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Arbeit, Arbeitslosigkeit und soziale Integration | Arbeitslosigkeit: Psychosoziale Folgen | bpb.de

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Arbeit, Arbeitslosigkeit und soziale Integration

Markus Promberger

/ 22 Minuten zu lesen

Erwerbsarbeit ist mehr als nur wirtschaftliche Teilhabe. Arbeitslosigkeit wirkt sich daher für die davon Betroffenen negativ aus. Es wird für einer Erweiterung des Verständnisses von aktivierender Arbeitsmarktpolitik plädiert.

Einleitung

Auch heute, inmitten guter Konjunktur, gibt es Arbeitslosigkeit. Besonders sichtbar werden in Prosperitätsphasen die Langzeitarbeitslosen, denen es nur schwer gelingt, eine Stelle zu finden, die zu ihnen passt. Von wenigen singulären Ausnahmesituationen abgesehen ist denn auch die Vollbeschäftigung eine Utopie geblieben. Vermutlich müssen wir uns damit abfinden, dass ein gewisses Maß an Arbeitslosigkeit ein unvermeidliches Übel auch der sozialen Marktwirtschaft ist. Eine Grundaufgabe im Selbstverständnis wohlfahrtsstaatlicher Politik ist daher, einen angemessenen Umgang mit diesem Problem zu finden, denn in Wohlfahrtsstaaten erschöpft sich soziale Integration nicht in funktionierenden Märkten und einem Staat als Rechtsgarant und Hüter der wirtschaftlichen Freiheit. Vielmehr gehört dazu die wirtschaftliche, rechtliche, politische, soziale und kulturelle Teilhabe aller seiner Bürgerinnen und Bürger.


In traditionellen Konzepten des versorgenden Wohlfahrtsstaats wird meist davon ausgegangen, dass die wirtschaftliche Teilhabe - durch Erwerbsarbeit - das für die anderen Dimensionen von Teilhabe nötige Geldeinkommen sicherstellt. Ersetzt der Wohlfahrtsstaat nun im Falle der Arbeitslosigkeit oder Hilfebedürftigkeit das ausgefallene Erwerbseinkommen durch eine Transferzahlung, so soll dadurch ebenfalls ein Grundmaß an Teilhabe sichergestellt werden. Ob und wie auch andere Dimensionen von Teilhabe auf dieser Basis realisiert werden, war nur selten Gegenstand der Politik des "versorgenden" Wohlfahrtsstaates.

In den folgenden Ausführungen wird die These vertreten, dass die Inklusionskraft oder integrierende Wirkung der Erwerbsarbeit in Arbeitsgesellschaften weit über die Erzielung von Geldeinkommen hinausgeht. Denn Arbeit hat an sich, unabhängig von Geld und Konsummöglichkeiten, starke Inklusionswirkungen, von denen Menschen in Arbeitslosigkeit ausgeschlossen sind, wenn sie Transfereinkommen beziehen. Nach einer kurzen Einführung in den Arbeitsbegriff werden diese sozialen Inklusionswirkungen von Arbeit dargestellt. Die Effekte ihres Fehlens sind der Gegenstand des darauffolgenden Kapitels. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen erscheinen geförderte Arbeitsmärkte in einem anderen Licht. Dies hat Konsequenzen für die Politik eines "aktivierenden" Wohlfahrtsstaats.

Was ist Arbeit?

Arbeit lässt sich zunächst definieren als zweckgerichtete, verstandesgeleitete menschliche Tätigkeit, die vorrangig der Sicherung des Lebensunterhaltes dient. Doch reicht das aus? Ein Blick in die Literatur belehrt uns eines Besseren: Begriffsgeschichtlich ist Arbeit vor allem mit Mühsal und Plage verbunden, jedoch tritt bei näherem Betrachten oder in neuerer Zeit immer mehr und anderes hinzu. Schon früh kommt die Idee auf, dass Arbeit auch Sinn vermittele, und sei es der mönchische Gedanke, dass man sich das Himmelreich durch Arbeit und Gebet verdiene. Verschiedentlich und meist in neuerer Zeit begegnet uns die Auffassung, Arbeit sei ein kreativer Akt, der es dem Menschen ermögliche, sich vom Tier zu unterscheiden, Ordnung erzeuge und Gemeinschaft herstelle, und dabei nicht nur Nützliches, sondern auch Großartiges tue. Selbst Karl Marx, der die Arbeit der Proletarier und die Aneignung des von ihnen produzierten Mehrwertes als Kernelement eines gesellschaftlichen Ausbeutungsverhältnisses begriff, hebt deren anthropologische Ambivalenz hervor: Menschen arbeiten, um zu überleben, um ihre Subsistenz mit Hilfe nutzbar gemachter Natur zu sichern. Historisch führen jedoch politisch-wirtschaftliche Prozesse dazu, dass die Arbeitsergebnisse von anderen als den Produzenten angeeignet werden können. Nicht die Arbeit selbst, sondern ihre jeweiligen historisch-sozialen Bedingungen stehen daher für Marx zur Kritik, obschon auch im Mainstream der kritischen, auch von Marx inspirierten Sozialwissenschaften die Kritik an der Arbeit deren positive, ja system- und ideologiesprengende Momente wie Eigensinn, Autonomie und Produzentenstolz überwog. Erst angesichts der anhaltenden Arbeitslosigkeit im ausgehenden 20. Jahrhundert geriet die Frage ins wissenschaftliche Blickfeld, weshalb Arbeitslosigkeit trotz wohlfahrtsstaatlicher Kompensationen ein soziales Problem bleibt, wie Arbeitslosen am besten zu helfen sei - und welche Rolle Arbeit und arbeitsähnliche Verhältnisse dabei spielen.

Sehen wir uns die Arbeit also näher an: Menschen erzeugen mit ihrer Arbeit nützliche Güter und Dienstleistungen für den Markt. Der Lohn, den die Arbeitenden dafür erhalten, sichert ihren Lebensunterhalt und ermöglicht ihnen den Kauf der hierfür nötigen Mittel. Dies betrifft in der Arbeitsgesellschaft einen großen Teil der Bevölkerung, und zwar all diejenigen, deren Vermögen, sofern vorhanden, nicht ausreicht, um ihnen und ihren Familien ein arbeitsfreies Einkommen zu sichern.

