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Nichtregierungs-Organisationen und Demokratisierung in Südostasien

Rolf Hanisch

/ 28 Minuten zu lesen

Nichtregierungsorganisationen (NRO) gelten als Förderer der Demokratisierung in ihren Ländern. Ihre positive Rolle wird jedoch häufig überbewertet. Die externe Finanzierung hat strukturelle Konsequenzen, die auch den Demokratisierungsbeitrag einschränken.

Einleitung

In den vergangenen Jahrzehnten ist es weltweit zu einer geradezu explosionsartigen Zunahme von Nichtregierungsorganisationen (NRO) gekommen. Einige Länder Südostasiens - insbesondere die Philippinen, aber auch Thailand und Indonesien - gehören zu den Vorreitern dieser Entwicklung. Vergleichsweise dünn gesät sind NRO dagegen nach wie vor in Malaysia und Singapur sowie in Kambodscha und Vietnam. In Myanmar und Laos sind indigene NRO überhaupt nicht vertreten.

NRO können nur in dem Rahmen agieren, den ihnen der Staatsapparat zugesteht. Es hängt also von der Stärke des Staates, der Konsistenz seiner Politik, auch von dessen internationaler Abhängigkeit ab, ob sie diese Grenzen gelegentlich überschreiten können. In Südostasien hatten NRO nicht die Kraft, diese Freiräume selbst nachhaltig zu erweitern. Sie waren zwar an Demokratiebewegungen, die zum Sturz autoritärer Machthaber führten, beteiligt: 1986 in den Philippinen, 1992 in Thailand. Die Dynamik dieser hauptstädtischen Volksbewegungen konnten sie aber nicht bestimmen. In Indonesien 1998 waren sie kaum sichtbar. Beim Umsturz in den Philippinen 2001 waren sie an den Volksbewegungen gegen wie für den korrupten Präsidenten beteiligt.

Die demokratische Öffnung in einigen Ländern Südostasiens hat die Stellung der NRO zweifellos gestärkt. Am weitesten sind hierbei die Philippinen gegangen. Aber auch in Indonesien gelangten ehemalige NRO-Führer in die Regierung, sogar in die Präsidentschaft (Wahid). Selbst in Singapur wurden NRO-Vertreter ins Parlament kooptiert. Es fehlen noch Untersuchungen über die Gestaltungsspielräume der NRO-Vertreter im Staatsapparat zwischen Kooptation, Sachzwängen und Reformeifer.

Im Folgenden soll es darum gehen, am Beispiel der Region Südostasien zu skizzieren, welche Rolle NRO in den Demokratisierungsprozessen spielen können. Ein Teil der NRO versucht, einen Beitrag zur "Entwicklung" bisher marginalisierter Gruppen und zur "Demokratisierung" der institutionellen Ordnung (Polity) ihres Landes, ja des globalen politischen Systems, zu leisten. Sie stehen im Mittelpunkt der internationalen Aufmerksamkeit. Diese Entwicklungs-NRO setzen sich erstens durch Bereitstellung von Expertise, durch politische Aktionen und Basisarbeit für die Demokratisierung und "gute Regierungsführung" im weitesten Sinne ein. Sie suchen zweitens die Interessen marginalisierter Gruppen bzw. bisher weitgehend vernachlässigter öffentlicher Anliegen (z.B. Ökologie) in die Polities einzubringen und zu vertreten, und schließlich bemühen sie sich drittens um eine Stärkung und Entwicklung der politischen Handlungskapazitäten der bisher marginalisierten Gruppen selbst, damit diese als eigenständige Akteure am politischen Prozess teilnehmen können.

In der umfangreichen Literatur zu den NRO wird der Entwicklungs- und Demokratisierungsbeitrag meist unkritisch, ja apologetisch behandelt. Besonders bemerkenswert ist die geringe Aufmerksamkeit, die Finanzierungsfragen gewidmet wird. Nun gilt für NRO nicht weniger (eher mehr) als für andere Organisationen und Akteure: Wollen sie überörtlich aktiv und wirksam sein, brauchen sie größere Finanz- und Sachmittel, das gilt insbesondere dann, wenn sie sich um eine Massenbasis bemühen. Diese notwendigen Finanzmittel können in der Regel nicht von den Aktivisten der NRO selbst aufgebracht werden, meist auch nicht von den Mitgliedern der Massenbasis. Dieser Sachverhalt wirft erhebliche strukturelle Probleme auf, die im Folgenden in Zusammenhang mit der Demokratisierungsfrage diskutiert werden sollen.

Strukturprobleme durch die Mittelbeschaffung

Das Basisproblem der NRO ist die Akquisition von Finanzmitteln. Diese erfolgt fast ausschließlich über ausländische Förderer. Es gibt zwar in den südostasiatischen Ländern meist einen eigenen Spendenmarkt, dessen Mittel fließen jedoch meist nicht den unabhängigen politischen bzw. politisierten Entwicklungs-NRO zu. Auch gibt es, namentlich in den Philippinen, eine zunehmende Verflechtung von NRO mit politischen Kräften des Establishments sowie ihre Mitwirkung in staatlichen Gremien, die mit Finanztransfers bzw. Auftragsvergabe aus diesem Bereich verbunden ist. Dieser Tatbestand wirft nicht weniger brisante Fragen auf als die hier in Zusammenhang mit der externen Finanzierung erörterten Probleme.

Für die Kommunikation mit NRO in den Industrieländern sind in der Regel (englische) Sprach- und auch Antragskenntnisse notwendig, über die namentlich kleine NRO in Thailand und Indonesien, aber auch in den Philippinen nicht unbedingt verfügen. Die Gründung von NRO-Netzwerken und die Beteiligung einzelner NRO an mehreren Netzwerken auf regionaler, sektoraler, nationaler und schließlich international-regionaler Ebene sind auch - vielleicht sogar in erster Linie - aus den Bestrebungen zu verstehen, diese strukturellen Probleme kleiner NRO bei der ausländischen Spendeneinwerbung zu überwinden und kompetente Ansprechpartner für ausländische Förderer und Kapitalsammelstellen für Zuwendungen zu schaffen. Die Netzwerke bieten Formulierungs- und Gestaltungshilfen bei der Abfassung von Projektförderanträgen, in denen sie (in den Philippinen) auch flexibel auf die aktuellen entwicklungspolitischen Trends in den Industriestaaten einzugehen vermögen. Die Netzwerke schulen ihre Mitglieds-NRO für die effiziente Akquisition von ausländischen Hilfsgeldern, bringen sie mit NRO aus dem Norden zusammen und leisten für diese (bezahlte) Evaluierungsarbeit für laufende Projekte ihrer Mitglieder und für Projektanträge von Nicht-Mitgliedern.

