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Herausforderungen für die Regierung Benjamin Netanjahus | Nahost-Konflikt | bpb.de

Nahost-Konflikt Editorial Wider die "Kultur des Konflikts": Palästinenser und Israelis im Dialog Herausforderungen für die Regierung Benjamin Netanjahus Völkerrechtliche Implikationen des Goldstone-Berichts Einsatz ohne Wirkung? Barack Obamas Nahost-Politik Zwischen Konfrontation und Evolution: Parteien in Palästina Bedeutung und Wandel der Arabischen Friedensinitiative Zivile Konfliktbearbeitung in Israel und Palästina

Herausforderungen für die Regierung Benjamin Netanjahus

Efraim Inbar

/ 16 Minuten zu lesen

Ministerpräsident Netanjahu etabliert sich als erfolgreicher Politiker der Mitte. Er versucht, Herausforderungen wie das iranische Atomprogramm oder die festgefahrene Situation im Friedensprozess zu lösen.

Einleitung

Am 10. Februar 2009 wurde in Israel ein neues Parlament gewählt. Das bemerkenswerteste Ergebnis ist die Entstehung einer neuen politischen Landschaft: Die drei größten Parteien in der Knesset sind der Likud mit 27 Sitzen und zwei seiner Ableger, die Zentrumspartei Kadima mit 28 und Israel Beitenu ("Unser Haus Israel") mit 15 Sitzen. Somit wurde eine klare Mehrheit von 70 Sitzen (von insgesamt 120) mit Konservativen besetzt. Dies machte Benjamin Netanjahu (Likud) zum Wahlsieger und neuen Ministerpräsidenten. Die Arbeitspartei wurde mit 13 Sitzen nur viertgrößte Partei. Die links von der Arbeitspartei stehende Meretz dagegen erhielt nur drei Sitze. Diese Wahlen verdeutlichen, wie sehr das sogenannte "Friedenslager" in der israelischen Gesellschaft marginalisiert und wie eindeutig konservativ der Zeitgeist in Israel gegenwärtig ist.



Netanjahu gelang eine Koalition aus Likud, Israel Beitenu, Schas (11 Sitze) und Arbeitspartei. Obwohl letztere unter dem Vorsitz Ehud Baraks, dem derzeitigen Verteidigungsminister, relativ schwach und gespalten ist, ist sie ein wichtiger Partner in der Regierungskoalition. Denn ihre Beteiligung trägt dazu bei, das Bild einer Regierung der nationalen Einheit zu vermitteln. Netanjahu bemüht sich daher, die Koalition mit der Arbeitspartei aufrechtzuerhalten.

Nach der Kairoer Rede des US-Präsidenten Barack Obama am 4. Juni 2009 sah sich Ministerpräsident Netanjahu in der Pflicht, sowohl auf die Rede des US-Präsidenten zu reagieren als auch zur israelischen Gesellschaft zu sprechen. In seiner darauf folgenden Rede im Begin-Sadat (BESA) Zentrum für strategische Studien am 14. Juni 2009 konnte er erfolgreich einen neuen israelischen Konsens definieren und sich als Politiker der Mitte präsentieren. 71 Prozent der Israelis stimmten Netanjahus Ausführungen zu - ein regelrechtes Kunststück für einen israelischen Ministerpräsidenten. Netanjahu unterstrich in seiner Rede das historische Recht des jüdischen Volkes auf das Land Israel (Palästina) und lehnte Obamas Interpretation, wonach der Holocaust die Legitimation des jüdischen Staates sei, ab. Er betonte, dass die Existenz eines jüdischen Staates als Zufluchtsstätte für die von den Nazis verfolgten Juden den Holocaust verhindert hätte.

Trotz des historischen Anspruchs auf das Land ist Netanjahu, wie auch die Mehrheit der Israelis, zu einem territorialen Kompromiss mit den Palästinensern (Zwei-Staaten-Lösung) bereit. Doch ist Netanjahus Bereitschaft zur Anerkennung eines palästinensischen Staates an Bedingungen geknüpft. Seine Forderung nach einem entmilitarisierten Staat spiegelt die tiefsitzenden Ängste der Israelis vor ihren Nachbarn wider. Er fordert die längst überfällige Anerkennung Israels als jüdischen Nationalstaat, beharrt im Einklang mit der in Israel herrschenden Meinung auf Jerusalem als ungeteilte Hauptstadt und lehnt einen kompletten Baustopp der Siedlungen ab.

