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Rekonstruktion! Warum? | Stadtentwicklung | bpb.de

Stadtentwicklung Editorial Die Zukunft der Städte Stadt, Solidarität und Toleranz Heimischsein, Übernachten und Residieren - wie das Wohnen die Stadt verändert Rekonstruktion! Warum? Gentrifizierung im 21. Jahrhundert Auf Angst gebaut

Rekonstruktion! Warum?

Katja Marek

/ 14 Minuten zu lesen

Die Gründe für eine Rekonstruktion sind stadtspezifisch, dennoch gibt es stadtübergreifende Faktoren: Stadtimageplanungen, finanzielle Überlegungen und das Engagement von Bürgervereinen. Doch was bedeutet das für unser Geschichtsverständnis, unsere Identität und unsere künftigen Stadtbilder?

Einleitung

In Deutschland beherrscht der Rekonstruktionsboom viele Städte und die Frage nach den Gründen dominiert zunehmend die Überlegungen zu historischen Wiederherstellungen. Untersucht man verschiedene Rekonstruktionssituationen, zeigen sich neben stadtspezifischen Gründen durchaus gemeinsame Überlegungen und Strategien, warum historische, meist Stadtsituationen des Barock oder der Renaissance rekonstruiert werden.

Frauenkirche im Dresdner Mythos

Ein vielen Städten gemeinsamer Faktor für die Entscheidung zur Rekonstruktion ist deren Bedeutung für das erwählte oder angestrebte Stadtimage und Stadtmarketing. Nachweislich sind seit 2005, dem Jahr der Weihung der rekonstruierten Frauenkirche, die marketingrelevanten Zahlen Dresdens erheblich gesteigert worden.

Entsprechend der Marketingstrategie Dresdens wird bereits seit 2002 die Wiederbelebung des sogenannten Mythos Dresden angestrebt. Dieser hat seine Wurzeln im 18. Jahrhundert, der Glanzzeit des Augusteischen Barock. Das damit verbundene "Loblied (...) richtet sich auf die Architektur, die landschaftliche Schönheit, die großen Sammlungen, und verdichtet sich in Begriffen wie dem Diktum Herders vom deutschen Florenz oder Darstellungen wie den Veduten von Canaletto". Der Dresdner Mythos setzt sich diesem Zitat zufolge aus verschiedenen Einzelsymbolen zusammen, zu denen Kunst, Architektur und der Begriff Elbflorenz gehören. Die Frauenkirche ist das konstatierende und verbindende Element der einzelnen Symbole, die zusammen den Mythos Dresden bilden. Für die Kunst und Architektur gilt sie als Wahrzeichen, da sie in einer der baulich aktivsten Zeiten entstand und so ihren festen Platz als Motiv innerhalb der künstlerischen Auseinandersetzungen mit Dresden fand. Die eigentlich landschaftlich gemeinte Bezeichnung "Elbflorenz" erschließt sich erst im Zusammenhang mit der Frauenkirche, da deren Kuppel und Lage am Fluss der Stadt eine italienische Anmutung verleiht, die an das Vorbild am Arno erinnert. Aufgrund dieser Verwobenheit der Frauenkirche mit dem Mythos Dresden ist sie zum Symbol der Stadt geworden und wurde als solches auch vermarktet - anfangs als beliebtes Motiv der bildenden Künste, später auch in Verbindung mit Merchandising-Artikeln der Stadt wie beispielsweise Postkarten, Uhren oder Sammeltassen. Ihre häufige Darstellung auf Stadtansichten seit dem 18. Jahrhundert hat zu ihrer Popularisierung beigetragen. Für die Aufrechterhaltung des Mythos als Teil des Stadtimages ist sie deshalb unverzichtbar, obwohl die künstlerischen Darstellungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden, belegen, dass sie für die Silhouette der Stadt abkömmlich wäre, da diese andere prägnante und einzigartige Formen aufweist, wie beispielsweise die der Dresdner Kunstakademie.