Erfolgreiche NRO-Führer tanzen also auf mehreren Hochzeiten, vielleicht auf zu vielen. Durch die Mitgliedschaft in mehreren Netzwerken auf verschiedenen Ebenen, damit verbunden die Antragstellung, Berichterstattung, Selbstevaluierung, Pflege der Kontakte mit den Förder- und Partnerorganisationen durch den Besuch von Seminaren, Konferenzen, Tagungen, sind sie nicht selten voll ausgelastet. Ihre Kenntnisse und ihr Kontakt zu den Zielgruppen in ihrem Lande werden sich auf diese Weise kaum vertiefen oder gar halten lassen, ihre Expertise in dieser Hinsicht, wenn sie je bestanden hat, wird sich verflüchtigen; gleichwohl gelten sie als Experten und sachkundige Anwälte mit großer sachlicher und moralischer Autorität. Es ist gewiss nicht nur in Einzelfällen zweifelhaft, ob sie diese wirklich besitzen. Vielleicht fördert die dominante und überlebenswichtige internationale Schiene sogar die Entwicklung des Typus eines NRO-Führers, welcher der Basisarbeit ziemlich fern steht, über diese aber vortrefflich und kultiviert mehrsprachig zu schreiben und zu reden vermag. Akademische NRO-Führer tun deshalb immer mehr das, was sie professionellerweise am besten können: Sie organisieren Tagungen und Seminare, geben Mitteilungsblätter, Zeitschriften, Bücher und Sammelbände heraus, erstellen Datenbanken und richten Spezialbibliotheken ein, kurz: Sie engagieren und konzentrieren sich auf die politische Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeitund das Lobbying. Das geschieht alles fern der "Basis" in den unwirtlichen Peripherien des Landes.

Sie vermögen diese Tätigkeit auch intellektuell zu überhöhen und zu legitimieren: NRO "der dritten Generation" befinden sich auf einer höheren Stufe als die NRO, die sich mit Nothilfe und kleinräumigen Entwicklungsprojekten abmühen. Sie versuchen die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen zu verbessern, welche die Entfaltung der Armutsgruppen wesentlicher determinieren, als die Arbeit an lokalen und persönlichen Unzulänglichkeiten dies vermag. Das ist theoretisch nicht einmal falsch.

Ausländische Fördermittel werden in der Regel für "Projekte" vergeben und empfangen, d.h. für einen bestimmten definierbaren Zweck mit einer angebbaren Laufzeit. Die Beendigung eines Projektes führt zur Einstellung dieses Finanztransfers und kann eine NRO - wenn sie nicht über weitere parallele Vorhaben und Anschlussprojekte verfügt - in eine finanzielle und organisatorische Krise stürzen. Das Wachstum der indonesischen NRO etwa wird mit einer derartigen Wellenbewegung beschrieben. "Erfolgreiche" NRO vermögen immer mehr größere Projekte zu realisieren und Mittel einzuwerben. Da es nicht gleichzeitig gelingt, die Eigenressourcen nachhaltig zu verbessern, wächst die finanzielle Außenabhängigkeit mit dem Wachstum der NRO, die gleichwohl immer wieder in finanzielle Krisen- bzw. Defizitjahre schlittert. Das Netzwerksystem führt dazu, dass die finanziellen Transfers lange Wege zu gehen haben, bevor sie die Zielgruppen erreichen können. Die Werbung bei der Spendenakquisition (etwa in Deutschland) mit dem geringen Anteil der Verwaltungskosten (fünf bis zehn Prozent) wird damit konterkariert. Diese Daten treffen allenfalls für das Spenderland zu, ignorieren aber die langen, kostenintensiven Wege im Förderland. Dieses Problemfeld ist kaum erforscht.

Die mögliche Dimension des Problems macht Roger Wegner in seiner vortrefflich recherchierten Fallstudie deutlich: Ein Fischerselbsthilfeprojekt erhielt nur 42 % der in den Philippinen angelandeten Mittel, 10 % blieben beim vermittelnden Netzwerk, 48 % bei der intermediären NRO. Von den Gesamtausgaben einer deutschen Stiftung an diese NRO wurden nach seinen Ermittlungen nur 19 % für Gehälter der im Dorf tätigen Basisarbeiter und 11 % für basisnahe Seminare, also zusammen etwa 30 %, ausgegeben. Berücksichtigt man die erheblichen illegalen Mittelumlenkungen der NRO-Führerin (in die eigene Tasche), so reduzieren sich die basisnahen Ausgaben auf 20 bis 25 %, rechnet man ferner die Ausgaben für das Büro der Stiftung in Manila noch ein, die mit dieser NRO - etwas untypisch - ihr einziges Projekt verwaltete, so reduzieren sich die basisnahen Ausgaben auf 10 bis 15 % der Gesamtaufwendungen der Stiftung in diesem Lande.

Wie Außenzentriertheit auch auf Kosten der Basisarbeit gehen kann, erschließt sich dem Betrachter durch die kommunikative Infrastruktur der NRO. Man findet hier inzwischen meist die modernste Infrastruktur für die Kommunikation (Internet, E-Mail, Fax) zwischen den großen Städten und darüber hinaus in die weitere Region und die übrige Welt. Man residiert in der Hauptstadt und verfügt über bequeme Flugverbindungen in alle Zentren der Welt. Für den Ortsverkehr verfügt man über einen eigenen Fuhrpark - kaum geeignet, um in den Philippinen oder in Indonesien die Basisgruppen außerhalb Luzons bzw. Javas zu erreichen. Basisarbeiter in den Provinzen, die mehrere Dörfer zu betreuen haben, verfügen hingegen häufig nicht einmal über Mopeds.

Viele NRO publizieren Nachrichtenblätter, Zeitschriften, Bücher, Sammelbände - nicht selten (nur) in Englisch. Damit erreicht man allenfalls einen Teil der Mittel- und Oberschichten und natürlich das ausländische Auditorium, das diesen Sachverhalt besonders dankbar registriert, da es meist die (vielen) Landessprachen nicht versteht. Auf internationaler Ebene werden immer dichtere Netzwerke geknüpft. Diese umfassen nicht nur die Beziehungen zwischen Geber- und Nehmer-NRO, sondern schließen andere gleichgesinnte NRO in der Region und darüber hinaus, ferner Aktivisten, Professoren und Journalisten ein. Diese regionale und internationale Vernetzung ist nicht unsinnig, insbesondere wenn die NRO unter einem repressiven Regime agieren müssen. Sie schafft (internationale) Öffentlichkeit und damit einen gewissen Schutz. Internationale Konferenzen, Tagungen, die Beteiligung an internationalen Aktionsbündnissen und der Austausch von Publikationen ermöglichen die gegenseitige Vermittlung von Informationen und Erfahrungen. Man kann voneinander lernen, aber eben nur von seinesgleichen - nicht von den Zielgruppen an der Basis, um die es ja (meist) angeblich geht. Diese internationale Vernetzung mit einer regionalen bzw. globalen Solidarbewegung gibt der NRO vielleicht zusätzliche Schubkraft und Motivation und erschließt vielleicht auch weitere Geldgeber - sie kommt aber wieder von außen, nicht von innen, von der Basis, und das bleibt letztlich nicht ohne Konsequenzen.