Doch mit individuellem Broterwerb und der Produktion von materiellem Wohlstand ist es nicht getan. Arbeit erzeugt darüber hinaus räumlich-zeitliche und soziale Strukturen und soziale Beziehungen.

Soziale Funktionen von Arbeit jenseits von Produktion und Konsum

So wirkt Arbeit als zweckgerichtete, meist kooperativ vorgenommene Auseinandersetzung mit natürlichen oder sozialen Arbeitsgegenständen räumlich und zeitlich strukturierend. Man arbeitet dann, wenn andere auch arbeiten, um mit ihnen zusammenzuarbeiten; man arbeitet, wo andere arbeiten. Seit der industriellen Revolution geschieht Erwerbsarbeit außerhalb des häuslichen Umfeldes. Man arbeitet vor anderen oder nach anderen, wenn die anderen auf das eigene Arbeitsergebnis angewiesen sind - oder man selbst auf das der anderen. Bestimmte Stunden des Tages oder Zeiten des Jahres sind aufgrund natürlicher Bedingungen zum Arbeiten geeigneter als andere. Bestimmte Zeiten sind aufgrund gemeinschaftlicher oder gesellschaftlicher Normen anderem als der Arbeit vorbehalten; psychophysischer Ruhebedarf, Freizeitbedürfnisse, Familien- und Freundschaftsbeziehungen und Reproduktionsarbeiten erfordern eigene Zeiten. Arbeit und Familie sind es insbesondere, die den erwerbstätigen Menschen zur Strukturierung der Zeit veranlassen.

Der systematische Beginn der sozialen Funktionen von Arbeit sind Arbeitsteilung und die damit zwangsläufig verbundene Kooperation - Karl Marx wie auch Emile Durkheim haben darauf hingewiesen. Kooperation und die dafür nötige Kommunikation sind Interaktion und erzeugen oder verweisen auf nahräumliche unmittelbare Beziehungen zwischen Menschen. Dies kann als Gemeinschaftsbildung, in Anlehnung an Ferdinand Tönnies auch als Vergemeinschaftung bezeichnet werden. Solche Gemeinschaften können zunächst Familien, Großhaushalte, Hofhaltungen oder Dorfverbände sein, in denen arbeitsteilig-kooperativ produziert und nach mehr oder weniger hierarchisch differenzierten Mustern konsumiert wird. Mit der industriellen Revolution kam es zur räumlichen Trennung von Produktion und Konsumtion/Reproduktion, zur Trennung von Betrieb und Haushalt - und dies ist für die meisten Erwerbstätigen trotz neuer Informationstechnologien immer noch so. Dementsprechend sind die meisten außerhäusig erwerbstätigen Menschen in zwei Beziehungsgeflechte im sozialen Nahbereich integriert: in den Betrieb mit Arbeitskollegen und Vorgesetzten und in die außerbetriebliche Lebenswelt mit Familie, Nachbarschaft, Freundschafts- und Verwandtschaftsbeziehungen. Diese Integration bringt auch nahräumliche soziale Anerkennung mit sich: Indem jemand arbeitet und in die entsprechenden Beziehungsgeflechte integriert ist, gilt er (oder sie) als wertvolles, normales, seine Aufgaben, Rollen und Funktionen erfüllendes Subjekt. Arbeit und die damit normalerweise verbundene Kooperation, Kommunikation und Beziehungsbildung erzeugen damit nicht nur unmittelbare soziale Integration, sondern auch soziale Anerkennung. Damit nicht genug. Auch die gesellschaftliche Anerkennung jenseits der Gemeinschaftsbeziehungen im sozialen Nahbereich basieren in Arbeitsgesellschaften schlichtweg auf der Tatsache, dass jemand arbeitet - sich selbst und seine oder ihre Angehörigen ernährt, Steuern und Sozialbeiträge bezahlt und an den wirtschaftlichen Kreisläufen eigenständig teilnimmt. Die soziale Anerkennung durch Erwerbsteilhabe ist (neben dem Produzentenstolz) ein wesentlicher Nährboden des Selbstwertgefühles von Arbeitnehmern in Arbeitsgesellschaften (vgl. die Übersicht der PDF-Version).

Arbeit trägt also - auch wenn sie unbestritten und immer noch Mühsal, Ausbeutung und Konflikt bedeuten kann - in Arbeitsgesellschaften zur sozialen Integration der Individuen bei. Dies überschreitet auch das Theorem von der "Arbeit als zentralem Vergesellschaftungsmodus", der vor allem über den wirtschaftlichen Inklusionszusammenhang "Arbeit-Warenproduktion-Markt-Gesellschaft-Politik-Verteilung-Konsum" und davon abgeleitete wohlfahrtsstaatliche Ansprüche gedacht wird. Die Inklusionseffekte von Arbeit erschöpfen sich auch nicht im symbolischen Konsum und dem dadurch erworbenen oder reproduzierten Status. Auch wenn die Handlungssphären Freizeit und Konsum in den Perspektiven der Menschen mittlerweile mehr Platz einnehmen als vor ein bis zwei Generationen, ist Arbeit doch die Schlüsselkategorie für die soziale Integration von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in der Arbeitsgesellschaft geblieben. Das bekannte Bonmot "Arbeit ist nicht alles, aber ohne Arbeit ist alles nichts" bringt dies zum Ausdruck und führt uns zur nächsten Frage.

Arbeitslosigkeit und ihre Teilhabedefizite - "was fehlt, wenn Arbeit fehlt?"

Streng genommen müssen wir hier zunächst unterscheiden zwischen Arbeitslosigkeit als (nicht freiwillig zustandegekommenem) Fehlen eines formalen Beschäftigungsverhältnisses, und dem Fehlen von Arbeit im weiteren Sinne. Das folgende Interviewzitat macht den Unterschied deutlich. "Arbeitslos werden kann heutzutage jedem passieren. Aber nix arbeiten, des is net recht" (Herr B., 55 Jahre, Elektriker, Maschinist und Landwirt, 2007, arbeitslos 1999-2001).