Untersucht man die gängigen Postkartenmotive seit der Zerstörung der Frauenkirche bei Fliegerangriffe britischer Bomber am 13. und 14. Februar 1945, wird deutlich, dass immer dann die Sehnsucht nach einem Wiederaufbau ausgedrückt wurde, wenn sich zugleich auf die historische Stadt und ihre Baukunst sowie ihre einzigartige landschaftliche Lage, also auf den Mythos Dresden, bezogen wurde. Die nach den Bereinigungsarbeiten der Nachkriegszeit noch vorhandenen Trümmer der Frauenkirche wurden 1966 von der DDR zum Denkmal erklärt. Dieser Status und die auf die Trümmer gepflanzte Rosendecke verhinderten weitgehend den Verlust weiterer Steine. Die Sehnsucht nach der Wiedererrichtung und letztlich der Schritt dazu sind Ausdruck des Wunsches nach der Wiederbelebung des Mythos Dresden und damit einer zielgerichteten Imagebildung.

Die Frage, warum gerade der Mythos Dresden als aktiver Teil des Stadtimages vermarktet wird, erklärt sich durch seine Wirkmächtigkeit, die sich an der bereits erwähnten Steigerung der Marketingstatistik ablesen lässt. Deren Auswertung zeigt, dass besonders das Weihejahr der Frauenkirche, 2005, in allen Bereichen hervorsticht und der Stadt ein enormes Wirtschaftswachstum bescherte: Sowohl die Tourismuswerte als auch der damit verbundene Umsatz wurden gesteigert, ebenso die Zahl der Einwohner, die durch die zunehmende Attraktivität der Stadt angezogen wurden. Ähnliche Entwicklungen lassen sich bei der Zahl der Firmenniederlassungen und der damit einhergehenden Umsätze und Steuereinnahmen feststellen. Die angewandte Marketingstrategie hat Erfolg, der Mythos Dresden und seine Vermarktung haben sich für die Elbmetropole als finanziell sehr einträglich erwiesen. Auf diesen mit der Entscheidung zur Frauenkirchenrekonstruktion zusammenhängenden Effekt dürften auch andere Städte hoffen, was deren Entscheidung zur Rekonstruktion beeinflusst.

Frankfurt am Main baut auf

... Dresden. Der Dresden-Effekt lässt sich in Frankfurt als einer der Gründe oder Motoren der Altstadtrekonstruktion nachweisen. Bereits der Fund von Fassadenteilen der Frankfurter Altstadt 2004 hätte Auslöser der Rekonstruktionsdebatte sein können. Tatsache aber ist, dass die Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt erst nach der Weihe der Frauenkirche zunehmend forciert wurde. Zwar gab es bereits im August die Forderung des in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung vertretenen Bürgerbündnisses für Frankfurt (BFF), in historisch angemessener Form zu bauen, allerdings war damit die Wahrung des historischen Stadtgrundrisses gemeint und nicht eine komplette Rekonstruktion der Altstadt. Erst zeitgleich mit der Weihe der Frauenkirche im Oktober 2005 wurde von den Altstadtfreunden Frankfurts das Bürgerbegehren Frankfurter Altstadt initiiert.

Die bewusste Orientierung der Mainmetropole an Dresden wird in vielen weiteren Details der Diskussion deutlich, beispielsweise in einer zweitägigen Informationsreise von Stadtverordneten nach Dresden, um dort am Beispiel des Neumarkts Anregungen für die Entscheidung über die Neugestaltung des Areals zwischen dem Rathaus am Römerberg und dem Dom zu gewinnen. Das, was in Dresden in Form der Frauenkirche begonnen wurde und sich mit dem Wiederaufbau des Neumarktes fortsetzte, bildet zwar die Vorlage für Frankfurt, aber die Sanierungsmaßnahmen der Frankfurter Altstadt sollen die Dresdner Variante noch übertreffen. In traditioneller Handwerksart sollen die im Zweiten Weltkrieg zerstörten Fachwerkhäuser nachgebaut werden, anstatt, wie in Dresden oder an der Ostzeile des Römerbergs, nur Fassaden vorzuhängen.

