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Für einen seriösen Lebensschutz | Abtreibung | bpb.de

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Für einen seriösen Lebensschutz

Liane Bednarz

/ 6 Minuten zu lesen

Seit einiger Zeit wird die Abtreibungsdebatte hierzulande wieder verstärkt geführt. Hauptanlass dafür war die im November 2017 erfolgte erstinstanzliche strafrechtliche Verurteilung der Gießener Ärztin Kristina Hänel, die auf ihrer Internetseite darauf hingewiesen hatte, dass sie Abtreibungen vornimmt, und deshalb angezeigt wurde. Das Urteil löste eine Debatte um die Reform von §219a Strafgesetzbuch (StGB) aus. In ihrer bisherigen Form statuiert die Norm nicht bloß ein "Werbeverbot" für Abtreibungen, sanktioniert also das "Anpreisen" selbiger, sondern sieht bereits dann eine Strafbarkeit vor, wenn jemand Schwangerschaftsabbrüche "seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise" "anbietet" oder "ankündigt". Mittlerweile hat das Landgericht Gießen demgemäß im Oktober 2018 die Berufung von Kristina Hänel gegen das erstinstanzliche Urteil abgewiesen.

Virulent in der gegenwärtigen Diskussion ist überdies der Umstand, dass es hierzulande immer weniger Ärzte gibt, die Abtreibungen vornehmen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes aus dem vergangenen Jahr ist die Zahl der Kliniken und Praxen, die Abtreibungen anbieten, in den vorherigen 15 Jahren um 40 Prozent zurückgegangen. Die Bundesärztekammer führt diesen Rückgang auf den Druck militanter Abtreibungsgegner zurück. Gegenüber dem ARD-Magazin "Kontraste" sagte Frank Ulrich Montgomery, der Präsident der Bundesärztekammer, im August 2018, dass man "großes Verständnis für jeden Arzt" habe, "der unter den derzeit herrschenden Bedingungen keine Schwangerschaftsabbrüche vornehmen möchte". Montgomery forderte die Politik explizit auf, Sorge dafür zu tragen, dass "Ärzte betroffene Frauen nach medizinischen Standards versorgen können, ohne von sogenannten ‚Lebensschützern‘ diffamiert und in der Ausübung ihres Berufes zum Teil massiv gestört zu werden".

Mit dem im Dezember 2018 innerhalb der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD gefundenen Kompromiss für eine Reform von §219a StGB hat sich die Debatte keineswegs abgeschwächt. Im Gegenteil: Viele Feministinnen stellen nun generell die geltende Gesetzeslage zur Abtreibung und damit die Regelungen in §§218ff. StGB infrage. Danach ist der Schwangerschaftsabbruch außerhalb einer medizinischen und kriminologischen Indikation rechtswidrig, bleibt aber für die Schwangere straffrei, wenn er innerhalb der ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis im Anschluss an eine Beratung vorgenommen wird. Diese muss gemäß §219 StGB "von dem Bemühen" geleitet sein, "die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen".

Wie weit die Debatte inzwischen fortgeschritten ist, konnte man etwa sehen, als die Wochenzeitung "Der Freitag" Mitte Februar 2019 "Mein Bauch gehört mir" titelte, und zwar in optischer Anlehnung an das legendäre "Stern"-Cover "Wir haben abgetrieben" aus dem Jahr 1971. 24 Frauen zeigen ihr Gesicht; zu sehen sind unter anderen die Feministinnen Alice Schwarzer, Margarete Stokowski und Teresa Bücker.

Diese Skizze der Diskussion illustriert ihre derzeitige Stoßrichtung oder besser ihre Wahrnehmung. Im Vordergrund stehen einerseits Frauen, die so tun, als sei das werdende Leben lediglich Teil des "eigenen Bauchs", und andererseits radikale Lebensschützer, die Frauen vor Abtreibungskliniken auflauern oder Abtreibungsärzte anzeigen. Eine der Thematik angemessene, empathische und vor allem differenzierte Debatte, die sowohl die schwangere Frau als auch das werdende Leben im Blick hat, findet kaum statt. Das führt leider dazu, dass diejenigen seriösen Lebensschutzorganisationen, die sowohl auf die Frau als auch das ungeborene Kind blicken und sich demgemäß von radikalen Verhaltensweisen distanzieren, zwischen den beiden Polen zerrieben werden, was man vor allem daran sieht, dass ihre Existenz und Arbeitsweise in den Medien kaum thematisiert wird.

Dieser seriöse Lebensschutz, wie er zum Beispiel in kirchlichen Einrichtungen wie der "Bischöflichen Stiftung für Mutter und Kind" im Bistum Speyer praktiziert wird, hat es somit derzeit schwer, nach außen durchzudringen. Hinzu kommt, dass die Abtreibungskritik zunehmend von rechtspopulistischen Bewegungen und Parteien gekapert wird, die deutschnationale Interessen mit dem Thema vermengen, indem sie die Abtreibung von "deutschen" Embryonen beklagen. Das zeigt sich etwa in Slogans wie "Ein Volk stirbt im Mutterleib". Und findet sich wenig überraschend auch im Grundsatzprogramm der AfD. In diesem wird zwar generell Kritik an Abtreibungen geübt, diese wird aber mit deutschnationaler Bevölkerungspolitik verquickt, etwa wenn unter dem Stichpunkt "Mehr Kinder statt Masseneinwanderung" die hohen Abtreibungszahlen beklagt und stattdessen eine "aktivierende Familienpolitik" zugunsten der "einheimischen Bevölkerung" gefordert wird. Gerade bei Christen, die jedes werdende Leben als Geschöpf Gottes ansehen, sollten bei solch einer Verquickung alle Alarmglocken schrillen.