Mit dieser Rede traf Netanjahu den Nerv der politischen Mitte Israels: Die im Land herrschende Meinung - so auch unter den Falken in Netanjahus Partei - schwankt zwischen der Bereitschaft, territoriale Zugeständnisse zu machen, und enormer Skepsis gegenüber der palästinensischen Fähigkeit, einen Kompromiss mit der zionistischen Bewegung schließen und umsetzen zu können. Die größte Sorge der Israelis ist, inwiefern die Palästinenser israelischen Sicherheitsbedürfnissen Rechnung tragen. Selbst die Falken innerhalb des konservativen Likuds unterstützen den zehnmonatigen Baustopp in den Siedlungen in Judäa und Samaria, der am 25. November 2009 verkündet wurde - vermutlich in der Annahme, durch den Baustopp ein Zerwürfnis mit dem Schlüsselverbündeten USA zu vermeiden.

Durch seine Positionierung innerhalb der politischen Mitte stabilisierte Netanjahu die amtierende Koalition und bewahrte sich gleichzeitig sowohl die politische Flexibilität, Chancen im Friedensprozess aufzugreifen, als auch die nötige Größe, um Israel durch diesen langwierigen Konflikt zu führen.

Netanjahus Kurs der Mitte erhöht auch die Wahrscheinlichkeit, mögliche Spannungen mit Washington zu überstehen. Denn aus der Warte Jerusalems wirkt US-Präsident Obama wie ein politischer Neuling mit wenig Verständnis für weltpolitische Zusammenhänge, während Netanjahu in Israel mehr und mehr als verantwortungsvoller Ministerpräsident wahrgenommen wird. Im Falle einer Auseinandersetzung würde sich die Mehrheit der Israelis wohl eher für den populären Netanjahu aussprechen als für Obama. Im Vergleich zu seiner ersten Amtszeit als Ministerpräsident (1996 - 99) zeigt Netanjahu heute mehr politischen Scharfsinn. Er ist allgemein umsichtiger, weniger ruppig gegenüber politischen Gegnern und flexibler gegenüber Partnern. Auch im Umgang mit den Medien zeigt er sich geduldiger und weniger impulsiv. Dieses reifere Verhalten hilft ihm, seine Koalition zusammenzuhalten.

Beziehungen zu den USA

Gute Beziehungen zu den USA, dem Schlüsselverbündeten Israels, sind seit den späten 1960er Jahren ein Gebot für alle israelischen Regierungen - so auch für Netanjahu. Er ist wie kaum ein anderer innerhalb der politischen Elite Israels mit den Besonderheiten des politischen Systems der USA vertraut. Sein bisheriges Verhalten gegenüber Washington zeugt vom Wunsch nach politischer Absprache und Koordinierung, um Spannungen mit dem großen Freund des jüdischen Staates zu vermeiden.

Doch die enge Aufeinanderfolge der amerikanischen und israelischen Wahlen erschwerte die Koordinierung der politischen Strategien zunächst. US-Präsident Obama wurde im November 2008 gewählt und übernahm die Präsidentschaft im Januar 2009, während Netanjahu die Wahlen im Februar 2009 gewann, sein Kabinett aber erst im April vorstellte. Bis dahin waren die Eckpunkte der amerikanischen Nahost-Politik festgelegt: Ein optimistisches Washington wollte einen Neuanfang mit der muslimischen Welt, befürwortete den Dialog mit Gegnern wie dem Iran und Syrien und glaubte, es könne den israelisch-palästinensischen Konflikt in kurzer Zeit durch größeres diplomatisches Engagement und mehr Druck auf die Konfliktparteien lösen.