Es ist eindeutig, dass durch das von der "Welt" plakativ betitelte "Dresdener Wagnis" einerseits die Hemmschwelle zur Rekonstruktion gesunken ist, und andererseits der Zuspruch zu dieser Bauform, insbesondere seitens der Bevölkerung, gewachsen ist.

Und was wollen die Bürger?

Ist es tatsächlich im Sinne der Bevölkerung, unsere Städte zu rekonstruieren? Warum brauchen Bürgerinnen und Bürger rekonstruierte Geschichte? Ist der Bürgerwille so mächtig, dass er Rekonstruktionen erzwingt?

Der Kunsthistoriker Matthias Donath schreibt von Protesten einer breiten Öffentlichkeit unter Mitwirkung von Bürgervereinen und Initiativen, die sich für die Erhaltung von bestimmten Elementen des 19. und 20. Jahrhunderts engagieren und damit die Richtung, was ästhetisch und zu erhalten ist, vorgeben.

1989 wurde der "Ruf aus Dresden" von einer Gruppe Intellektueller verfasst, die damit zum Wiederaufbau der Frauenkirche aufriefen. Anfangs war diese Gruppe eine Bürgerinitiative, aus der ein Förderverein (Gesellschaft zur Förderung des Wiederaufbaus der Frauenkirche Dresden) und schließlich die Stiftung Frauenkirche e.V. hervorging. Die zentrale Aufgabe dieser Stiftung war es, ein Drittel der gesamten Bausumme als Spendengelder anzuwerben, worin der Hauptverdienst der ursprünglichen Bürgerinitiative liegt. Zwar hat sie mit dem Ruf aus Dresden den Anstoß zur Rekonstruktion gegeben, aber als Projekt tatsächlich durchgesetzt wurde es allein aufgrund dieser Bürgerbewegung nicht.

Die Bürgerinitiative in Frankfurt hat einen vollkommen anderen Charakter. Zwar ist die Ausgangsforderung nach einer Rekonstruktion dieselbe, doch hat die Bürgervereinigung dort eine politische Funktion beziehungsweise als angeblicher Spiegel der Bevölkerungsmeinung einen politischen Einfluss. Die vermeintlichen Interessen der Bürger werden öffentlich hauptsächlich über die Bürgerinitiative Pro Altstadt vertreten, die sich auch Altstadtfreunde nennt. Allerdings sind einige Mitglieder dieser Initiative im BFF vertreten, das Sitze im Magistrat innehat, also politisch tätig ist. Die Bürgervereinigung in Frankfurt tritt für die Interessen einer kleinen Gemeinschaft ein, die es geschafft hat, den Wunsch nach der Rekonstruktion der historischen Altstadt politisch durchzusetzen. Der zeitgenössische Siegerentwurf eines Architekturwettbewerbs von Ende 2005 für das Areal wurde von der Bürgerinitiative erfolgreich abgelehnt. Sie forderte im Magistrat, stattdessen auf der Grundlage des historischen Quartiersgrundrisses das Areal nicht nur im historischen Maßstab, sondern mit historischen Fassaden mit entsprechender Handwerkstechnik wieder aufzubauen. Dass sie sich damit vorerst durchgesetzt hat, ist auf eine günstige politische Konstellation der Parteien und Magistratsmitglieder und die finanzielle Planung beziehungsweise Investitionsabsicht der Stadt zurückzuführen.