Mit "arbeitslos werden" meint unser Interviewpartner den Verlust einer vertraglich geregelten Erwerbsarbeit in einem richtigen Betrieb, etwa im Rahmen eines Personalabbaus oder einer Betriebsschließung. Nach den in Herrn B.'s Wohnort üblichen Vorstellungen ist die extern verursachte Arbeitslosigkeit nicht das Problem, sondern die Tatsache, dass manche Betroffene darauf mit Untätigkeit reagieren. So wird im ländlichen Umfeld von Herrn B. erwartet, dass Arbeitslose tätig sind. Sei es im eigenen Haus und Garten oder in der weitgefächerten informellen Ökonomie des dörflichen Umfeldes, die von bezahlter und unbezahlter Nachbarschafts- und Verwandtschaftshilfe über Minijobs in örtlichen Läden oder Betrieben bis hin zu ehrenamtlichen Tätigkeiten in Kirchengemeinde, Feuerwehr und Vereinsleben reicht. Eine gewisse Ambivalenz aus sozialer Kontrolle und der Aufrechterhaltung wirtschaftlicher und sozial-nahräumlicher Integration, sowie ein Arbeitsbegriff, der Arbeit nicht vollständig in vertragsförmige organisierte Lohnarbeit auflöst, ist charakteristisch für manche Kontexte der ländlichen Arbeitslosigkeit.

"Was fehlt, wenn (...) Arbeit fehlt"? Dies ist die klassische Frage der sozialpsychologischen Arbeitslosenforschung seit der Marienthal-Studie. Damals, Anfang der 1930er Jahre, untersuchten Sozialforscher der Universität Wien die Arbeitslosigkeit in einem österreichischen Dorf, das vorher fast komplett von der Arbeit in einer infolge der Weltwirtschaftskrise geschlossenen Textilfabrik gelebt hatte. Sie fanden bei den Arbeitslosen Verluste der räumlichen und zeitlichen Orientierungsfähigkeit, vermehrte Suchterkrankungen, Perspektivlosigkeit, zunehmende familiale, soziale, psychische und gesundheitliche Probleme und Vereinzelung, Verlust der "Selbstwirksamkeit", also der Empfindung, selbst sein Leben und seine Situation beeinflussen zu können. Marie Jahoda führt dies auf die latenten Funktionen der Erwerbsarbeit zurück, die neben dem Gelderwerb zu positiven Effekten auf Wohlbefinden und Gesundheit führen. Dazu zählen eine feste Zeitstruktur, soziale Kontakte außerhalb des engeren sozialen Netzes, die Verfolgung gemeinsamer Ziele, die über die individuellen Ziele hinausgehen und regelmäßige Aktivitäten. In der Arbeitslosigkeit fallen diese Funktionen, wenn nicht vollständig, so doch in relevanten Teilen weg.

Über den Zusammenhang von Einschränkungen der Gesundheit und Arbeitslosigkeit erfahren wir etliches aus der sozialpsychologischen und -medizinischen Forschung, auch wenn nicht abschließend geklärt ist, wie die entsprechende Entwicklung vonstatten geht und welche Faktoren dabei relevant sind. Es liegen Hinweise darauf vor, dass Arbeitslosigkeit Krankheit verursachen kann, dass Kranke aber auch eher arbeitslos werden. Arbeitslosigkeit und gesundheitliche Einschränkungen können mit weiteren Belastungen einhergehen, etwa mit schlechtem Wohnumfeld. Arbeitslosigkeit kann als einzelner Stressor bereits bestehende Belastungen verstärken. Die psychische Verletzlichkeit von Menschen mit gesundheitlichen Problemen wird durch Arbeitslosigkeit erhöht. Es wird vermutet, dass eine Kombination von Faktoren ursächlich für diese Zusammenhänge ist. Großes Gewicht kommt dabei dem Gesundheitsverhalten zu. David Fryer und Roy Payne haben in einer nicht unumstrittenen Studie gezeigt, dass besonders proaktive Arbeitslose trotz andauernder Arbeitslosigkeit psychisch stabil blieben. Dies nimmt nicht wunder: Wir wissen, dass legitime Alternativen zur Erwerbsarbeit - beispielsweise Familienarbeit für Frauen, ehrenamtliche Tätigkeiten, Verrentung - die negativen Folgen von Erwerbslosigkeit kompensieren können. Gleiches gilt für Eigenarbeit in dafür tauglichen Kontexten. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass nicht-formale Arbeitszusammenhänge, zu denen auch Familien- und Hausarbeit zählen, nicht allen Menschen unter allen Umständen zugänglich sind, weil sie beispielsweise Kleineigentum, oder taugliche Gemeinschaftsbeziehungen voraussetzen oder mit einem gesellschaftlich einigermaßen akzeptierten Rollenbild konform sein müssen - etwa dem der nicht erwerbstätigen, wohl aber arbeitenden Hausfrau. Neuerdings gibt es Indizien dafür, dass eine in der Adoleszenz erworbene feste Berufsrolle die Erosion von erwerbsbezogenen Kompetenzen in Phasen der Arbeitslosigkeit verhindern oder verlangsamen kann. Neu ist auch, dass die These von der Verfestigung arbeitsmarktferner Verhaltensweisen bei zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit bei weitem nicht pauschal auf alle Arbeitslosen zutrifft. In diesem Zusammenhang ist wichtig, dass zwischen dem "Drinnen" einer lebenslangen Erwerbstätigkeit und dem "Draußen" einer dauerhaften Arbeitslosigkeit eine breite Zone der so genannten "prekären Inklusion" liegt. Zwar ist dies nicht mehr ganz neu, doch in der öffentlichen Diskussion immer noch nicht richtig angekommen. Diese Zone der Prekarität zeichnet sich durch riskante, kurzfristige oder nicht existenzsichernde Beschäftigungsverhältnisse aus, die sich abwechseln mit Perioden von Arbeitslosigkeit und Hilfebezug, Teilnahme an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und - selten - Berührungen mit dem informellen Sektor. Und, diese Risiken beschränken sich nicht auf Randgruppen oder Unterschichten, was immer darunter zu verstehen sein mag, sondern sie reichen bis weit in die Mittelschichten hinein. Die Bremer Armutsforschung der 1990er Jahre hat angesichts der Sozialhilfebezieher erstmals auf dieses Phänomen der "perforierten Biografien" aufmerksam gemacht, Untersuchungen mit Arbeitslosen indizieren Ähnliches. Auch wenn der Umfang dieses Problems bisher mangels geeigneter Daten nicht abschließend geklärt werden konnte, zeigt sich zweierlei: Erstens sind Arbeitslosigkeit und ihre Folgephänomene dynamischer als gedacht, sowohl in zeitlicher als auch in sozialer Hinsicht. Viele Menschen sind im Laufe ihrer Biographie einmal oder mehrmals arbeitslos, und die wenigsten Langzeitarbeitslosen sind dies für ihr ganzes Leben. "Einmal arbeitslos - immer arbeitslos": Dieser Spruch gilt nicht. Die Arbeitslosen sind kein stummes, latent drohendes Heer von auf ewig Ausgeschlossenen, auch wenn es eine relevante Gruppe gibt, der die Rückkehr ins Erwerbsleben nicht gelingt. Forschung, Arbeitsmarktpolitik und Armutsbekämpfung müssen sich auf diese dynamischen Verhältnisse einstellen. Zweitens ist Arbeitslosigkeit für die Betroffenen eine biographische Phase. Sie konstituiert sich in der Biographie in einer je spezifischen Form und wird dort beendet. Demzufolge sind auch die Folgeerscheinungen von Arbeitslosigkeit biographisch, als Entwicklungsprozess, konstituiert und geformt.