Die nahöstlichen Prioritäten der USA waren unvereinbar mit denen Israels: Jerusalem stand der Annäherung an die muslimische Welt und insbesondere dem Engagement gegenüber dem Iran kritisch gegenüber. Es bevorzugte eine härtere Gangart gegenüber Teheran. Darüber hinaus wiederholte die Obama-Regierung Forderungen nach einem sofortigen Siedlungsstopp in den Gebieten in der Westbank und in Jerusalem, was von Israel als kurzsichtige Fokussierung auf ein einzelnes Problem wahrgenommen wurde, die nur die unnachgiebige palästinensische Position stärke.

Netanjahu versuchte, eine Krise in den amerikanisch-israelischen Beziehungen zu verhindern. Erstens sah er mehrfach davon ab, die bilateralen Beziehungen als angespannt zu bezeichnen oder Präsident Obama persönlich zu kritisieren; stattdessen betonte er stets die große Freundschaft zwischen beiden Ländern. Zudem stimmte er in seiner Rede im Juni 2009 der Zwei-Staaten-Lösung zu. Dabei handelte Netanjahu nach seiner Überzeugung eines "wirtschaftlichen Friedens" und ließ zahlreiche Checkpoints in den Gebieten in der Westbank entfernen, um wirtschaftlichen Austausch und Wachstum zu ermöglichen. Diese Schritte sollten auch weitere amerikanische Bedenken ausräumen.

Im Gegenzug forderte Israel von den USA, Gesten des guten Willens von den arabischen Staaten, wie Überflugrechte für die nationale Fluggesellschaft El-Al, zu erwirken. Obama scheiterte daran und gab sich daraufhin mit einer "Einschränkung" des Siedlungsbaus der Israelis zufrieden, woraufhin die israelische Regierung eine zehnmonatige Baupause in der Westbank beschloss, die von Washington als positiver Schritt begrüßt wurde. Für viele Mitglieder des israelischen Kabinetts war diese Entscheidung ein notwendiger Schritt, um weitere Spannungen in den bilateralen Beziehungen zu vermeiden.

Zwar lehnt die israelische Regierung die Position der USA, wonach es einen Zusammenhang zwischen dem iranischen Atomprogramm und der Palästina-Frage gibt, ab. Dennoch ging sie auf die diplomatisch-politischen Initiativen Washingtons mit Blick auf den israelisch-arabischen Konflikt ein, damit sich die US-Diplomatie auf den Iran - einer der größten Sicherheitsbedrohungen für Israel - konzentrieren konnte. Netanjahu scheint auf seinem ersten Treffen mit Obama im Mai 2009 sogar eine vage Zusage zur Neugestaltung der amerikanischen Iran-Politik bis Ende des Jahres 2009 erhalten zu haben. Obwohl die israelische Regierung das Angebot der USA an Teheran, im Ausland Uran anreichern zu dürfen, ablehnte, verhielt sie sich zurückhaltend, um die Bemühungen um einen Ausweg aus der diplomatischen Sackgasse nicht zu gefährden. Sie war schließlich erleichtert, als der Iran auch den darauf folgenden Kompromissvorschlag - er hätte Teheran erlaubt, einen Teil seines Urans im eigenen Land anzureichern - ablehnte. Israel hofft, dass Präsident Obama aus seinen Fehlern lernt und eine realistischere Außenpolitik verfolgt.

Nukleare Herausforderung durch den Iran

Wie die Vorgängerregierung auch, sieht Netanjahu den Iran als Sicherheitsbedrohung. Dazu trug vor allem der seit dem Jahr 2005 amtierende Präsident Mahmud Ahmadinedschad bei, indem er das Existenzrecht Israels offen in Frage stellte und den Holocaust leugnete. Verlautbarungen dieser Art von hochrangigen iranischen Regierungsvertretern dürfen nicht als Rhetorik abgetan werden; sie spiegeln ihre politischen Präferenzen wider. Zudem kommen strategische Überlegungen in Jerusalem zum Ergebnis, dass von den nuklearen Ambitionen des Iran auch eine Gefahr für die internationale Gemeinschaft ausgeht.