Sich wandelndes Geschichtsbewusstsein

Die Bestrebungen der Bürgerinitiativen zum historischen Wiederaufbau treffen zum Teil auf fruchtbaren Boden. Besonders in Dresden lagen bereits vor dem offiziellen Ende des Zweiten Weltkriegs im Stadtbauamt Bürgerwünsche zum Wiederaufbau der historischen Monumente vor, bei gleichzeitig herrschender Wohnungsnot. Ist also das Bedürfnis nach Geschichte ein Grund für Rekonstruktionen?

Der kulturelle Erinnerungsspeicher wurde von der Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann als "Geschichte im Gedächtnis" bezeichnet, die notwendig sei, um daraus eine Identität zu beziehen. Verbunden seien damit die Fragen, was von der (Kultur-)Geschichte noch vorhanden ist, was erhalten bleiben und was wieder vergegenwärtigt werden soll.

Mit der Frage, was wir erinnern wollen, und mit der Suche nach dem Inhalt der Identitätsvergewisserung hat sich der Historiker Karl Heinz Bohrer Anfang des neuen Jahrtausends intensiv beschäftigt. Er spricht in diesem Zusammenhang von einer radikalen Verkürzung der deutschen Geschichte, die sich hauptsächlich auf den Holocaust reduziere. Verbunden mit dieser "Erinnerungsstörung" sei der Verlust der deutschen Nationalgeschichte. Er spricht von einem Erinnern des Einen und dem Vergessen des Vielen. Aus dem deutschen Geschichtsdenken seien die Epochen zwischen der Reformation und der Französischen Revolution verschwunden, ebenso das Mittelalter. Aleida Assmann sieht inzwischen einen Wandel des deutschen Geschichtsbewusstseins, der mit einer Zunahme an Geschichtsbedarf verbunden sei. Gerade die Besinnung auf Situationen der Renaissance und des Barock, wie sie sich in den gegenwärtigen Rekonstruktionen ausdrückt, kann als eine gegenläufige Tendenz zu der von Bohrer diagnostizierten Erinnerungsstörung interpretiert werden.

Rekonstruktion der Identität

Bedenkt man, dass die Geschichte im (gesellschaftlichen) Gedächtnis als Teil des öffentlichen Lebens und Bewusstseins gemeinsamer emotionaler Bezugspunkt einer Nation ist, so wird deutlich, warum sich so viele Bürger in die Debatten für oder wider Rekonstruktionen einschalten. Assmann formuliert es als ein Bedürfnis zur Mitgestaltung von Geschichte im Gedächtnis. Die Beteiligung an den entsprechenden Diskussionen und der Zuspruch zu historischen Rekonstruktionen drücken den Wunsch aus, den durch die stetige Modernisierung bedingten ständigen Veränderungen eine Konstante entgegenzusetzen. Architektur als die am meisten öffentliche Kunst ist in besonderem Maß dazu geeignet, Konstantes, konkreter Historisches oder, wenn dieses nicht verfügbar ist, vermeintlich Historisches in Form einer Rekonstruktion im öffentlichen Lebensraum zu erhalten, denn urbane Bausubstanzen sind als "verräumlichte Geschichte" oder als "gebauter Geschichtsspeicher" lesbar.

Architekturen sind Erinnerungsmedien, die emotionale Werte tradieren, die dem kollektiven Kulturgedächtnis angehören. Sie bilden die Grundlage einer kulturellen Gesellschaft und sind notwendige Faktoren, um Identität zu stiften. Identität dient als Konstante, um die sich die notwendigen Grundbedürfnisse Erinnern und Erleben entwickeln lassen. Die "Geschichte und ihre architektonischen und städtebaulichen Momente bilden damit eine wesentliche Dimension, in der eine demokratische Nation ihr Selbstbild konstruiert und sich der eigenen Identität vergewissert" . Das Erinnern ist folglich eine Konstruktion aus verschiedenen Einstellungen gegenüber der Vergangenheit und der erlebten Erfahrung.