Versuchen wir also, dem näher und vollständiger auf die Spur zu kommen, was eigentlich fehlt, wenn Menschen arbeitslos sind. Was ist das Bindeglied zwischen der beobachtbaren Arbeitslosigkeit und ihren psychosozialen Folgen? Wenden wir uns nochmals den eingangs spezifizierten sozialen Strukturierungsleistungen von Arbeit jenseits des Erwirtschaftens eines Lebensunterhalts zu. Erfolgreiches, sinnvolles Tätigsein setzt den Menschen in eine sinnvolle Beziehung zu seiner materiellen und sozialen Umwelt. Die naturbezogenen und sozialen Prozesse der Arbeit erfordern ein bewusstes Strukturieren von Raum und Zeit, indem sie den Menschen veranlassen, sich zu den sozialen und natürlichen Strukturen von Raum und Zeit im Alltag in Beziehung zu setzen - etwa pünktlich aufzustehen, den Weg zur Arbeit aufzunehmen, nach angemessener Zeit die Arbeit zu beenden. Kooperation, ohne die menschliche Arbeit nicht funktioniert, möglicherweise nie funktioniert hat, bedingt Interaktion mit Anderen, dadurch entstehen Kommunikation und Beziehungen. Diese gehen idealerweise mit Anerkennung im sozialen Nahbereich einher. Die Tatsache, dass ein Subjekt formal arbeitet, Steuern und Sozialbeiträge zahlt und konsumiert, erzeugt gesellschaftliche Anerkennung als wirtschaftendes und konsumierendes Subjekt, das auch für die Gesellschaft Leistungen erbringt.

Das Fehlen von Arbeit - hier als nutzbringende Tätigkeit unabhängig von ihrer Formalisierung - entlässt den Menschen aus der durch die Arbeit generierten raumzeitlichen Strukturierung des Alltags in die Strukturlosigkeit, beendet die Sinnproduktion, die mit der Arbeit einhergeht, bedingt einen Verlust zumindest der aus der Arbeitswelt herrührenden Kooperations-, Kommunikations- und Beziehungsstrukturen und der damit verbundenen nahräumlichen Anerkennung. Das Abweichen von den eigenen Rollenerwartungen und denen des nahräumlichen Umfelds - die wirtschaftlich eigenständige Existenz ist gefährdet, die Funktionsbeziehung zu Betrieb, Familie und Gesellschaft ist eingeschränkt - und letzten Endes die eigene Funktionslosigkeit des Betroffenen gefährden (auch bei Abwesenheit von starker materieller Armut) Familienbeziehungen. Denn Anerkennung, Selbstwertgefühl, Nützlichkeitsempfindung sind Münzen, die auch in anderen Lebensbereichen gelten, als in dem, in dem sie geprägt wurden. Durch Arbeitslosigkeit verursachte soziale Defizite können zu psychischen und in der Folge zu somatischen Defiziten werden: Arbeitslosigkeit kann krank machen. Wir sehen also, ein wichtiger Schlüssel zur Erklärung der psychosozialen und gesundheitlichen Folgeprobleme von Arbeitslosigkeit liegt in den sozialen Effekten der Erwerbsarbeit in der Arbeitsgesellschaft - in deren "naturwüchsiger" Sinnstiftungs-, Teilhabe- und Inklusionswirkung, bzw. deren Fehlen bei Arbeitslosigkeit.

