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Devolution: Auflösung des Vereinigten Königreichs?

Charlie Jeffery

/ 18 Minuten zu lesen

In einem Staat ohne einen Rahmen zur Überbrückung der Unterschiede zwischen der britischen und den dezentralisierten Regierungen sowie den Nationen scheinen sich Fliehkräfte fortzusetzen.

Einleitung

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den Auswirkungen der devolution, der Übertragung legislativer Funktionen an regionale Körperschaften im Vereinigten Königreich. Die erste Welle dezentralisierender Reformen wurde nach dem Sieg der Labour-Partei unter Führung Tony Blairs bei der Parlamentswahl 1997 im Rahmen bemerkenswert hastig durchgeführter Gesetzgebungsaktivitäten eingeleitet. Bis Ende 1998 waren bereits Gesetze verabschiedet, welche die Nationalversammlung von Wales, das Schottische Parlament und die Nordirische Versammlung ins Leben riefen; schon Ende 1999 waren sie alle voll funktionsfähig. Im Laufe des Jahres 1999 wurde das Gesetz zur Gründung der Londoner Stadtregierung (Greater London Authority/GLA) verabschiedet; die GLA hat Mitte 2000 ihre Arbeit aufgenommen.

Diese Reformen stellten die radikalste Verfassungsänderung im Vereinigten Königreich seit etlichen Jahrzehnten, nach Meinung einiger sogar seit 1707 dar, als Schottland und England zu einem gemeinsamen Staat verbunden worden waren. Die epochale Bedeutung der Reformen wurde auch von Blair hervorgehoben, und zwar in einem kurz vor seinem Amtsantritt veröffentlichten Buch: "The reforms I have set out will transform our politics. They will redraw the boundaries between what is done in the name of the people and the people themselves."

Vielleicht wurden diese Grenzen rascher neu definiert, als es Blair erwartet hatte. Zehn Jahre nach seinem Wahlsieg wurde im Frühjahr 2007 die dritte Runde dezentraler Wahlen durchgeführt. In Schottland, Wales und Nordirland wurden Regierungen mit nationalistischen Parteien gebildet, die das Ziel verfolgen, ihre Nationen aus dem Vereinigten Königreich herauszulösen - entweder in Form schottischer oder walisischer Unabhängigkeit oder durch die Vereinigung Nordirlands mit der Republik Irland. Die Schottische Nationalpartei (Scottish National Party/SNP) wurde zur stärksten Partei im Schottischen Parlament und formte eine Minderheitsregierung. Ihr walisisches Gegenstück, die gestärkte Plaid Cymru, schloss sich als Juniorpartner in einer Koalitionsregierung der geschwächten Labour-Partei an. Und die irisch-republikanische Partei Sinn Fein wurde nach der (probritischen) Demokratischen Unionistischen Partei (Democratic Unionist Party/DUP) zweitstärkste Partei in der Nordirischen Versammlung und Koalitionspartner der DUP in der nordirischen Regierung.

Dieser nationalistische Umschwung untermauert, dass die territoriale Struktur des Vereinigten Königreichs stark umstritten bleibt. Das bestätigte sich, als eine zweite Phase der Verfassungsdiskussion um die Dezentralisierung entbrannte. In Wales hatte von 2002 bis 2004 bereits eine Kommission zur Reform der Devolution getagt. Dies bildete zum Teil die Grundlage für ein zweites Gesetz zur Regierung von Wales (Government of Wales Act), das 2006 verabschiedet wurde und die Befugnisse der Versammlung ausweitete. Dennoch richtete die neue Koalition aus Labour und Plaid Cymru nur ein Jahr später den walisischen Konvent (All-Wales Convention) ein, um den Weg für ein für das Frühjahr 2011 geplantes Referendum zu noch weiter reichender Devolution zu bereiten.

In Schottland veröffentlichte die SNP-Regierung im August 2007 ein wegbereitendes Weißbuch zu verfassungsrechtlichen Optionen Schottlands. Das Weißbuch löste eine heftige, parteiübergreifende Debatte über zusätzliche Befugnisse aus, die vom Parlament angestrebt werden könnten - oder vielmehr zwei Debatten: zum einen die National Conversation der SNP-Regierung, ein Konsultationsprozess, der sich auf Möglichkeiten stärkerer Devolution oder die (von der SNP bevorzugte) schottische Unabhängigkeit konzentrierte; zum anderen die Kommission zur schottischen Devolution (Commission on Scottish Devolution), welche in einem seltenen Beispiel parteiübergreifender Zusammenarbeit zwischen Labour, den Konservativen und den Liberaldemokraten gebildet worden war und den Schwerpunkt auf Möglichkeiten zur weiteren Devolution bei gleichzeitiger Stärkung der Position Schottlands im Vereinigten Königreich legte. Diese rivalisierenden Sichtweisen auf Reformvorhaben wurden im November 2009 in mehr oder weniger gleichzeitig veröffentlichten Weißbüchern des Vereinigten Königreichs und Schottlands formalisiert.

