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Metropolregion Benelux-NRW? | Benelux | bpb.de

Benelux Editorial Die Deutschsprachige Gemeinschaft im östlichen Belgien: Europa im Kleinen Belgien vor dem Kollaps? Die Benelux aus niederländischer Perspektive Luxemburg - Kern Europas Erinnerungspolitik in Belgien Metropolregion Benelux-NRW?

Metropolregion Benelux-NRW?

Johannes Koll

/ 16 Minuten zu lesen

Welche Anknüpfungspunkte bietet die Geschichte des Verhältnisses zwischen Nordrhein-Westfalen und der 1944 gegründeten Benelux-Union für eine in Zukunft noch intensivere Zusammenarbeit?

Einleitung

Auf einem europapolitischen Kongress hat die CDU-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen (NRW) am 30. Mai 2007 ihre Absicht erklärt, darauf hinzuwirken, die Zusammenarbeit mit den Benelux-Ländern zu vertiefen. In ihrer "Düsseldorfer Erklärung" fordert sie die Koalitionsregierung von CDU und FDP auf, im Zuge der anstehenden Neuverhandlungen zum 2010 auslaufenden Benelux-Vertrag "die Möglichkeiten einer besonderen Partnerschaft oder besonderen Form der Assoziierung mit der Benelux-Union zu prüfen". Die Errichtung eines "europäischen Referenzraums NRW-Benelux'" wird nicht nur politisch, sondern auch historisch, kulturell und ökonomisch begründet: "Zwischen Nordrhein-Westfalen, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg bestehen seit langer Zeit enge und intensive Kontakte und Beziehungen, die auf der räumlichen Nähe, gemeinsamen Kulturlandschaften und ähnlichen Mentalitäten der hier lebenden Bevölkerung gründen. Zusammengenommen bilden die Beneluxländer und Nordrhein-Westfalen einen europäischen Kultur- und Wirtschaftsraum, in dem mehr als 40 Millionen Menschen leben."


Als politische Stellungnahme ist die "Düsseldorfer Erklärung" in die Zukunft gerichtet. Dennoch ist es legitim, den Blick in die Vergangenheit zu richten und zu fragen, welche Anknüpfungspunkte es bisher für eine intensive Zusammenarbeit zwischen dem Benelux-Raum und NRW gegeben hat. So ist zu eruieren, inwieweit Entwicklungen der politisch-institutionellen Geschichte und der Wirtschaftsgeschichte Ansätze zu einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bieten. Welche Einstellungen zum östlichen Nachbarland lassen sich in den Gesellschaften der Benelux-Länder ausmachen? Weist die Identitäts- und Mentalitätsgeschichte Tendenzen von Offenheit oder eher von Abgrenzung aus? Ehe jedoch die Beziehungsgeschichte zwischen NRW und den Benelux-Ländern vorgestellt werden kann, ist die Entstehung und Entwicklung der Benelux-Union und ihrer Vorläufer zu beleuchten.

Zwischenstaatliche Kooperation im Benelux-Raum

Die Benelux-Union kann als Fortentwicklung einer Wirtschaftsunion verstanden werden, die Belgien und Luxemburg im Juli 1921 ins Leben riefen. Das Ziel der Union économique belgo-luxembourgeoise (UEBL) bestand darin, Zölle und Handelsbeschränkungen zwischen den beiden vom Ersten Weltkrieg geschädigten Ländern abzubauen, die Außenhandelsbeziehungen zu vereinheitlichen sowie eine gemeinsame Außenhandels- und Finanzpolitik zu betreiben. Zu diesem Zweck wurde weit gehende Handelsfreiheit vereinbart; auch die Anerkennung einer gemeinsamen Währung, Niederlassungsfreiheit sowie die Freiheit im Personen- und Warenverkehr zählen zu den Eckpfeilern der UEBL. Mit einem Exekutivrat, einem beratenden Hohen Rat und einem Schiedsgerichtshof verfügte die Belgisch-Luxemburgische Wirtschaftsunion von Anfang an über eine handlungsfähige institutionelle Struktur; sie wurde später mehrmals revidiert.