Geförderte Arbeit

Nicht nur wegen der leeren Kassen des nachindustriellen Wohlfahrtsstaates, sondern auch wegen der vielgestaltigen naturwüchsigen Inklusionseffekte von Arbeit liegt es daher nahe, Arbeitslosigkeit mit Arbeit zu bekämpfen. In den Aktivierungskonzepten von Tony Blairs Drittem Weg ebenso wie in Gerhard Schröders Agenda 2010 waren die weiteren sozialen Inklusionseffekte jedoch etwas aus dem Blickfeld geraten. Arbeitslosigkeit erschien in den Jahren der Aktivierungseuphorie vor allem als fiskalisches Problem, das in einem verschlankten, das heißt kostengünstigeren und weniger inflationsträchtigen Staat nicht mehr tragbar sei. Arbeitslosigkeit wird in diesen Konzepten zumindest implizit als individuelle Fehlanpassung an den Arbeitsmarkt begriffen, die durch Training, Verhaltenskontrolle und beschleunigte Arbeitsvermittlung behoben werden kann. Jedoch entsteht Arbeitslosigkeit in größerem Umfang, wie die Praktiker in den Arbeitsämtern und Sozialbehörden wissen, meist dadurch, dass unter den gegebenen bzw. sich wandelnden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen nicht mehr genug passende Arbeitsmöglichkeiten für alle diejenigen vorhanden sind, die arbeiten müssen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Nur ein kleiner Teil der Arbeitslosigkeit ist auf mangelnde Erwerbsneigung oder -fähigkeit zurückzuführen. Neueste Untersuchungen bestätigen dies. Insofern ist es folgerichtig und Ausweis der Lernfähigkeit der Politik, dass in jüngster Zeit wieder vermehrt über geförderte Arbeit im Sinne dauerhafter Ersatzarbeitsmärkte debattiert wird, die eingesetzt werden sollen, wenn trotz intensiver Bemühungen keine reguläre Erwerbsintegration möglich ist.

Geförderte Arbeit steht nach wie vor im Spannungsfeld zwischen ihrem Beitrag zur öffentlichen Infrastruktur und den unter dem Begriff der "Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit" versteckten Stabilisierungs- und Integrationsleistungen auf der einen sowie ihren fiskalischen Kosten und geringen unmittelbaren Arbeitsmarktwirkungen auf der anderen Seite. Die sozialen Teilhabe- bzw. Inklusionseffekte der geförderten Arbeit sind bis heute nicht hinreichend untersucht. Sie könnten aber weitere sozialpolitisch wichtige Dimensionen geförderter Arbeit darstellen, umso mehr dann, wenn man die zentrale inklusionsstiftende Wirkung von Arbeit in der Arbeitsgesellschaft reflektiert.

Erste qualitative Evidenz liegt mittlerweile vor, die uns zumindest Spuren liefert, die bei der Aufklärung der Inklusionseffekte geförderter Arbeit weiterhelfen. Die folgenden Zitate stammen aus der ersten Welle eines qualitativen Panels von 100 Langzeitarbeitslosen und anderen Personen in prekären Erwerbslagen, die 2007 mittels narrativer Interviews zu ihren Erfahrungen und ihrer Lebenssituation befragt wurden. Die Interviewauszüge beziehen sich alle auf die mit dem Sozialgesetzbuch (SGB) II flächendeckend eingeführten Arbeitsgelegenheiten, die der Arbeitsmarktreintegration und der Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit dienen sollen, implizit oder in der täglichen Praxis auch zur Verhaltenskontrolle, der Arbeitstherapie, für soziale Dienstleistungsinfrastruktur und zur sozialen Stabilisierung eingesetzt werden. "... habe noch ein bisschen Glück gehabt, mit Ein-Euro-Jobs oder so, kannst du auch hier ein bisschen auf die Beine, hat dich ermuntert so sich wieder zu bewegen (...) Nun, ich meine, den (einen Euro pro Stunde) nimmt man auch gerne mit, aber das Wichtigste ist, wieder draußen sein, wieder Beschäftigung haben, morgens aufstehen, mit der Frau Frühstück machen (...) dieser geregelte Tagesablauf, nicht das hier noch eine Zigarette, dort nimm noch einen Kaffee, du hast ja nix vor" (Herr C., 44 Jahre, Baufacharbeiter, seit 10 Jahren arbeitslos) "... für mich war wichtig, dass ich raus komme, eine geregelte Arbeitszeit, da ist mir nichts zu fein" (Herr D., 48, Angestellter, seit 5 Jahren arbeitslos) "... da ist mir der Unterkiefer runtergefallen weil ich dachte Schneeschippen oder so, aber (...) das war ein ziemlich interessantes Angebot so im künstlerischen Bereich, da kann ich Dinge machen, ich mache Kunst (ein Theaterprojekt für und mit Arbeitslosen) und kriege noch Geld dafür (...) zwar ein schwieriger Bereich (...) aber für mich selber, habe ich das Gefühl es geht einfach bergauf" (Frau E., 37, Erzieherin, seit 3 Jahren arbeitslos)

Die Beispiele belegen, dass die Betroffenen den Arbeitsgelegenheiten deutliche soziale Stabilisierungs- und Integrationseffekte zuschreiben. Es handelt sich dabei nicht um Einzelfälle; die Beispiele sind typisch für nahezu alle befragten Teilnehmer. Ein geregelter Tagesablauf, der sich an den sozialen Rhythmen der Erwerbsarbeit orientiert, eine Erweiterung des persönlichen Interaktions- und Beziehungsnetzes und eine sinnvolle Tätigkeit werden als positiv, stabilisierend und integrierend empfunden. Wie qualitative Untersuchungen zur Zuweisungspraxis von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zeigen, ist dies auch den Fallmanagern und Betreuern auf der institutionellen Seite bekannt. Geförderte Beschäftigung kann also, auch wenn sie nicht zu einer Integration in den ersten Arbeitsmarkt führt, den Ausfall nichtmonetärer Integrationseffekte "normaler" Erwerbsarbeit ausgleichen. Im Übrigen gibt es Indizien dafür, dass vom Arbeitgeber entlohnte geförderte Beschäftigungsverhältnisse den Reziprozitätsstrukturen normaler Erwerbsarbeit näher kommen und deshalb als "gerechter" empfunden werden, als diejenigen Arbeitsgelegenheiten, die eine Mehraufwandsentschädigung des Grundsicherungsträgers vorsehen. Wo geförderte Arbeit Inklusionseffekte erzeugt, wie, und wo nicht, ist gegenwärtig noch eine offene Forschungsfrage. Stabilisierung, Teilhabe und Integration sind damit als wichtige Dimensionen sowohl für die Evaluationsforschung als auch für die sozialpolitische Maßnahmegestaltung zu sehen. Und dies gilt nicht nur, um die von Langzeitarbeitslosigkeit betroffenen Menschen aufzufangen, sondern auch unter dem Gesichtspunkt gesellschaftspolitischer Stabilität, wie der nächste Abschnitt zeigen wird.