Bis 2007 war zudem eine neue und zeitweise hitzige Debatte über die Art, wie England regiert wird, entbrannt. Sie war größtenteils von der konservativen Partei angestoßen worden, richtete ihr Hauptaugenmerk aber nicht auf die ursprüngliche Labour-Agenda zur Regionalisierung Englands. Obgleich Labour 2002 ein Weißbuch und 2004 einen Gesetzesentwurf zu Regionalversammlungen (Draft Regional Assemblies Bill) vorgelegt hatte, beendete die einhellige Ablehnung dieser Vorschläge in einem Referendum in Nordostengland im November 2004 die Debatte um englische Regionalregierungen. Die neue konservative Agenda dagegen konzentrierte sich auf England als Ganzes und ging auf Befürchtungen bezüglich der vermeintlichen Ungerechtigkeiten in den nachdevolutionären englisch-schottischen Beziehungen ein. Eine Folge schien ein verstärktes Engagement zur Einführung von Sonderregelungen für England durch die Regierung in Westminster zu sein - als Antwort auf die Dezentralisierung außerhalb Englands. Nur in Nordirland blieb eine neue, maßgebliche Verfassungsdebatte aus; allerdings spiegelte dies weniger eine große Zufriedenheit mit den herrschenden Zuständen als vielmehr die Tatsache wider, dass man darauf bedacht war, das mühsam ausgehandelte Karfreitags-Abkommen von 1998 nicht zu gefährden. Kaum jemand würde behaupten, dass die Regierung von Nordirland dauerhafte Stabilität erreicht hat.

Devolution als instabile Territorialverfassung

Die fehlende Stabilität in der Territorialverfassung des Vereinigten Königreichs, das heißt, die Regierungsform der zugehörigen Nationen, muss in angemessener Relation gesehen werden. Devolution gibt es seit nicht einmal zehn Jahren. Die Notwendigkeit weiterer Anpassungen vermag angesichts der nach 1997 vorgenommenen Änderungen nicht allzu sehr überraschen. Vergleichbare Reformprozesse in anderen Ländern wie Belgien, Spanien oder Italien haben ebenfalls über Jahrzehnte hinweg etliche Stufen durchlaufen.

Doch schon zu Beginn der Devolution konnten potentielle Instabilitäten ausgemacht werden, die spezifisch für das Vereinigte Königreich erschienen und nicht einfach nur Teil eines Reifeprozesses waren. Einige von ihnen spiegelten wider, wie die Devolution eingeführt worden war. Devolution war keineswegs das "Jahr Null": Das Vereinigte Königreich ist schon immer auf territorial differenzierte Weise verwaltet worden. Vor der Devolution setzten die Ministerien für schottische, walisische und nordirische Angelegenheiten (Scottish, Welsh and Northern Ireland Offices) - territorial organisierte Ministerien der britischen Regierung auf Kabinettsebene - die britische Regierungspolitik mit wechselndem, unterschiedlich hohem Ermessensspielraum um. Durch die Devolution wurde diese differenzierte Territorialverwaltung in eine differenzierte Territorialpolitik überführt, die durch eine Vielzahl von Wahlverfahren in verschiedenen Teilen des Vereinigten Königreichs unterschiedliche Gewinner und Verlierer hervorgebracht hat.

Zahlreiche politische Beobachter wiesen gleich zu Beginn der Devolution auf die möglichen Folgen einer Öffnung zu dieser neuen Territorialpolitik hin, indem sie behaupteten, dass eigenständige Territorien für politischen Konfliktstoff sorgen könnten. Diese Beobachtungen gründeten oft auf den sezessionistischen Forderungen der schottischen, walisischen oder irischen Nationalisten. Außerdem ging es um die Devolutionsfolgen für England, insbesondere die "West-Lothian-Frage" - die in früheren Debatten über Dezentralisierung in den 1970er Jahren angeführten Bedenken hinsichtlich der ungerechten Repräsentation, die aus einer Devolution Schottlands bei nicht gleichzeitiger Dezentralisierung Englands folgen würde. Eine weitere potentielle Konfliktlinie stellte die territoriale Verteilung der öffentlichen Ausgaben dar: Traditionell hatten Schottland, Nordirland und in geringerem Maße auch Wales bei der Verteilung der Staatsausgaben pro Kopf einen wesentlichen Vorteil gegenüber England. Diese Vorteile waren im vordevolutionären Staatswesen nicht offensichtlich. Die Gefahr bestand darin, dass die Devolution neue und destabilisierend wirkende Vergleiche zwischen den Nationen des Vereinigten Königreichs und vor allem in Bezug auf die relative Position (und die subjektiv empfundenen Nachteile) Englands ermöglichen könnte. Der Umgang mit diesen neuen territorialen Rivalitäten, die vor dem Hintergrund all dieser Fragen zu erwarten sind, erfordere neue "territorial statecraft skills".

