Kulturpolitik" verstanden wird: Denn dann ist Kulturpolitik in der Tat Gesellschaftspolitik, unterscheidet sich jedoch von anderen Politikfeldern, die dies ebenfalls sind, durch die Art und Weise, wie gesellschaftspolitische Probleme behandelt werden. Dann ist es auch sinnvoll, für das System der Künste geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, so wie es eine pragmatisch orientierte kulturelle Ordnungspolitik seit Jahren erfolgreich betreibt. Notwendig ist es jedoch, sich dieser Wirkungen oder sogar Funktionen der Künste verstärkt zu besinnen. Denn die Zeiten, in denen die Gesellschaft und insbesondere die Parlamente ohne weitere Begründung Kulturausgaben bewilligten, gehen allmählich zu Ende. Es taugen zudem beide Trends in der Kulturpolitik und Kunstentwicklung der neunziger Jahre - nämlich eine ökonomische Sichtweise von Kunst, verbunden mit einem Trend zur Festivalisierung - wenig, die Künste in ihren Kulturfunktionen zu stärken. Auch hat die Selbstreferentialität des Kunstbetriebes sich an der einen oder anderen Stelle allzu ungehindert entfaltet, sodass - zu Recht - große Kultureinrichtungen nunmehr auf der Suche nach dem (vor allem jungen) Publikum sind. Denn was nützt die elaborierteste Kunst, wenn der Kreis, der sie zur Kenntnis nimmt, immer kleiner wird. Das bedeutet u.a., dass das Verständnis von Kulturpolitik aus den siebziger Jahren - Kulturpolitik als kulturelle Bildungspolitik - wieder belebt werden muss.

III. Eine kulturpolitische Zwischenbilanz: Ergebnisse und Perspektiven

Kulturpolitik als Ordnungspolitik hat in den letzten Jahren zahlreiche Erfolge erzielt. Insbesondere hat die von den Verbänden kräftig unterstützte Einrichtung des Amtes eines/einer "Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und Medien" (BKM) sowie die Wiederbelebung des Kulturausschusses im Bundestag für einen neuen Aufschwung auf Bundesebene gesorgt. Bei der Bilanzierung anhand der Wahlprüfsteine aus dem Jahr 1998 anlässlich des Endes der Legislaturperiode und bei der Vorlage der neuen Wahlprüfsteine bei der Bundestagswahl 2002 ist der Deutsche Kulturrat zu einer gemäßigt positiven Bewertung gekommen: Verbesserungen bei der Künstlersozialkasse, wichtige Schritte zu einem Stiftungsrecht, Verbesserungen bei der Besteuerung ausländischer KünstlerInnen, Erhaltung der Buchpreisbindung, ferner die Einrichtung einer Bundeskulturstiftung.

Unstrittig sind zudem die Verdienste des Bundes in den neunziger Jahren bei der Erhaltung zumindest eines Teils der kulturellen Infrastruktur in den neuen Ländern. So sind für das Aufbauprogramm "Kultur in den neuen Ländern" bis 2004 165 Mrd. Euro an Bundesmitteln vorgesehen, wobei zusammen mit Mitteln der Kommunen und Länder sowie privater Geldgeber etwa 400 Mrd. Euro erreicht werden. Es gibt zudem das "Leuchtturmprogramm" des BKM, das bundesweit bedeutsame Kultureinrichtungen fördert. Mit der deutschen Einigung ist daher die Tatsache verbunden, dass der Anteil des Bundes an der öffentlichen Kulturförderung sich von vormals drei bis vier Prozent auf nunmehr sieben Prozent verdoppelt hat. Nach neuen Berechnungen hat sich der Anteil der Gemeinden auf 46 Prozent (1998) verringert.

Hier zeigen sich anstehende Zukunftsaufgaben: Es geht zum einen um Strukturfragen innerhalb der einzelnen Kulturetats. So benötigen die großen Institutionen in den Bereichen Musiktheater, Bibliotheken und Museen bereits 51 Prozent des Gesamtetats, während die nicht institutionellen Projekt- und Fördertöpfe mit elf Prozent zu Buche schlagen. Die Verschiebungen in den Ausgaben zwischen Bund, Ländern und Gemeinden weisen zudem weniger auf konzeptionelle Umorientierungen als vielmehr auf finanzielle Notlagen hin, die insbesondere die Kommunen betreffen. Zurecht steht daher nicht nur eine Debatte über zukünftige kulturpolitische Zuständigkeiten, sondern auch eine Gemeindefinanzreform (im Kontext des Bund-Länder-Finanzausgleichs) auf der Tagesordnung der jetzigen Legislaturperiode.

Ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema war und ist die Unterstützung des bürgerschaftlichen Engagements, bei dem sich nicht nur neue Finanzierungsquellen für den Kulturbereich erschließen, sondern auch aktuelle Entwicklungen im Verhältnis zwischen Bürger, Gesellschaft und Staat aufgegriffen werden. Auch hier ist zu berücksichtigen, wie viele Kompetenzen inzwischen bei der Europäischen Union liegen. Aus dieser Zwischenbilanz (die hier nur in einigen Punkten skizziert wurde) ergeben sich einige Zukunftsaufgaben für die Kulturpolitik:

- Fortführung der Reform des Stiftungsrechts (Stifungszivilrecht);

- Führung der "Entflechtungsdebatte", d.h. Klärung der Verantwortlichkeiten zwischen Bund, Ländern und Gemeinden;

- demokratische Ausgestaltung der Bundeskulturstiftung im Hinblick auf die Beteiligung der Verbände;

- Stärkung der Rolle der Kultur in der zukünftigen Europäischen Verfassung;

- Stärkung der nationalen Kulturwirtschaften (Film, Musik, Bildende Kunst, Literatur);

- Stärkung der kulturellen Bildung vor dem Hintergrund einer problematisch verlaufenden PISA-Diskussion;

- Verbesserung des Dialogs zwischen den Kulturen auf der Basis der Erhaltung der kulturellen Vielfalt; kritische Überprüfung kulturalistischer Erklärungsmuster bei beabsichtigten kriegerischen Konflikten;

- Ausloten der Bedeutung des Zieles der Nachhaltigkeit für die Kultur(politik);

- kulturelle Bewertung des technischen Fortschritts (dies betrifft u.a. die Gentechnologie, aber auch die humanitäre Gestaltung der Informationstechnologie).

IV. Eine leistungsfähige nationale Kulturwirtschaft als Grundlage kultureller Vielfalt: Vorschläge für ein kulturpolitisches Rahmenkonzept

Die vom Deutschen Kulturrat und der Bundeszentrale für politische Bildung zusammen mit anderen Partnern durchgeführte internationale Fachtagung "Grenzenlos Kultur - culture unlimited" im Dezember 2002 in Berlin hat die Möglichkeiten für ein kulturpolitisches Rahmenkonzept auf internationaler und auf Bundesebene eröffnet. Dieses schlägt einen weiten Bogen von grundlegenden Annahmen über die gesellschaftliche Rolle der Kultur - vor allem dem Wert kultureller Vielfalt - bis hin zu ganz praktischen Vorschlägen für eine nationale kulturelle Ordnungspolitik. Es handelt sich um die Forderung nach einer Internationalen Konvention zur kulturellen Vielfalt, deren je nationale Umsetzung das hier angesprochene Rahmenkonzept darstellt. Ich will die Grundidee in fünf Punkten skizzieren:

1. Verwendete kulturpolitische Begrifflichkeit

Deutschland ist nicht nur reich an Kulturen, sondern auch reich an Kulturdiskursen. Dies hat zur Folge, dass kaum einer der Begriffe, die die Kulturpolitik verwenden muss, unstrittig oder eindeutig ist. In der internationalen kulturpolitischen Diskussion kann sich diese nationale Begriffskonfusion dann leicht multiplizieren. Diese Vielfalt ist durchaus ein politischer Nachteil. Denn ein Fazit der Analyse der unterschiedlichen Globalisierungstendenzen besteht darin, dass diese Prozesse politisch gestaltet werden können (eben weil sie keine "Naturereignisse" sind). Eine solche politische Gestaltung kann jedoch nur im Konzert der unterschiedlichen Nationen und Staaten, der nationalen und internationalen Organisationen der Zivilgesellschaft und internationaler Zusammenschlüsse erfolgen. Daraus folgt, dass es sinnvoll ist, sich auf die weit reichend diskutierte Begrifflichkeit der UNESCO einzulassen. Insbesondere wird hier die Verwendung von " Container-Begriffen" vermieden, die unter "Kultur" etwas Statisches, Homogenes und Abgrenzbares verstehen, anstatt das Heterogene, das Interkulturelle und das Dynamische zu betonen. Über Inhalte und Ziele von Kulturpolitik wird man natürlich weiter streiten müssen. Doch scheinen mir begriffliche nationale Sonderwege, die bewusst den internationalen Diskussionsstand auch über Begrifflichkeiten ignorieren, eher in die Provinzialität zu führen. Meine These: Bei der kulturpolitischen Gestaltung der Globalisierung ist eine "kulturpolitische Globalisierung" im Sinne einer gemeinsamen Begrifflichkeit, so wie sie die UNESCO verwendet, hilfreich.