Ausblick - für ein erweitertes Verständnis von Aktivierungspolitik

Wenn wir davon ausgehen können, dass Arbeit nicht nur Broterwerb, sondern auch ein Schlüsselfaktor sozialer Teilhabe in der Arbeitsgesellschaft ist, dann folgt daraus, dass ihre Abwesenheit nicht nur auf individueller Ebene weitere Verluste oder andere Teilhabedefizite auslöst oder verstärkt. Denn alle, insbesondere jedoch demokratische, an den Menschenrechten orientierte Gesellschaften erfordern ein Mindestmaß an sozialer Inklusion, um politisch und sozial stabil zu sein. Wo dies nicht gelang oder gelingt, drohen auch heute Desintegration, Anomie, Kriminalität und politische Spannungen.

In Deutschland gelang dies jedoch: Von der Bismarck'schen Sozialgesetzgebung über die Anfänge der Mitbestimmung im Kaiserreich bis zur Anerkennung der Gewerkschaften und der wohlfahrtsstaatlichen Verfasstheit der Bundesrepublik zeigt sich historisch eine allmähliche Inklusion der vorher als "außenstehend" empfundenen Arbeiter, also der Menschen, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben müssen. Der Wohlfahrtsstaat ist, dies sollte man nicht vergessen, eine im politischen Konflikt geborene Konstruktion, die dem sozialen Frieden dadurch dient, dass die Risiken der Arbeitnehmerexistenz anerkannt und partiell vergesellschaftet und dadurch abgemildert werden. Soziale Integration ist für weitgehend besitzlose Menschen nicht nur eine Frage von Demokratie und politischer Teilhabe, sondern immer auch eine Frage der wirtschaftlichen und sozialen Teilhabe, welche die Spezifik der jeweiligen Existenz berücksichtigt und eine subsidiäre Risikovorsorge bereithält.

Die "Verallgemeinerung des Lohnarbeitsverhältnisses" und die damit verbundenen politischen und sozialen Bewegungen haben die Existenzrisiken der Arbeitnehmer zu denen der ganzen Gesellschaft gemacht - und dabei die Institutionen des Wohlfahrtsstaates hervorgebracht. Dabei hatte der Wohlfahrtsstaat gute Erfolge, vor allem auf dem Feld der materiellen Versorgung im Rahmen von Arbeitslosen-, Kranken- und Sozialversicherung, sowie der Sozial- und der Arbeitslosenhilfe und der neuen Grundsicherung zu verzeichnen. Dadurch wurde existenzielle Armut stark eingeschränkt; die Betroffenen blieben zumindest versorgt und auf niedrigem Niveau in den Konsumkreislauf integriert. Doch dieses Modell geriet aus fiskalischen Gründen in die Krise; seine Teilhabedefizite blieben jedoch meist eine Angelegenheit für Armutsexperten, man vermutete sie auf Randgruppenprobleme oder die neuerdings wieder breiter diskutierte Bildungsthematik beschränkt.

Die hier vorgetragene These von den zu wenig beachteten, jedoch zentralen Inklusionseffekten von Arbeit spricht dafür, die Politik des aktivierenden Wohlfahrtsstaats, wie sie sich mit Hartz IV auch in Deutschland entwickelt hat, in einem etwas anderen Licht zu betrachten. Aktivierung im engeren Verständnis, Menschen so schnell wie möglich aus Arbeitslosigkeit in "echte" Erwerbsarbeit zu bringen, hat Grenzen. Diese betreffen sowohl die Verfügbarkeit geeigneter Arbeitsplätze als auch die Menschen, für die es keine geeignete Arbeit gibt. Aktivierungspolitik in einem weiteren Verständnis könnte die Förder- und Ersatzarbeitsmärkte, die sich ohnehin entwickelt haben, nicht nur im Sinne von Übergängen in "richtige" Erwerbsarbeit, sondern auch im Sinne von sozialer Integration und Teilhabe bei fehlender regulärer Erwerbsintegration betrachten.

Es sei angemerkt, dass nicht staatlich geförderte Arbeitsmarktteilhabe auf Basis einer regulären existenzsichernden Beschäftigung auch unter Teilhabe- und Integrationsperspektive den Ersatzarbeitsmärkten vorzuziehen ist, geht sie doch mit einer vollständigen Inklusion in die Arbeitsgesellschaft einher. Übergangs- und Ersatzarbeitsmärkte, dies ist ein alter Hut, müssen daher so beschaffen sein, dass sie mögliche Übergänge in ungeförderte existenzsichernde Beschäftigung nicht verhindern oder erschweren. "Echte" Teilhabe an ungeförderter existenzsichernder Erwerbsarbeit in wohlfahrtsstaatlich verfassten Gesellschaften löst mehrere Probleme mit einem Schlag: Inklusion in die Wirtschaftskreisläufe von Produktion und Konsum, sinnvolles Tätigsein, Strukturierung des Alltags, Kommunikation und Schaffung eines nahräumlichen Beziehungsgeflechts jenseits der Familie, soziale Anerkennung. Doch - dies sollten die vorangegangenen Ausführungen zeigen - geförderte Arbeit kann Inklusionseffekte erzeugen, wo "echte" Arbeit fehlt und vorübergehend oder dauerhaft nicht erreicht werden kann. Arbeitslose zu aktivieren, kann auch heißen, sie an persönlich und gesellschaftlich sinnvollen Dingen zu beteiligen, etwa um Vereinzelung und den Verlust von Strukturen im Alltag und sozialer Anerkennung zu verhindern - auch, wenn nicht gleich der Übergang in den ersten Arbeitsmarkt am Horizont winkt. Die Betroffenen, aber auch das Gemeinwesen werden es danken.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Burkart Lutz, Der kurze Traum immerwährender Prosperität, Frankfurt/M. 1984.