"Jede Generation teilt gewisse Grunderfahrungen, Deutungsmuster und Obsessionen, sie verkörpert damit einen jeweils anderen Blick auf die Geschichte." Da aber der Wert einer Architektur und die damit verbundene Erinnerung für die Identität von jeder Generation neu bestätigt werden müsse, führe das bei unterschiedlichen Generationen mit variierenden Vergangenheiten und Erfahrungen zwangsläufig zu verschiedenen Ergebnissen der Erinnerung und Beurteilung eines städtischen Objekts. Aktuelle Wertekonflikte und konträre Denkstile in der Gesellschaft, die sich in den Debatten um ein Für oder Wider der Rekonstruktionen zeigen, können deshalb entlang der Bruchlinien von Generationen verfolgt werden.

Einheitliche Wertebestätigung mit Hilfe der Medien?

Erstaunlich ist, dass trotz verschiedener Generationen mit vermeintlich unterschiedlichen Werten offensichtlich früher oder später eine Einigkeit hinsichtlich einer Rekonstruktion erzielt werden kann: Wurde der Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche anfangs heftig diskutiert, gab es nach der Weihe keine lautstarken Gegner mehr. Untersucht man die seit 1996 bis 2005 immer wieder veröffentlichten Meinungsbilder und Umfragen aller überregionalen Tageszeitungen, so lässt sich eindeutig ein Trend ablesen: Die frühen Artikel sind sachlich, dokumentieren die Hochbauarbeiten und werden begleitet von sachlichen Berichten zu Entscheidungen und Veranstaltungen. Daran schließt sich eine kritische und immer hitziger werdende Auseinandersetzung über die Wiederherstellbarkeit historischer Monumente und die Rolle der Denkmalpflege an. Einige weitere Kontroversen ergänzen den kritischen Blick, der, mit Näherrücken der Weihe, durch überschwängliche Berichterstattungen und von Würdigungen der baulichen Leistung ersetzt wurde. Die Rede ist nun vom "Dresdner Wagnis", "schwebenden Wunder", "Traum aus Stein" und "Glücksfall" . Zum Zeitpunkt der Weihe hieß es schließlich: "Empirisch ist festzustellen, dass der Wiederaufbau [...] keine, jedenfalls keine lautstarken Gegner mehr [hat] - im Gegenteil, er ist etwas, was offensichtlich sehr viele, wohl die meisten, die dazu eine Meinung haben, für richtig und notwendig halten."

Dass diese Feststellung anscheinend zutreffend ist, belegt eine Umfrage von 2004 , welche die Wahrnehmung des Wiederaufbaus seitens der sächsischen Bevölkerung untersuchte. Nur 8 Prozent der insgesamt 854 Befragten beurteilen den Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche als "schlecht". Der Aussage "Eigentlich hat es wenig Sinn, ein einmal zerstörtes Gebäude wie die Frauenkirche wieder aufzubauen" widersprachen 64 Prozent. Die Medienberichterstattung und die Meinungsbildung der Bevölkerung stehen in engem Zusammenhang. War zu Beginn der Widerstand in der Bevölkerung gegenüber dem Rekonstruktionsprojekt der Frauenkirche noch groß , so hat sich dies 2004 - kurz vor ihrer Fertigstellung - komplett gewandelt, wie die Umfrage belegt. Die Medien spiegeln damit offensichtlich die unter der sächsischen Bevölkerung vorherrschende (positive) Meinung gegenüber der Rekonstruktion wider. Es stellt sich in diesem Zusammenhang aber auch die Frage, inwieweit es Medien durch gezielte Berichterstattung gelingen kann, eine ziemlich einheitliche, in dem Fall befürwortende Meinung innerhalb der Bevölkerung zu schaffen. Dass Medien den Wiederaufbau der Frauenkirche gezielt gefördert haben, bestätigen in der oben zitierten Umfrage immerhin 75% der Befragten.