Dieser Punkt wurde durch Robert Hazell und seine Kollegen hervorgehoben, welche 1999 die phantasievollste und umfassendste Prognose der Entwicklungsrichtungen der Devolution erstellten. Im Hinblick auf die nationalistische Herausforderung argumentierten sie: "Left to themselves, the forces [des Nationalismus außerhalb Englands, Ch. J.] are centrifugal. They do represent a slippery slope which could lead to the breakup of the UK. It will require some imaginative re-engineering of the centre, and a spirit of trust and generosity on both sides, to make the devolution settlement work."

Diese "einfallsreiche Umgestaltung" bestand aus zwei Komponenten. Eine war institutionell: Das Zentrum des Vereinigten Königreichs - die Institutionen und Praktiken der britischen Zentralregierung in Westminster und Whitehall - musste "die Grundregeln festlegen" für die Regierung des nachdevolutionären Vereinigten Königreichs. Die andere war eher normativ: Die Zentralregierung musste zudem "understand and articulate clearly a sense of the wider loyalties which bind us together at the level of the nation state, and to foster a sense of loyalty to the union".

In keinem dieser Punkte hat die Zentralregierung bislang die Fähigkeit zur kreativen Umgestaltung gezeigt. Und weder die zentrale noch die dezentralen Regierungen scheinen sich bisher um ein "vertrauensvolles und aufgeschlossenes Klima" zu bemühen, noch werden sie dies in absehbarer Zukunft tun. Die Gründe für diese Versäumnisse hängen zum Teil mit der besonderen Tradition der territorialen Verwaltung im Vereinigten Königreich zusammen und zum anderen damit, wie diese Tradition mit der neuen Territorialpolitik der nachdevolutionären Ära zusammenwirkt und so eine zentrifugale politische Dynamik ermöglicht.

Unsystematische Territorialtradition

Die Institutionen der Zentralregierung kennzeichnet hinsichtlich der Beziehungen zu den zugehörigen Nationen des Vereinigten Königreichs seit jeher eine unsystematische Vorgehensweise: Die Zentralregierung neigte schon immer dazu, ihre Beziehungen beispielsweise zu Schottland zu verändern und zu erneuern, ohne dabei gleichzeitig ihre Beziehung zu England (oder Wales oder Nordirland) zu überdenken oder zu berücksichtigen, wie sich Veränderungen in Schottland auf England (oder Wales oder Nordirland) auswirken. Dieser unsystematische Ansatz spiegelt die Entstehung des Vereinigten Königreichs wider, das über einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten aus einer Reihe von Unionen zwischen einem englischen Kern und den anderen britischen Nationen hervorging, wobei die jeweiligen Umstände recht unterschiedlich waren (der Anschluss von Wales durch England 1536; der Unionsvertrag Schottlands mit England zur Schaffung Großbritanniens 1707; die 1800 geschlossene Union Großbritanniens mit Irland, modifiziert 1922 durch die Abtrennung der 26 Grafschaften des neuen Irischen Freistaats, der nur die sechs Grafschaften Nordirlands als Teil der britischen Union ließ).

Diese Ansammlung von Unionen war nie geplant. Es gab weder eine abgestimmte Vorgehensweise in Bezug auf die Einbindung neuer Nationen in das Vereinigte Königreich noch hinsichtlich ihrer Assimilierung nach dem Beitritt. Vielmehr vereinbarte die Zentralregierung unterschiedliche Beziehungen mit schottischen, walisischen und (nord)irischen Eliten, diese Beziehungen räumten ihnen beträchtliche Autonomie für ihre Unterstützung der Union ein, und sie wurden in regelmäßigen Abständen überprüft und immer ad hoc angepasst; ein übergreifender Plan der Zentralregierung existierte nicht. Ebenso wenig entwickelte sich eine Staatsideologie, derzufolge "the United Kingdom was 'one and indivisible'" (wie dies etwa in Frankreich der Fall gewesen war, ein anderer Staat, der nach und nach periphere Territorien angeschlossen hatte). "Britishness" war unstrukturierter, innerhalb der Grenzen des Vereinigten Königreichs selbst weniger definiert, und befasste sich mehr mit grenzüberschreitenden Vorhaben wie dem Protestantismus, dem Empire oder der Rivalität mit Frankreich.