1930 unterzeichneten Belgien und Luxemburg zusammen mit den Niederlanden und Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden das Abkommen von Oslo. Es ging darum, Zölle miteinander abzustimmen, später beabsichtigte man, den Handel unter den Vertragspartnern zu stimulieren. Derartige Ansätze wurden im Zweiten Weltkrieg unter den Raubzügen des "Großdeutschen Reiches" rigoros zerstört. Doch noch während die Befreiung von NS-Regime und deutscher Besatzung durch die alliierten Streitkräfte in vollem Gang war, haben die Regierungen von Belgien, Luxemburg und den Niederlanden einen neuen Anlauf zu einer zollpolitischen Zusammenarbeit unternommen - diesmal allerdings ohne die skandinavischen Länder. Der Vertrag über die Gründung einer Zollunion wurde am 5. September 1944 unterzeichnet. Diese Entscheidung war mit der Hoffnung verknüpft, das ökonomische Potenzial der drei westeuropäischen Länder im Hinblick auf den Wiederaufbau durch eine wirtschaftspolitische Zusammenarbeit und den Abbau von Handelshemmnissen effektiver zur Entfaltung bringen zu können. Die Kontakte, welche die Mitglieder der Exilregierungen der drei Länder während des Krieges in London miteinander unterhalten hatten, sowie die positiven Erfahrungen, die Belgien und Luxemburg mit der UEBL gemacht hatten, waren dem Auf- und Ausbau zwischenstaatlicher Kooperation förderlich. Die Aussicht war nicht unbegründet, über eine institutionalisierte wirtschaftliche Zusammenarbeit allmählich zu einer stärkeren politischen Kooperation zu gelangen.

Zwar hat die Union der drei Länder keine gemeinsame Außenpolitik verfolgt, doch die Abstimmung zwischen Luxemburg, Den Haag und Brüssel sollte dazu dienen, das Gewicht der kleineren europäischen Staaten zu bündeln und auf diese Weise eine Dominanz größerer Staaten strukturell zu erschweren. Eine zusätzliche Möglichkeit zur Zusammenarbeit im Bereich der Außenpolitik bot die Tatsache, dass alle drei Länder Mitglieder der UNO, des Europarats sowie von sicherheitspolitischen Organisationen wie dem Brüsseler Pakt, der Westeuropäischen Union und der NATO waren. Später unterzeichneten die drei Staaten zusammen mit Frankreich und Deutschland das Schengener Abkommen zum Abbau von Grenzkontrollen, das mit dem Vertrag von Amsterdam (1997) in europäisches Gemeinschaftsrecht überführt worden ist. Inwieweit die drei Außenministerien von den Kooperationsmöglichkeiten, die derartige Institutionen oder Initiativen boten, effektiv Gebrauch gemacht haben, ist noch nicht systematisch untersucht worden.

Gänzlich frei von Problemen der Harmonisierung waren die Gründung und die Ausgestaltung der Zollunion ab 1944 gleichwohl nicht. Denn die Ausgangslage in den Mitgliedsländern war sehr unterschiedlich: Anders als Belgien waren die Niederlande und Luxemburg keine rohstoffreichen Länder, in den Niederlanden fielen zudem die Kriegsschäden höher aus als in Belgien oder in Luxemburg. Belgien hatte während des Krieges und in der Nachkriegszeit den rohstoffreichen Kongo als Kolonie behalten können, während sich die Niederlande gezwungen sahen, Ostindien zwischen 1945 und 1949 nach einem verlustreichen Krieg als Republik Indonesien in die Unabhängigkeit zu entlassen. Schließlich praktizierte Belgien nach dem Krieg eine liberale Wirtschafts- und Währungspolitik, während die Niederlande auf die staatliche Kontrolle von Löhnen und Preisen setzten. Erschwert wurde eine Angleichung der wirtschaftlichen Verhältnisse auch durch divergierende Lohnverhältnisse: Waren die Löhne in Belgien und Luxemburg relativ hoch, wurde das Lohnniveau in den Niederlanden bewusst niedrig gehalten.

