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Schwierige (post-)koloniale Aussöhnung | Deutsche Kolonialgeschichte | bpb.de

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Schwierige (post-)koloniale Aussöhnung Deutschland, Namibia und der Völkermord an den Herero und Nama

Jürgen Zimmerer

/ 13 Minuten zu lesen

Seit 2015 verhandeln Deutschland und Namibia über den Umgang mit dem Völkermord an Herero und Nama zwischen 1904 und 1908 in Deutsch-Südwestafrika. Fragen der Teilhabe, Repräsentation und Reparation brachten die Gespräche immer wieder an den Rand des Scheiterns.

"No number of visits by the officials of the Federal Republic of Germany will bring any reconciliation between the Nama and OvaHerero people on the one hand, and the Federal Republic of Germany on the other hand, without dialogue with the legitimate leaders of the Nama and OvaHerero people." Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hatte sich wohl eine andere Resonanz seines Besuches Ende August 2019 in Windhuk erhofft als diese Presseerklärung der Nama Traditional Leaders Association. Zunächst schien es fast, als werde Gerd Müller die Verhandlungen mit Namibia über den Genozid an Herero und Nama von 1904 bis 1908 aus der Sackgasse führen, in die sie durch den Ausschluss zentraler Opferverbände geraten waren. Dann sprach der Minister während seiner Reise aber lediglich mit jenen Vertreter*innen von Herero und Nama, die auch bisher schon am Verhandlungstisch gesessen hatten, und legte keine konkreten Vorschläge für den zentralen Streitpunkt der Regierungsverhandlungen vor: die Frage der Reparationen. Der Text einer politischen Erklärung liege vor, die Finanzfrage sei allerdings noch offen.

Das hatte der mittlerweile in den Ruhestand getretene deutsche Botschafter Christian-Matthias Schlaga bereits im Juni 2019 erklärt, als er in einer Rede vor der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Swakopmund ankündigte, die Regierungsverhandlungen zwischen Deutschland und Namibia über den Umgang mit dem Krieg gegen die Herero und Nama im damaligen Deutsch-Südwestafrika hätten zu einer fast fertigen "politischen Deklaration" geführt. "Es fehlen nur noch die Beträge", wurde er zitiert. Eine Einigung gebe es hingegen bei der Bewertung des Krieges als Genozid, wobei der Begriff nur im "moralischen und politischen Sinne, aber nicht im rechtlichen Sinne" benutzt werden dürfe, sowie bei der Frage der Entschuldigung. Reparationen seien allerdings ein "No-Go", da beim Gebrauch dieses Begriffs der Eindruck einer rechtlichen Verpflichtung entstehe. Stattdessen solle es ein freiwilliges Engagement geben. Hier denke die deutsche Seite zum einen an einen "Versöhnungsfonds" und an ein Treuhandkonto für "besonders betroffene Gemeinschaften" (PACT, Particularly Affected Communities Trust). Der namibische Sondergesandte für die Verhandlungen, Zed Ngavirue, bestätigte diesen Stand der Dinge von namibischer Seite. Man warte darauf, dass sich Deutschland hinsichtlich der finanziellen Aspekte entscheide.

Warum dann die harsche Reaktion der Nama? In der Presseerklärung ist von Geld nicht die Rede, zumindest nicht unmittelbar. Es geht vielmehr um Fragen der Teilhabe und Repräsentation. Wer darf für wen sprechen, mitverhandeln, auf wessen Zustimmung kommt es an? Und reicht eine freiwillige Zahlung, eine Hilfe, die dem Geber eine herausgehobene Moralität zuweist? Wie gestaltet sich überhaupt das Verhältnis zweier Staaten in derartigen Verhandlungen, in denen einer ein wichtiger Geldgeber des anderen ist und nun historische Schuld eingestehen muss?