Sind NRO demokratische Organisationen?

Die NRO treten meist explizit oder implizit für eine Demokratisierung ihrer Gesellschaften und einige - die Globalisierungskritiker - auch für eine Demokratisierung der globalen Institutionen ein. Wie steht es mit ihnen selbst? Sind die NRO demokratische Organisationen? Das ist im formalen Sinne nicht der Fall. Bei den NRO handelt es sich (meist) um Mitarbeiter-, nicht um Mitgliederorganisationen. Wenn mit "Zielgruppen" zusammengearbeitet wird, werden diese meist kleinräumig (auf Dorf- und Stadtteilebene) in "People's Organizations" (PO) organisiert und meist klientelistisch und exklusiv an jeweils eine NRO angebunden. Eine generalisierende Aussage scheint zunächst durch die Vielfalt der NRO - bezogen auf ihre Größe, Reichweite und auch ihre Organisationsformen - erschwert zu werden. Einen brauchbaren Erklärungsrahmen bietet dennoch die Lebenszyklustheorie von NRO, die hier kurz referiert werden soll.

Am Anfang wird die Betroffenheit einer kleinen Gruppe von (vermutlich) jungen Leuten (Studenten) über Probleme in der Gesellschaft oder einen Missstand stehen. Sie werden sich zum Handeln entschließen, sich organisieren. In diesem Stadium ("frühe Kindheit") mangelt es an allem (Geld, Infrastruktur, Expertise, Erfahrung) - nur nicht an Idealismus und Engagement. Die Gruppenmitglieder sind bereit, sich auch ohne Salär oder mit unterdurchschnittlichen Aufwandsentschädigungen für das gemeinsame Ziel einzusetzen. Selbst wenn sich eine Führungsperson mit Kompetenz und Autorität herausschält, handelt es sich um eine freie Assoziation. Jeder Einzelne kann jederzeit wieder abspringen, wenn seine Ansichten und Vorstellungen nicht berücksichtigt werden. Es geht zunächst darum, alle Mitarbeitswilligen durch das gemeinsame Ziel und eine kooperative Willensbildung über die Strategie zu integrieren. Will diese Gruppe sich institutionalisieren und ihren bisher sehr engen und begrenzten Wirkungskreis erweitern, muss sie sich um finanzielle Zuschüsse und möglicherweise auch um eine Legalisierung bemühen. Gelingt dies, kann die Entwicklung weitergehen - andernfalls würde dieser Versuch über kurz oder lang im Sande verlaufen.

Die anschließende "Jugend-Phase" wird als die vielleicht dynamischste und hektischste Zeit beschrieben, in der Mitarbeitermotivation und Solidarität noch sehr hoch sind, der Professionalisierungsgrad aber begrenzt und die Programmplanung eher schwach und chaotisch. Die eingeworbenen Mittel mögen die Kapazitäten der Organisation möglicherweise überstrapazieren, sie können nicht sinnvoll absorbiert werden, die Buchhaltung ist amateurhaft, externe Mittel können und werden u.U. schon privatisiert und beiseite geschafft (was später, in bürokratischen NRO, nicht unbedingt besser werden muss). Diese Probleme werden - nach der Lebenszyklustheorie - überwunden, und die NRO wird in eine produktive und für alle Beteiligten zufrieden stellende Phase des "Erwachsenenseins" und der "Reife" übergehen, in der sie ihre Identität voll ausbildet. Die Organisation und ihre Mitarbeiter können auf einer halbwegs gesicherten finanziellen Basis agieren. Dieser Höhepunkt trägt aber schon den Keim des Niedergangs in sich, den die Modelltheorie mit den Phasen "Aristokratie" (Herausbildung von Chef-Angestellten-Beziehungen) und "(frühe) Bürokratisierung" (Zunahme der internen Konflikte, Abnahme der Arbeitsmotivation und Produktivität und Versuche, mit bürokratischen Methoden gegenzusteuern) beschreibt. Es kommt zu "Scheidungen", Abspaltungen von unzufriedenen Mitarbeitern, die ihrerseits eine neue NRO gründen und damit den Lebenszyklus von neuem beginnen. Das Modell sieht nach der Phase der Bürokratisierung, wenn es nicht zu Gegenmaßnahmen (Dezentralisierung, Demokratisierung) kommt, den "Tod" der Organisation vor, der allerdings, auch mangels notwendiger Reformen, bei großen NRO ohne Einwirkung von außen noch nicht zu beobachten war.

Für unseren Zusammenhang ist nicht wichtig, ob große NRO ohne Vorlaufphasen von einem externen Sponsor gegründet werden oder ob die Prozesse der Aristokratisierung nicht schon vorher anzusetzen sind (was mir der Fall zu sein scheint). Sie beginnen m.E. mit der Einwerbung substanzieller externer Mittel - Verhandlungen mit Sponsoren und Förderern sind in der Regel " Chefsache". Dieser muss über Fähigkeiten verfügen (Sprachkenntnisse, Umgangsformen, schriftliche Formulierungsfähigkeit), die für die Basisarbeit nicht notwendig sind und über die möglicherweise - neben dem Chef - nicht allzu viele andere Aktivisten in der NRO verfügen. Mit der erfolgreichen Mitteleinwerbung transformiert sich der Primus inter Pares zum Chef, vielleicht sogar zum Patron, der es versteht, die eingeworbenen Finanzen unter Kontrolle zu halten, der über Gehälter und Gratifikationen, über die Arbeitsplatzausstattung, über die Teilnahme an beliebten (Auslands-)Konferenzen, Tagungen, Fortbildungskursen usw. entscheidet. In der Transitionsphase mag das Verhältnis zwischen dem Chef und den übrigen Gründungsmitgliedern dennoch intakt sein. Vielleicht findet sogar eine Oligarchisierung statt: Nicht eine Einzelperson, sondern ein kleiner (Gründer-)Kreis kontrolliert die Geschicke der expandierenden NRO, die immer mehr Mitarbeiter einstellt und als Angestellte entlohnt, die hier ihren Lebensunterhalt verdienen wollen und die sich für die gemeinnützigen Organisationsziele begeistern können - oder auch nicht.

Es bildet sich eine Dreiklassengesellschaft heraus: An der Spitze steht der Chef (und seine Familie) bzw. eine kleine Gruppe, ihre Mitte macht das (übrige) Personal in der Zentrale aus. Das Fußvolk sind die Basisarbeiter, die eigentlich wichtigste Gruppe für die Erreichung der Organisationsziele. Sie werden am schlechtesten bezahlt. Sie erhalten gelegentlich nicht einmal die für den ausländischen Finanzier budgetierten Gehälter. Sie haben selten Aufstiegschancen in der NRO bzw. durch die NRO, ihr Einfluss auf die Entscheidungsfindung ist gering bis nicht existent. Das Ergebnis ist nicht selten Lustlosigkeit und mangelnde Arbeitsmotivation unter den Basisarbeitern. Abhängig von den Arbeitsmarktbedingungen fassen junge Akademiker und Sekundarschulabgänger die Arbeit in einer NRO als Einstieg ins Berufsleben auf. Sie werden die NRO bald wieder verlassen, wenn sich ihnen bessere Möglichkeiten auf dem kommerziellen Arbeitsmarkt eröffnen. Inden Philippinen (mit seiner Akademikerschwemme) ist dies schwerer möglich als vor der Krise 1997/98 etwa in Thailand und wohl auch in Indonesien. In Thailand gab es Rekrutierungsprobleme für graduierte Sozialarbeiter.