Trotz dieser Differenzen überwog die Einschätzung, dass eine Zollunion für den Wiederaufbau in allen drei Ländern günstig war und sich eine wirtschaftspolitische Zusammenarbeit vorteilhaft auf die Umsetzung der amerikanischen Marshallplanhilfe auswirken würde. So trat am 1. Januar 1948 das Abkommen zwischen der UEBL und den Niederlanden in Kraft. War die neue Union zunächst nur zur Harmonisierung und zum sukzessiven Abbau der Zollschranken konzipiert, wurde sie in den folgenden Jahren zu einer Wirtschaftsgemeinschaft ausgeweitet. Diese erhielt im Benelux-Vertrag vom 3. Februar 1958 ihre rechtliche Grundlage. In diesem Vertrag wurden der freie Personen-, Waren-, Kapital- und Dienstleistungsverkehr festgeschrieben und die Personenkontrollen an den Benelux-Binnengrenzen abgeschafft; an den Außengrenzen wurde eine gemeinsame Kontrolle eingerichtet. Auch die Koordinierung der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik gehört zu den Aufgaben der Benelux-Union.

Europa und Benelux

In der Zwischenzeit waren mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, 1951), Euratom und derEuropäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, 1957) Organisationen ins Leben gerufen worden, welche die wirtschafts- und handelspolitische Zusammenarbeit auf europäischer Ebene in die Wege leiteten. Ihnen gehörten von Anfang an die Niederlande, Belgien und Luxemburg an. Der Aufbau dieser europäischen Institutionen relativierte zweifelsohne die Bedeutung von UEBL und Benelux-Union. Zugleich jedoch ist zu beachten, dass diese beiden Verbände in der Nachkriegszeit eine Pionierfunktion für den europäischen Integrationsprozess hatten. Immerhin waren sie die ersten zwischenstaatlichen Zusammenschlüsse im stark zerstörten Europa und boten in der Nachkriegszeit ein regionalwirtschaftlich ausgerichtetes Modell für eine intensive grenzüberschreitende Kooperation; integrationspolitisch waren sie den europäischen Institutionen weit voraus.

An sensiblen Punkten hat die Zusammenarbeit unter den Partnern den Integrationsprozess auf europäischer Ebene sogar entscheidend vorangebracht. Dies war besonders der Fall, als der Plan zur Gründung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) und einer Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) im August 1954 an der Ablehnung durch die französische Nationalversammlung gescheitert war. In dieser Situation waren es die Außenminister Paul-Henri Spaak (Belgien), Jan Willem Beyen (Niederlande) und Joseph Bech (Luxemburg), die den europapolitischen Stillstand überwinden halfen. Sie legten den Regierungsvertretern Italiens, Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland im Juni 1955 auf der EGKS-Konferenz von Messina ein unter ihnen abgestimmtes Memorandum vor, in dem die Verbindung einer sektoralen Integration einzelner Wirtschaftszweige wie Kernenergie und Transportwesen mit der Begründung einer Zollunion unter den EGKS-Mitgliedern und einer allgemeinen ökonomischen Integration, die zu einer Wirtschaftsunion führen konnte, zur Diskussion gestellt wurde. Als die Konferenzteilnehmer auf der Grundlage des Memorandums eine Expertenkommission unter dem Vorsitz von Spaak einsetzten, war der Weg zu den Römischen Verträgen geebnet, mit denen am 25. März 1957 Euratom und EWG aus der Taufe gehoben wurden. Die Römischen Verträge wichen zwar in mancherlei Hinsicht vom Benelux-Memorandum ab, doch die relance européenne war dank des koordinierten Vorgehens von Spaak, Beyen und Bech seit der Konferenz von Messina höchst folgenreich angestoßen. Überflüssig haben sich UEBL und Benelux-Union durch die Gründung der europäischen Institutionen übrigens nicht gemacht: Beide Wirtschaftsverbände wurden explizit in den Vertrag zur Gründung der EWG (Art. 233) aufgenommen.

Die Bedeutung der Benelux-Union für europäische Integration darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die drei Länder von Anfang an in vielen außen-, wirtschafts- und handelspolitischen Fragen unterschiedlicher Meinung waren, mitunter divergierende nationale Interessen verfolgten und manchmal nur mit Mühe eine einheitliche Position einnahmen. Nicht nur für die ersten Nachkriegsjahre gilt die Aussage von Albert E. Kersten, dass "der Benelux-Effekt nach außen hin größer war als nach innen".