Der Iran hat sich jeglichen diplomatischen Drucks zur Einstellung seines Atomprogramms widersetzt und scheint die Absicht zu haben, hoch angereichertes Uran zum Bau der Atombombe herzustellen. Atomwaffen gelten als Sicherheitsgarantie für das iranische Regime, was die Entschlossenheit der Islamischen Republik erklärt, atomare Kapazitäten zu erlangen. Durch den Bau der Atombombe möchte sich der Iran eine regionale Vormachtstellung sichern. Darauf deutet auch das große Arsenal an Langstreckenraketen (mit über 1500 Kilometer Reichweite), die bereits heute den Nahen Osten, Zentralasien, den indischen Subkontinent und Osteuropa erreichen könnten. Ein atomar bewaffneter Iran würde auch zu einer Kettenreaktion in der Region führen: Staaten wie die Türkei, Ägypten, Saudi-Arabien und Irak würden versuchen, dem iranischen Einfluss durch ähnliche Atomprogramme zu begegnen. Die Folge wäre ein multipolarer atomar gerüsteter Naher Osten, was ein strategischer Alptraum wäre.

Ein atomar bestückter Iran könnte auch seine Rolle am Persischen Golf und in der Kaspischen Region - den beiden Subregionen der "Energieellipse", die einen Großteil der weltweit bekannten Energiereserven beherbergen - stärken und die ölproduzierenden Länder am Persischen Golf "finnlandisieren" mit der Folge, dass die Politiken dieser Länder unter dem starken Einfluss Teherans stünden. Solch ein Iran könnte auch versuchen, Einfluss auf Aserbaidschan und Turkmenistan auszuüben - beides sind muslimische Länder mit großen Energieressourcen. Mit der wachsenden politischen Macht könnte der Iran eine dominierende Stellung auf dem Energiemarkt erringen. Dies würde die Eindämmung des Landes erschweren und weltweit radikale Islamisten ermutigen, da Teheran terroristische Organisationen, wie die Hisbollah, die palästinensische Hamas und den Islamischen Jihad, unterstützt. Hinzu kommt Teherans Unterstützung für radikal-schiitische Elemente im Irak, eine islamische Republik zu errichten und der Versuch, durch seine Partnerschaft mit Syrien, einen regionalen Korridor bis an das Mittelmeer zu schaffen, der es dem Iran erleichtern würde, seine Macht bis zum Balkan und nach Südeuropa auszudehnen.

Israel ist von der schwachen Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf das iranische Atomprogramm irritiert. Unglücklicherweise hat der Westen keine starken Anreize, um die Ayatollahs von der atomaren Aufrüstung abzuhalten - er verhängte bereits wirtschaftliche Sanktionen. Aber auch wenn von allen Mitgliedern der internationalen Staatengemeinschaft härtere Sanktionen ausgeübt würden, ist die Wirksamkeit solcher Maßnahmen fraglich, wenn ein Regime bereit ist, für seine Politik einen hohen Preis zu zahlen. Zurzeit hofft Washington auf den Erfolg seines Dialogansatzes und droht mit einer Verschärfung der wirtschaftlichen Sanktionen. Dieses Vorgehen kommt dem iranischen Interesse entgegen, da es eine Strategie des "talk and build" verfolgt. Es scheint als könne nur die Anwendung von Gewalt, wie eine Seeblockade oder ein Militärschlag gegen die Atomanlagen, die Ayatollahs von der Durchführung des nuklearen Projekts abhalten. Daher wird Obamas Politik der "ausgestreckten Hand" in Jerusalem als großer Fehler betrachtet.

Es gibt Stimmen, die in Anlehnung an die Beziehungen zwischen den beiden Supermächten während des Kalten Krieges, Visionen eines stabilen "Gleichgewichts des Schreckens" zwischen Israel und dem Iran äußern. Doch Abschreckung funktioniert nicht automatisch und konnte auch bei den USA und der Sowjetunion nicht vorausgesetzt werden. Leider ist die Situation im Nahen Osten wesentlich instabiler. Zwar kann argumentiert werden, dass auch die politischen Führer im Nahen Osten rational handelnde Akteure sind. Jedoch ist dies allein kein Garant für den Schutz der Menschenwürde und Respekt vor dem Menschen. Das provokante Handeln und Äußerungen einer Reihe wichtiger Entscheidungsträger in Teheran nähren Befürchtungen von einer iranischen Strategie zur Vernichtung Israels. Dies wirft auch die Frage auf, wie wirksam Israels militärische Kapazitäten Gegner abschrecken oder einen atomaren Angriff abwehren könnten. Obschon Israel sein eigenes Raketenabwehrsystem entwickelte, ist kein Abwehrsystem vollkommen sicher oder hat eine hundertprozentige Abfangrate.