Über die Willensbildungsprozesse und Konflikte in NRO wissen wir recht wenig. Differenzierte Aussagen über das Verhältnis von autoritärer und charismatischer Herrschaft und demokratischen bzw. konsensualen Verfahren, vielleicht auch über mögliche Lern- und Reformprozesse durch Konflikte in den NRO, sind noch nicht möglich. Der charismatische Gründerpräsident, der über die extern generierten Finanzen mehr oder weniger allein und unkontrolliert verfügt und damit in eine neopatrimoniale Rolle hineinwächst, indem er, gestützt auf diese Außenmittel, die NRO klientelistisch und bürokratisch kontrolliert, die er gleichzeitig zur materiellen Selbstprivilegierung nutzen kann, ist jedenfalls eine nicht seltene Erscheinung. Die vielen Abspaltungen und Neugründungen deuten jedoch darauf hin, dass die größeren und sich bürokratisierenden NRO ihre inneren Spannungen nicht durch konsensuale und demokratische Verfahren zu lösen vermögen. Als Kaderschmieden zur Einübung und Praktizierung demokratischer Normen und Verfahren sollte man sie daher besser nicht verstehen.

Politische Kapazitätsbildung der Armen

Arme, Marginalisierte, Mitglieder der Unterschichten verfügen über deutlich geringere politische Ressourcen als Angehörige der Mittel- und Oberschichten, um ihre Interessen in den politischen Prozess einbringen und sie bei der Formulierung und Umsetzung einer gesamtgesellschaftlichen Politik wirkungsvoll vertreten zu können. Sie müssen täglich um ihren Lebensunterhalt kämpfen, leben entweder auf einem niedrigen Niveau oder in ungesicherten Verhältnissen und verfügen nur über geringe Reserven, um Krisen zu überstehen oder um diese für "Extras", z.B. politische Aktionen, aufwenden zu können. Sie sind mit der täglichen Lösung unmittelbarer Probleme beschäftigt, die sie lokal erfahren und individuell begreifen, deren überörtliche, nationale und globale Zusammenhänge sie aber nicht erkennen, deren Wirkungsmechanismen sie nicht verstehen. Das gilt meist auch für die Institutionen der Polity, die für sie in pluralistisch-demokratischen Ordnungen formal zugänglich werden, in denen ihnen Rechte gegeben werden, die sie zuvor nicht hatten, über die sie allerdings nicht, sehr unzureichend oder nur nebulös informiert sind. Die einzige politische Ressource, über welche die Armen dominant verfügen - ihre große Zahl, aggregiert sogar meist als deutliche Mehrheiten in ihren Gesellschaften -, wird vergeudet, da ihre politische Inwertsetzung ein Bewusstsein über eine gemeinsame Interessenlage voraussetzt, das in politische Organisationen und zielgerichtete kollektive Aktionen umgesetzt werden kann. All dies ist meist nicht gegeben. Die Vereinzelung und der Individualismus werden meist nur durch Familien-, Nachbarschafts-, vielleicht ethnisch/religiöse Bindungen und die Mitgliedschaft am unteren Ende von hierarchischen Klientelnetzen überwunden.

Diese primordialen Vergemeinschaftungen bieten eine gewisse Schutz- und Versicherungsfunktion und sind auch politisch wirkungsmächtig - sie tragen allerdings selten zu Problemlösungen bei, in denen die Interessen der Armen kollektiv berücksichtigt werden. Entwicklungs-NRO versuchen diese Verhältnisse aufzubrechen und zu überwinden. Sie versuchen, die Armen über Wirkungszusammenhänge, die ihre Situation determinieren, zu informieren und ihnen ein Bewusstsein für die gemeinsame Interessenlage zu vermitteln, um sie zu zielgerichtetem kollektivem Handeln anzuleiten. Das erfordert die Entwicklung organisatorischer Fähigkeiten, Kenntnisse über Lokalität und Wirkungsweise der ersten (Wahlgremien), zweiten (Exekutivorgane), dritten (Justiz) und "vierten" Gewalt (Medien), über Partizipationsrechte, Beschwerde-, Einspruchs- und Streitschlichtungsmöglichkeiten in der Polity. Man spricht von einem "political empowerment of the poor", der politischen Kapazitätsbildung der Armen.

Diese politische Arbeit der NRO wird erschwert durch die soziale Differenzierung auch in Armutsgegenden - nicht nur in Südostasien. Diese weisen sehr selten eine homogene Sozialstruktur auf, Bewohner von Slums oder Squattersiedlungen sind nicht alle gleich arm. Hier finden wir relativ Reiche, die andere vielleicht durch Kreditbeziehungen oder den Verkauf von Wasser oder Elektrizität ausbeuten. Es gibt hier Hausbesitzer, Vermieter und Mieter. Das ist in armen Dörfern auf dem Lande nicht anders, wo sich landbesitzende Klein- und Mittelbauern und Landlose gegenüberstehen können. Es gibt erhebliche Spannungen, gegenseitiges Misstrauen und Konkurrenzdenken auch in kleinräumigen Sozialverbänden, die erkannt werden müssen, um sie zugunsten der Vertretung gemeinsamer Ziele überwinden zu können, was nicht immer leicht ist. Als Ansatzpunkte für die Intervention von NRO bieten sich meist nichtalltägliche Probleme und Krisen der Armen an, die ihre prekäre Situation noch weiter zu verschlechtern drohen. Dabei handelt es sich sehr oft um Landkonflikte und Landvertreibungen auf dem Land und in der Stadt durch Landbesitzer, den Staat und seine Agenturen für Entwicklungsprojekte (etwa Staudamm- und Straßenbau, aber auch Golfanlagen).

Die Bereitschaft der Bevölkerung, kollektiv zur Sicherung ihrer Rechte zu agieren, sich zu organisieren bzw. sich (durch NRO) organisieren zu lassen, ist in Krisensituationen am größten. Es liegt inzwischen eine umfangreiche Fallstudienliteratur vor, die derartige Konflikte und die Rolle der NRO sowie der von diesen gegründeten bzw. unterstützten "people's organisations" (PO) beschreibt. Hier werden immer wieder Niederlagen eingesteckt, aber auch Erfolge oder doch Kompromisse erzielt. In jedem Fall leisten die NRO einen wichtigen Beitrag zur Pluralisierung und Demokratisierung ihrer Polities, auch unabhängig von den jeweiligen Ergebnissen dieser Aktionen. Sie stehen gelegentlich auch in verschiedenen Lagern: im Norden Thailands z.B. auf Seiten der Talbewohner, die aus Wasserschutzgründen die Vertreibung der illegalen Siedler in den Bergen befürworten, oder auf Seiten eben dieser Siedler, die sich der Vertreibung widersetzen. Damit wird deutlich, dass nicht alle Anliegen armer Bevölkerungsgruppen angemessen sind und berücksichtigt werden können. Es kann daher oft auch nicht darum gehen, dass der Status quo zu ihren Gunsten erhalten bleibt, sondern nur, dass sie angemessen entschädigt werden.

