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Armutsbekämpfung durch Corporate Social Responsibility?

Claudia Nospickel

/ 13 Minuten zu lesen

Vor dem Hintergrund steigender Armutsraten und sinkender Löhne im Niedriglohnsektor stellt sich die Frage, inwieweit freiwilliges unternehmerisches Engagement einen Beitrag leisten kann, dieser Entwicklung entgegenzusteuern.

Einleitung

Die jüngsten Wachstumsprognosen bestätigen, dass Deutschland wirtschaftlich gestärkt aus der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre hervorgegangen ist. Der Export boomt wieder, und die Arbeitslosenzahlen sind unter die Drei-Millionen-Grenze gesunken. Zugleich wird über zunehmende Armut diskutiert und das Entstehen einer "Unterschicht" heraufbeschworen. Denn ungeachtet aller Wachstumsprognosen zeigt sich ein Trend zur Polarisierung der Einkommen, der ein steigendes Ausmaß an Armut mit sich bringt. Immer mehr Menschen müssen mit immer weniger Geld auskommen und stocken ihr Gehalt durch staatliche Sozialtransfers auf. Diese Entwicklung birgt die Gefahr einer Spaltung der Gesellschaft, in welcher der bisher geltende, auf den Abbau sozialer Ungleichheit gerichtete gesellschaftliche Konsens auf den Prüfstand gestellt wird.

Unter dem Stichwort Corporate Social Responsibility (CSR) weisen Unternehmen auf ihre soziale Verantwortung hin, und eine vermeintlich neue Form gesellschaftlichen Engagements gerät ins öffentliche und politische Bewusstsein. Das Interesse hieran ist in den vergangenen fünf Jahren erheblich gestiegen. Dabei ist das Thema nicht neu: So verwies der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier 2008 bei der Eröffnung der Konferenz "Unternehmen in Verantwortung" auf das soziale Engagement von Bosch und Siemens vor 130 Jahren. Zweieinhalb Jahre später, im Oktober 2010, hat die Bundesregierung einen Aktionsplan zum Thema CSR vorgelegt, der in Kooperation mit Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften erarbeitet wurde.

Eine Analyse beider Trends - der Anstieg der Armut im Kontext einer steigenden gesellschaftlichen Polarisierung auf der einen Seite und das aufkommende Interesse an unternehmerischer Verantwortung auf der anderen - wirft die Frage auf, welche Rolle Armut in Deutschland in den CSR-Aktivitäten einnimmt. In welchen Bereichen kann CSR einen gesamtgesellschaftlich sinnvollen Weg zur Armutsbekämpfung darstellen?

Armut in Deutschland

Das Ausmaß an Armut variiert, je nachdem welche Definition gewählt wird. Im Kontext der Europäischen Union (EU) hat sich eine "relative" Bestimmung durchgesetzt, die alle diejenigen Menschen als armutsgefährdet bezeichnet, denen weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen "Nettoäquivalenzeinkommens" des jeweiligen Landes zur Verfügung steht. In Deutschland lag dieser Wert im Jahr 2009 für eine alleinstehende Person bei 11151 Euro Jahreseinkommen (23418 Euro bei zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren). In den Jahren von 2005 bis 2009 ist die Armutsgefährdungsquote in der EU laut Eurostat von 12,2 auf 15,5 Prozent gestiegen. Im Vergleich lag Deutschland 2008 etwas unterhalb des EU-Durchschnitts (16,5 Prozent). Länder wie Estland, Griechenland, Lettland oder das Vereinigte Königreich sind mit höheren Armutsraten konfrontiert. Deutlich niedrigere Armutszahlen weisen Dänemark, die Niederlande und die Tschechische Republik auf.

Auffällig ist, dass diejenigen, die in Armut leben, mit immer weniger auskommen müssen. Betrachtet man das Verhältnis des Gesamteinkommens des Bevölkerungsfünftels mit den höchsten Einkommen zum Gesamteinkommen des Bevölkerungsfünftels mit den niedrigsten Einkommen, so verfügten im Jahr 2005 die reichsten 20 Prozent über das 3,8-Fache. Drei Jahre später betrug ihr Einkommen schon das 4,8-Fache (2008).

