Alkoholismus
Alkoholismus als Inbegriff der Folgeschäden
Eine breite soziale Bewegung - die Temperenz- bzw. Antialkoholbewegung - hatte eine globale Thematisierung der "Alkoholfrage" in Gang gesetzt.[2] Unter heftigem Streit spaltete sie sich in einen "mäßigen" und einen "abstinenten" Flügel, dessen Vertreter für die Abschaffung des "Alkoholgifts" kämpften: "Der gefährlichste Feind des Menschen ist der Alkohol!"[3]In Kontinentaleuropa blieben die "Abstinenten" isoliert, doch in Skandinavien und den USA - in denen bereits etliche Bundesstaaten "trocken" waren - gaben sie den Ton an; ebenso in der entstehenden Alkoholforschung. In der Zwischenkriegszeit führten dann einige Staaten eine landesweite Prohibition (USA, Finnland etc.), andere prohibitionsartige Kontrollpolitiken (Schweden, Norwegen etc.) ein. Alkoholische Getränke waren damit zwar nicht abgeschafft, aber stark verteuert worden; der Pro-Kopf-Verbrauch sank. Dazu trug ebenso der verwissenschaftlichte Diskurs über den Alkoholismus bei, der den Konsum moralisch delegitimierte. Auch in Ländern mit einem liberalen Alkoholregime fiel er auf historische Tiefststände.[4]
Das gravierendste Argument war die "Rassenverderbnis" bzw. der "racial suicide", den dieses "Keimgift" bewirke. Allerdings galt Alkoholkonsum nicht nur als Ursache von "Erbminderwertigkeit", sondern auch als ihre Erscheinungsform. Für diese Fälle war Prohibition wenig sinnvoll; es wurden Erbgesundheitsgesetze erlassen, die sich (unter anderem) gegen "Alkoholiker" richteten: zunächst in den USA, gefolgt von der Schweiz, Dänemark, dem "Dritten Reich", den nordischen und baltischen Ländern. Die "Ausmerze" des "minderwertigen Erbguts" sollte durch Heiratsverbot, Zwangseinweisung und Zwangssterilisierung erfolgen.[5]
Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Kampf gegen den Alkoholismus sowohl durch die Rassenhygiene als auch durch das Fiasko der Prohibition in den USA 1933 gründlich diskreditiert. Auch in Deutschland standen die wenigen verbliebenen Aktivisten[6] allein auf weiter Flur. Einzig in Skandinavien überlebte das Programm einer strikten Konsumkontrolle. Im Brockhaus von 1953 fehlt das Stichwort "Alkoholismus" - und wird durch "Alkoholgenuß" ersetzt, der "tief im Volksleben verwurzelt" sei.[7]