Politik im demokratischen Staat ist nicht (allein) die Suche nach der optimalen Lösung, sie sollte auch nicht zur Selbstprivilegierung von Partikularinteressen missbraucht werden, sondern zum Kompromiss zwischen möglichst vielen artikulationsfähigen Interessen führen, zu denen möglicherweise dank NRO-Hilfe nun auch betroffene Armutsgruppen gehören, die bisher ausgeschlossen waren. Für unsere Fragestellung ist wichtig, dass die Armutsbevölkerung auf diese Weise nicht nachhaltig mobilisiert und organisiert werden kann. Deren Bereitschaft zur kollektiven politischen Aktion schwindet deutlich, wenn sich ihr Problem - im negativen, aber auch im für sie positiven Sinne - erledigt hat. Da neue Problemzonen auftreten, wo die alten wegfallen, findet quasi ein Austausch der den NRO verbundenen Massenbasis statt; diese nimmt aber nicht zu.

Die NRO versuchen gegenzusteuern, indem sie auch in allgemeinen, alltäglichen Notlagen Hilfe leisten und Ressourcen zur Verfügung stellen, wodurch sie die Armutsgruppen faktisch klientelistisch an sich zu binden versuchen. Gelegentlich ist der Ressourcentransfer, den sie in lokale Gesellschaften kanalisieren, allerdings dürftig bis bescheiden, gleichwohl müssen sie deshalb nicht bei ihren Organisationsversuchen scheitern. Arme wagen nicht unbedingt, sich offen zu verweigern, wenn sie die negativen Konsequenzen nicht übersehen können. Es entstehen so Phantom-PO. Sie zieren die Statistik, legitimieren die NRO, in ihnen passiert aber eigentlich nichts (oder sehr wenig). Die NRO tut so, als ob sie Dienste und Ressourcen zur Verfügung stellt, die Dorfbewohner erwecken den Anschein, als ob sie sich beteiligen würden. Das ist weder eine produktive noch eine konfliktreiche Beziehung. Selbst dort, wo ein nennenswerter Ressourcentransfer stattfindet, ist es ausgesprochen schwierig, die Begünstigten zu einer Partizipation mit mittel- und langfristiger Perspektive zu veranlassen. Für die Arbeit in den Slums von Bangkok, in denen nicht weniger als 84 Organisationen, darunter neun Regierungsbehörden, neun Universitäten, neun studentische Gruppen, 32 registrierte und 19 nichtregistrierte NRO tätig waren, konstatiert ein Ortskenner, dass die Leute nur für die Lösung unmittelbarer Probleme zu gewinnen und viele einfach zu arm seien, sich überhaupt an Gemeinschaftsaufgaben zu beteiligen. Das Ergebnis ist, dass Gemeinschaftsunternehmungen kurzfristig angelegt und möglichst emotional aufgeladen sein müssen und entweder Erfolg haben oder scheitern - ohne über einen zweiten Versuch zu verfügen.

Die mit- oder sogar eigenverantwortliche Verwaltung und Verteilung der externen Zuwendungen ist in der Regel möglich. Erhebliche Probleme tauchen jedoch auf, wenn die externen Mittel durch eine eigene Ressourcenproduktion ergänzt, relativiert und vielleicht sogar (langfristig) ersetzt werden sollen, obwohl die ersteren doch eigentlich die Einkommen erhöht haben sollten und damit die Bedingungen für die eigene Ressourcenproduktion verbessert haben müssten. Die formale Zahl der gegründeten und von außen geförderten PO kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich nur wenige durch eine eigene Ressourcenproduktion zu institutionalisieren vermögen, also sich in die Lage versetzen, auch ohne Bindung an eine NRO (oder Regierungsbehörde) zu überleben bzw. sich an den Kosten externer Leistungen zu beteiligen. NRO versuchen deshalb gar nicht, eine Kostenbeteiligung der von ihnen geförderten PO durchzusetzen. Vermutlich erscheint ihnen das Risiko zu groß, dass ihnen ihre Zielgruppen wegbrechen, die ihre eigene externe Alimentierung legitimieren. Sie beschränken sich daher auf gelegentliche Klagen über die "Bettlermentalität" ihrer Klientinnen.

Schließlich versucht man, durch Trainings- und Ausbildungsmaßnahmen den Individualismus der Armen zu überwinden und die notwendigen Fähigkeiten für die politische Arbeit zu vermitteln. Doch über die Wirksamkeit dieser Förderung wissen wir sehr wenig. Ausbildungsmaßnahmen wurden bisher allenfalls auf der curricularen und der didaktischen Ebene evaluiert. Aufwändige Analysen über den Verbleib von Absolventen gibt es meines Wissens nicht. Nicht untypisch ist die Bewertung des ansonsten durchaus kritischen Seamus Cleary. Er stellt der 1991 gegründeten Education for Life Foundation (ELF) auf den Philippinen, die durch Ausbildungs- und Bildungsprogramme für "Graswurzelführer" deren Handlungsfähigkeit verbessern will, um deren Organisationen und damit "die Demokratisierung und Entwicklung von unten" zu stärken, ein positives Zeugnis aus. Er führt den Projekterfolg auf die Mitwirkung der Lehrgangsteilnehmer an der Formulierung der Ausbildungsziele und auf die Flexibilität der ELF zurück, diese zu berücksichtigen. Den Teilnehmern bescheinigt er "gewachsenes Selbstbewusstsein". Er stützt sich auf Eigeneinschätzungen der ELF-Mitarbeiter, der Partner-NRO und Basisorganisationen und von ehemaligen Kursteilnehmern. Das mag so sein - oder auch nur Wunschdenken bzw. die Zufriedenheit mit dem Förderprojekt widerspiegeln. Cleary hat die ELF für den externen Förderer mit einem Team evaluiert und ist nach eigenen Angaben im Lande nicht weniger als 2500 Kilometer mit dem Auto herumgereist. Für eine detaillierte Wirkungsanalyse fehlte allerdings die Zeit. Politisches Bewusstsein lässt sich nun aber sehr schwer messen und sollte durch politisches Handeln erschlossen werden. Das kann nur durch detaillierte Fallstudien erfolgen, in denen die Willensbildung in den Basisorganisationen, die Beziehungen zu NRO-Basisorganisationen und auch der Basisorganisationen gegenüber Dritten (z.B. dem Staat) untersucht werden. Betrachtet man das Problem auf der Makroebene, so ist die Mobilisierungsbereitschaft der Armen - auch nach Jahren und Jahrzehnten der Bildungsarbeit - für "ihre" Interessen nach wie vor sehr beschränkt.