NRW und Benelux

Dennoch ist die Benelux-Union nicht ohne Bedeutung für die europäische Nachkriegsgeschichte gewesen, und die "Düsseldorfer Erklärung" führt ihre Attraktivität bis in die heutige Zeit nachdrücklich vor Augen. Wie lässt sich die Geschichte der Beziehungen zwischen Nordrhein-Westfalen und dem Benelux-Raum beschreiben? Die wissenschaftliche Literatur hat bisher den Fokus nicht explizit auf NRW gelegt. Vielmehr wird das Verhältnis der Benelux-Länder zum östlichen Nachbarn in der Regel in einen gesamtdeutschen Rahmen eingebettet. Darüber hinaus ist für die meisten Forschungen auf diesem Gebiet eine bilaterale Perspektive leitend. So können hier nur Momente einer Beziehungsgeschichte zwischen dem Benelux-Raum und Nordrhein-Westfalen benannt werden.

Seit jeher hat das Gebiet des heutigen Bundeslandes NRW mit seiner Bevölkerung für die Wirtschaftsentwicklung der Länder des Benelux-Raums große Bedeutung besessen - und umgekehrt. Einen enormen Aufschwung nahm die gegenseitige ökonomische Abhängigkeit, als die benachbarten Regionen Wallonien, Rheinland und Ruhrgebiet seit Beginn des 19. Jahrhunderts industriell erschlossen wurden. In diesem Zusammenhang spielte die verkehrstechnische Vernetzung eine große Rolle. Mit dem 1843 fertiggestellten "Eisernen Rhein" etwa konnte der Antwerpener Hafen per Eisenbahn über Lüttich mit dem preußischen Gebiet von Rhein und Ruhr verbunden werden. Auch der Hafen von Rotterdam (der stets mit Antwerpen konkurrierte) war für den Güteraustausch mit den westdeutschen Ballungszentren sehr wichtig.

Schwere Erschütterungen des Verhältnisses der Benelux-Staaten zum östlichen Nachbarn haben die Weltkriege mit sich gebracht. Belgien und Luxemburg wurden sowohl 1914 als auch 1940 Opfer militärischer Aggression aus dem Osten; die Niederlande wurden im Zweiten Weltkrieg von Deutschland überfallen und jahrelang einem ausbeuterischen Besatzungsregime unterzogen. In der Zwischenkriegszeit nahmen die Benelux-Länder unterschiedliche Haltungen gegenüber Deutschland ein: Die Niederlande griffen der politisch und wirtschaftlich instabilen Weimarer Republik - im Interesse des eigenen Handels sicher nicht uneigennützig - mit Krediten im Wert von 200 Millionen Gulden für den Ankauf von Rohstoffen und Lebensmitteln unter die Arme und gewährten dem abgedankten Kaiser Wilhelm II. in Haus Doorn Asyl. Erst der Aufstieg des Nationalsozialismus führte in breiteren Kreisen der niederländischen Gesellschaft zu einer distanzierten Haltung gegenüber dem östlichen Nachbarn.

Demgegenüber bewegte sich Belgien nach 1918 im Schlepptau der antideutschen Politik Frankreichs. Die repressive Deutschlandpolitik kam nicht nur in gigantischen Annexionsforderungen zum Ausdruck, die sich zum Teil bis in die Eifel und nach Euskirchen erstreckten, schließlich aber auf die ehemalige preußische Rheinprovinz mit den Gemeinden Eupen, Malmedy und St. Vith reduziert werden konnten. Sie manifestierte sich auch in der Tatsache, dass Belgien seit Januar 1923 an der Seite Frankreichs an der Besetzung des Ruhrgebiets und des Rheinlands mit der Begründung teilnahm, die Weimarer Republik befinde sich mit Reparationsleistungen im Rückstand. Auf deutscher Seite führte dies für mehrere Monate zu jenem Widerstand, der als "Ruhrkampf" in die Geschichte eingegangen ist. Deutsch-nationale Kreise agitierten gegen separatistische Tendenzen im Rheinland, die mehr oder weniger offen von der Besatzungsmacht unterstützt wurden.