  2. Zur Geschichte der Arbeitslosigkeit vgl. Markus Promberger, Eine kurze Geschichte der Arbeitslosigkeit. Teil I: Vom Mittelalter bis zur Industrialisierung; Teil II: Von der Gründerzeit bis zum Ende des zweiten Weltkrieges, Teil III: Von der Ära des Wirtschaftswunders bis zum Jahr 2000, in: Arbeit und Beruf, 56 (2005) 1, 2 u. 3, S. 1 - 2, 33 - 34, 65 - 67 und http://doku.iab.de/grauepap/2005/
    Promberger_2005_ GeschichteAlo.pdf (Stand 29.7. 2008); John A. Garraty, Unemployment in History. Economic Thought and Public Policy, New York 1978 und Frank Niess, Geschichte der Arbeitslosigkeit, Köln 1979.

  3. Die vier Begriffe Teilhabe, Inklusion, Exklusion und Integration werden im Folgenden mit stark überlappender, jedoch nicht identischer Bedeutung gebraucht. Teilhabe meint die Mitwirkung von Personen oder Gruppen in einem weiteren sozialen Zusammenhang und dessen Reziprozitätsnormen, Inklusion die Erzeugung von Teilhabe durch Handlungen, Strukturen oder Effekte, die nicht ausschließlich im Gestaltungsbereich der inkludierten Subjekte liegen. Exklusion meint vice versa den Ausschluss oder die Beschränkung von Teilhabe. Beide letztgenannten Begriffe beziehen sich auf längerdauernde Prozesse oder Zustände, nicht auf eine einzelne Handlung. Integration meint einen aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive beschriebenen Zustand der stabilen Beziehungen und Handlungszusammenhänge zwischen allen sozialen Gruppen einer Gesellschaft. Dieser Sprachgebrauch unterscheidet sich z. T. von in der Literatur üblichen Verwendungen derselben Begriffe.

  4. Vgl. Pierre-Joseph Proudhon, Philosophie der Staatsökonomie oder Nothwendigkeit des Elends, Darmstadt 1847.

  5. Vgl. z.B. Hannah Arendt, Vita Activa oder Vom tätigen Leben, München 1981.

  6. Vgl. Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck, Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Stuttgart 1997.

  7. Vgl. das 48. Kapitel der Regel des heiligen Benedikt.

  8. Vgl. Birger Priddat, Arbeit an der Arbeit: Verschiedene Zukünfte der Arbeit, Marburg 2000 und Pierre-Michel Menger, Kunst und Brot. Die Metamorphosen des Arbeitnehmers, Konstanz 2006.

  9. Vgl. P. Proudhon (Anm. 4) und Friedrich Engels, Der Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen, Berlin 1962.

  10. Vgl. Emile Durkheim, Über die Teilung der sozialen Arbeit, Frankfurt/M. 1977.

  11. Vgl. die um 1260 entstandene Eingangsstrophe der Fassung C des Nibelungenlieds "...von helden lobebaeren, von grozer arebeit..." (Nibelungenlied 2005), Übertragung des Begriffs arebeit' nach Rudolf Schützeichel, Althochdeutsches Wörterbuch, 5., überarbeitete und erweiterte Auflage, Tübingen 1995.

  12. Vgl. Karl Marx, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1962 (orig. 1867).

  13. Vgl. E. Durckheim (Anm. 10) und K. Marx (Anm. 12).

  14. Vgl. Ferdinand Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft, Darmstadt 1963.

  15. Zur Theorie der sozialen Anerkennung vgl. Axel Honneth, Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte, Frankfurt/M. 1994.

  16. Vgl. Reinhard Kreckel, Politische Soziologie und soziale Ungleichheit, Frankfurt/M. 1992.

  17. Vgl. Lucia A. Reisch, Symbols for Sale: Funktionen des symbolischen Konsums, in: Christoph Deutschmann (Hrsg.), Die gesellschaftliche Macht des Geldes, Wiesbaden 2002.

  18. Vgl. Gerhard Schulze, Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt a. Main 1992 und Horst Opaschowski, Freizeit, Konsum und Lebensstil, Köln 1977.

  19. Der Untertitel dieses Abschnitts - "was fehlt, wenn Arbeit fehlt" - ist fast gleichlautend mit dem Titel einer Publikation von Alois Wacker (A. Wacker, Was fehlt, wenn die Arbeit fehlt? Arbeitslosigkeit aus sozialpsychologischer Perspektive, in: Uwe Becker/Franz Segbers/Michael Wiedemeyer (Hrsg.), Logik der Ökonomie - Krise der Arbeit, Mainz 2001), der sich seit Jahrzehnten mit den sozialpsychologischen Folgen von Arbeitslosigkeit befasst. Auch Olaf Behrend hat sich in seinem gleichnamigen Vortrag auf der Herbsttagung 2007 der Sektion Soziale Ungleichheit und Sozialstrukturanalyse in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie mit den Inklusionseffekten von Arbeit auseinandergesetzt. Für die vorliegenden Ausführungen, insbesondere den arbeitssoziologischen Systematisierungsversuch und den Bezug auf die Aktivierungspolitik ist der Verfasser dieses Beitrags selbst verantwortlich. Anmerkung der Redaktion: Siehe auch den Beitrag von O. Behrend in dieser Ausgabe von APuZ.

  20. Das Zitat entstammt einer qualitativen Befragung des IAB, näheres weiter unten.

  21. A. Wacker (Anm. 20).

  22. Vgl. Marie Jahoda/Paul Lazarsfeld/Hans Zeisel, Die Arbeitslosen von Marienthal, Frankfurt/M. 1975 (erstm. 1933).

  23. Vgl. dies., Wieviel Arbeit braucht der Mensch?, Weinheim 1983.

  24. Vgl. Thomas Kieselbach/Gert Beelmann, Arbeitslosigkeit und Gesundheit. Stand der Forschung, in: Alfons Hollederer/Helmut Brand (Hrsg.), Arbeitslosigkeit, Gesundheit und Krankheit, Bern 2006.