Das Risiko, unter die Armutsgefährdungsschwelle zu rutschen, ist nicht gleich verteilt: Arbeitslose, Menschen mit niedrigem Bildungsstand und Menschen mit Migrationshintergrund sind besonders betroffen bzw. gefährdet, ebenso Alleinerziehende. Im vergangenen Jahr (2009) lebten 37,5 Prozent der Alleinstehenden mit minderjährigen Kindern unterhalb der EU-Armutsgrenze. Schon 2008 konstatierte die Bundesregierung, dass über 50 Prozent der Bedarfsgemeinschaften, die Leistungen aus dem SGB II bzw. "Hartz IV" beziehen, Alleinerziehende mit ihren Kindern sind.

Armut trotz Erwerbstätigkeit

Der beste Schutz gegen Armut, so eine weit verbreitete Annahme, ist ein Arbeitsplatz. In der Tat hatten im Jahr 2008 von den Erwerbstätigen in Deutschland nur 7,1 Prozent ein Einkommen unterhalb der EU-Armutsgrenze (EU-Durchschnitt: 8,5 Prozent). Von den Arbeitslosen dagegen fielen mehr als die Hälfte, nämlich 56,8 Prozent, unter diese Schwelle (EU-Durchschnitt: 44,6 Prozent). Allerdings schützt längst nicht mehr jede Beschäftigung vor Armut. Sowohl bei Teilzeit- als auch bei Vollzeitstellen ist der Anteil gestiegen: auf fünf Prozent bei den Teilzeit- bzw. zehn Prozent bei den Vollzeitbeschäftigten.

Zwar gehören nicht alle Bezieher eines Niedriglohns zur Gruppe der working poor, aber sie sind einem deutlich größeren Armutsrisiko ausgesetzt als "Normalverdiener". Seit 1995 ist es zu einem beträchtlichen Anstieg der Beschäftigung im Niedriglohnsektor gekommen, gleichzeitig sind die Löhne drastisch gesunken. 2008 arbeiteten rund 20 Prozent der Beschäftigen (6,55 Millionen Menschen) für einen Lohn unterhalb der Niedriglohnschwelle, der in Deutschland bei einem Bruttolohn von 9,06 Euro pro Stunde liegt. 2007 verdienten mehr als fünf Millionen Erwerbstätige lediglich einen Stundenlohn unter acht Euro. Es zeigt sich, dass der Lohn- und Einkommensabstand zwischen den unteren und den mittleren Einkommen sowie den mittleren und den gehobenen Einkommen kontinuierlich wächst.

In der aktuellen politischen Diskussion wird oft darauf verwiesen, dass nur ein Vollzeitarbeitsplatz eine Garantie bieten könne, ein Einkommen oberhalb der Armutsgrenze zu erzielen. Während die Zahl der "Normalarbeitsverhältnisse" (unbefristete Vollzeitstellen) auf dem Arbeitsmarkt auf ca. zwei Drittel gesunken ist, sind die sogenannten atypischen Beschäftigungsverhältnisse mittlerweile zu einem festen und immer größeren Bestandteil geworden. In der Mehrzahl handelt es sich um Teilzeitstellen, auf denen überwiegend Frauen beschäftigt sind. Hinzu kommen geringfügig Beschäftigte und Zeitarbeiter. Die Zahl der Beschäftigten in Zeitarbeit ist zwischen 1993 und 2010 von knapp 140000 auf rund 900000 gestiegen. Obwohl Niedriglöhne nicht auf atypische Beschäftigungsformen beschränkt sind, verdienen Arbeitnehmer hier im Schnitt deutlich weniger pro Stunde als Menschen in einem Normalarbeitsverhältnis.

Neben einschneidenden gesetzlichen Reformen im Arbeitssektor und der bisher hohen Arbeitslosigkeit ist eine gesunkene Tarifbindung in einheimischen Unternehmen für die Entwicklung im Niedriglohnsektor mitverantwortlich. Waren 1996 noch 70 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Westdeutschland und 56 Prozent in Ostdeutschland in Unternehmen mit Branchentarifvertrag angestellt, sank der Anteil bis 2009 auf 56 Prozent (West) und 38 Prozent (Ost).