Diese Konstellation hat zwischen Deutschland und Namibia immer wieder zu Spannungen geführt, so auch im Juni 2019, als Botschafter Schlaga in seiner bereits zitierten Rede Tansania lobend hervorhob, wo man im Vergleich zu Namibia schon "einen Schritt weiter" sei: "In Tansania (…) wird keine Entschädigung gefordert. Das Land möchte die Kolonialgeschichte vergessen und ein gesundes Verhältnis aufbauen. Sie möchten sehen, dass Deutschland sie weiter unterstützt." Ungeachtet der Tatsache, dass auch in Tansania ein kritischerer Umgang mit der deutschen Kolonialgeschichte gefordert und eine Restitution von während der Kolonialzeit außer Landes gebrachten Objekten diskutiert wird und einzelne Regierungsmitglieder Reparationen gefordert haben, suggerierte der höchste Repräsentant Deutschlands in Namibia zweierlei: einen Widerspruch zwischen einem kritischen Umgang mit der (Kolonial-)Geschichte und einem "gesunden Verhältnis" zwischen beiden Staaten einerseits, die Abhängigkeit der weiteren Zahlung von Entwicklungsgeldern von einem ebensolchen "gesunden Verhältnis" andererseits.

Dass Schlaga diese Rede ausgerechnet in Swakopmund hielt, für viele Sinnbild für das "deutsche" Namibia, und vor der überwiegend von deutschsprachigen Namibier*innen getragenen Wissenschaftlichen Gesellschaft, rührt an einen weiteren verkomplizierenden Faktor: die Existenz einer deutschsprachigen Minderheit in Namibia, die sich bisher mit Blick auf die eigenen Fehler beziehungsweise die ihrer Vorfahren sowie hinsichtlich der Quellen ihres Wohlstands nicht durch besondere Reflexionsbereitschaft hervorgetan hat. Es ergibt sich aber in gewisser Weise aus dem besonderen Verständnis der Beziehung zu Namibia in Deutschland seit der Unabhängigkeit, wie sich überhaupt die gegenwärtige verfahrene Situation auch aus den politischen Verdrängungen in Berlin (und Bonn) über die vergangenen dreißig Jahren ableitet.

Deutschland und Namibia im 21. Jahrhundert

Namibia wurde am 21. März 1990 unabhängig von Südafrika, an das es nach dem Ersten Weltkrieg als Mandat des Völkerbunds übergeben worden war, sodass eine offene Debatte über Kolonialverbrechen erst spät möglich war. Dass Namibia einst eine deutsche Kolonie gewesen war und eine deutschsprachige, als deutsch empfundene und sich selbst empfindende Minderheit existiert, bestimmte auch das Gefühl einer besonderen deutschen Verantwortung für Namibia, wie sie der Deutsche Bundestag in einer Resolution am Vorabend der namibischen Unabhängigkeit festhielt. Obwohl in den ursprünglichen Anträgen insbesondere der Grünen durchaus enthalten, findet sich über die Erwähnung der deutschsprachigen Minderheit hinaus im endgültigen Resolutionstext kein Hinweis auf die Kolonialvergangenheit oder den Völkermord an Herero und Nama.

Aufgrund dieser "besonderen Verantwortung" erhielt Namibia in den folgenden drei Jahrzehnten besonders hohe Entwicklungshilfezahlungen aus Deutschland. Diese hatten aber im Ursprung nichts mit den kolonialen Verbrechen zu tun, sondern mit den deutschen "Landsleuten". Als solche begrüßte sie Bundeskanzler Helmut Kohl 1995 während seines Besuchs in Windhuk, nachdem er gegen Vorbehalte der namibischen Regierung einen Empfang für die deutschsprachige Minderheit in Namibia als offiziellen Programmpunkt durchgesetzt hatte. In seiner Rede wies er auf die besonderen Verdienste der Deutschsprachigen bei der Entwicklung des Landes hin. Zu einem Treffen mit den Opfergruppen des Völkermords kam es hingegen nicht. Der Staatsbesuch von Bundespräsident Roman Herzog drei Jahre später verlief ähnlich: Der Völkermord wurde nicht thematisiert, stattdessen sorgte sich Herzog um den privilegierten Status der deutschen Sprache.