Stein Rokkan und Derek Urwin beschrieben dieses institutionell zerrissene und ideologisch amorphe Vereinigte Königreich als "union-state". Solche "Unions-Staaten" sind nicht unitarisch. Sie erlauben in einigen Teilen des Staates administrative Unterschiede in bestimmten Angelegenheiten, weisen jedoch normalerweise "administrative standardisation (...) (across) most of the territory" auf. Bis 1997 verkörperte sich die britische Tradition des "Unions-Staates" mit administrativer Differenzierung in den Verantwortungsbereichen der Scottish, Welsh und Northern Ireland Offices bezüglich der Entwicklung und Umsetzung politischer Strategien in ihren jeweiligen Nationen. Es gab kein gleichwertiges territoriales Ministerium für England, das mehr oder weniger einheitlich durch die britische Zentrale regiert wurde. Die Devolutionsreformen nach 1997 übertrugen die meisten Kompetenzen, die zuvor die Scottish, Welsh und Northern Ireland Offices innehatten, auf durch neue Wahlverfahren eingesetzte dezentrale Parlamente. Die Zentralregierung behielt die Verantwortung für eine Kombination der restlichen Regierungsaufgaben im Vereinigten Königreich und in England.

Die Verantwortlichkeiten der Ministerien für schottische, walisische und nordirische Angelegenheiten waren vor der Devolution nicht einheitlich verteilt. Da diese Kompetenzen die Grundlage für die Zuständigkeiten der neuen dezentralen Institutionen bildeten, waren auch diese nicht einheitlich aufgebaut. Zusätzlich zu den ererbten Unterschieden ergaben sich beim Versuch, die dezentralisierte Demokratie auf die regionalen Gegebenheiten abzustimmen, weitere Variationen. Folglich sind die Befugnisse des Schottischen Parlaments und der Nordirischen Versammlung ähnlich, aber nicht identisch, und werden unter unterschiedlichen institutionellen Rahmenbedingungen ausgeübt. Die nordirische Devolution ist durch ihre paritätischen Regierungsmechanismen und die grenzüberschreitende Beziehung zur Republik Irland gekennzeichnet. Die schottische Devolution verfügt (wie die in Wales) eher über ein klassisches Regierungs-Oppositions-Muster, das durch Verhältniswahlrecht geprägt ist, so dass eine Einparteienmehrheitsregierung unwahrscheinlich ist. Schottland und Nordirland verfügen über eine "primäre" Gesetzgebungskompetenz; sie können bei Bedarf in vielen Bereichen nach eigenem Ermessen Gesetze erlassen, sofern sie nicht in den Kompetenzbereich Westminsters fallen. Die walisische Nationalversammlung dagegen besitzt weniger weit reichende Gesetzgebungskompetenzen (obgleich ihr Kompetenzbereich 2006 erweitert wurde).

Obwohl Labour anfangs ein Programm auch zur englischen Devolution erwogen hatte, wurde nach der Ablehnung einer gewählten Regionalversammlung in einem Referendum im Nordosten des Landes 1994 von diesem Programm Abstand genommen. Danach beschränkte sich die Regionalisierung in England auf die Londoner Stadtregierung, die über begrenzte Kompetenzen zur Koordination der politischen Vorgehensweisen verfügt. Somit bleibt England ein Gebiet "administrativer Standardisierung"; es ist eine einheitliche Nation - mit der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung und Wirtschaftskraft - im Herzen eines Staates, der in manchen Bereichen seine Macht an seine kleineren und wirtschaftlich schwächeren Randgebiete übertragen hat.

Zentrifugale politische Dynamik im Vereinigten Königreich

Fliehkräfte.