Angesichts dieser Vereinnahmung des Themas von Rechtsaußen ist es medial umso wichtiger, auf den seriösen christlichen Lebensschutz aufmerksam zu machen. Das Anliegen derjenigen Organisationen, die sich für diesen einsetzen, besteht darin, ungewollt schwangeren Frauen, die einen Abbruch vornehmlich aus Gründen erwägen, die in ihrer Lebenssituation liegen (medizinische und kriminologische Indikation hier ausgenommen), zu ermutigen, sich für das Kind zu entscheiden. Dies heißt nicht notwendigerweise, die Mutterrolle anzunehmen. Auch das Austragen des Kindes mit anschließender Freigabe zur Adoption ist eine Möglichkeit.

Der seriöse Lebensschutz hat, und das ist der wesentliche Unterschied zu der "Mein Bauch gehört mir"-Fraktion, auch den werdenden Menschen im Blick, der der Entscheidung der Schwangeren hilflos ausgeliefert ist. Genau dieser Aspekt kommt in der feministischen Debatte um das angebliche und ausschließliche "Selbstbestimmungsrecht" der Frau zu kurz. Denn diese entscheidet nun einmal nicht bloß über sich selbst, sondern zwingend, und zwar möglicherweise mit letalen Folgen, auch über das Leben eines anderen Wesens, das sich zwar in ihrem Bauch befindet, aber nicht ihr Bauch ist. Insofern ist bereits der Slogan "Mein Bauch gehört mir" irreführend. Ehrlicherweise sollten Feministinnen, die dieser Linie folgen, der Debatte kein verharmlosendes Vokabular überstülpen, sondern sagen: "Mein Embryo gehört mir".

Ziel des seriösen Lebensschutzes darf gleichwohl nicht sein und ist es auch nicht, den Frauen ein schlechtes Gewissen zu machen. Im Vordergrund muss immer auch die Empathie für die Lage der ungewollt Schwangeren stehen. Dazu zählen das Verständnis für eine mögliche emotionale Überforderung, für finanzielle Existenzängste sowie die Sorge der Frau, ihrem bisherigen Lebensentwurf nicht mehr folgen zu können. Es muss also darum gehen, Wege aufzuzeigen, die tatsächlich gangbar sind. Zugleich aber auch entscheidend darum, der Frau zu verdeutlichen, dass in ihr ein kleines Wesen heranwächst, das sich, vor die Wahl gestellt, wohl kaum wünschen würde, niemals auf die Welt zu kommen. Und ihr zu zeigen, dass sie die Verantwortung dafür trägt.

In dieser Hinsicht ist die Frage nach der Verantwortung also eine, die in die Zukunft weist. Jedoch hat der Verantwortungsgedanke auch einen zurückweisenden Aspekt, der in der bisherigen Debatte fast in toto außen vor bleibt. Unausgesprochen entsteht oft der Eindruck, dass eine Schwangerschaft etwas sei, das irgendwie über die Frau hereinbricht. Nahezu ausgeblendet bleibt die Frage, warum jemand in Zeiten von Pille und Kondom überhaupt ungewollt schwanger wird. Gewiss, es gibt Fälle, in denen diese Verhütungsmittel versagen, aber das dürfte nur eine kleine Zahl der nicht beabsichtigten Schwangerschaften erklären. Ohne auch hier zu pauschalisieren und zu verurteilen, kann der seriöse Lebensschutz die Frau dazu ermutigen, sich der Verantwortung für ihr eigenes Handeln zu stellen und das Baby auszutragen. Allerdings ist auch hier viel Empathie gefragt. So ist etwa an die Drucksituation zu denken, die so mancher Erzeuger verursacht, wenn er von der ungewollt Schwangeren entweder ausdrücklich eine Abtreibung verlangt oder ihr von vornherein klar macht, dass er sich nicht um das Kind kümmern wird. Der seriöse Lebensschutz kann gerade in einer solchen Situation auf die Möglichkeit hinweisen, das Kind auszutragen und anschließend zur Adoption freizugeben, wenn die Schwangere eine Mutterrolle für sich ausschließt.

Wichtig ist und bleibt bei alldem, die Schwangere stets zur Austragung des Kindes zu ermutigen, ohne sie aber fallenzulassen oder ihr emotional zuzusetzen, wenn sie sich letztlich doch dagegen entscheidet. Diesen Ansatz gilt es verstärkt in den Fokus zu rücken, um so den Lebensschutz vor den radikalen Abtreibungsgegnern zu schützen, deren Kernkompetenz in Angstmache und Verurteilung besteht.

ist promovierte Juristin, freie Publizistin und Buchautorin. Zuletzt erschienen: "Die Angstprediger. Wie rechte Christen Gesellschaft und Kirchen unterwandern" (2018). Twitter: Externer Link: @L_Bednarz