Interessenkonflikte

In der umfangreichen Literatur über die internationalen NRO (INRO), nationalen NRO und lokalen PO wird auf die positiven Aspekte dieser Vernetzung auf internationaler, nationaler und lokale Ebene hingewiesen. Diese verleiht allen Beteiligten bei der Thematisierung und Durchsetzung ihrer Anliegen mehr Schubkraft. Das ist im Allgemeinen sicher auch zutreffend. Man geht dabei allerdings immer von einer Interessenharmonie zwischen allen drei Ebenen aus. Selten werden mögliche Interessendisharmonien und daraus resultierende Konflikte bzw. politisierte Abhängigkeitsbeziehungen thematisiert und untersucht. Werden also die (nationalen) NRO von ihren externen Fördern, den INRO, ferngesteuert wie die PO durch die NRO (und damit indirekt durch die INRO) - und dies gegen die jeweiligen eigenen, unpersönlichen Interessenlagen?

Tatsächlich haben die INRO meist eine konkrete Vorstellung, in welche Richtung sie die Welt durch ihre Förderbeziehungen verändern und verbessern wollen. Diese setzen sie in Vergaberichtlinien und Abrechnungsprozeduren gegenüber ihren Partnern bzw. Klienten um - die sich nicht selten dadurch drangsaliert und gegängelt sehen. Auch wenn Verbesserungen im Einzelnen immer denkbar sind, so resultieren diese Vorstellungen aus der internationalen (wissenschaftlichen) Diskussion, an der sich auch die Akademiker (etwa Südostasiens) beteiligen. Hier werden universelle Rechte und Probleme thematisiert und gelegentlich durch ideologisch unterschiedliche Brillen - links, grün, liberal, konservativ, christlich - gesehen. Bedeutsam sind diese Etikettierungen in der Praxis jedoch nicht, jedenfalls kann man immer wieder Partnerbeziehungen antreffen, die nicht auf beiden Seiten diesen Zuschreibungen entsprechen. Dennoch gibt es gelegentlich Interessendisharmonien zwischen INRO und NRO auf der einen und PO auf der anderen Seite; selten verdichten diese sich zu Konflikten, die sichtbar ausgetragen werden.

Die NRO und INRO haben (oft) eine über den Fall hinaus reichende Agenda. Sie agieren für den Schutz des Regenwaldes, der Tierwelt, des Ökosystems, des Weltklimas, vielleicht für die Menschen in ihren althergebrachten Lebenszusammenhängen. Sie wollen die Landbewohner dazu bewegen, auf dem Lande zu bleiben und nicht in die überbordenden urbanen Metropolen abzuwandern. Sie versuchen, das kapitalistische Wachstum in all seinen Ausprägungen zu bekämpfen und zu verhindern. Die ortsansässige (Armuts-)Bevölkerung interessiert jedoch meist nur die Lösung ihrer eigenen Probleme, nicht die darüber hinaus reichenden Implikationen und Konsequenzen. Vermutlich ist (meist) auch ihr Verhältnis zur Natur ein ganz anderes als das der modernen westlichen Ökologiebewegung.

Während für jene allein die Verhinderung eines möglicherweise ökologisch bedenklichen Projektes das Ziel sein kann, mag es für die örtliche Bevölkerung sinnvoller sein, auf das Aushandeln möglichst günstiger Bedingungen der Kompensation und nicht auf eine für sie riskante Strategie der Verhinderung und damit des "Alles oder nichts" zu setzen. Diese Interessenunterschiede sind auch in anderen Bereichen denkbar, eigentlich überall dort, wo langfristige strukturelle (der NRO) und kurzfristige mittelbare Interessen (der Zielgruppen) nicht kompatibel sind und wo deshalb NRO die Zielgruppen zu ihren Werten, Ideologien und Zielen "erziehen" wollen. Eine NRO, die zwar behauptet, die Förderung der "Aspirationen, Werte, Traditionen und den Lebensstil der Basisgemeinschaften" anzustreben, aber das Ziel verfolgt, dass die Dorfbewohner "nicht noch mehr konsum- und marktorientiert (...) und damit noch egoistischer werden und die Umwelt zerstören", macht diesen Zielkonflikt deutlich (und versucht ihn gleichzeitig zu vernebeln). Ihre Klienten sind an einem höheren Einkommen (etwa) durch eine bessere Bewässerung interessiert und möchte dieses dann auch genießen, also konsumieren.

Im vorliegenden Fall brauchten die Jungakademiker aus Bangkok bis zu zwei Jahre, um die Dorfbewohner überhaupt zu bewegen, an ihren Projekten teilzunehmen. Der Aufbau lokaler Organisationen war dennoch nicht erfolgreich. Seamus Cleary hat die Frage "In wessen Interesse?" aufgeworfen und im Fall der Kampagnen gegen den Bau des Kedung-Omo-Staudamms sowie gegen den Plan eines US-Konzerns, eine riesige Eukalyptusplantage anzulegen, gezeigt, wie die ursprünglich gemeinsamen Interessen der dagegen kämpfenden lokalen Bevölkerungen sowie der indonesischen und internationalen NRO später auseinander drifteten und die ersteren marginalisiert wurden. Tim Forsyth beschäftigte sich kürzlich in ähnlicher Weise kritisch mit der Ökologiebewegung in Thailand.

Interessendisharmonien zwischen NRO und Zielgruppen werden nicht notwendigerweise als Konflikte offen ausgetragen - und entgehen vielleicht deshalb unserer Aufmerksamkeit. Schauen wir uns die politische Ökonomie dieses Verhältnisses etwas näher an: NRO bringen materielle Güter und Dienstleistungen in die Beziehung ein, für welche die Zielgruppen nicht unbedingt Gegenleistungen zu erbringen haben. Selbst eine eigene Ressourcenproduktion wird von diesen nicht immer erwartet; wenn sie gefordert wird, wird sie allenfalls schwach an die Verfügbarkeit der externen Leistungen gekoppelt. Es gilt schon als Erfolg, wenn Kredite (zum Teil) zurückgezahlt werden, wenn Leistungen wenigstens nominal bezahlt werden. Unter diesen Bedingungen kann sich eher eine klientelistische denn eine partnerschaftliche Beziehung, mit einer eindeutigen Rollenzuweisung für Geber und Nehmer, entwickeln. Dieser Klientelismus unterscheidet sich in zwei wesentlichen Punkten vom Klientelismus herkömmlicher Art: Die Leistungen stabilisieren und legitimieren keine Ausbeutungsbeziehungen, und - das ist in unserem Zusammenhang wichtiger - die Klienten tauschen auch keine anderen nichtmateriellen Ressourcen (z.B. Loyalität, politische Gefolgschaft) gegen die materiellen Leistungen, die sie empfangen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich der Geber dennoch um einen partnerschaftlichen Umgang bemüht, die Ziele und die Handlungsmöglichkeiten der Beziehung mit den Klienten diskutiert und aushandelt. Viele NRO bemühen sich darum. Es gibt dabei nicht selten Verständigungs-, vielleicht sogar Sprachprobleme.