Nach Assmann muss eine Architektur, über deren Rekonstruktion nachgedacht wird, in den verschiedenen, zeitgleich existierenden Generationen in ihrer Wertigkeit bestätigt werden, d.h. sie muss für die Identität eines Großteils der jeweiligen Generation von Bedeutung sein. Medien können auf Grund ihrer Breitenwirkung die Öffentlichkeit von der Notwendigkeit eines Bauwerks für die eigene Stadtgeschichte, Identität oder das kollektive Miteinander überzeugen. An den Beispielen von Frankfurt und Dresden lassen sich sehr gut mögliche Strategien darstellen:

Unter der Schlagzeile "Die Neue Römerzeile passt auch ins Wohnzimmer" wurde den Zeitungslesern 1983, d.h. im Jahr des Baubeginns der Rekonstruktion der Ostzeile des Römerbergs, eine Bastelvorlage aus Pappe zur Verfügung gestellt. Bis dahin war die historische Zeile aus dem Alltagsleben verschwunden, wurde auf diese Weise wieder ins Gedächtnis gerufen und damit zum Teil des gelebten Alltags. Hatte bis dahin der persönliche Bezug gefehlt, da sie in der individuellen Geschichte und Erinnerung keine Rolle spielte, wurde den Lesern durch dieses Angebot der Medien die Möglichkeit gegeben, eine persönliche Verbindung zur Rekonstruktion aufzubauen, um diese später als für die Identität notwendig bestätigen zu können.

Andere Angebote dieser Art, die medial begleitet werden, sind zum Beispiel Stadtfeste. So fand in Dresden 2006 die 800-Jahr-Feier statt. In deren Rahmen sollte ursprünglich die Weihung der Frauenkirche stattfinden, die Rekonstruktion war aber bereits ein Jahr früher als geplant abgeschlossen. Die Verbindung beider Feiern hätte ein immenses Identifikationspotential gehabt, das sich nun etwas abgeschwächt dennoch bot: Die Frauenkirche und insbesondere der gelungene Wiederaufbau wurden im Festumzug entsprechend gewürdigt; von den Hunderttausenden Zuschauern konnten wichtige Stationen ihrer Geschichte - Modell für die geplante Barockkirche - Originalbau - Zerstörung - Rekonstruktion nachvollzogen werden, alles vor der Kulisse des nun erfolgten Wiederaufbaus. Den Generationen, welche die Frauenkirche nicht mehr im Original kennen, wurde so die Möglichkeit zur Identifikation gegeben - solche Aktionen schaffen persönliche Erinnerungspunkte, die eine Wertebestätigung der Objekte ermöglichen.

Diese Form der Angebote und entsprechende Berichterstattungen lassen es denkbar erscheinen, dass der Wunsch vieler Bürger nach rekonstruierter Architektur als Teil des realen Alltags wächst. Medien erzeugen Visionen und Wunschbilder, die in gebaute Realitäten, Rekonstruktionen, gipfeln können.

Selektierte Bilderwelten

Medien haben damit die Macht die Vergangenheit in die Gegenwart zu holen - zunächst als Vision oder Bild. Zugleich können neue Bilder erzeugt werden, indem man Elemente der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kombiniert. Die Gleichzeitigkeit verschiedener, historisch ungleichzeitiger Situationen wird dadurch ermöglicht.