Weil es nicht als ganzheitliches Reformprogramm konzipiert worden war, agiert das nachdevolutionäre Staatswesen auf sehr inkonsistente Weise. Die Inkonsistenzen werden durch die Gewaltenteilung zwischen der zentralen und den dezentralen Regierungen institutionalisiert. In Schottland und Nordirland beruht Devolution auf der Aufteilung staatlicher Macht in Befugnisse der britischen Regierung und dezentralisierte Befugnisse. Jede Regierungsebene ist grundsätzlich vollständig verantwortlich für eine Reihe von Zuständigkeiten (darunter auf dezentraler Ebene Gesundheit, Bildung, Kommunalverwaltung, sozialer Wohnungsbau, städtebauliche Planung, Landwirtschaft und Aspekte der Umweltpolitik sowie Wirtschaftsentwicklung und Verkehrswesen). Es gibt nur wenige Bereiche, in denen die Kompetenzen geteilt sind. In der Praxis kann es natürlich vorkommen, dass sich zentrale und dezentrale Zuständigkeiten überschneiden; im Großen und Ganzen sind sie aber so gegliedert, dass dies im Vergleich zu den meisten anderen dezentralisierten Regierungssystemen eher selten geschieht.

In Wales besteht eine Struktur wechselseitiger Abhängigkeit, da die Nationalversammlung auf das Erlassen "sekundärer" Gesetze innerhalb eines übergeordneten gesetzlichen Rahmenwerkes für England und Wales beschränkt ist. Es besteht jedoch, insbesondere seit dem Gesetz zur Regierung von Wales (2006 Government of Wales Act), die Tendenz zu einer Ausweitung der Gesetzgebungskompetenzen für die Nationalversammlung. Sollte das Referendum 2011 über eine fortschreitende Devolution gewonnen werden, dann wird sich die Struktur der walisischen Devolution noch stärker dem Muster der Gewaltenteilung in Schottland und Nordirland annähern.

Die Aufteilung der Verantwortungsbereiche wird durch zwei weitere Faktoren untermauert. Zum einen durch die Finanzierung der Devolution: Jeder dezentralen Regierung wird vom britischen Finanzministerium ein bedingungsloser Pauschaltransfer zugeteilt. Bei der Verwendung ihrer Transfergelder sind dezentrale Regierungen nicht an eine Ausgabenstruktur gebunden, können Ausgaben zwischen Haushaltslinien wechseln und sind nicht den politischen Zielvorgaben Londons verpflichtet. Zum anderen wurde bisher kaum versucht, die Beziehungen zwischen der zentralen und den dezentralen Regierungen systematisch zu koordinieren. Kein britisches Ministerium hat sich bisher als treibende Kraft für die Koordinierung zwischen zentralen und dezentralisierten Regierungsstellen hervorgetan. Die Abstimmung zwischen der britischen und den dezentralen Regierungen geschieht auf informelle Weise durch Beamte aus verschiedensten Ministerien, sie verläuft ad hoc und ungeregelt. Folglich gibt es kaum Strategiedebatten, in denen die Balance von gesamtbritischen und dezentralisierten Zielvorgaben beispielweise in der Gesundheits- oder Verkehrspolitik diskutiert wird. Der unsystematische Ansatz im Hinblick auf die Devolution begünstigt zudem statt multilateraler (d.h. gesamtbritischer) eher bilaterale Diskussionen zu politischen Konzepten und Zielen. Kurz: Es gibt weder die institutionellen Rahmenbedingungen noch eine echte Möglichkeit für die britische und für dezentrale Regierungen, gemeinsame Anliegen im gesamten Vereinigten Königreich zu benennen und zu verfolgen.

Die Gewalten- und Finanzierungsstruktur der dezentralisierten Regierungen sowie die Schwäche der Koordinierungsmechanismen zwischen den Regierungen bedeutet, dass die dezentralen politischen Arenen größtenteils autonom agieren, sowohl voneinander als auch von der gesamtbritischen Arena in Westminster und Whitehall. Dieses Muster des territorial abgegrenzten Regierens steht im Einklang mit der Tradition des "Unions-Staates"; tatsächlich waren die meisten seiner Bestandteile schon vor der Devolution vorhanden. Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass Schottland, Wales und Nordirland vor der Dezentralisierung mit erheblicher Autonomie durch die Ministerien für schottische, walisische und nordirische Angelegenheiten verwaltet wurden und diese Ministerien Teil einer einzigen Regierung waren, nämlich der des Vereinigten Königreichs. Diese wurde als Ergebnis eines einzigen landesweiten Wahlvorgangs gebildet, was zur Formulierung der gesamtbritischen als auch der territorial differenzierten politischen Strategien der Regierung beitrug und die Ministerien für regionale Angelegenheiten durch eine gemeinsame Kabinettsverantwortung verband.