Auch unter der rot-grünen Bundesregierung änderte sich an der Haltung zu den Fragen der Anerkennung und Wiedergutmachung für den Völkermord nichts. Bundesaußenminister Joschka Fischer fand zwar immer wieder wohltönende Worte über die Verantwortung, die aus Auschwitz erfolge, bezüglich des Genozids an Herero und Nama wollte er "eine entschädigungsrelevante Entschuldigung" aber nicht abgeben. Die Angst vor der Anerkennung des Völkermords und daraus folgender juristischer Konsequenzen, also vor allem Reparationszahlungen, gehört zu den Konstanten der deutschen Politik über alle Regierungswechsel hinweg.

Einen Kontrapunkt zur offiziellen Position setzte lediglich Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, als sie im August 2004 bei den Gedenkfeierlichkeiten der Herero in Okakarara sagte: "Die damaligen Gräueltaten waren das, was heute als Völkermord bezeichnet würde – ein General von Trotha würde dafür heute vor Gericht gebracht und verurteilt." Auf Nachfrage bestätigte sie, dass es sich dabei um eine Entschuldigung handele. Ihre Äußerungen wurden jedoch als ihre Privatmeinung abgetan, die große Chance, die ihre Geste bot, von der Bundesregierung nicht genutzt.

Die Tabuisierung des Genozid-Begriffs durch die deutsche Politik setzte sich fort. Neben offen kolonialapologetischen Positionen, die sich teilweise auf rechtsextreme Propaganda stützten und die Ereignisse an sich infrage stellten, vertraten Mitglieder der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien noch 2012 das problematische Argument, der Begriff "Genozid" könne nicht auf Ereignisse vor dem Ersten Weltkrieg angewendet werden, da er erst 1948 mit der UN-Völkermordkonvention Teil des internationalen Völkerstrafrechts geworden sei. Anderslautende Rechtspositionen wurden und werden ausgeblendet. Den Genozid-Begriff nur in einem moralischen Sinne verwenden zu wollen, ist eine Konsequenz dieser Rechtsauffassung. Dass dies in den Ohren der Betroffenen wie eine Einschränkung, ein "Genozid zweiter Klasse", klingen muss, liegt auf der Hand.

Erzwungene informelle Anerkennung

Aufgebrochen wurde diese Tabuisierung von offizieller Seite letztendlich durch einen Eklat. Erst als der internationale Druck zu groß wurde, bewegte sich die Bundesregierung – ein Muster, das jenem beim deutschen Umgang mit den nationalsozialistischen Verbrechen ähnelt, wo die erinnerungspolitischen Schübe häufig von außen oder von der Zivilgesellschaft erzwungen werden mussten. Im Falle des Völkermords in Deutsch-Südwestafrika vermochten die Opfergesellschaften oder deren staatliche Vertreter*innen aufgrund des globalen Machtungleichgewichts und innerer Uneinigkeit einen solchen Druck jedoch nicht selbst aufzubauen. Dies geschah unabsichtlich erst durch den Deutschen Bundestag, der ab 2015 den osmanischen Völkermord an den Armenier*innen diskutierte.

Mit seinem Bekenntnis zur Bedeutung einer kritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit leitete das Parlament eher zufällig eine erinnerungspolitische Wende für die Frage des Umgangs mit Deutschlands kolonialer Vergangenheit ein. Dass der Bundestag bereitwilliger die Anerkennung eines Völkermords eines anderen Staates diskutierte als eines deutschen, blieb ebenso wenig unkommentiert, wie dass Bundespräsident Joachim Gauck beim zentralen Gedenkgottesdienst im April 2015 in Berlin mit Blick auf die Türkei erklärte, die offene Bewältigung derartiger Verbrechen sei die Grundvoraussetzung für eine moderne, offene und demokratische Gesellschaft, wenige Wochen später jedoch ablehnte, eine Delegation von Herero und Nama zu empfangen. Die international wie von der deutschen Zivilgesellschaft geäußerte Kritik entfaltete ungeahnte Wirkung, denn nur eine rasche (Teil-)Korrektur der deutschen Politik konnte den Imageschaden noch begrenzen. Und so nahm die Bundesregierung im Herbst 2015 Verhandlungen mit Namibia auf, für die die beiden Sondergesandten Ruprecht Polenz und Zed Ngavirue eingesetzt wurden, die eine gemeinsame Sprache für die Geschehnisse als Grundlage einer Anerkennung und Entschuldigung finden sollten. Als der Bundestag 2016 in einer Resolution den Völkermord an den Armenier*innen offiziell als solchen anerkannte und der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan eine deutsche Doppelmoral anprangerte, konnte die Bundesregierung auf die laufenden Verhandlungen mit Namibia verweisen.