Welche Möglichkeiten hätten beide Seiten, sich in kontroversen Fragen durchzusetzen? Die NRO scheint alle Trümpfe in der Hand zu haben. Sie könnte die Förderbeziehung abbrechen bzw. mit dem Abbruch drohen. Sie würde nur einen Klienten verlieren, der praktisch keinen eigenen Input in die Beziehung eingebracht hat, den sie vermissen würde. Diese Argumentation übersieht, dass die NRO ihre Existenz (gegenüber ihren Förderern) durch die Beziehung zu diesen (und anderen) Zielgruppen legitimiert. Sie hat kein Interesse daran, dass ihre Förderbeziehungen ins Zwielicht geraten, selbst wenn ihre eigene Position plausibel erscheint. Laute Kontroversen und Konflikte muss sie also vermeiden, auch das öffentlichkeitswirksame Eingeständnis von gescheiterten Förderbeziehungen. PO, die diese Achillesferse erkennen und sie durch öffentlichkeitswirksame Aktionen (z.B. durch eine Demonstration vor dem NRO-Hauptquartier) nutzen, würden dadurch eine wesentliche Verhandlungsvollmacht gewinnen. Derartige Fälle scheint es jedoch nicht zu geben, jedenfalls sind sie mir nicht bekannt.

Wahrscheinlicher ist ein anderes Szenario: Die Zielgruppen sind über den Umfang der Förderung und der externen Zuwendungen enttäuscht und kümmern sich nicht weiter um die NRO oder versuchen, eine andere Förderbeziehung einzugehen. Es handelt sich also eher um passive und leise Strategien, die es der NRO ermöglichen, die Fiktion der Partnerschaftsbeziehung aufrechtzuerhalten, sie allenfalls zwingen, den Ressourcentransfer anzuheben, um der Gefahr einer formellen Auflösung der Förderbeziehung durch die PO vorzubeugen. Ein Wechsel der fördernden NRO durch eine PO setzt allerdings nicht nur örtlich verfügbare Alternativen, sondern auch eine gewisse Institutionalisierung und damit Handlungsfähigkeit der PO selbst voraus, also zwei Bedingungen, die nicht allzu oft gegeben sind.

Auch selbstkritische NRO-Aktivisten haben das Problem inzwischen erkannt und fordern eine größere Rechenschaftspflicht gegenüber "den Leuten, denen sie dienen". Eine Konferenz südostasiatischer NRO forderte in dieser Hinsicht u.a.: "5. NRO müssen ihr eigenes Haus in Bezug auf Rechenschaftspflicht, Integrität und Selbstregulierung in Ordnung bringen. (Sie) sollten angesehene Persönlichkeiten, die nicht der eigenen Belegschaft, sondern verschiedenen Segmenten der Gesellschaft angehören, in ihre Aufsichtsgremien aufnehmen, und diese sollten sich auch nicht scheuen, schwierige Fragen zu stellen. Größeres Gewicht soll auf die örtliche Mittelmobilisierung gelegt werden, und entsprechend soll die Abhängigkeit von der ausländischen Finanzierung abgebaut werden. 6. Diejenigen NRO, die Dienstleistungen anbieten, sollen Wege suchen, wie sie gegenüber den Menschen, denen sie dienen, rechenschaftspflichtiger werden. Dies kann dadurch erfolgen, dass sie deren Repräsentanten in ihre Aufsichtsgremien aufnehmen, ihre ausgebildeten Angestellten und Dienstleistungen in die Mitglieder-kontrollierten PO integrieren und/oder die lokale Finanzierung ausbauen. Dazu gehört der Abschluss von Gebühren-gegen-Dienstleistung-Abkommen, die die Finanzen an die Klientenzufriedenheit koppeln." Im Kern geht es bei diesen Reformvorstellungen also um die eigene Ressourcenmobilisierung sowohl der NRO wie auch der PO - beides ist leichter gefordert denn umgesetzt.

Mitwirkung in den Polities

Den NRO wird zugeschrieben, dass sie wesentliche Elemente einer sich entwickelnden bzw. zu entwickelnden Zivilgesellschaft seien. Sie trügen dazu bei, kollektive Interessen, insbesondere auch der Armen und Benachteiligten, gegenüber dem Staat und der Bürokratie sowie den Marktakteuren zu artikulieren, zu verteidigen und in Verhandlungen einzubringen. Sie würden damit die ungerechte und ineffiziente staatliche Politik sowie die Ursachen sozialer Konflikte vermindern bzw. beheben helfen und damit einen Beitrag zur Demokratisierung ihrer Gesellschaften durch Pluralisierung und zu einer sachkompetenteren Unterfütterung der Politik leisten. Sie würden damit zu "einer Stärkung des Bürgerbewusstseins, der (politischen) Kenntnisse, der Interessen, der Partizipation und der Fähigkeit zu Sanktionen" und damit zu einem inklusiveren politischen Prozess und zu einer größeren Rechenschaftspflichtigkeit der politischen Amtsträger und der Bürokratie beitragen.

NRO leisten ihren Beitrag zur politischen Pluralisierung durch die Interessenvertretung marginalisierter gesellschaftlicher Gruppen und durch die Thematisierung gesamtgesellschaftlicher Grundfragen. Sie leisten diesen Beitrag jenseits der staatsbürokratischen bzw. (privaten) oligarchischen Interessenartikulation, allerdings in mehr oder weniger großer Abhängigkeit von der ersteren. Sie bringen damit auch sachliche Kompetenz in den Politikprozess ein, die ohne sie möglicherweise unberücksichtigt bleiben würde. Das bedeutet nicht, dass sie immer inhaltliche Maßstäbe setzen. Sie betreiben auch Interessenpolitik und stellen sich damit auf einen normativen Prüfstand. Sie sind auch im technokratischen Sinne durchaus nicht immer so kompetent, wie sie vorgeben und ihre Apologeten meinen, und sie stochern bisweilen im Dunkeln ("Manchmal wissen wir nicht so genau, was die Landbevölkerung wirklich will") bzw. lassen sich von Emotionen und den Medien zu Kampagnen verleiten, die sie selbst thematisch noch nicht ausreichend durchdrungen haben.

Trotz mancher Fehlleistungen und interessengebundener Abweichungen tragen sie allerdings zu einer Intellektualisierung und zu größerer Transparenz des politischen Diskurses bei. Das sollte nicht unterbewertet werden. Das gilt insbesondere, aber nicht ausschließlich für die NRO, die sich als Demokratiemotoren konstituiert haben und sich für Demokratisierung, Transparenz der Verwaltung und der öffentlichen Debatte nationaler Fragen, etwa der Bekämpfung der öffentlichen Verschwendung und der Korruption, einsetzen, wie auch für die NRO, die einen Aspekt des Bürgerrechtsmonitoring in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen, also etwa die Beobachtung von Menschenrechtsverletzungen oder die Wahlbeobachtung und -erziehung betreiben.