Das hat sich seit der Devolution grundlegend geändert. Voneinander getrennte demokratische Prozesse bringen nun neben der britischen Regierung drei verschiedene dezentralisierte Regierungen hervor, die keine geregelte Mitwirkung an der Politik des Vereinigten Königreichs haben und nicht zur Verfolgung der gleichen Ziele wie die britische Regierung verpflichtet sind. Vor diesem Hintergrund bereiteten die abgegrenzten territorialen Strukturen des "Unions-Staates" unterschiedlichen Mustern der Territorialpolitik den Weg.

Dynamik.

Diese Besonderheit entsteht insbesondere durch die Dynamik der Wahlkämpfe in den dezentralisierten politischen Arenen sowie die Unterschiede zwischen dieser Dynamik und jener in der gesamtbritischen Arena. Bei Wahlen zu den dezentralen Regierungen verläuft der Kampf um die Sitze anders als im Parlament in Westminster. In der Regel kandidieren keine der in Westminster dominanten Parteien - Labour, Konservative und Liberaldemokraten - in Nordirland. Und die wichtigsten Parteien in Westminster werden in Schottland und Wales durch nationalistische Parteien ergänzt; die SNP ist derzeit stärkste Partei im Schottischen Parlament, Plaid Cymru die zweitstärkste in der walisischen Nationalversammlung.

Unterschiede in den Mustern der Parteienkonkurrenz neigen dazu, auch unterschiedliche politische Handlungsweisen hervorzubringen. In Westminster verläuft der Wettstreit hauptsächlich zwischen Links und Rechts. In Schottland und Wales hingegen tendieren die Nationalisten zu Mitte-Links-Identitäten, so dass der Parteienwettbewerb insgesamt nach links verschoben wird, während gleichzeitig die Dimension "Nationalisten gegen Unionisten" zu der rivalisierenden Mischung hinzukommt. In Nordirland geht es hauptsächlich um die Vormachtstellung innerhalb jeder der in zwei gespaltenen Volks- und Religionsgemeinschaften: zwischen der moderateren Sozialdemokratischen Labour Partei, der Labour-Partei und Sinn Fein bei den pro-irischen Katholiken sowie zwischen der moderateren Ulster Unionist Party und der DUP bei den pro-britischen Protestanten. Das Links-Rechts-Spektrum Westminsters fehlt nahezu ganz.

Die verschiedenen Wahlsysteme, die bei dezentralisierten Wahlen gelten, bedürfen gewisser Formen von parteiübergreifender Zusammenarbeit, die aber für gewöhnlich in Westminster fehlen. Die übertragbare Einzelstimme (single transferable vote) wird als Mittel genutzt, um Parteistärken innerhalb und zwischen nordirischen Gemeinschaften in der Nordirischen Versammlung auszudrücken. In Schottland und Wales wird bei dezentralisierten Wahlen jeweils eine unterschiedliche Version des Zwei-Stimmen-Verhältniswahlrechts, das auch in Deutschland benutzt wird, angewandt. Damit soll erreicht werden, dass eine Einparteienmehrheitsregierung in Nordirland nahezu unmöglich, in Schottland sehr unwahrscheinlich und in Wales nur schwierig zu bilden ist. Das Ergebnis war (mit Ausnahme einer Phase mit knapper Regierungsmehrheit in Wales nach der Wahl 2003) immer irgendeine Form parteiübergreifender Zusammenarbeit - entweder in einer Koalitionsregierung oder in einer Minderheitenregierung, die bei einzelnen Gesetzesvorlagen auf Unterstützung durch andere Parteien angewiesen war. Der Gegensatz zu dem im Parlament in Westminster angewandten Mehrheitswahlrecht, das fast immer eine Einparteienmehrheit hervorbringt (eine seltene Ausnahme stellt die Wahl 2010 dar), ist frappierend. Der Parteienwettbewerb in Schottland und Wales ist nicht nur eher linksgerichtet und nationalistischer (und in Nordirland völlig anders) als in Westminster, sondern er erfordert auch parteiübergreifende Zusammenarbeit beim Formen von Regierungen und deren täglicher Arbeit.

