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China als Rüstungsakteur | Neues Wettrüsten? | bpb.de

Neues Wettrüsten? Editorial Einstein und die neun Zwerge. Historisches zum INF-Vertrag Rüstung, Bündnissolidarität und Kampf um Frieden. Lernen aus dem Nato-Doppelbeschluss von 1979? Internationale Atomwaffenkontrolle: Stand und Perspektiven Europa und der INF-Vertrag: Verdammt zur Zuschauerrolle? China als Rüstungsakteur. Von Maos Papiertigern zu robusten Regenbögen Zwischen Comeback und Zerrissenheit – hat die Nato Bestand?

China als Rüstungsakteur Von Maos Papiertigern zu robusten Regenbögen

Nele Noesselt

/ 14 Minuten zu lesen

China hat in den vergangenen Jahren sowohl die eigenen Verteidigungsausgaben als auch seine Waffenexporte stark erhöht. Zugleich agiert es sicherheitspolitisch zunehmend global. Ein neues multilaterales Abkommen zur Rüstungskontrolle sollte die Volksrepublik einbeziehen

Als die USA und Russland im Februar 2019 jeweils unilateral ankündigten, den INF-Vertrag von 1987 zur Abrüstung von atomar bestückbaren Mittelstreckenraketen im Sommer auslaufen zu lassen, wurde dies auch in der Volksrepublik (VR) China besorgt zur Kenntnis genommen. Umbrüche und Veränderungen des regionalen und globalen sicherheitspolitischen Umfeldes beobachtet Beijing mit großer Skepsis. So erklärt sich, dass die chinesische Regierung – obwohl China selbst zu keinem Zeitpunkt ein INF-Vertragspartner war und multilaterale Abkommen ablehnt, die sein Agieren als Rüstungsakteur und die Modernisierung seiner Streitkräfte einschränken könnten – die USA und Russland bis zuletzt gedrängt hatte, den Vertrag nicht aufzugeben. Denn hierdurch verschärft sich aus chinesischer Sicht nicht nur die Sicherheitslage in Kerneuropa, auch im asiatischen Raum wären damit Raketenstationierungen und weitere Rüstungsspiralen möglich. Die "Büchse der Pandora", des Rüstungswettlaufs und der offenen militärischen Konfrontation, könnte damit erneut geöffnet werden.

Nicht nur der INF-Vertrag steht unmittelbar vor dem Aus, auch der New-START-Vertrag zur Reduzierung der strategischen Offensivwaffen zwischen den USA und Russland könnte 2021 endgültig auslaufen, da bislang keine Schritte zur Verlängerung eingeleitet worden sind. Während die USA in ihren sicherheitsstrategischen Dokumenten und Erklärungen die gewachsene Bedrohung durch Russland, China und Nordkorea betonen und vor diesem Hintergrund eine neuerliche Aufrüstung eingeleitet haben, sieht sich Beijing durch die Waffensysteme und jüngst erneuerten Verteidigungsallianzen der USA im Indopazifik bedrängt, wenn nicht sogar eingekreist. Der Plan der USA, ein Raketenabwehrschild mit Stützpunkten in Südkorea – offiziell zum Schutz vor Nordkorea – aufzubauen, erfordert aus Sicht chinesischer Militärstrategen eine Anpassung der eigenen Sicherheitsstrategie. Diese setzt bislang auf das Prinzip der Abschreckung, betont wird der Verzicht auf einen (nuklearen) Erstschlag. Wenn aber das Zweitschlagpotenzial durch den Aufbau effektiver Abwehrsysteme der USA relativiert wird, stellt sich die Frage, inwiefern dann noch für China das bisherige sicherheitsstrategische Gleichgewicht der Drohpotenziale gegeben ist. Dies erklärt die partielle Neuausrichtung der nuklearen Waffensysteme der VR China – die gemessen an jenen der USA und Russlands, die weiterhin über 90 Prozent der weltweiten Atomwaffenbestände verfügen, verhältnismäßig überschaubar sind. Eine Aufstockung der atomaren Sprengköpfe Chinas ist zwar im Gange, im Mittelpunkt aber steht die Aufrechterhaltung der Zweitschlag- und somit der "Vergeltungsschlag"-Kapazitäten durch eine Verlagerung weg von stationären, landbasierten Stützpunkten und Abschussbasen, hin zu mobilen Basen und seegestützten Einheiten (insbesondere U-Booten). Auch die Erforschung und Entwicklung neuer IT-gestützter Waffensysteme läuft auf Hochtouren. Erklärtes Ziel der chinesischen Verteidigungs- und Sicherheitsstrategie ist es, "(lokale) Kriege im Informationszeitalter gewinnen zu können".