Aus diesem Grund zieht Israel ernsthaft militärische Maßnahmen in Betracht, um Teherans Atomprogramm zu stoppen. Falls sich die Obama-Regierung entscheiden sollte, nichts gegen das iranische Atomprogramm zu unternehmen, wird sich die Netanjahu-Regierung gezwungen sehen, unilateral zu handeln. Zwar ist die israelische Armee schlechter ausgerüstet als die amerikanische. Dennoch wäre sie in der Lage, die iranischen Atomanlagen zu zerstören. Klar ist, dass resolutes Handeln Risiken birgt, Untätigkeit aber schwerwiegendere Folgen hätte.

Israelisch-palästinensische Verhandlungen

Ein breites gesellschaftliches und politisches Bündnis unterstützt eine Zwei-Staaten-Lösung. Das Problem ist allerdings, dass Israel mit zwei palästinensischen Akteuren konfrontiert ist: zum einen mit der Hamas im Gazastreifen, die eine totale Zerstörung des jüdischen Staats fordert und ein Verbündeter des Iran ist; zum anderen mit der von Mahmud Abbas geführten, aber schwachen Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) in der Westbank. Auch die von der PA kontrollierten Medien, das Bildungssystem und die Moscheen fördern Antisemitismus.

In Kairo ermahnte US-Präsident Obama die muslimische Welt zwar zu mehr Pragmatismus, da die Existenz Israels ein fait accompli ist. In der Vergangenheit zeigte sich aber mehrmals, dass die führenden Akteure auf Seiten der Palästinenser nicht immer pragmatisch handelten: So boten bereits zwei israelische Ministerpräsidenten die Aufgabe nahezu aller Gebiete an, die in Kriegen besetzt wurden. Die Angebote von Ehud Barak und Ehud Olmert wurden von Jassir Arafat ausgeschlagen und von seinem Nachfolger im Amt des Präsidenten der palästinensischen Autonomiebehörde Abbas ignoriert. Die Scharon-Regierung zog sich aus dem Gaza zurück mit der Folge, dass der Gazastreifen zur "Abschussrampe" für verstärkte Raketenangriffe der Hamas wurde.

Trotz der schwierigen Lage ist Netanjahu der Überzeugung, dass Fortschritte im Friedensprozess durch den Aufbau von Institutionen und wirtschaftliches Wachstum erreicht werden können. Deshalb beseitigte die Regierung Straßensperren und förderte wirtschaftlichen Austausch. Doch bislang lehnten die Palästinenser Verhandlungen mit der Netanjahu-Regierung ab, weil sie hofften, die USA würden Israel zur Annahme palästinensischer Bedingungen zwingen. Sogar der zehnmonatige Baustopp (ein beispielloses Zugeständnis Israels) wurde von der PA abgelehnt.

Amerikanischer Druck könnte zwar beide Konfliktparteien an den Verhandlungstisch zurück bringen. Aber Obamas Vision von einem Friedensabkommen binnen zweier Jahre ist nicht realistisch. Denn externe Mächte, wie die USA, haben nur begrenzten Einfluss auf das Verhalten der nahöstlichen Akteure: So wies Arafat im Jahr 2000 die Vorschläge des US-Präsidenten Clinton zur Regelung des Konflikts zurück; auch die Mullahs in Teheran lehnen seit Jahren jegliche westlichen Vorschläge und Kompromissversuche zum iranischen Atomprogramm ab.