2. Vom Wert der Künste und der Kultur

Alle kulturpolitischen Konzepte und Maßnahmen basieren auf der Grundüberzeugung, dass "Kultur" und "Kunst" in der und für die Gesellschaft notwendig sind. Insbesondere leistet eine künstlerisch-ästhetische Praxis Unverzichtbares für den Einzelnen (kulturelle Bildung) wie für die Gemeinschaft. Gerade in Deutschland waren wir es über Jahrzehnte gewohnt, dass dieser Grundkonsens auch außerhalb des Kulturbereichs nicht in Frage gestellt wird. Dies scheint sich nunmehr zu ändern. Meine These ist daher: Wir brauchen eine Kampagne, die den Wert der Künste und der Kultur in der Gesellschaft überzeugend vermittelt.

3. Zwei internationale Strategien

Die These von der "kulturellen Vielfalt als Reichtum einer Gesellschaft und der Menschheit insgesamt" hat international zu zwei sich komplementär ergänzenden Strategien geführt: Die erste Strategie ist eine Verhinderungsstrategie. Viele kulturwissenschaftliche Argumentationen laufen darauf hinaus, dass die Globalisierung das Lokale nicht nur nicht verdrängt, sondern ihm geradezu zu neuen Ehren verhilft ("Globalisierung"), es also nicht zu der oft befürchteten weltweiten Standardisierung und Homogenisierung des Kulturellen kommt. Tatsache ist aber auch, dass der weltweite Kulturmarkt regional oder sogar national begrenzte kulturelle Ausdrucksformen behindert oder sogar zerstört. Die erste Strategie zielt daher darauf, die immer wieder hervorgehobene Aussage "Kulturwaren sind Waren eigener Art" wirksam werden zu lassen. Das bedeutet insbesondere, dass Kultur und Bildung aus den GATS-Verhandlungen ausgeklammert werden müssen. In dieser Richtung gibt es inzwischen zahlreiche nationale und internationale Initiativen. Das Positionspapier des Deutschen Kulturrates vom 19. Juni 2001 ist hier anzuführen. Wichtig ist auch die "Brixen-Erklärung" der europäischen Regionalminister für Kultur und Bildung vom 18. Oktober 2002, in der gefordert wird, "dass die von demokratischen Gemeinwesen unterhaltenen Dienste in den Bereichen Bildung, Kultur und Medien zukünftig von der Behandlung im GATS ausgenommen werden" (Ziffer 22). Ich bin nicht sicher, ob sich das BKM in Verbindung mit dem Bundeswirtschaftsminister energisch genug in diese Verhandlungen eingemischt hat. Die Bundesregierung kann dies ohnehin nur indirekt tun, da die WTO-Verhandlungs-Vollmacht bei der EU-Kommission liegt. Und hier ist zumindest darauf hinzuweisen, dass die "Brixen-Erklärung" ein gewisses Maß an Misstrauen gegenüber der EU-Verhandlungsstrategie offenbart, sofern es um die Abschwächung von Liberalisierungstendenzen in der Wirtschaft geht (Ziffer 23).

Die zweite Strategie, die ebenfalls in der "Brixen-Erklärung" angesprochen und die vehement von einem größeren Kreis von UNESCO-Mitgliedstaaten verfolgt wird, ist die Weiterentwicklung der "Allgemeinen Erklärung zur kulturellen Vielfalt" zu einer Konvention. Die Argumentation ist die bisher skizzierte:

- Kulturelle Vielfalt ist Reichtum,

- Globalisierung bedroht diese Vielfalt.

Eine wichtige Schlussfolgerung ist daher die Forderung nach dem Ausbau regionaler und nationaler Kulturwirtschaften.

Grundlage einer solchen Konvention könnte ein inzwischen vorliegender erster Entwurf eines informellen Netzwerks von Kulturministern sein (INCP: International Network on Cultural Policy), der im September 2001 in Luzern verabschiedet worden ist (Titel: "An International Instrument on Cultural Diversity"). In diesem Entwurf eines "International Instruments" begegnen uns zahlreiche bekannte Vorschläge zum Schutz des Kulturbereichs: Quotierungen im Film und in Rundfunkanstalten zu Gunsten nationaler Kulturproduktionen, Unterstützung des nationalen Handels mit Kunstwaren. Zu diesem Kontext gehört der Kampf für die Erhaltung der Buchpreisbindung ebenso wie der halbe Mehrwertsteuersatz.