Die Modernisierung der chinesischen Streitkräfte, der Ausbau der maritimen Verteidigungseinheiten zu einer Hochseemarine (blue water navy) und Chinas Aufstieg zum Rüstungsexporteur sollten jedoch nicht allein als Reaktion auf den sich zuspitzenden Konflikt zwischen Washington und Beijing gedeutet werden.

Neue Aktionsräume und Ausweitung der Militärstrategie

Im März eines jeden Jahres sorgt die Verabschiedung des Verteidigungsetats durch den Nationalen Volkskongress der VR China für Diskussionen über eine weitere Aufrüstung. 2019 wurde eine Erhöhung von 7,5 Prozent gegenüber dem Vorjahresetat beschlossen. Allerdings ist zu bedenken, dass die USA weiterhin den höchsten Verteidigungshaushalt der Welt haben: 2017 betrug er 610 Milliarden US-Dollar, das zweitplatzierte China gab im selben Jahr 228 Milliarden US-Dollar für sein Militär aus. Die Erhöhungen des Verteidigungshaushalts ergeben sich nicht zuletzt aus den neuen Aufgaben der chinesischen Streitkräfte und der damit verbundenen Professionalisierung und Modernisierung.

So sind der chinesischen Regierung aus ihrer Going-global-Strategie, die zur weltweiten Präsenz chinesischer Unternehmen und Banken geführt hat, neue Handlungsimperative erwachsen. Sie hat nun verstärkt sicherheitspolitische Entwicklungen in anderen Ländern und Weltregionen zu kalkulieren. Seit 2013 unter dem Slogan der "Neuen Seidenstraße" vorangetrieben, arbeiten chinesische Staatsunternehmen am Auf- und Ausbau von Transportinfrastruktur (Häfen, Flughäfen, Straßen, Eisenbahnverbindungen) sowie Energie- und Telekommunikationsnetzen in Afrika, Asien, Lateinamerika und im Nahen Osten sowie in Europa. Krisen, Rebellionen, Kriege und antichinesische Protestbewegungen erfordern – ungeachtet des formalen Festhaltens am Prinzip der Nichteinmischung in die internen Angelegenheiten anderer Staaten – eine neue Positionierung Beijings. 2011 setzte China seine Marineeinheiten ein, um chinesische Staatsangehörige aus den Krisenregionen in Libyen und dem Sudan zu evakuieren. Bereits zuvor war das Mandat der Marine auf neue Räume ausgeweitet worden: Seit Dezember 2008 beteiligt sich China in Koordination mit der internationalen Staatengemeinschaft an der Bekämpfung der Piraterie im Golf von Aden vor der Küste Somalias – zur Sicherung chinesischer Schiffe wie auch zur Eskortierung von internationalen Hilfsgüterlieferungen. Im 2013 vorgelegten Weißbuch zum "vielseitigen Einsatz der chinesischen Streitkräfte" wurden diese Aufgaben formal dokumentiert und mit den sicherheitspolitischen Herausforderungen jenseits der eigenen Hoheitsgewässer ex post legitimiert. Seitdem wird unter anderem mit dem Begriff der "umfassenden Sicherheit" operiert, der eng zusammenhängt mit der Idee, die eigenen Fähigkeiten für Militäroperationen jenseits klassischer Kriegseinsätze (military operations other than war, MOOTW) auszubauen.