Auch wenn die Reichsregierung 1925 im Vertrag von Locarno die bestehende Westgrenze offiziell anerkannte, blieb das deutsch-belgische Verhältnis angespannt. Denn in der gesamten Zwischenkriegszeit wurde von deutscher Seite die Forderung nach einer Rückgliederung von Eupen, Malmedy und St. Vith erhoben. Eine Art von "intellektuellem Revisionismus" kann man in der "Westforschung" sehen. Hier wurde der Versuch unternommen, mit geschichtlichen, volkskundlichen und sprachhistorischen Studien Bezüge zwischen einem nieder- und einem westdeutschen "Kulturraum" auf der einen und den Benelux-Ländern sowie Frankreich auf der anderen Seite zu untermauern. In politischer Hinsicht waren derartige Ansätze für Irredentismus anfällig. Im Laufe der 1930er Jahre wurde die "Westforschung" denn auch zunehmend in den Dienst expansionistischer Bestrebungen gestellt. Die mehrjährige Besatzung durch das NS-Regime, die mit dem Beginn des Westfeldzugs am 10. Mai 1940 eingeläutet wurde, war somit auf deutscher Seite in gewisser Weise mental präpariert worden.

Die Erfahrungen mit dem Besatzungsregime führten dazu, dass die Niederlande, Belgien und Luxemburg nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Außenpolitiken stärker als zuvor aneinander anglichen und aufeinander abstimmten. Ausdruck dieser Neuorientierung ist die oben ausgeführte Institutionalisierung wirtschaftlicher Zusammenarbeit im Rahmen der Benelux-Union. Zur Neuorientierung zählte auch die Aufgabe der Neutralität, zu der sich die Niederlande, Luxemburg und Belgien 1839 vertraglich verpflichtet hatten. An ihre Stelle setzten die drei Länder die Eingliederung in internationale und europäische Organisationen sowie in die westliche Sicherheitsarchitektur. In diesem Umfeld boten sich zahlreiche Möglichkeiten des Kontaktes und der Kooperationen mit dem westdeutschen Staat. Durch die Einbindung der Bundesrepublik konnte deren militärisches, wirtschaftliches und politisches Potenzial "eingehegt" werden.

In der Haltung gegenüber der Bundesrepublik unterschied sich die niederländische Gesellschaft deutlich von der belgischen. Die bilateralen Beziehungen zu Belgien konnten auf politischer, wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und kultureller Ebene trotz der Stationierung belgischer Soldaten auf deutschem Boden schon relativ rasch nach Kriegsende weitgehend normalisiert werden. Anders als in der Zwischenkriegszeit verzichtete Belgien nach dem Zweiten Weltkrieg auf überbordende Reparations- und Annexionsforderungen gegenüber dem neuerlich besiegten Nachbarn. Lediglich Eupen, Malmedy und St. Vith gingen nun definitiv an Belgien. 1956 schlossen Belgien und die Bundesrepublik einen Ausgleichsvertrag, um ihr bilaterales Verhältnis auf eine solide völkerrechtliche Grundlage zu stellen. Ein deutsch-luxemburgischer Ausgleichsvertrag kam 1959 zustande.

Komplizierter stellte sich das niederländisch-deutsche Verhältnis nach 1945 dar. Einerseits sind die Niederlande und die Bundesrepublik relativ rasch zum bevorzugten Wirtschafts- und Handelspartner füreinander geworden; davon profitierte besonders das angrenzende NRW mit seinen bevölkerungsreichen Industrieregionen. Auch begegneten sich beide Länder als Partner in internationalen und europäischen Organisationen - war doch die Einbindung von Westdeutschland in die westliche Welt unter den Bedingungen des Kalten Krieges für die niederländische Außenpolitik von ebenso zentraler Bedeutung, wie sie es für Belgien und Luxemburg war. Innerhalb der niederländischen Gesellschaft jedoch blieb das Verhältnis zu Deutschland jahrzehntelang angespannt. Hiervon zeugt bereits die Tatsache, dass die Niederlande im Unterschied zu Belgien und Luxemburg das Gedenken an die Befreiung von der NS-Herrschaft im Frühjahr 1945 zu gesetzlichen Feiertagen gemacht und die Erinnerung an die deutsche Besatzung somit dauerhaft im kollektiven Gedächtnis verankert haben.