  25. Vgl. z.B. Klaus Hurrelmann, Gesundheitssoziologie, Weinheim-München 2006. Anmerkung der Redaktion: Siehe zu diesem Abschnitt auch die Beiträge von Michael Frese sowie von Gisela Mohr und Peter Richter in dieser Ausgabe von APuZ:

  26. Vgl. David Fryer/Roy Payne, Proactive behaviour in unemployment: Findings and Implications, in: Leisure Studies, 3 (1984) 3, S. 273 - 295.

  27. Vgl. Claus Offe/Karl Hinrichs, Sozialökonomie des Arbeitsmarktes und die Lage "benachteiligter" Gruppen von Arbeitnehmern, in: Projektgruppe Arbeitsmarktpolitik/Claus Offe, Opfer des Arbeitsmarktes. Zur Theorie der strukturierten Arbeitslosigkeit, Neuwied-Darmstadt 1977.

  28. Vgl. Andreas Hirseland/Markus Promberger/Ulrich Wenzel/Natalie Grimm/Marco Sigmann/Berthold Vogel/Anne Hacket/Sabine Pfeiffer/Tobias Ritter/Petra Schütt, Armutsdynamik und Arbeitsmarkt. Entstehung, Verfestigung und Überwindung von Hilfebedürftigkeit bei Erwerbsfähigen, IAB-Projekt 896, Erster Zwischenbericht, Nürnberg 2007.

  29. Vgl. Martin Kronauer, Exklusion. Die Gefährdung des Sozialen im hoch entwickelten Kapitalismus, Frankfurt 2002; Heinz Bude, Das Problem der Exklusion, Hamburg 2006; Pierre Bourdieu, Die zwei Gesichter der Arbeit, Konstanz 2000; Robert Castel, Die Metamorphosen der sozialen Frage. Eine Chronik der Lohnarbeit, Frankfurt 2000 und Serge Paugam, Die elementaren Formen der Armut, Hamburg 2008. Anmerkung der Redaktion: Siehe hierzu auch das Themenheft "Abstieg - Prekarität - Ausgrenzung" dieser Zeitschrift: APuZ, (2008) 33 - 34 vom 11. August 2008.

  30. Stefan Leibfried/Lutz Leisering/Petra Buhr/Monika Ludwig/Eva Mädje/Thomas Olk/Wolfgang Voges/Michael Zwick, Zeit der Armut: Lebensläufe im Sozialstaat, Frankfurt/M. 1995.

  31. Vgl. Gerd Mutz/Wolfgang Ludwig-Mayerhofer/Elmar J. Koenen/Klaus Eder/Wolfgang Bonß, Diskontinuierliche Erwerbsverläufe, Opladen 1995.

  32. Hierbei darf natürlich nicht vergessen werden, dass Arbeit nicht gleich Arbeit ist. Für eine volle Entfaltung der Inklusionseffekte von Arbeit sind existenzsichernde Löhne und humane Arbeitsbedingungen essentiell, die jedoch historisch erst mit den sozialen und politischen Erfolgen der Arbeiterbewegung Wirklichkeit wurden. Die Armut der frühindustriellen Arbeiter, Sprech- und Organisationsverbote, Arbeitszerlegung und Leistungsdruck sind Beispiele dafür, dass Arbeit nicht per se alle ihre Inklusionspotentiale in Reinform entfaltet.

  33. Vgl. A. Hirseland u.a. (Anm. 29).

  34. Der neu geschaffene Beschäftigungszuschuss nach § 16 a SGB II verdankt sich solchen Überlegungen.

  35. Formen geförderter Arbeit sind im weiteren Sinne auch Kurzarbeit, die verschiedenen Lohnkostenzuschüsse, Kombilöhne und Eingliederungszuschüsse und der neue Beschäftigungszuschuss, im engeren Sinne Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) und ihre Verwandten, die Arbeitsgelegenheiten (Ein-Euro-Jobs`) in den Varianten von Mehraufwandsentschädigung bzw. Arbeitsentgelt. Die Formenvielfalt auf den Förderarbeitsmärkten ist erheblich. Einen kurzen Einblick in die Geschichte der geförderten Arbeit geben Lutz Bellmann/Christian Hohendanner/Markus Promberger, Welche Arbeitgeber nutzen Ein-Euro-Jobs? Verbreitung und Einsatzkontexte der SGB II-Arbeitsgelegenheiten in deutschen Betrieben, in: Sozialer Fortschritt, 55 (2006) 8, S. 201 - 207.

  36. Vgl. ebd.; außerdem: Christian Hohendanner/Lutz Bellmann/Markus Promberger, Ein-Euro-Jobs in deutschen Betrieben. Mehr als "alter Wein in neuen Schläuchen"? in: Sozialer Fortschritt, 56 (2007) 12, S. 300 - 309; Katrin Hohmeyer/Joachim Wolff, A fistful of Euros. Does One-Euro-Job participation lead means-tested benefit recipients into regular jobs and out of unemployment benefit II receipt?, IAB-Forschungsbericht 22/2006, Nürnberg 2006.

  37. Vgl. z. B. Wolfgang Ludwig-Mayerhofer/Olaf Behrend/Ariadne Sondermann, Projekt "Organisationsreform der Arbeitsämter und neue Maßnahmen für Arbeitssuchende: Soziale Ungleichheit und Partizipationschancen Betroffener" Abschlussbericht, Siegen 2008.

  38. Vgl. Thomas H. Marshall, Bürgerrechte und soziale Klassen. Zur Soziologie des Wohlfahrtsstaats, Frankfurt/M.-NewYork 1992.

  39. Vgl. Günther Schmid, Wege in eine neue Vollbeschäftigung. Übergangsarbeitsmärkte und aktivierende Arbeitsmarktpolitik, Frankfurt/M.-New York 2002.

Dr. phil., geb. 1963; Soziologe, Leiter des Forschungsbereichs "Erwerbslosigkeit und Teilhabe" am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Regensburger Str. 104, 90478 Nürnberg.
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