Dem Aspekt der "maritimen Sicherheit" kommt hierbei ein besonderes Gewicht zu. Die 2015 veröffentlichte chinesische "Militärstrategie" – ein Novum in der Geschichte der VR China, waren doch zuvor die entsprechenden Weißbücher unter dem Obertitel "Nationale Verteidigung" geführt worden – fixiert den Ausbau der chinesischen Marine zu einer blue water navy, die zur Sicherung der strategischen Seerouten und in internationalen maritimen Kooperationsprojekten weltweit eingesetzt werden soll. Als Referenz der chinesischen Strategieüberlegungen zum Aspekt der maritimen Macht gilt ausgerechnet das vom US-Navy-Admiral Alfred Thayer Mahan 1890 veröffentlichte Standardwerk "The Influence of Sea Power upon History", das Anfang des 19. Jahrhunderts nicht zuletzt den Aufbau der US-amerikanischen Pazifikflotte inspiriert hatte. Mittlerweile hat China seine maritime Strategie auch auf die Erschließung der Arktis ausgeweitet. Neben dem Aufbau maritimer Macht wird in der Militärstrategie von 2015 ferner der Aspekt der nuklearen Macht und der wechselseitigen nuklearen Bedrohung thematisiert. Aus der vielzitierten Aussage Maos, dass die Atombombe ein Papiertiger sei, folgt allerdings, dass die chinesische Sicherheits- und Verteidigungsstrategie bis heute nicht primär auf nukleare Machtdurchsetzung abzielt.

Mit dem Weltraum und dem Cyberspace wurden 2015 zudem zwei neue Aktionsräume chinesischer Militär- und Sicherheitspolitik festgeschrieben. Gerade in diesen beiden Bereichen zeichnet sich ein neuer Wettlauf zwischen den Großmächten, diesmal primär zwischen den USA und der VR China, um die technologische Innovationsüberlegenheit ab. Im Juli 2017 veröffentlichte der chinesische Staatsrat zudem eine Aktualisierung der chinesischen Strategie im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI), in der das Ziel formuliert wird, die USA bis 2030 an der Spitze der KI-Entwicklung abzulösen. Dass die chinesischen Aktivitäten auf diesem Feld wahr- und ernst genommen werden, zeigt der Blick auf die amerikanische Seite: Die US-Regierung hat den entsprechenden Forschungsinstituten in den Vereinigten Staaten weitreichende Freiheiten bei der Erforschung und Entwicklung defensiver und offensiver Instrumente im Bereich der Cybersicherheit eingeräumt. Zudem kündigte US-Präsident Trump an, eine Weltraumarmee aufbauen zu wollen.

Die gewachsene Relevanz Chinas als Rüstungsakteur zeigt sich nicht nur an den erhöhten Ausgaben für die eigenen Streitkräfte, sondern auch am verstärkten Export von in China produzierten Waffen. Dem Stockholmer Forschungsinstitut SIPRI zufolge ist China inzwischen der fünftgrößte Rüstungsexporteur mit einem Weltmarktanteil von 5,7 Prozent im Zeitraum von 2013 bis 2017. Gemessen an den Anteilen an den weltweiten Waffenexporten der USA (34 Prozent) und Russlands (22 Prozent) scheint dies zwar vergleichsweise gering. Aber gegenüber dem Zeitraum von 2008 bis 2012 sind Chinas Waffenexporte um 34 Prozent gestiegen. Die Volksrepublik ist damit offensiv in den weltweiten Wettbewerb im Bereich der Rüstungsindustrie eingetreten. Der Großteil der chinesischen Rüstungsexporte geht dabei nach Asien und Ozeanien (zwischen 2013 und 2017 waren es 72 Prozent) sowie nach Afrika (21 Prozent). In Asien ist Pakistan einer der Hauptabnehmer chinesischer Waffen, in Afrika ist Algerien der größte Importeur, gefolgt von Tansania, Marokko, Nigeria und dem Sudan. Zum einen sind die chinesischen Waffenangebote oftmals deutlich günstiger als die der großen westlichen Waffenschmieden, zum anderen folgt China nur wenigen Verbreitungseinschränkungen und liefert seine Waffen weitgehend unabhängig von internen Regimekonstellationen oder lokalen Entwicklungen.