Verhandlungen in der Sackgasse

Vier Jahre später stecken die Verhandlungen in einer Sackgasse, viele Herero und Nama fühlen sich zurückgestoßen und ignoriert. Die Ursachen für Letzteres sind vielfältig: die schwierige innenpolitische Situation in Namibia, das Auftreten der deutschen Verhandlungsdelegation, die wenig Gespür oder Interesse für die Sensibilitäten des Themas gerade bei den Nachkommen der Opfer an den Tag gelegt hat, aber auch die Unmöglichkeit, einen grundsätzlichen Verzicht auf Reparationsforderungen als Gegenleistung für eine Anerkennung als Völkermord und eine Entschuldigung durchzusetzen – eine Forderung, der keine namibische Regierungsdelegation nachkommen kann. So ist es wenig überraschend, dass die Frage des Geldes immer noch offen ist.

Es geht aber nicht allein um Reparationszahlungen. Von Anfang an gab es Konflikte darum, wer mit am Verhandlungstisch sitzen dürfe, wer die Vertreter*innen der Herero und Nama sind und wer eigentlich zu den Opfern des Genozids gehört – nur die Herero und Nama oder alle Opfer der deutschen Kolonialherrschaft in Deutsch-Südwestafrika? Dass Letzteres eine ebenso zentrale wie heikle Frage war, hatte sich bereits im Vorfeld abgezeichnet, denn um die Bedeutung des Genozids für die namibische Geschichte und auch um die Frage, ob Namibia Entschuldigung und Wiedergutmachung anstreben sollte, hatte es auch in Namibia lange Streit gegeben – erst 2006 hatte das namibische Parlament beschlossen, sich der Forderung von Herero und Nama anzuschließen –, und einige der traditionellen Repräsentanten der Herero und Nama stehen nach wie vor in Opposition zur namibischen Regierung.

Zwar waren Herero und Nama von Beginn an in die Verhandlungen einbezogen, allerdings waren ihre Vertreter*innen von der namibischen Regierung ausgesucht worden. Direkte Verhandlungen mit selbstgewählten Vertreter*innen der Opfergruppen sollte es nicht geben – auf Wunsch der Bundesregierung, heißt es aus Windhuk, auf Wunsch der namibischen Regierung, heißt es aus Berlin. Beide Seiten ignorieren dabei die in der Diaspora lebenden Herero und Nama. Zu den Folgen des Völkermords gehörte nämlich auch die Vertreibung vieler Menschen, und bis heute leben ihre Nachkommen in Botswana, Südafrika und weltweit verteilt. Sie sind meist keine namibischen Staatsbürger*innen und können deshalb von der Regierung in Windhuk nicht vertreten werden. Ob und wie sie einbezogen werden sollen, ist nicht bekannt.

Repräsentanz und Reparationen

Repräsentanz und Reparationen waren auch die beiden zentralen Punkte der Klage, die Vertreter von Herero und Nama aus Namibia und aus der Diaspora am 5. Januar 2017 beim US District Court – Southern District of New York, einem US-Bundesgericht, einreichten. Hauptpunkt der Klage war neben der direkten Forderung nach Reparationen der Versuch, eine Beteiligung aller Herero und Nama an den deutsch-namibischen Verhandlungen durchzusetzen und nicht nur die der von den Regierungen selbst ausgewählten. Dazu stützte sich die Klage auf die sowohl von Deutschland als auch von Namibia ratifizierte UN-Konvention zum Schutz indigener Minderheiten von 2007, in der es ausdrücklich heißt, dass indigene Minderheiten an allen sie betreffenden Verhandlungen durch ihre selbstgewählten Vertreter*innen beteiligt werden müssten. Genau dies nicht zu tun, war der Vorwurf. Die namibische Regierung könne nicht alle Nama und Herero vertreten, da diese infolge des Genozids auch außerhalb Namibias lebten und nicht alle namibische Staatsbürger*innen seien. Dass einige US-Staatsbürger*innen waren, war eine der Begründungen für die Klage in den USA.