Besonders in der Werbung wird diese Fähigkeit immer wieder deutlich: In Dresden auf der Prager Straße, vor dem Centrum-Warenhaus (damals Karstadt; inzwischen abgerissen), befand sich im Juni 2006 eine Plakatwerbung der Sparkasse mit dem Titel "Königliche Zinsen". Das Paradoxe an der Situation war die zeitgleiche Präsenz der 1960er Jahre und des Heute durch den Straßenraum der Prager Straße, der endenden 1970er Jahre symbolisiert durch das Centrum-Warenhaus, der 1990er Jahre oder Gegenwart durch den Schriftzug "Karstadt" auf der Fassade, kombiniert mit der Szene auf dem Plakat: vor dem Zwinger steht ein mit barocker Kleidung und Frisur dargestelltes Paar, das wohl dem Dresdner Augusteischen Adel angehören soll. Noch grotesker wirkt diese Kombination durch eine auf dem Plakat im Hintergrund zu sehende Touristin, die diese barocke Szene fotografiert. Der auf dem Foto deutlich hervorstechende Hinweis auf das Dresdner Stadtfest verstärkt die Akkumulation von Zeitzuständen noch, verweist er doch auf ein in der Zukunft liegendes Ereignis.

Dieses Beispiel zeigt, wie willkürlich durch den Einsatz von Medien verschiedene historische Epochen kombiniert werden können, um die gewünschte Bild- oder Werbeaussage "Königliche Zinsen" zu erreichen. Es kann davon ausgegangen werden, dass durch das Erzeugen solcher Bildkompositionen bestimmte Erwartungshaltungen an das heutige Stadtbild geschürt werden, beziehungsweise sie dazu beitragen, dass jenes nicht mehr kritisch betrachtet wird. Die Möglichkeit einer virtuosen Kombination von zuvor historisch nicht zu Vereinbarendem wird gezeigt - was spricht dann noch gegen ein entsprechend virtuos aus verschiedenen historischen Stilen zusammenrekonstruiertes, inszeniertes Stadtbild?

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Dresden-Werbung und Tourismus GmbH (Hrsg.), Dresden. Mittelfristige Marketingstrategie 2002-2005, online: http://web.archive.org/web/
    20061013101725/www.dresden.de/
    index.html?node=9637.

  2. Vgl. Steffen Heitmann, Grußwort. Vortrag zur Ausstellung Mythos Dresden im Deutschen Hygiene-Museum, Dresden 2006.

  3. Dresdner Geschichtsverein e.V. (Hrsg.), Mythos Dresden. Faszination und Verklärung einer Stadt, Dresdner Hefte, 84 (2005), S. 2; Bernardo Bellotto, genannt Canaletto, war ein italienischer Maler, der 1747 aus Venedig als Hofmaler von August III. nach Dresden kam und bis 1758 zahlreiche Stadtansichten (Veduten) von Dresden schuf.

  4. Vgl. Katja Marek, Rekonstruktion und Kulturgesellschaft. Stadtbildreparatur in Dresden, Frankfurt am Main und Berlin als Ausdruck der zeitgenössischen Suche nach Identität, Kassel 2009, online: https://kobra.bibliothek.uni-kassel.de/bitstream/urn:nbn:de:hebis:34-2009101330569/7/DissertationKatjaMarek.pdf (11.3.2010).

  5. Vgl. Kommunale Statistikstelle, Wirtschaftsdaten 2005, Dresden 2006, online: www.dresden.de/wirtschaft (26.9.2006); Dresden-Werbung und Tourismus GmbH (Hrsg.), Tourismus 2005 in Zahlen, Dresden 2006, online: http://cms.tvdd.de/opencms/opencms/
    tvdd.de/dateien/Tourismusbericht_
    Dresden_2005_Teil_8.pdf (11.3.2010).

  6. Vgl. Bürgerbegehren Frankfurter Altstadt, online: http://web.archive.org/web/
    20080215123908/http://www.frankfurter
    -altstadt.de/begehren.htm (23.3.2010).

  7. Antrag des BFF vom 28.10.2006, NR 176, in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung.

  8. Dresdener Wagnis, in: Die Welt vom 28.10.2005, online: www.welt.de/print-welt/article173903/Dresdener_Wagnis.html (10.3.2010).