Klar muss sein, dass ein Friedensabkommen nur dann erreicht werden kann, wenn die regionalen Akteure reif für ein solches Ergebnis sind. Dies war der Fall im Jahr 1977, als sich der ägyptische Präsident Anwar Sadat - entgegen des Rates von US-Präsident Jimmy Carter, auf eine internationale Konferenz in Genf zu reisen - dazu entschied, den damaligen israelischen Ministerpräsidenten Menachem Begin in Jerusalem zu treffen und vor der Knesset zu sprechen. Damit ebnete er den Weg zu einem israelisch-ägyptischen Friedensabkommen. Dieses Beispiel macht deutlich, dass eine dauerhafte Einigung zwischen Israelis und Palästinensern nicht auf bloßen Druck der USA oder EU hin erzielt werden kann.

Aufgrund der zunehmenden Radikalisierung der palästinensischen Gesellschaft und den Schwierigkeiten bei der Gründung eines palästinensischen Staates unter Beachtung der Prämisse Max Webers (wonach ausschließlich dem Staat das "Monopol physischer Gewaltsamkeit" (Gewaltmonopol) zukommt) wird das Paradigma des Zwei-Staaten-Modells immer unwahrscheinlicher. Allein in Gaza operieren mehrere unterschiedliche bewaffnete Milizen, wie die Hamas, Islamischer Jihad, Al-Qaida und bewaffnete Clans. Es werden daher neue Ideen gebraucht, die den Kurs ablösen, der zwar zu einer Teilung des Landes Israel führte (wie Israels Rückzug aus Teilen der Westbank und des Gazastreifens, die anschließend der Autorität der PA unterstellt wurden), nicht aber zu einer friedlichen Koexistenz.

Es sollte ein regionaler Ansatz verfolgt werden, der arabische Akteure in die Lösung des Konfliktes miteinbezieht, da sie ebenfalls betroffen sind. So könnte eine Rückkehr Jordaniens in die Westbank und Ägyptens nach Gaza diskutiert werden. Beide haben ein Friedensabkommen mit Israel und die Palästinenser in der Vergangenheit bereits erfolgreich regiert. Eine andere Option wäre eine jordanisch-palästinensische Föderation: Nach dem Vorbild der USA wären Jordanien, die Westbank und Gaza drei "Bundesstaaten", die außen- und verteidigungspolitische Angelegenheiten in Amman bündeln.

Während solch ein Ansatz bei der Netanjahu-Regierung Anklang fände, kann sie aber derlei internationale diplomatische Vorstöße nicht proaktiv betreiben. Denn ein neues Paradigma werden die Araber nur akzeptieren, wenn es von der EU oder USA lanciert wird. Damit wird die Suche nach einem neuen Paradigma für die Lösung des Konflikts auch zu einer Herausforderung für den Westen.

Internationales Ansehen Israels

Vize-Außenminister Danny Ayalon sagte im November 2009, dass "wenn heute für oder gegen den Beitritt Israels zu den Vereinten Nationen gestimmt würde", kein Zweifel bestünde, "dass wir nicht aufgenommen würden". Ayalon merkte an, dass im Jahr 1949, dem Jahr des Beitritts Israels zur UN, zwei Drittel der UN-Mitglieder demokratisch regiert wurden, wohingegen heute ein Großteil Diktaturen seien, die Menschenrechte missachteten. Die UN, ein Hauptforum für Angriffe auf das internationale Ansehen und die Legitimität des jüdischen Staats, steht derzeit unter dem Einfluss von islamischen und blockfreien Staaten, die konsequent jede antiisraelische Resolution unterstützen, entbehren sie auch jeglicher Grundlage.

Zwar ist Israel-Bashing nicht neu, aber die Tatsache, dass die Existenz des Staates noch immer hinterfragt wird, ist Besorgnis erregend. So sind die Äußerungen des iranischen Präsidenten keine Seltenheit. Das Existenzrecht Israels wird auch unter den Palästinensern in Frage gestellt. Auch in Nichtregierungsorganisationen und internationalen Foren, wie der UN, wo arabische Staaten Mehrheiten generieren können, werden regelmäßig die Legitimität Israels hinterfragt und das internationale Ansehen des Landes beschädigt. Vergleiche mit Nazi-Deutschland oder dem Apartheid-Regime in Südafrika sind übliche Motive der antiisraelischen Propaganda.