Die alles in allem eher mäßige politische Durchsetzungskraft der NRO hängt wesentlich damit zusammen, dass sie nicht in der Lage sind, die Massen zu mobilisieren, die sie zu repräsentieren bzw. die sie direkt zu fördern versuchen. Sie vermögen Forderungen zu artikulieren und auch Proteste, Demonstrationen, massenhafte Sit-ins theatralisch zu inszenieren. In den Metropolen Südostasiens (Bangkok, Manila) können NRO-Aktivisten, ihre Angehörigen, Freunde und Unterstützer (Studenten) ansehnliche Veranstaltungen mit tausenden, vielleicht sogar zehntausenden Teilnehmern auf die Beine stellen und die politisch Verantwortlichen so zwingen, sich mit ihren Forderungen auseinander zu setzen. Sie können dabei aber nicht ernsthaft die Mobilisierung einer breiten Basis in die Waagschale werfen.

Die begrenzte Mobilisierungsfähigkeit der Armen durch die NRO für gesamtgesellschaftliche Ziele im Sinne der Armen, aber eben nicht zur unmittelbaren Lösung ganz konkreter, individuell erfahrbarer Probleme, deutet auf zwei Defizite ihrer Arbeit hin: Trotz erheblicher Anstrengungen ist es offenbar nicht gelungen, Zielgruppen politisch zu bilden, also von der Notwendigkeit zu überzeugen, dass zwar eine Minderung des Problemdrucks kurzfristig im Einzelfall möglich sein mag, eine Problemlösung aber kaum ohne eine langfristige Perspektive denkbar ist, in die man - ohne unmittelbaren persönlichen Vorteil - durch solidarisches und kollektives Handeln investieren muss. Trotz ihrer Entwicklungsarbeit mit nichtreziproken Leistungen gelang es den NRO kaum, unter ihrer Klientel wenigstens ein Loyalitätsbewusstsein zuschaffen, das sie für politische Aktionen zurDurchsetzung gesamtgesellschaftlicher Ziele instrumentalisieren könnten. Traditionelle Politiker und oligarchische Akteure sind dabei offenbar erfolgreicher. Auch bei allgemeinen Wahlen haben (etwa in den Philippinen) linke bzw. NRO-Kandidaten bzw. von diesen unterstützte Parteien nach wie vor keine Chancen.

Dieser ernüchternde Befund kontrastiert mit der Selbstdarstellung der NRO und der Massenorganisationen über ihre Mobilisierungsfähigkeit, die sie begreiflicherweise zu inflationieren versuchen, was ihnen von sympathisierenden Beobachtern immer wieder abgenommen wird. In den Philippinen kann jedenfalls keine Rede davon sein, dass die NRO und PO mit fünf bis sechs Millionen Mitgliedern einen "gut organisierten Teil der Zivilgesellschaft" darstellen - "10 % der Bevölkerung", wie einige Autoren meinen, 25 % der Berufstätigen müsste man richtiger sagen, wenn eben diese Zahlen nicht reinem Wunschdenken entspringen würden. Könnten diese Massen wirklich organisiert und zielgerichtet mobilisiert werden, wäre eine Politik ohne Berücksichtigung ihrer Interessen in der philippinischen Demokratie kaum möglich. Die durch Zwang und klientelistische Abhängigkeiten bestimmte Stimmabgabe bei den Wahlen in den Philippinen verliert immer mehr an Bedeutung. Das hat aber nicht Reform- oder NRO-Kandidaten neue Chancen eröffnet, sondern ehemalige Film-, Fernseh-, und Sportstars steigen nun zu Wahlfavoriten auf. Diese finden ihre Wähler vor allem in den ärmeren Schichten der Bevölkerung - also der prospektiven Massenbasis der NRO.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. die Länderstudien in: Shinichi Shigetomi (Hrsg.), The state and NGO's. Perspective from Asia, Singapore 2002.

  2. Vgl. A. Corrothers/E. W. Suryanta, Review of the NGO Sector in Indonesia, in: Tadeshi Yamamoto (Hrsg.), Emerging Civil Society in the Asia Pacific Community, Singapore-Tokyo 1995, S. 545; Kastorius Sinaga, An Assessment of the Role and Development of NGO's in Indonesia, Bielefeld, Diss. 1993, S. 192 - 194.

  3. Roger Wegner, Nicht-Regierungsorganisationen als entwicklungspolitische Hoffnungsträger?, Münster-Hamburg 1993, S. 204, S. 355 - 358.

  4. Im Folgenden in Anlehnung an Mary Johnson, Non-government Organisations at the Crossroads in Indonesia, in: Robert C. Rice (Hrsg.), Indonesian Economic Development, Clayton 1990, S. 83 - 85.

  5. Vgl. die beiden Fallstudien in: Rolf Hanisch, Der Staat, ländliche Armutsgruppen und legale Bauernbewegung in den Philippinen, Baden-Baden 1983, S. 220 - 231.

  6. Vgl. Sopon Pornchokchai, Bangkok Slums, Review and Recommendations, Bangkok 1992, S. 101, S. 110.

  7. Vgl. Seamus Cleary, The Role of NGO's under Authoritarian political systems, London-New York 1997, S. 193 - 226.

  8. Vgl. Brigitte Jessen, New Organisational Forms and Social Forces. Civil Society and NGO's in Bangladesh und Thailand, Konstanz, Hab.-Schrift 1996, S. 194 - 228.

  9. Vgl. S. Cleary (Anm. 7)

  10. Vgl. Tim Forsyth, Environmental social Movements in Thailand: A critical Assessment, in: Asian Review, 15 (2000), S. 106 - 127.

  11. James V. Riker, From Cooptation to Cooperation and Collaboration in Government-NGO Relations, in: N. Heyzer et al. (Hrsg.), Government-NGO Relations in Asia, Kuala Lumpur 1995, S. 124.

  12. Abgedruckt in N. Heyzer (ebd.), S. 217.

  13. Alan Fowler, Strengthening Civil Society in Transition Economies, in: Andrew Clayton (Hrsg.), NGO's, Civil Society and the State, Oxford 1996, S. 25.

  14. Vgl. Robin Broad/John Cavanagh, Plundering Paradise. The struggle for the Environment in the Philippines, Berkeley 1993, S. 135.

Prof. Dr. rer. pol., Politikwissenschaftler, geb.1942; Dozent am Institut für Internationale Angelegenheiten (IIA), Universität Hamburg.
Anschrift: IIA, Rothenbaumchaussee 21 - 23, 20148 Hamburg.
E-Mail: E-Mail Link: r-hanisch@jura.uni-hamburg.de

Zahlreiche Veröffentlichungen zur Demokratisierung, zu den NRO sowie allgemein zu Südostasien.