Seit den "Hartz-Reformen" (ab 2003) ist der Sozialleistungsbezug trotz Erwerbsarbeit bei allen Arbeitsformen (Vollzeit, Teilzeit, Ausbildung, geringfügig Beschäftigte) angestiegen. Ende 2008 erhielten 1,1 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer staatliche Transferleistungen. Hierunter befanden sich fast 300000 Vollzeiterwerbstätige. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Anzahl der leistungsberechtigten Menschen weit höher liegt: Aufgrund von Scham, Unwissenheit oder Unsicherheit werden Leistungen von den Anspruchsberechtigten oftmals nicht abgerufen. Die Hoffnung, dass durch die Etablierung eines Niedriglohnsektors Menschen mit geringen Berufsqualifikationen der Einstieg in den Arbeitsmarkt erleichtert wird, hat sich kaum erfüllt. Auswertungen zeigen, dass der Trend, Stellen überqualifiziert zu besetzen, anhält: Drei Viertel aller im Niedriglohnsektor Beschäftigten weisen eine formale Qualifizierung auf.

Die Fluktuation in der Gruppe der Beschäftigten mit gleichzeitigem Sozialleistungsbezug zeigt zwar, dass das Phänomen für den Einzelnen von kurzer Dauer sein kann, aber insgesamt ist eine immer größer werdende Gruppe von Menschen im Verlauf ihres Arbeitslebens betroffen. Und längst nicht alle schaffen den Ausstieg aus den staatlichen Transferleistungen. In den vergangenen Jahren hat sich eine Tendenz zur Verlängerung des Leistungsbezugs gezeigt.

Die deutsche Lohn- und Gehaltsentwicklung im vergangenen Jahrzehnt war also gekennzeichnet durch eine Lohnspreizung zwischen den niedrigen und höheren Einkommen sowie eine Umverteilung zu Lasten der abhängig Beschäftigten insgesamt. Die Zahl der Haushalte mit einem niedrigen Einkommen ist dabei nicht nur anteilig gestiegen, sondern im Vergleich auch immer ärmer geworden. Auf der anderen Seite ist das Vermögen der Wohlhabenden weiter gewachsen.

Lohnentwicklung und europäischer Kontext

Auf den internationalen Aspekt dieser Entwicklung verweist der Osnabrücker Politikwissenschaftler Klaus Busch. Im zurückliegenden Vierteljahrhundert sei es keinem Staat der Europäischen Union mehr gelungen, die Lohn- und Gehaltsentwicklung kostenneutral, das heißt analog zur Preis- und Produktivitätssteigerung, zu gestalten. Stattdessen habe die Entwicklung zu einer stetigen Umverteilung zugunsten der Gewinneinkommen geführt. Dadurch, dass Deutschland an der Spitze dieser Entwicklung stehe, würden die realen Lohnstückkosten in der Bundesrepublik stärker sinken als in den anderen EU-Ländern. Der deutsche Wert sei zwischen den Jahren 2000 und 2008 um sechs Prozentpunkte geschrumpft, während er in den anderen Euro-Ländern durchschnittlich nur um drei Prozentpunkte gesunken sei.

Auf diese Weise habe sich Deutschland international einen Wettbewerbsvorteil verschaffen können. Den Überschüssen in der deutschen Leistungsbilanz stünden die Defizite anderer EU-Staaten gegenüber. Eine Lohnentwicklung, wie sie sich im Niedriglohnsektor in Deutschland eingestellt habe, werde zum Beispiel in Frankreich durch einen gesetzlichen Mindestlohn verhindert. Durch diese Politik, so folgert Busch, exportiere Deutschland Arbeitslosigkeit in die anderen EU-Länder, während die Beschäftigung in Deutschland gestärkt werde. Die aktuellen Zahlen scheinen diese These zu bestätigen.

Unternehmerische soziale Verantwortung?