Die palästinensische Perspektive auf den Konflikt wird immer häufiger in den Medien sowie den politischen und intellektuellen Zirkeln des Westens eingenommen. Für viele ist Israel zum "Täter" geworden, wodurch auch die Ratio der Gründung eines jüdischen Staates in Frage gestellt wird. In den meisten westlichen Ländern hat sich die öffentliche Meinung in den vergangenen Jahrzehnten zu einer eher Israel-kritischen und Palästinenser-freundlichen Haltung entwickelt (die USA sind eine klare Ausnahme). Hier besteht langfristig die Gefahr, dass sich ein internationaler Konsens entwickeln könnte, der an der Legitimität Israels zweifelt. Doch für einen kleinen Staat wie Israel, der für sein Wohlergehen auf die Launen der internationalen Gemeinschaft angewiesen ist, ist es besonders problematisch, wenn er zum Pariastaat wird.

Ein Bereich, in dem Israel regelmäßig mit Unverständnis konfrontiert wird, ist die Anwendung von Gewalt. So haben Europäer, die seit dem Ende des Kalten Krieges in einem friedlichen Umfeld leben, eine andere strategische Kultur und betrachten die Anwendung von Gewalt als anachronistisch und unzivilisiert. So schwierig es zu begreifen sein mag, der Nahe Osten und andere Teile der Welt leben in einer anderen "Zeitzone", in der die Anwendung von Gewalt zu den regionalen Spielregeln gehört. Des Weiteren missachten Terroristen im Nahen Osten das Völkerrecht: Immer wieder nutzen sie zivile Orte, wie Krankenhäuser, Schulen und Moscheen, die eigentlich militärische Tabuzonen sind, als Aufenthaltsorte. Ihre Strategie ist es, sich hinter zivilen Schutzschildern zu verstecken, um mit Bildern, auf denen bombardierte Krankenhäuser, heilige Orte und Schulen oder auch Angriffe auf Zivilisten zu sehen sind, weltweite Verurteilung und Mitgefühl für ihre Sache hervorzurufen.

Der "Goldstone-Bericht", der Israel Kriegsverbrechen vorwirft, ist ein Beispiel für diese Art der zynischen Betrachtungsweise. Der Bericht wurde vom UN-Menschenrechtsrat trotz des Widerstands westlicher Staaten, dafür mit Unterstützung von Russland, China, der arabisch-islamischen Welt und Entwicklungsländern in Auftrag gegeben, um den israelischen Kampfeinsatz in Gaza im Jahr 2009 zu untersuchen. Der "Goldstone-Bericht" erklärt Israel zum Aggressor, obwohl der Angriff auf die Hamas als Reaktion auf den jahrelangen Beschuss israelischer Zivilisten mit Raketen aus dem Gazastreifen zu sehen war.

Goldstones ärgerlichste Schlussfolgerung ist, dass das Hauptmotiv des israelischen Militärschlags nicht die Verteidigung der eigenen Bürger, sondern die kollektive Bestrafung der palästinensischen Zivilisten gewesen sei. Die Goldstone-Kommission ließ Beweise außer Acht, die dokumentierten, dass die israelischen Streitkräfte alles ihnen Mögliche unternommen hatten, um zivile Opfer zu vermeiden. Israels präzise ausgeführten Operationen zielten auf Terroristen, die sich zwar in zivilen Räumen aufhielten. Aber es wurden alle möglichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen, um Zivilisten zu schützen, wie Warnanrufe über Mobiltelefone oder Handzettel zur Warnung und Evakuierung der Bewohner. Mit der Annahme des Berichts ignorierte der Rat die Aussage des ehemaligen Kommandeurs der britischen Streitkräfte in Afghanistan, Oberst Richard Kemp, der sagte, dass die israelischen Streitkräfte mehr zur Sicherung der Zivilisten in einer Kampfzone unternommen haben, als jede andere Armee in der Geschichte der Kriegsführung zuvor.