Neue Bündnisstrukturen und Sicherheitsspiralen

Auf die verstärkte Rüstungskooperation zwischen China und Pakistan haben die USA mit einer Intensivierung ihrer Waffenlieferungen an Indien und Vietnam reagiert. Insgesamt zeichnet sich eine neue Rüstungsspirale in Asien ab, die sich mit wachsendem Misstrauen zwischen den USA und der VR China immer weiter zuzuziehen scheint. Auf die Pivot-to-Asia-Politik, die Verstärkung der militärischen Sichtbarkeit der USA im asiatisch-pazifischen Raum unter der Präsidentschaft Barack Obamas, folgte ein Ausbau der konzertierten Koordination in sicherheitspolitischen Fragen zwischen China und Russland. Die Sanktionierung des Vorgehens Russlands in der Ukraine-Krise 2014 durch die internationale Staatengemeinschaft sowie die Positionierung der USA im Inselstreit zwischen China und Japan im Ostchinesischen Meer begünstigten den neuerlichen Schulterschluss zwischen Beijing und Moskau. Dieser wurde symbolisch bekräftigt durch das gemeinsame Gedenken an den Zweiten Weltkrieg in der chinesischen Hauptstadt im September 2015, den gegenseitigen Besuch von Militärparaden sowie gemeinsame Militärmanöver.

Mit der Shanghai Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), die sich 2001 als Nachfolgeorganisation der Shanghai Fünf formierte, ist in Asien eine Bündnisstruktur im Bereich der Sicherheitspolitik entstanden, die sich dem Zugriff Europas und der USA entzieht. 2018 lehnte Moskau den Vorstoß der USA ab, vom G7-Format wieder zu G8-Gipfeltreffen mit Russland zurückzukehren. Das 18. Gipfeltreffen der SOZ wurde medienwirksam als Alternativbündnis zu den G7 in Szene gesetzt. Auch in wirtschaftsstrategischen Fragen sind die Kooperationsstrukturen zwischen Russland und China ausgeweitet worden. So wird auf eine Verbindung und Interessenkoordination zwischen der von Beijing initiierten "Neuen Seidenstraße" und der von Moskau vorangetriebenen "Eurasischen Wirtschaftsunion" hingearbeitet.

Die "Neue Seidenstraße" – in erster Linie ein wirtschaftsstrategisches Projekt, um die Export- und Importrouten Chinas zu diversifizieren und entlang der Routen durch die Übernahme großflächiger Infrastrukturprojekte Überkapazitäten zu exportieren und hierbei Arbeitsaufträge für chinesische Staatsunternehmen zu sichern – ist explizit nicht auf einen exklusiven Club bestimmter Staaten limitiert. Chinas Vorstoß, in Afrika, Lateinamerika und im Nahen Osten transkontinentale Transportnetze und Logistikzentren aufzubauen, bedingt, dass Verhandlungen mit einzelnen Staaten, aber auch mit regionalen Bündnissen wie der Afrikanischen Union (AU) oder der Arabischen Liga erforderlich sind. In Regionen mit fragiler staatlicher Struktur kommen für die chinesische Seite weitere Verhandlungspartner hinzu: Um beispielsweise Investitionen und Infrastrukturprojekte in Afrika umzusetzen und abzusichern, sind mitunter neben Gesprächen mit der offiziellen Regierung auch Abstimmungen mit lokalen Machthabern und Guerillagruppen erforderlich.