Die Bundesregierung erkannte die Zuständigkeit des Gerichts allerdings nicht an und verzögerte die Prozessprüfung, indem sie Ladefristen verstreichen ließ. Nach mehr als zwei Jahren wies das Gericht im März 2019 die Klage ab. In dieser Zeit berichteten nationale und internationale Medien über die Klage und über den zugrunde liegenden Genozid, was zum einen zu einem internationalen Reputationsverlust Deutschlands führte und zum anderen den Druck auf die verhandelnden Regierungen immer weiter erhöhte. Mittlerweile haben die Anwälte der Kläger Berufung eingelegt. Auch wenn eine gerichtliche Entscheidung zu ihren Gunsten in weiter Ferne scheint, nutzte die Hinhaltetaktik der Bundesregierung letztendlich den Klägern, da die Verhandlungen und das deutsche Verhalten in der Zwischenzeit zum internationalen Medienereignis wurde. Eine einvernehmliche Verhandlungslösung wurde damit jedoch nicht wahrscheinlicher, da die Klageführer, allen voran Herero Paramount Chief Vekuii Rukoro, auch deutscherseits nun endgültig personae non gratae geworden sind.

Dies führt zu der absurden Situation, dass deutsche Politiker*innen immer wieder betonen, dass sie mit Herero und Nama sprechen würden, dies aber tatsächlich mit den immer gleichen Gesprächspartner*innen tun. Auf ganz grundsätzlicher Ebene stoßen eben auch das geltende Völkerrecht und die diplomatische Alltagspraxis an ihre Grenzen. Der Umstand, dass Herero und Nama heute als Minderheit in Namibia leben, ist durch Grenzziehung und Völkermord eine direkte Konsequenz des (deutschen) Kolonialismus. Zu seinem Erbe gehört der namibische Nationalstaat. Nun bei der Aufarbeitung dieses Unrechts darauf zu verweisen, dass man nur mit nationalstaatlichen Regierungen verhandle, bestraft die Nachkommen der Kolonisierten erneut. Hier sind neue Wege notwendig, die deutsche Diplomatie verharrt aber immer noch zu sehr im überkommenen Habitus der Überlegenheit.

Entschuldigung und Demut

Anlässlich seines Abschiedsbesuchs bei Staatspräsident Hage Geingob ging der scheidende deutsche Botschafter Schlaga auf die an ihm geübte Kritik ein. "Ich habe mich immer nüchtern und professionell an die Tatsachen gehalten, selbst dann, wenn es Menschen und Berichterstatter gab, die sich von politischen Motiven haben leiten lassen", sagte er in einem Gespräch mit der in Windhuk erscheinenden "Allgemeinen Zeitung". Weiter führte er aus: "Ich mache als Botschafter ja nicht meine eigene Politik, sondern übertrage ausgewogene Entschlüsse der deutschen Regierung." Die Herero und Nama, vielleicht auch die namibische Regierung, dürften dies ganz anders sehen. Insbesondere für Erstere, zumindest für viele von ihnen, präsentierte die deutsche Regierung keineswegs "ausgewogene Entschlüsse". In der Natur von Verhandlungen liegt es gerade, diese Ausgewogenheit erst herzustellen und einen Kompromiss zu erreichen. Indem der deutsche Vertreter die Ausgewogenheit für die eigene Position, die eigene Regierung, reklamiert, weist er den Kritiker*innen automatisch Unausgewogenheit zu. Das mag in diplomatischen Verhandlungen über Handelsverträge oder Fischereiquoten der Normalfall sein, bei Verhandlungen über historische Verbrechen ist dies fehl am Platz. Es zeigt exemplarisch, woran es bei den Verhandlungen fehlte: Demut – die Demut derer, die um Entschuldigung bitten.

ist Professor für Globalgeschichte am Historischen Seminar der Universität Hamburg. E-Mail Link: juergen.zimmerer@uni-hamburg.de