Dieser Bericht wird zweifelsohne zu einer "politischen Keule" gegen Israel werden. Er hat aber auch weiter reichende Auswirkungen: Er verschleiert die Tatsache, dass für Israel, wie auch für die USA und andere NATO-Verbündete, das Töten von Zivilisten während eines Krieges eine unbeabsichtigte Tragödie ist, die es zu verhindern gilt; für die Hamas, die Hisbollah oder Al-Qaida ist es aber ein Triumph für ihren modus operandi. Diesen Unterschied zu verwischen, zeugt von moralischer Blindheit und ist ein politisches Manöver zur Entwaffnung des Westens.

Die Regierung Netanjahus sieht Israels Kampf um Legitimität und sein Recht auf Selbstverteidigung als Teil des westlichen Bestrebens, höhere moralische Werte zu verteidigen. Netanjahu selbst hat die intellektuellen und kommunikativen Fähigkeiten, sich gegen jegliche Anschuldigungen zu wehren; es bleibt abzuwarten, wie sehr er von der aufgeklärten Welt unterstützt werden wird. Bis jetzt überstand die Regierung etliche diplomatische Angriffe in einer Koalition mit westlichen Freunden - aber der Kampf ist nicht vorbei.

Fazit

Die erste Herausforderung konnte Netanjahu meistern: an der Macht zu bleiben und eine stabile Koalition aufzubauen. Auch das Verhältnis zu den USA blieb trotz der Spannungen stabil. Das Atomprogramm des Iran bleibt von der internationalen Gemeinschaft zwar unangetastet. Sollte sich Israel aber allein gelassen fühlen, kann davon ausgegangen werden, dass es militärische Optionen in Betracht zieht. In der israelisch-palästinensischen Frage ist die Anteilnahme der internationalen Gemeinschaft größer - es scheint aber am Verständnis für die Komplexität des Problems zu fehlen. Es bleibt zu hoffen, dass die arabischen Staaten in Zukunft größere Verantwortung für das palästinensische Problem übernehmen.

Übersetzung aus dem Englischen von Baris Ceyhan, Bonn.
Ich danke Diana Grosz, Praktikantin des Legacy Heritage Funds am Begin-Sadat (BESA) Zentrum für strategische Studien, für ihre Unterstützung bei der Recherche für diesen Beitrag.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Haaretz vom 16.6.2009.

  2. Vgl. Efraim Inbar, US-Israel Relations in the Post Cold War Era: The View From Jerusalem, in: Eytan Gilboa/Efraim Inbar (eds.), US-Israeli Relations in a New Era, London 2009, S. 35ff.

  3. Vgl. Erklärung der US-Außenministerin Hillary Clinton vom 25.11. 2009, online: www.state.gov/secretary/rm/2009a/11/132434.htm (18.1. 2010).

  4. Vgl. Haaretz vom 18.5. 2009.

  5. Vgl. Dennis Ross, The Missing Peace, New York 2004.

  6. Vgl. Greg Sheridan, Ehud Olmert still dreams of peace, in: The Australian vom 28.11. 2009.

  7. Vgl. Efraim Inbar, The Rise and Demise of the Two-State Paradigm, in: Orbis, 3 (2009), S. 265 - 283.

  8. Vgl. Giora Eiland, Regional Alternatives to the Two-State Solution, BESA Memorandum, 4 (2009) 12.

  9. The Jerusalem Post vom 27.11. 2009.

  10. Vgl. Gerald Steinberg, Soft Powers Play Hardball: NGOs Wage War against Israel, in: Efraim Inbar (ed.), Israel's Strategic Agenda, London 2007, S. 135 - 155.

  11. Vgl. Bericht des Jerusalem Center for Public Affairs, The UN Gaza Report:
    A Substantive Critique, November 2009, online: www.jcpa.org/text/GoldGoldstone-5nov09.pdf (18.1. 2010).

  12. Zit. in: UN Watch, online: http://blog.unwatch.org/?p=488 (18.1. 2010).

Prof., Ph.D.; geb. 1947; Direktor des Begin-Sadat (BESA) Zentrums für strategische Studien an der Bar-Ilan Universität, Ramat-Gan/Israel 52900.
E-Mail: E-Mail Link: inbare@mail.biu.ac.il