  9. Vgl. Matthias Donath, Denkmalpflege heißt Geschichte erlebbar machen. Vortrag anlässlich des Symposiums "Nachdenken über Denkmalpflege" im Haus Stichweh, Hannover, am 3. November 2001, online: http://edoc.hu-berlin.de/
    kunsttexte/download/denk/donath.PDF, S. 1 (10.3.2010).

  10. Vgl. Aleida Assmann, Geschichte im Gedächtnis. Von der individuellen Erfahrung zur öffentlichen Inszenierung, München 2007.

  11. Vgl. Karl Heinz Bohrer, Erinnerungslosigkeit. Ein Defizit der gesellschaftlichen Intelligenz, in: Frankfurter Rundschau vom 16.6.2001, S. 20-21.

  12. A. Assmann (Anm. 10), S. 113.

  13. Ebd., S. 181.

  14. Vgl. Frederick Bartlett, Remembering. A Study in Experimental and Social Psychology, Cambridge 1950. S. 213f. Zitiert nach (und übersetzt von) Arno Gruen, Symbolik und Identität, in: Hans-Rudolph Meier/Marion Wohlleben (Hrsg.), Bauten und Orte als Träger von Erinnerung. Die Erinnerungsdebatte und die Denkmalpflege, Zürich 2000, S. 25-30, hier S. 25.

  15. A. Assmann (Anm. 10), S. 12.

  16. Vgl. ebd., S. 133.

  17. Dankwart Guratzsch, Dresdner Wagnis, in: Welt online vom 28.10.2005, online: www.welt.de/data/2005/10/28/795120.html (23.3.2010); ders., Schwebendes Wunder, in: WamS online vom 30.10.2005, online: www.wams.de/data/2005/10/30/792645.html (17.10.2006); Bernhard Honnigfort, Traum aus Stein, in: FR online vom 30.10.2005, online: www.fr-online.de/in_und_ausland/
    politik/zeitgeschichte/60_jahre_nach_
    kriegsende/die_dresdner_frauenkirche/?em_cnt=747823& (23.3.2010); Gerhard Matzig, Glücksfall Frauenkirche, in: SZ online vom 31.10.2005, online: www.sueddeutsche.de/politik/371/
    402152/text/ (23.3.2010).

  18. Jürgen Paul, Die Frauenkirche und der Umgang mit historischen Baudenkmälern, in: Die Dresdner Frauenkirche. Geschichte ihres Wiederaufbaus, Dresdner Hefte, 71 (2002), S. 16-25, hier S. 16.

  19. Vgl. Lehrstuhl für Methoden der Empirischen Sozialforschung TU Dresden, Ausgewählte Ergebnisse der Umfrage zum Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche. Telefonische Umfrage, WS 2003/04, online: http://web.archive.org/web/
    20040926043710/http://www.tu-
    dresden.de/phfis/methoden/forschung/
    fk_auswert.htm (23.3.2010).

  20. Vgl. Ludwig Güttler/Hans Joachim Jäger, Die Bürgerinitiative für den Aufbau der Frauenkirche zu Dresden. Bericht über die ersten Zusammenkünfte bis zur Veröffentlichung des Appells "Ruf aus Dresden - 13. Februar 1990" am 12. Februar 1990 im Hotel Bellevue Dresden, in: Gesellschaft zur Förderung des Wiederaufbaus der Frauenkirche Dresden e.V. (Hrsg.), Die Dresdner Frauenkirche. Jahrbuch zu ihrer Geschichte und zu ihrem archäologischen Wiederaufbau, Bd. 7, Weimar 2001, S. 195-211.

  21. Vgl. Tagespresse vom 25.10.1983, Stadtarchiv Frankfurt/M., S 3 Sammlung Dokumentation Ortsgeschichte Römerberg: Ostzeile Wiederaufbau 1981-83, S3/F 16.014.

Dr. phil., geb. 1982; wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Kassel, Fachgebiet Geschichte der gebauten Umwelt/Architekturgeschichte. E-Mail Link: mail@katja-marek.de