Gerade am Beispiel Afrikas zeigt sich deutlich, dass sich spätestens im Zuge der Ausweitung der Seidenstraßen-Routen auch das chinesische Sicherheitskonzept gewandelt hat. Im Rahmen des Forums für China-Afrika-Kooperation (FOCAC) wurden 2012 in Beijing erstmals Fragen jenseits von wirtschaftlichen und kulturellen Aspekten der Kooperation thematisiert: Im "Ministerial Action Plan (2013–2015)" des FOCAC wurde die offizielle Selbstverpflichtung der VR China festgehalten, mit den afrikanischen Staaten und der AU in den Bereichen Konfliktprävention, Konfliktmanagement und Konfliktlösung sowie Wiederaufbau (nach Konfliktbeilegung) zusammenarbeiten zu wollen. Aus chinesischer Sicht hat sich die Sicherheitslage in Afrika seitdem jedoch nicht verbessert. 2015 kündigte der chinesische Staatspräsident Xi Jinping in einer Rede vor den Vereinten Nationen an, dass China zusätzlich 8000 Soldaten für die schnelle Eingreiftruppe der UN zur Verfügung stellen und die AU mit zusätzlichen 100 Millionen US-Dollar für friedenssichernde Initiativen unterstützen werde.

Auf dem FOCAC-Gipfel im September 2018 in Beijing führte Xi dann aus, dass China die AU-Initiative "Silencing the Guns in Africa by 2020" unterstütze, zugleich aber an der Grundidee festhalte, dass die Herstellung von Frieden und Stabilität in Afrika in erster Linie eine Aufgabe der afrikanischen Akteure sei. China distanziert sich hiermit symbolisch von den Interventionen der "westlichen" Staaten – und betont seine Identität als Entwicklungsland und Teil des "Globalen Südens". Zugleich betonte Xi, dass Chinas "Neue Seidenstraße" mit den Inhalten und Zielen der "Agenda 2063" der AU, der "Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung" der UN sowie den lokalen Entwicklungsplänen der afrikanischen Staaten kompatibel sei, und stellte 50 neue Projekte zur integrierten Kooperation im Bereich Sicherheit und Stabilität in Aussicht, mit besonderem Fokus auf Friedenssicherung, Bekämpfung von Piraterie und Terrorismus.

In der offiziellen Politrhetorik werden die Investitionsangebote an afrikanische Staaten als Win-win-Deals und "Partnerschaften auf Augenhöhe" angeboten. Die chinesische Seite operiert dabei mit dem Konzept des developmental peace – der Idee, dass Entwicklungsmöglichkeiten und eine Erhöhung des allgemeinen Wohlstands Konfliktpotenziale reduzieren oder auch beseitigen können. Kritiker halten der VR China jedoch vor, dass die günstigen Kredite, Waffenverkäufe und die Unterstützung für autoritäre Staatslenker die Konflikte in Afrika weiter angefacht hätten und ihre Lösung oft erschwerten.

Wie erwähnt, wird inzwischen über ein Fünftel der chinesischen Waffen nach Afrika exportiert. Die vorsichtigen Äußerungen der chinesischen Regierung hinsichtlich der Notwendigkeit, den globalen Waffenhandel zu regulieren, deuten jedoch auf einen neuen Blick auf regionale und globale bewaffnete Konflikte hin. Dies überrascht kaum, sind in den vergangenen Jahren chinesische Arbeiter und Mitarbeiter von chinesischen Staatsunternehmen doch immer wieder Opfer von Geiselnahmen und Entführungen geworden. Im November 2015 wurden Vertreter der beiden großen chinesischen Eisenbahnkonzerne CRCC und CREC bei einem Angriff von Dschihadisten auf ein Hotel in Bamako, Mali, getötet. In Mali sowie im Sudan beteiligt sich China mit Kampftruppen an UN-Friedensmissionen – ein Bruch mit der zuvor bestehenden Praxis, die chinesische Beteiligung auf medizinisch-technisches Personal und Unterstützung beim Wiederaufbau der durch Kriege und Konflikte zerstörten Infrastruktur zu begrenzen. Chinesische Unternehmen und Projekte im Ausland, insbesondere jene in Afrika, werden zudem durch private chinesische Sicherheitsdienste geschützt, deren zahlenmäßige Stärke internen Berichten zufolge die der offiziellen Friedenstruppen deutlich übersteigen soll.