Hinter Corporate Social Responsibility steht die Idee, dass Unternehmen durch und zusätzlich zu ihrem wirtschaftlichen Handeln Verantwortung für gesellschaftliche Prozesse übernehmen (sollten). Eine so verstandene Unternehmenspolitik richtet sich nicht ausschließlich an den Interessen der Anteilseigner aus, sondern bezieht das gesamte Umfeld des unternehmerischen Handelns mit ein. Als sogenannte stakeholder (Anspruchs- bzw. Interessengruppen) zählen zu diesem Umfeld unter anderem Arbeitnehmer, Kunden, Auftraggeber, Lieferanten, Anwohner, Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Investoren, politische Akteure, Medien, Wissenschaft, Forschung und Bildung bis hin zu supranationalen Organisationen, die an der Entwicklung von Leitlinien zur Wahrnehmung unternehmerischer Verantwortung zu beteiligen sind. CSR bezeichnet dabei die Maßnahmen, die von Unternehmen eingesetzt werden, um gesellschaftliche Prozesse positiv zu beeinflussen.

Laut Bundesregierung ist CSR Teil einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft. Es handele sich dabei um "ein integriertes Unternehmenskonzept, das alle sozialen, ökologischen und ökonomischen Beiträge eines Unternehmens zur freiwilligen Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung beinhaltet, die über die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen hinausgehen (...)".

Zentrales und wichtigstes Element des CSR-Konzepts ist die Freiwilligkeit. Als Grundlage dienen den Unternehmen allgemeingültige Prinzipien, die vor allem in der dreigliedrigen Grundsatzerklärung über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization, ILO), dem Global Compact der Vereinten Nationen sowie in Konzepten der Europäischen Union festgelegt sind. Zwei Ziele stehen im Zentrum der CSR-Aktivitäten: Zum einen wollen Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken, zum anderen wollen sie dazu beitragen, Antworten auf gesellschaftliche Probleme zu entwickeln.

Das auf soziale, gesellschaftliche und ökologische Verantwortung gegenüber den Beschäftigten gerichtete Handlungsfeld innerhalb der CSR-Strategie ist in Deutschland weitgehend durch einen rechtlich abgesteckten Rahmen verbindlich geregelt. Viele dieser Themen fallen in den Bereich der betrieblichen Mitbestimmung. So enthält etwa das Betriebsverfassungsgesetz Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmervertreter. Nachdem deutsche Unternehmen schon im vorletzten Jahrhundert die Notwendigkeit sahen, Verantwortung für ihre Mitarbeiter und deren Familien zu übernehmen, führte dies nach dem Zweiten Weltkrieg hierzulande in gesetzlich verankerte Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmervertreter auf Unternehmensebene.

CSR hingegen hat seinen Ursprung in angelsächsischen, liberal geprägten Wohlfahrtsstaaten. Allerdings verlief auch hier die Debatte um CSR-Ansätze kontrovers. Der liberale US-amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman (1912-2006) etwa argumentierte, dass es nicht in der Verantwortung eines Unternehmers liege, durch freiwillige Maßnahmen Armut zu reduzieren. Vielmehr liege die Verantwortung dafür bei der Politik. Denn diese definiere den gesetzlichen Rahmen, der von den Unternehmen in der Umsetzung ihrer unternehmerischen Ziele eingehalten werden müsse.

Was das internationale Engagement angeht, spielt Armutsbekämpfung in den CSR-Konzepten deutscher Unternehmen eine zentrale Rolle. Durch die Verbindung ihres Kerngeschäfts mit der Umsetzung gesellschaftlicher Verantwortung achten sie zum Beispiel darauf, dass in ihrer Produktionskette die Menschenrechte und internationale Sozialstandards eingehalten werden. Dabei stellt auch eine angemessene Entlohnung eines der Ziele dar.

In der nationalen Ausrichtung liegt der Schwerpunkt der CSR-Konzepte jedoch auf anderen Themen wie zum Beispiel lebenslanges Lernen, demografische Entwicklung sowie Förderung von Kindern und Familien. Ziel der Unternehmen ist es, eine Situation zu schaffen, die sowohl den Unternehmen selbst als auch den Arbeitnehmern nützt (Win-win-Situation). So stellt beispielsweise die Ergänzung des Kinderbetreuungsangebots durch betriebliche Initiativen eine Unterstützung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dar, die letztlich auch den Unternehmen durch die verlässliche Präsenz ihrer Angestellten zugute kommt.

