Länder- versus Parteiinteressen im Bundesrat – Realer Dualismus oder fiktive Differenzierung?
Die Vetomacht des Bundesrats führe nicht zu Blockaden, sondern zu konkordanzdemokratischen Prozessen. Ziel dieser Politik sei immer der Kompromiss, der aber in einer Mediendemokratie weniger spektakulär ist als Streit und Blockade.Einleitung*
Der Streit um die "Parteipolitisierung" des Bundesrates ist, auch wenn die gegenwärtigen Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat ihn wieder einmal auf die politische Agenda bringen, nicht neu. Bereits zu Zeiten der sozial-liberalen Regierung Schmidt/Genscher Mitte der siebziger Jahre haben es die von den Oppositionsparteien im Bund regierten Länder mit ihrer Stimmenmehrheit im Bundesrat erfolgreich verstanden, eine Reihe von hochpolitischen Gesetzen im Sinne ihrer (Bundes-)Parteien zu verändern. Dabei stand zunächst die Frage im Mittelpunkt der Diskussion, ob die Landesregierungen ihr Stimmverhalten im Bundesrat überhaupt parteipolitisch begründen dürften und sich nicht vielmehr auf "Landesinteressen" zu beschränken hätten.[1] In der zweiten und dritten Phase divergierender Mehrheiten von 1990/91 bis 1998 und sodann seit 1999 schien diese Frage grundsätzlich zugunsten eines - auch - parteipolitisch agierenden Bundesrats entschieden, jedenfalls soweit es die Staatsrechtslehre betraf.[2] Erstaunlicherweise wurde diese Wende von Teilen der Politikwissenschaft und der "veröffentlichten Meinung" nicht mitvollzogen. So finden sich noch in aktuellen Beiträgen in Fachzeitschriften Aussagen wie "Während der Bundesrat Länderinteressen vertreten und sich seine Vetomacht auf Fragen, die den Kernbereich der Länderinteressen berühren, beschränken soll, vertritt er zumindest in wichtigen Sachfragen regelmäßig Parteiinteressen"[3], und Sätze wie "Länderinteressen, die zu wahren der Bundesrat eigentlich die Aufgabe hat, stehen bei dessen Arbeit selten im Vordergrund - sondern Parteibeschlüsse"[4] sind bei Medienvertretern nicht selten anzutreffen. Zwar geht es in der seit Mitte der neunziger Jahre andauernden Diskussion vor allem um die drohende "Blockade" der Bundesgesetzgebung durch einen "oppositionellen" Bundesrat.[5] Kennzeichen beider Debatten ist aber nach wie vor, dass von der Existenz quasi "objektiver" Länderinteressen ausgegangen wird, die von (bundes)parteipolitischen Interessen der Landesregierungen verdrängt zu werden drohen.[6]
Angesichts dessen, dass sich in den Landesverfassungen naturgemäß keinerlei Aussagen über die jeweiligen Interessen eines Landes finden lassen, verbleibt die Definitionshoheit über diese bei den Landesregierungen. Damit stellt sich die Frage, ob sich aus der Perspektive der ihrerseits aus Parteien zusammengesetzten Landesregierungen nicht auch solche Entscheidungen als dem Landesinteresse gemäß definieren lassen, die dem ersten Augenschein nach (bundes)parteipolitischer Natur sind. Diese Frage steht im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen.
* Professor Stefan Immerfall und Dr. Gudrun Heinrich sei herzlich für hilfreiche Anmerkungen und Anregungen gedankt.