4. Öffentliche Verantwortung für Kultur: Fördern, "was es schwer hat"!

Artikel 15 des erwähnten Kulturministerentwurfs eines "Instruments für die Erhaltung der kulturellen Vielfalt" fordert unter dem Titel "Financial Support", dass Staaten auch weiterhin Kunst und Kultur fördern dürfen.

Kultur braucht eine funktionsfähige Kulturwirtschaft. Doch wird damit nur ein Teil des kulturellen Angebots in der Gesellschaft abgedeckt. Über weite Strecken kann Kunst keine Rentabilität in betriebswirtschaftlichem Sinn erzielen. Es muss daher weiterhin Raum geben für Experimentelles, es muss - so wie es das Kultursekretariat in Wuppertal als Slogan formuliert hat - weiterhin gefördert werden können, "was es schwer hat".

Alle ordnungspolitischen Teile der Kulturpolitik - lebensfähige Kulturwirtschaft, vernünftige gesetzliche Rahmenbedingungen, öffentliche Förderung, Ermutigung zu privatem Engagement - lassen sich daher gut in einer solchen Konvention zur kulturellen Vielfalt bündeln.

Konventionen müssen von den Nationalparlamenten ratifiziert werden. Es gibt internationale Kontrollverfahren, die auf der Basis nationaler Berichte die Umsetzung evaluieren. Die Verantwortung für diese Umsetzung liegt zwar formal beim Staat. Doch scheint mir hier ein Vorgehen nahe liegend, wie es bei einer anderen UNO-Konvention, nämlich der Konvention zu den Rechten des Kindes, praktiziert wurde: Meine These: Es ist zu überlegen, ob kulturpolitische Organisationen - eventuell zusammen mit staatlichen Stellen - eine "Nationale Koalition zur kulturellen Vielfalt" gründen, die zunächst die Entstehung und Beratung sowie später die Umsetzung dieser Konvention begleitet.

5. Kulturelle Bildung ist die Basis von Kultur

Kulturelle Bildungsarbeit steht unter einem doppelten Druck von GATS, da sowohl Kultur als auch Bildung Begehrlichkeiten der WTO geweckt haben. Kulturelle Bildungsarbeit steht jedoch auch unter dem Druck der bildungspolitischen Diskussion, die von PISA ausgelöst worden ist. Viele Anzeichen deuten z.B. darauf hin, dass es künstlerische Schulfächer in Zukunft nicht leichter haben werden. Wir müssen vielmehr aufpassen, dass ein angemessener Stundenanteil erhalten bleibt, dass das fachliche Niveau nicht abgesenkt wird, dass eine neu entstehende Ganztagsschule sinnvoll mit Kultur- und kulturpädagogischen Einrichtungen zusammenarbeitet und dass die Kindergärten nicht zu bloß kognitiv orientierten Vorschulen (z.B. Fremdsprachenunterricht) verkommen.

Kultureinrichtungen müssen zudem ein vitales Eigeninteresse an der Erhaltung der kulturellen Bildung in der Schule haben: Denn wer sonst soll sie besuchen, wenn nicht kulturell gebildete Menschen. Vor diesem Hintergrund muss man bedauernd feststellen, dass bislang die bildungspolitischen Interventionen bzw. Konsequenzen zu PISA aus der Breite des Kulturbereichs nicht sonderlich vehement sind. Daher auch hierzu meine These: Der Kulturbereich muss sich lautstark in die bildungspolitische Diskussion einmischen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Kulturpolitik ist als wissenschaftliche Disziplin an Hochschulen kaum verankert. Zur bislang einzigen Gesamtdarstellung vgl. Max Fuchs, Kulturpolitik als gesellschaftliche Aufgabe, Wiesbaden 1998. Hilfreich ist die kulturpolitische Bibliografie, die regelmäßig in der Zeitschrift Kulturpolitische Mitteilungen (herausgegeben von der Kulturpolitischen Gesellschaft) und in den Jahrbüchern für Kulturpolitik (seit 2000 herausgegeben vom Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft) zumindest einen Teil der kulturpolitischen Publikationen erfasst. Als Überblick zum Thema "Kultur" vgl. Terry Eagleton, Was ist Kultur?, München 2001.

  2. Vgl. die Beiträge in: Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung (Hrsg.), Lernziel Lebenskunst, Remscheid 1999, sowie Wilhelm Schmid, Philosophie der Lebenskunst, Frankfurt/M. 1998.

  3. Vgl. Max Fuchs, Persönlichkeit und Subjektivität, Opladen 2001, sowie Richard von Dülmen, Die Entdeckung des Individuums (1500 - 1800), Frankfurt/M. 1997.