Konkrete CSR-Maßnahmen der Armutsbekämpfung sind in Deutschland bisher vergleichsweise selten. Erste Ansätze liegen aber vor allem im Bereich der Kinderarmutsbekämpfung vor. Einige Initiativen wie beispielsweise das soziale Unternehmen "ArbeiterKind" zielen auf die Förderung benachteiligter Gruppen.

CSR zur Wahrung sozialer Standards

Die Frage ist nun, ob das Potenzial damit bereits ausgereizt ist: Könnte die verstärkte Nutzung von CSR-Strategien in Deutschland dazu beitragen, die mit steigender Armut und Polarisierung einhergehenden Probleme zu bewältigen? Oder ist es nicht vielmehr so, dass das hohe Maß an sozialrechtlichen Bestimmungen und Gesetzen - auf welche auch die Bundesregierung immer wieder verweist - einen darüber hinausgehenden CSR-Ansatz zur Armutsbekämpfung überflüssig macht?

"Vieles, was in anderen Ländern als CSR-Aktivität gilt, ist für deutsche Unternehmen rechtlich verbindlich und stellt damit schon per definitionem kein CSR dar", führt die Bundesregierung in ihrer CSR-Strategie ins Feld. Allerdings, so heißt es darin weiter, ermögliche CSR den Unternehmen, sich im Ausland positiv zu positionieren, für Standards einzutreten, die dort rechtlich nicht abgesichert sind, und dieses soziale Engagement als Wettbewerbsvorteil zu nutzen.

Trotz der immer wieder betonten hohen Sozialstandards gibt es einen Bereich, in dem Deutschland zumindest im EU-Vergleich hinter viele andere Mitgliedstaaten zurückfällt. 20 der 27 EU-Staaten haben einen gesetzlich gesicherten Mindestlohn, durch den das Absinken der Löhne und Gehälter nach unten und somit dem Anstieg von Armut Einhalt geboten werden soll. Gerade in Bezug auf die Lohnentwicklung nach unten hat bisher noch keine Bundesregierung einen branchenübergreifenden, verbindlichen und armutsvermeidenden Rahmen schaffen können. Ansätze zur Vereinbarung eines Mindestlohns bestehen lediglich in wenigen Branchen oder im Rahmen von Tarifverträgen. Dem Lohndumping sind daher kaum staatliche Grenzen gesetzt. Tatsächlich wird diese Entwicklung sogar subventioniert, indem Menschen mit einem Erwerbseinkommen unterhalb der Armutsgrenze als sogenannte Aufstocker zusätzlich Leistungen vom Staat erhalten.

In Bezug auf das CSR-Engagement von Unternehmen in außereuropäischen Ländern heißt es im Aktionsplan der Bundesregierung: "Die Relevanz von CSR in vielen dieser Länder steigt dann noch, wenn die nationale Gesetzgebung und Rechtsdurchsetzung zur Umsetzung internationaler Konventionen und Standards nicht in ausreichendem Maße gegeben ist." Wenn CSR-Aktivitäten im Ausland also als Ersatz für fehlende rechtlich verbindliche Sozialstandards verstanden werden, so könnten sich Unternehmen in ihren nationalen Aktivitäten durchaus auch hierzulande an fehlenden "Sozialstandards" abarbeiten, indem sie ihr soziales Engagement durch hinreichend hohe Löhne zeigen. Denn Unternehmen, die sich entsprechend verhalten, tun etwas gegen die steigende Armutsentwicklung und Einkommenspolarisierung.

Schluss

Bleibt die Frage, ob freiwilliges Engagement der Unternehmen allein einen sinnvollen Weg zur Lösung der oben beschriebenen Probleme darstellen kann. Oder anders ausgedrückt: Kann es sich ein Land wie Deutschland leisten, einen im Fokus der Armutsproblematik stehenden Bereich wie den der Lohnpolitik unterer Einkommen dauerhaft von einer allgemeinen, rechtlich verbindlichen Absicherung auszuschließen?