In dieselbe Richtung weisen in der unmittelbaren Nachkriegszeit erhobene Forderungen nach der Ausweisung aller Deutschen, nach hohen Reparationszahlungen und nach Annexionen. So wollte man auf niederländischer Seite als Wiedergutmachung das eigene Staatsgebiet um knapp ein Drittel auf Kosten Deutschlands vergrößern. International durchsetzen ließ sich diese Forderung nicht, und so wurden schließlich 1949 statt der anvisierten 10 000 Quadratkilometer mit anderthalb Millionen Einwohnern lediglich 69 Quadratkilometer und 10 000 Menschen um die Gemeinden Elten und Tüddern unter niederländische Verwaltung gestellt. 1963 kehrte der größte Teil dieser Gebiete und ihrer Bevölkerungen wieder nach Deutschland zurück, nachdem die Regierungen nach jahrelangen Verhandlungen einen Ausgleichsvertrag abgeschlossen hatten.

Trotz dieses Staatsvertrags, mit dem Wiedergutmachung für das Unrecht, das das "Dritte Reich" an den Niederlanden verübt hatte, rechtlich geregelt wurde, brachen in den Niederlanden immer wieder antideutsche Ressentiments auf. So kam es beispielsweise zu wütenden Protesten, als 1965 bekannt wurde, dass Kronprinzessin Beatrix einen Diplomaten aus Deutschland, Claus von Amsberg, heiraten wolle. Dessen Vergangenheit bis 1945 wurde umgehend im überhitzten Duktus moralischer Überlegenheit auf Antisemitismus und Teilnahme an Kriegsverbrechen durchleuchtet - ohne Resultat, wie sich bald schon herausstellen sollte. Die Langlebigkeit von antideutschen Klischees wurde noch einmal in einer Umfrage bestätigt, die das renommierte Forschungsinstitut Clingendael 1993 durchgeführt hat.

Seitdem sind auf beiden Seiten der Grenze verstärkt Versuche unternommen worden, das bilaterale Verhältnis substanziell zu verbessern. Hierzu gehören bilaterale Regierungskonferenzen, die Begründung eines deutsch-niederländischen Journalistenaustauschs oder die Einrichtung des interdisziplinär forschenden Duitsland Instituut in Amsterdam. Auch die Euregios haben dazu beigetragen, grenzüberschreitende Kontakte zu gestalten. Darüber hinaus liegt eine Reihe von Gemeinsamen Erklärungen und Abkommen vor, in denen die nordrhein-westfälische Landesregierung mit den Niederlanden oder mit Belgien und seinen Teilstaaten Vereinbarungen zu Themenfeldern wie Umwelt, Bildung oder Verkehr abgeschlossen hat. Der Intensivierung der deutsch-niederländischen Zusammenarbeit dienen auch Gelder, welche die Europäische Kommission zur Finanzierung des Projekts "Deutschland - Nederland 2007 bis 2013" zugesagt hat; hier hat das nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerium die Federführung.

Resümee und Ausblick

Erstens. Nicht zuletzt im Hinblick auf das Verhältnis zu ihrem östlichen Nachbarland haben Luxemburg, Belgien und die Niederlande oftmals unterschiedliche Haltungen eingenommen. Die westlichen Nachbarländer von NRW dürfen somit keinesfalls als monolithische Einheit betrachtet werden.

Zweitens. Der Blick der Benelux-Länder nach Osten war stets in hohem Maße in größere Kontexte eingebettet, wie sie beispielsweise die europäische Einigung, die Weltkriege oder der Kalte Krieg mit sich gebracht haben; derartigen Kontexten wird auch in Zukunft Rechnung zu tragen sein.