  4. Vgl. Deutsche UNESCO-Kommission (Hrsg.), Kultur und Entwicklung. Zur Umsetzung des Stockholmer Aktionsplans, Bonn 1998.

  5. Vgl. Ulrich Beck, Was ist Globalisierung?, Frankfurt/M. 1998, sowie als Überblick über den aktuellen Diskussionsstand Max Fuchs, Kunst, Gesellschaft, Ökonomie undPolitikin Zeiten der Globalisierung, Remscheid 2002, als downloadauf der Homepage der Akademie Remscheid (www.akademieremscheid.de, Publikationen).

  6. Eine differenzierte Sicht vertreten Johanna Breidenbach und Ina Zukrigl, Tanz der Kulturen. Kulturelle Identität in einer globalisierten Welt, Reinbek 2000. Siehe auch die Beiträge zur kulturellen Globalisierung in Heft B12/2002 dieser Zeitschrift.

  7. Vgl. Ralf Konsersmann (Hrsg.), Kulturkritik. Reflexionen in einer veränderten Welt, Leipzig 2001.

  8. Ich beziehe mich hier auf Arbeiten von Richard Münch auf der Grundlage der Soziologie von Talcot Parsons; vgl. etwa Richard Münch, Dialektik der Kommunikationsgesellschaft, Frankfurt/M. 1991.

  9. Solche "Kulturfunktionen" lassen sich allgemein mit Hilfe der Anthropologie erklären; vgl. Max Fuchs, Mensch und Kultur, Wiesbaden 1999. Sie lassen sich zudem gesellschaftstheoretisch begründen.

  10. Eine ausgearbeitete Theorie hierzu liefert Volker Steenblock, Theorie der kulturellen Bildung, München 1999.

  11. Okwui Enwezor u.a., Documenta 11 - Plattform 5: Ausstellung. Katalog, Ostfildern - Ruit 2002.

  12. Vgl. den Überblick in: Max Fuchs, Kunst und Ästhetik. Neuere Entwicklungen, Remscheid 2003 (als download auf der website www.akademieremscheid.de, Publikationen).

  13. Ernst Cassirer, Versuch über den Menschen, Frankfurt/M. 1990.

  14. Das kann hier nicht geschehen. Siehe den Überblick bei M. Fuchs (Anm. 12).

  15. Vgl. Hartmut Häußermann/Walter Siebel (Hrsg.), Festivalisierung der Stadtpolitik, Leviathan-Sonderheft 13/1993.

  16. Siehe das Themenheft "Vier Jahre Bundeskulturpolitik" der Kulturpolitischen Mitteilungen, (2002) 3.

  17. Vgl. die Sonderausgabe der Zeitung des Deutschen Kulturrates "Politik und Kultur" vom Mai 2002.

  18. Vgl. Michael Söndermann, Kulturausgaben in Deutschland 2000, in: Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft (Hrsg.), Jahrbuch für Kulturpolitik 2000, Essen 2001, S. 341 - 371.

  19. Ebd., S. 358.

  20. Einige Beiträge sind in der Ausgabe 1/03 der Zeitung "Politik und Kultur" nachzulesen.

  21. Über die Programmatik der UNESCO kann man sich leicht auf den Homepages der UNESCO (www.unesco.org) und der Deutschen UNESCO-Kommission (www.unesco.de) informieren. Insbesondere findet man dort die angesprochenen Resolutionen und Erklärungen.

  22. Vgl. Max Fuchs, Culture unlimited, in: Politik und Kultur, Nr. 2/02.

  23. GATS = General Agreement on Trade in Services im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO.

  24. Vgl. meine Analysen zu PISA und PISA-E in: Politik und Kultur, Nr. 2/02, S. 11, und Nr. 3/02, S. 4.

Dr. phil., geb. 1948; Direktor der Akademie Remscheid; Honorarprofessor für Kulturarbeit an der Universität Essen; Vorsitzender der Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung und des Deutschen Kulturrates.
Anschrift: Akademie Remscheid, Küppelstein 34, 42857 Remscheid. E-Mail: E-Mail Link: fuchs@akademieremscheid.de

Veröffentlichungen u. a.: Kulturpolitik als gesellschaftliche Aufgabe. Eine Einführung in Theorie, Geschichte, Praxis, Wiesbaden 1998; Mensch und Kultur. Zu den anthropologischen Grundlagen von Kulturarbeit und Kulturpolitik, Wiesbaden 1999; Persönlichkeit und Subjektivität. Historische und systematische Studien zu ihrer Genese, Opladen 2001.