Es bedarf einer gesellschaftlichen Diskussion darüber, ob wir in der Armutsprävention auf einen Paradigmenwechsel hin zu mehr freiwilligem Verantwortungsbewusstsein setzen sollten, das gegebenenfalls dort greift, wo das bestehende System der Lohnfindung durch die Tarifparteien zu schwach ist, um einen gesellschaftlichen Missstand zu beheben. Aber handelt es sich hierbei möglicherweise nicht - analog zu fehlenden gesetzlichen Sozialstandards im Ausland - um eine Schwäche der Politik? Diese zeigt sich in dem hier diskutierten Kontext in einem Staat, der nicht nur eine starke Tradition darin aufweist, soziale Absicherung gesetzlich zu verankern und damit einen verbindlichen Rechtsrahmen für alle zu schaffen, strukturelle Machtverhältnisse auszugleichen und eben nicht dem goodwill der Stärkeren zu überlassen, sondern der zudem noch in Bezug auf seine Außenwahrnehmung immer wieder auf diese Tradition verweist.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. z.B. Christoph Butterwegge, Armut in einem reichen Land, Frankfurt/M. 2009 sowie die aktuelle Diskussion zu den Thesen Thilo Sarrazins.

  2. Vgl. z.B. Deutsche Telekom, Wir leben Verantwortung. Corporate Social Responsibility Bericht, Bonn 2009; Janine Curbach, Die Corporate-Social-Responsibility-Bewegung, Wiesbaden 2009.

  3. Vgl. Frank-Walter Steinmeier, Gesellschaftlicher Zusammenhalt in einer globalisierten Welt. Rede zur Eröffnung der der Konferenz "Unternehmen in Verantwortung. Ein Gewinn für alle", Berlin 29.4.2008, online: www.csr-in-deutschland.de (26.11.2010).

  4. Vgl. Nationale Strategie zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen (Corporate Social Responsibility - CSR) - Aktionsplan CSR - der Bundesregierung, Berlin 2010, online: www.csr-in-deutschland.de/
    portal/generator/15040/property=data/
    2010__10__06__aktionsplan__csr.pdf (26.11.2010).

  5. Zahlen und Begriffe basieren auf Erhebungen und Definitionen von Eurostat und dem Statistischen Bundesamt, online: epp.eurostat.ec.europa.eu/portal/page/
    portal/statistics/search_database bzw. www.destatis.de (26.11.2010).

  6. Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), online: www.bmas.de/portal/41924/(26.11.2010); Eurostat (Anm. 5).

  7. Vgl. Statistisches Bundesamt (Anm. 5); BMAS, Lebenslagen in Deutschland. Der 3. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, Bonn 2008, S. 94.

  8. Vgl. Eurostat (Anm. 5).

  9. Vgl. Thorsten Kalina/Claudia Weinkopf, Niedriglohnbeschäftigung 2008, IAQ-Report, (2010) 6, S. 2ff.

  10. Vgl. Hans-Böckler-Stiftung (Hrsg.), Lohnabstand gewährleistet, Existenz sichernde Löhne nicht, in: Böckler Impuls, (2010) 4, S. 7.

  11. Vgl. ebd.; dies. (Hrsg.), Die Kluft wächst, in: Böckler Impuls, (2010) 11, S. 2.

  12. Vgl. Petra Wetzel, Land der Leiharbeit, in: Ver.di Publik, (2010) 11, S. 1; Hans-Böckler-Stiftung (Hrsg.), Lohnspreizung ohne Beispiel, in: Böckler Impuls, (2009) 12, S. 3.; Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Die soziale Situation in Deutschland, online: www.bpb.de/wissen/5ZCX6D (26.11.2010); Statistisches Bundesamt, Niedrigeinkommen und Erwerbstätigkeit, August 2009, S. 26.

  13. Vgl. Thorsten Kalina/Claudia Weinkopf, Konzentriert sich die steigende Niedriglohnbeschäftigung in Deutschland auf atypisch Beschäftigte?, in: Zeitschrift für Arbeitsmarktforschung, (2008) 4, S. 447-469; Statistisches Bundesamt (Anm. 12). S. 14.

  14. Vgl. Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, Tarifbindungsentwicklung, Nürnberg 2010, online: http://doku.iab.de/aktuell/2010/
    Tarifbindungsentwicklung.pdf (26.11.2010).