Drittens. In der Vergangenheit lassen sich vielfältige grenzüberschreitende Berührungspunkte ausmachen, die eine ausgezeichnete Grundlage für zwischenstaatliche Kooperationen darstellen. Mentalitätsgeschichtliche Beobachtungen lassen aber auch Abgrenzungstendenzen erkennen. Der Abbau von Stereotypen, die zu einem Teil mit der Geschichte der Weltkriege verbunden sind, wird in diesem Zusammenhang diesseits und jenseits der Grenzen weiterhin eine politische Herausforderung darstellen.

Viertens. Es ist nicht sicher, ob auf der Grundlage der bisherigen Entwicklung eine Metropolregion Benelux-NRW entstehen kann. Positive geschichtliche Anknüpfungspunkte laden zu einem Ausbau der bisherigen Kontakte ein, und immerhin nimmt NRW seit einiger Zeit als Beobachter an Gremien der Benelux-Union teil. Die Legitimierung einer grenzüberschreitenden Metropolregion ist gleichwohl weniger in historischen Bezügen als in aktuellen ökonomischen und politischen Zielsetzungen zu finden. Sollte es der nordrhein-westfälischen CDU gelingen, im eigenen Land andere Parteien und in den Benelux-Ländern die jeweilige Öffentlichkeit und Regierung für das Anliegen der "Düsseldorfer Erklärung" zu gewinnen und NRW im Wettbewerb mit anderen europäischen Regionen entsprechend zu positionieren, haben die Verstärkung punktueller Kooperationen oder gar eine umfassende Form der Zusammenarbeit durchaus Realisierungschancen. Ein formeller Beitritt zur Benelux-Union, der für ein Bundesland wie NRW auf erhebliche staatsrechtliche Probleme stoßen würde, wäre nicht einmal erforderlich, um eine leistungsfähige europäische Kernregion entstehen zu lassen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Neue Vitalität für eine europäische Kernregion - Partnerschaft NRW-Benelux vertiefen. Düsseldorfer Erklärung der CDU-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag, Mai 2007; www.cdu-nrw-fraktion.de/index.php?id=europkongress (29.1. 2008).

  2. Zur UEBL vgl. Pierre Pescatore, Belgium-Luxembourg Economic Union, in: Rudolf Bernhardt (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law, Bd. 1, Amsterdam u.a. 1992, S. 367-371.

  3. Vgl. Chronik der Staatsverträge - Handels- und Zahlungsabkommen, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 7 (1937), S. 862 - 866.

  4. Zur Entstehungsgeschichte siehe Thierry Grosbois, Les négociations de Londres pour une union douanière Benelux (1941-1944), in: Andries Postma u.a. (Hrsg.), Regards sur le Benelux. 50 ans de coopération, Tielt 1994, S. 39 - 68.

  5. So auch Albert E. Kersten, Les aspects politiques de la coopération Benelux: l'intégration entre la construction interne et les rapports de force internationaux 1944-1958, in: ebd., S.79-90; Thierry Grosbois, La Belgique et le Benelux: de l'universalisme au régionalisme, in: Michel Dumoulin/Geneviève Duchenne/Arthe Van Laer (Hrsg.), La Belgique, les petits Etats et la construction européenne, Brüssel 2003, S. 59 - 91.

  6. Vgl. Arend Jan Boekestijn, Een nagel aan Adam Smiths doodskist: de Benelux-onderhandelingen in de jaren veertig en vijftig, in: Erik S.A. Bloemen (Hrsg.), Het Benelux-effect. België, Nederland en Luxemburg en de integratie van Europa, 1948 - 1957, Amsterdam 1992, S. 149 - 151; Jan Luiten van Zanden: De economische ontwikkeling van Nederland en België en het "succes" van de Benelux, 1945-1958, in: ebd., S. 13 - 32.

  7. Der Benelux-Vertrag trat 1960 in Kraft; www.benelux.be/en/pdf/rgm/
    rgm_unieverdrag.pdf (29.1. 2008).

  8. Zur Europapolitik der Benelux-Länder vgl. die Überblicke von Katharina Garvert, Die Niederlande im europäischen Integrationsprozess, in: Friso Wielenga/Markus Wilp (Hrsg.), Nachbar Niederlande. Eine landeskundliche Einführung, Münster 2007, S. 207 - 238, Michel Dumoulin, Belgien und Europa, in: Johannes Koll (Hrsg.), Belgien. Geschichte - Politik - Kultur - Wirtschaft, Münster 2007, S. 271 - 296, sowie Vincent Fally, Le Grand-Duché de Luxembourg et la construction européenne, 2 Bde., Luxemburg 1992.