Mediationsversuche und "robuste Regenbögen"

Die Positionierung Chinas in Fragen der Reform der Vereinten Nationen und anderer internationaler Organisationen lassen deutlich den Anspruch auf Mitsprache und Mitgestaltung regionaler und globaler Abkommen erkennen. So ist auch zu erklären, dass sich Beijing hinsichtlich der Denuklearisierung und Abrüstung Nordkoreas hinter Pjöngjang stellt und zugleich seine Rolle als zentraler Mediator unterstreicht – und Lösungen, die von den USA und Südkorea abgestimmt und unilateral vorgebracht werden, zurückweist. Chinas Einfluss zeigte sich etwa Anfang 2019: Hatte der nordkoreanische Staatschef Kim Jong-Un in seiner Neujahrsansprache noch harte Töne gegenüber den USA angeschlagen, meldete die chinesische Nachrichtenagentur nach dessen China-Reise zu Beginn des Jahres, dass ein zweites Treffen zwischen Trump und Kim angestrebt werde. Xi Jinping betonte, so die chinesischen Medienberichte, das generelle Interesse Chinas an einer Denuklearisierung Nordkoreas. Die zweite Gesprächsrunde zwischen Trump und Kim in Hanoi im Februar 2019 führte jedoch zu keinem abschließenden Verhandlungserfolg.

Das von der Air University der US-Luftwaffe entwickelte Horrorszenario, dass China mit Russland und Nordkorea einen umfassenden Cyberkrieg oder einen auf elektromagnetische Impulswaffen gestützten Angriff auf die USA und ihre Verbündeten beginnen könnte, ist aktuell nicht realistisch. Die Positionierung Chinas in regionalen und globalen Konflikten sowie sein Aufstieg zum Rüstungsexporteur haben jedoch auf einer ganz anderen Ebene die Karten der Weltsicherheitspolitik neu gemischt: China setzt auf technologische Innovation – auch im Bereich der Sicherheits- und Militärforschung. Bislang verfügt die Volksrepublik nur über einen einsatzfähigen Flugzeugträger, weitere sind erst im Bau beziehungsweise noch in der Testphase. Im Bereich der Drohnenforschung zeichnen sich aber neue Erfolge ab – die zu einem erneuten Rüstungswettlauf führen könnten. Die von China entwickelte Kampfdrohne "Caihong 5" ("Regenbogen 5") verschiebt jedoch nicht nur das fragile "Gleichgewicht des Schreckens" in Ostasien. Moderne Drohnen gelten als einer der Hauptexportartikel Chinas im Bereich der Rüstungstechnologie.

Das ursprüngliche INF-Abkommen von 1987 bezog sich nur auf landbasierte Raketen, nicht jedoch auf seegestützte Marschflugkörper oder Drohnen. China ist bereits in zahlreiche internationale Verträge und Abkommen zur Nichtverbreitung und Abrüstung eingebunden – unter anderem in den Atomwaffensperrvertrag, das Übereinkommen für den physischen Schutz von Kernmaterial sowie die Bio- und Chemiewaffenkonventionen. Auch wenn China kein Mitglied des internationalen Raketentechnologie-Kontrollregimes ist, orientiert es sich doch an dessen Richtlinien. Ebenso wenig beteiligt sich China am Haager Kodex gegen die Verbreitung ballistischer Raketen; das 2005 vorgelegte chinesische Weißbuch zur Rüstungskontrolle und Abrüstung enthält jedoch eine Selbstverpflichtung zur Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen. In die Kritik gerät Beijing dennoch weiterhin regelmäßig aufgrund seiner Waffen- und Technologielieferungen an Saudi-Arabien, Iran, Libyen, Syrien und Nordkorea. Mit Blick auf die globalen Entwicklungen und angesichts des bevorstehenden Auslaufens der INF- und New-START-Verträge wäre ein neues multilaterales Abkommen erforderlich, das nicht nur sämtliche neue Technologien umfasst, sondern auch alle gegenwärtig relevanten Akteure beteiligt und damit neuerliche regionale und globale Spiralen des Wettrüstens verhindert.

ist promovierte Politikwissenschaftlerin und Sinologin und Inhaberin des Lehrstuhls für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt China/Ostasien an der Universität Duisburg-Essen. E-Mail Link: nele.noesselt@uni-due.de