  15. Vgl. Kerstin Bruckmeier/Tobias Graf/Helmut Rudolf, Working poor: Arm oder bedürftig?, in: Wirtschafts- und Sozialstatistisches Archiv, (2010) 3, S. 213f.

  16. Vgl. Frank Pilz, Der Sozialstaat, Bonn 2009, S. 202ff.; T. Kalina/C. Weinkopf (Anm. 9), S. 5.

  17. Vgl. K. Bruckmeier/T. Graf/H. Rudolf (Anm. 15), S. 219f.

  18. Vgl. Jan Goebel/Martin Gornig/Hartmut Häussermann, Polarisierung der Einkommen: Die Mittelschicht verliert, in: DIW-Wochenbericht, (2010) 24, S. 3.

  19. Vgl. zum Folgenden: Klaus Busch, Europäische Wirtschaftsregierung und Koordinierung der Lohnpolitik, Berlin 2010; T. Kalina/C. Weinkopf (Anm. 9), S. 8.

  20. Vgl. Beate Feuchte, Glossar zum Thema Freiwillige gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen, o.J., online: www.boeckler.de/pdf/mbf_csr_glossar_
    feuchte.pdf (26.11.2010).

  21. Aktionsplan CSR (Anm. 4), S. 2f.

  22. Vgl. ILO, Dreigliedrige Grundsatzerklärung über Multinationale Unternehmen und Sozialpolitik, Genf 20013 (erstmals 1979), online: www.econsense.de/_CSR_INFO_
    POOL/_INT_VEREINBARUNGEN/
    images/Dreigliedrige Grundsatzerklärung der ILO.pdf (30.11.2010).

  23. Vgl. United Nations Global Compact, online: www.unglobalcompact.org (30.11.2010).

  24. Hierzu zählen z.B. Arbeitsschutzmaßnahmen, Weiterbildungsangebote und betrieblicher Umweltschutz.

  25. Vgl. Beate Feuchte, Positionspapier der Hans-Böckler-Stiftung zu Corporate Social Responsibility, 2009, S. 2, online: www.boeckler.de/pdf/mbf_csr_positions
    papier_hbs.pdf (26.11.2010).

  26. Vgl. z.B. Hans-Jürgen Teuteberg, Historische Vorläufer der Lebensmitteltafeln in Deutschland, in: Stefan Selke (Hrsg.), Tafeln in Deutschland, Wiesbaden 2009, S. 41.

  27. Vgl. Milton Friedman, The Social Responsibility of Business is to Increase its Profits, in: The New York Times Magazine vom 13.9.1970, S. 2.

  28. Für Beispiele siehe das CSR-Portal vom Bundesverband Deutscher Industrie und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, www.csrgermany.de (26.11.2010).

  29. Vgl. z.B. die Bepanthen-Kinderarmutsstudie von Sabine Andresen/Susann Fegter, Spielräume sozial benachteiligter Kinder, Leverkusen 2009, online: www.fuer-eine-heilere-welt.de (26.11.2010).

  30. Vgl. Peter Baumgärtner, Corporate Social Responsibility und Social Entrepreneurship als Lösungsansätze der Problematik struktureller Arbeitslosigkeit in Deutschland, Magisterarbeit, Heidelberg 2009, S. 78ff., online: http://pbaumi.pb.funpic.de/MA/2009-04-02%20-%20MA.pdf (26.11.2010).

  31. Aktionsplan CSR (Anm. 4), S. 10.

  32. Sieht man einmal von dem Passus des sittenwidrigen Lohns ab, der bei 30 Prozent unter den branchenüblichen Entgelten verortet wird. Vgl. F. Pilz (Anm. 16), S. 209.

  33. Vgl. Aktionsplan CSR (Anm. 4), S. 15.

Dipl. Sozialwirtin, geb. 1966; abgeschlossene Promotion im Graduiertenkolleg der Hans-Böckler-Stiftung an der Universität Osnabrück zum Thema Armut in Mittel- und Osteuropa (erscheint in Kürze); Lehrbeauftragte an der FH Düsseldorf. E-Mail Link: clnos@t-online.de