Dezentralisierte Politikstrategien sind daher häufig das Produkt parteiübergreifender Kompromisse. Folglich bilden sich andere Prioritäten als in Westminster heraus. Diese Tendenz wird durch Unterschiede in den "territorial policy communities" verstärkt, die mit den dezentralen Institutionen verschmolzen sind. Diese bieten neue Gelegenheitsstrukturen für politischen Einfluss - insbesondere, da die Devolutionsreformen in Schottland, Wales und Nordirland jeweils eine Art Verpflichtung zu Offenheit und Inklusivität mit sich brachten. Viele gesamtbritische Interessengruppen haben ihre Organisationsstrukturen angepasst, um stärker regional differenziert arbeiten zu können; andere gibt es ausschließlich in Schottland, Wales oder Nordirland. Dieser Schwerpunkt auf Offenheit und Inklusion belebte auch Organisationen der Zivilgesellschaft in den dezentralisierten Gebieten. Regionale Pressekanäle (und regionale Ausgaben gesamtbritischer Medieneinrichtungen) haben die Aufmerksamkeit auf dezentralisierte Politikprozesse gerichtet und dabei die Sicht auf das Geschehen in der britischen Regierung verstellt.

Auf diese Weise kam es zu territorial eingegrenzten politischen Debatten, bei denen es nicht unbedingt um dieselben Anliegen geht, die in auf Westminster fokussierten politischen Kreisen diskutiert werden. Ein politischer Beobachter hat diese territoriale Untergliederung der Politik im nachdevolutionären Vereinigten Königreich mit einer politischen "divergence machine" verglichen. Dieses Divergenzmuster gilt auch, oder vielleicht gerade, für das nicht-dezentralisierte Gebiet des Vereinigten Königreichs: England. In ihrer Rolle als Territorialregierung Englands hat die britische Regierung eine Reihe territorial unverwechselbarer politischer Richtlinien eingeführt. Vor allem hat sie Reformen in England insbesondere im Gesundheits- und im Bildungsbereich vorangetrieben, die marktwirtschaftliche Vergabemechanismen begünstigen und zunehmend die privatwirtschaftliche Finanzierung einbeziehen. Vergleichbare Reformen sind in Schottland, Wales und Nordirland mit deutlich geringerer Begeisterung aufgenommen und teilweise sogar abgelehnt worden. Das nicht-dezentralisierte England ist wohl mindestens genauso oder sogar noch mehr ein Laboratorium für die Innovationen in der Territorialpolitik gewesen als die dezentralisierten Nationen.

Ausblick

Die Diskussion über die territoriale Verfassungstradition des Vereinigten Königreichs und die zentrifugalen Dynamiken der nachdevolutionären Politik haben drei Themenschwerpunkte hervorgehoben: 1. Die nachdevolutionären politischen Systeme Schottlands, Wales' und Nordirlands sind hochgradig voneinander abgegrenzt. 2. England hat einen ungewöhnlichen Status sowohl als einheitliches Gebiet unter der unmittelbaren Regierungsgewalt der Zentralregierung inne, aber auch als bedeutsamer Ort territorialpolitischer Divergenz innerhalb des Vereinigten Königreichs. 3. Die im gesamten Vereinigten Königreich operierenden Institutionen haben es nicht geschafft, eine Doktrin der staatlichen Integration oder landesweit zusammenarbeitende Institutionen zu entwickeln, die vielleicht ein klareres Bild der gemeinsamen Ziele der zentralen und der dezentralisierten Regierungen vermitteln könnten.

Um auf Hazells Terminologie zurückzukommen: Das politische Zentrum des Vereinigten Königreichs hat nicht den Einfallsreichtum gezeigt, sich selbst zum Zwecke der Devolution grundlegend neu zu erfinden oder neue Wege zur Schaffung von gegenseitigem Vertrauen und Aufgeschlossenheit zwischen den verschiedenen Regierungen einzuschlagen. Stattdessen haben die britische und die dezentralen Regierungen eher aneinander vorbeigeredet anstatt auf systematische Weise aufeinander einzugehen.

Dies mag man als Versäumnis von Labour betrachten, wenn man bedenkt, dass Labour von 1997 bis 2010 die britische Regierung stellte und gleichzeitig von 1999 bis 2007 in Schottland und ab 1999 in Wales führende Partei der dezentralen Regierungen war. Die Wahl der konservativ-liberaldemokratischen Koalition 2010 unter Führung von Premierminister David Cameron gibt indes bislang keinen Anlass zur Annahme, dass diese Versäumnisse in naher Zukunft behoben werden könnten. Obgleich Cameron zu Oppositionszeiten gern betont hat, wie viel ihm an einer konstruktiven Zusammenarbeit mit den dezentralisierten Regierungen liegt, scheint dies nun in der Regierungsarbeit keine besondere Priorität zu genießen. Während das walisische Referendum im Frühjahr 2011 stattfinden wird, hat es die Cameron-Regierung nicht eilig, die Reformvorschläge der Calman Commission für Schottland oder die Empfehlungen der eigenen Partei zu einer ausschließlich auf England bezogenen Gesetzgebung im Parlament in Westminster umzusetzen. Das Hauptaugenmerk liegt nach der Finanzkrise 2008/2009 vielmehr - und nur zu verständlich - auf der Senkung des öffentlichen Defizits.