  9. Vgl. Gerhard Brunn, Die Europäische Einigung von 1945 bis heute, Bonn 2004, S. 93 - 99.

  10. Vgl. Anjo G. Harryvan/Albert E. Kersten, The Netherlands, Benelux and the Relance Européenne 1954-1955, in: Enrico Serra (Hrsg.), Il Rilancio dell'Europa e I Trattati di Roma, Brüssel u.a. 1989, S. 125 - 157.

  11. Albert E. Kersten, Maken drie kleinen een grote? De politieke invloed van de Benelux 1945-1955, Bussum 1982, S. 14.

  12. Vgl. etwa Carlo Lejeune, Die deutsch-belgischen Kulturbeziehungen 1925-1980. Wege zur europäischen Integration?, Köln-Weimar-Wien 1992; Horst Lademacher, Zwei ungleiche Nachbarn. Wege und Wandlungen der deutsch-niederländischen Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert, Darmstadt 1990; Friso Wielenga, Vom Feind zum Partner. Die Niederlande und Deutschland seit 1945, Münster 2000. Hier sind auch die Publikationen der Niederrhein-Akademie mit einer thematischen Konzentration auf den niederrheinisch-niederländischen Grenzraum zu nennen.

  13. Vgl. Klaus Pabst, Belgien und Rheinland-Westfalen seit dem 19. Jahrhundert. Beziehungen zweier Nachbarländer, in: Geschichte im Westen, 5 (1990), S. 29f.

  14. Vgl. Burkhard Dietz/Helmut Gabel/Ulrich Tiedau (Hrsg.), Griff nach dem Westen. Die "Westforschung" der völkisch-nationalen Wissenschaften zum nordwesteuropäischen Raum (1919-1960), 2 Bde., Münster u.a. 2003.

  15. Belgien hatte die Neutralität zwar nach dem Ersten Weltkrieg für einige Jahre aufgegeben, war aber 1936 vor dem Hintergrund der immer bedrohlicheren Außenpolitik des Hitler-Regimes hierhin zurückgekehrt.

  16. Vgl. Horst Lademacher, Deutschland und Belgien, in: Walter Först (Hrsg.), Beiderseits der Grenzen, Köln 1987, S. 117 - 120.

  17. Zum Folgenden vgl. besonders F. Wielenga (Anm. 12), passim.

  18. Vgl. Kees van Paridon, Wirtschaftliche Beziehungen zwischen den Niederlanden und Deutschland: Über wirtschaftliche Entwicklung, Handel, direkte Investitionen und "Poldermodell", in: Gebhard Moldenhauer/Jan Vis (Hrsg.), Die Niederlande und Deutschland. Einander kennen und verstehen, Münster u.a. 2001, S. 358ff.

  19. Die nicht unumstrittene Clingendael-Studie auf Deutsch in: Bernd Müller/Friso Wielenga (Hrsg.), Kannitverstan? Deutschlandbilder aus den Niederlanden, Münster 1995, S. 165 - 200.

  20. In NRW gibt es entlang der niederländischen und belgischen Grenze derzeit die folgenden euregionalen Zusammenschlüsse: EUREGIO (Gronau/Enschede), Euregio Rhein-Waal, Euregio Rhein-Maas-Nord und Euregio Maas-Rhein.

  21. Vgl. Liste der Gemeinsamen Erklärungen und Abkommen mit den Benelux-Staaten bei www.europa. nrw.de (29.1. 2008); vgl. auch Bericht der Landesregierung Nordrhein-Westfalen an den Landtag zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, Düsseldorf 2007.

  22. Vgl. www.deutschland-niederlande.eu (29.1. 2008).

Dr. phil., geb. 1964; Postdoc an der Wirtschaftsuniversität Wien, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Augasse 2 - 6, 1090 Wien/Österreich.
E-Mail: E-Mail Link: Johannes.Koll@wu-wien.ac.at