Aber dieses Augenmerk wird schon von sich aus durch die Kürzung der den dezentralen Regierungen zustehenden Transfers territoriale Auswirkungen haben. Es gibt schon jetzt Anzeichen für territorialen Widerstand gegenüber Camerons Sparmaßnahmen in Form einer Kampagne für "gerechte finanzielle Förderung" in Wales sowie durch die Positionierung von SNP und Labour in Schottland im Protest gegen drohende Haushaltskürzungen. Bemerkenswert ist, dass die Konservativen ihre äußerst schlechten Wahlergebnisse bei früheren gesamtbritischen Parlamentswahlen in Schottland auch 2010 nicht verbessern konnten; wieder stellen sie nur ein Parlamentsmitglied, während Labours Stimmenzahl sich - entgegen dem Trend im Rest des Landes - in Schottland sogar erhöhte. Die Wähler werden bald wieder an die Wahlurnen treten, da Mitte 2011 die nächsten dezentralisierten Wahlen anstehen. Dabei wird ein Thema (die Sparmaßnahmen) in Schottland und Wales dominieren, bei dem sich territoriale (Vereinigtes Königreich gegen dezentralisierte Gebiete) und parteipolitische (Labour und Nationalisten gegen Konservative und Liberaldemokraten) Konfliktlinien gegenseitig verstärken. Das führt möglicherweise unter anderem dazu, dass die Aufmerksamkeit darauf gerichtet wird, in welchem Maße - selbst bei Sparmaßnahmen - den dezentralisierten Nationen noch immer mehr öffentliche Pro-Kopf-Ausgaben zugebilligt werden als dem von den Konservativen dominierten England. Englisch-schottische (und englisch-walisische) Beziehungen werden künftig möglicherweise zunehmend durch sich gegenseitig verstärkende Divergenzen territorialer und parteipolitischer Interessen definiert.

In einem Staat ohne einen institutionellen oder normativen Rahmen zur Überbrückung der Unterschiede zwischen der britischen und den dezentralisierten Regierungen sowie zwischen den zum Vereinigten Königreich gehörenden Nationen untereinander scheint sich die zentrifugale Dynamik, die durch die Einführung der Devolution vor über einem Jahrzehnt angestoßen wurde, fortzusetzen. In zunehmendem Maße erscheint das Vereinigte Königreich als Staat, der in Gefahr schwebt, sich um seinen englischen Kern herum aufzulösen, statt sich als durch die Devolution erneuerter und wiedererstarkter Staat zu präsentieren.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Iain McLean, Editorial: Statistics and Devolution in the UK, in: Journal of the Royal Statistical Society. Series A (Statistics in Society), 162 (1999), S. 133.

  2. Tony Blair, New Britain. My Vision of a Young Country, London 1996, S. 321.

  3. Kevin Morgan, The New Territorial Politics: Rivalry and Justice in Post-devolution Britain, in: Regional Studies, 35 (2001), S. 347.

  4. Robert Hazell/Brendan O'Leary, A Rolling Programme of Devolution: Slippery Slope or Safeguard of the Union, in: Robert Hazell (ed.), Constitutional Futures. A History of the Next Ten Years, Oxford 1999, S. 45.

  5. Ebd., S. 44f.

  6. Jim Bulpitt, Territory and Power in the United Kingdom: An Interpretation, Manchester 1983, S. 157.

  7. Vgl. Linda Colley, Britons: Forging the Nation, 1707-1837, Newhaven-London 1992.

  8. Stein Rokkan/Derek Urwin, The Politics of Territorial Identity, London 1982, S. 11.

  9. Michael Keating/Paul Cairney/Eve Hepburn, Territorial Policy Communities and Devolution in the United Kingdom, in: Cambridge Journal of Regions, Economy and Society, 2 (2009).

  10. Vgl. Scott Greer, The Fragile Divergence Machine: Citizenship, Policy Divergence and Devolution, in: Alan Trench (ed.), Devolution and Power, Manchester 2007.

Geb. 1964; Professor für Politikwissenschaft; Director of the Economic and Social Research Council research programme on Devolution and Constitutional Change, 2000 bis 2007; Head of School of Social and Political Science, University of Edinburgh, Chrystal Macmillan Building, 15A George Square, Edinburgh EH8 9LD, Schottland/UK. E-Mail Link: charlie.jeffery@ed.ac.uk