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ANC forever? Innenpolitische Entwicklungen und Parteien in Südafrika

Helga Dickow

/ 18 Minuten zu lesen

Die Vorherrschaft des African National Congress (ANC) ist in Südafrika ungebrochen; Wahlen ähneln einem ethnischen Zensus. Kritiker sehen darin eine Gefahr für die südafrikanische Demokratie.

Einleitung

Am 22. April 2009 fanden in Südafrika die vierten freien und allgemeinen Wahlen statt. Von knapp 30 Millionen Wahlberechtigten gingen 18 Millionen zu den Urnen und machten damit von einem Recht Gebrauch, für das ihre schwarzen, "coloured-" oder indischstämmigen Väter und Mütter jahrzehntelang gekämpft hatten.


Zum vierten Mal war der Wahlsieger der African National Congress (ANC). Sein Vorsitzender Jacob Zuma ist der vierte Präsident des "neuen" Südafrika nach Nelson Mandela, Thabo Mbeki und dem Übergangspräsidenten Kgalema Motlanthe. Die Dominanz des ANC - auch 15 Jahre nach seinem ersten Wahlsieg - verleitet manchen Beobachter dazu, die Demokratie in Südafrika in Zweifel zu ziehen. Aber wie ist es um das politische System und die Demokratie in Südafrika wirklich bestellt?

Beginn des "neuen" Südafrika

Erst 1990 hatte die damalige Regierung der Apartheid unter Präsident Frederik Willem de Klerk Nelson Mandela aus 27-jähriger Haft entlassen, die bislang verbotenen schwarzen Befreiungsbewegungen wieder zugelassen und die Schaffung einer neuen Verfassung mit gleichen Rechten für alle Südafrikanerinnen und Südafrikaner verkündet. Es folgten Verhandlungen über Machttransfer, Machtteilung, die politische Zukunft und das politische System des neuen Südafrika zwischen der regierenden National Party (NP), unter deren Ägide die Politik der Apartheid institutionalisiert worden war, und der prominentesten und größten Befreiungsorganisation, dem ANC. Das Ende des Ost-West-Konflikts und wirtschaftspolitische Erwägungen hatten die Konfliktparteien an den Verhandlungstisch gedrängt - die weiße Minderheit in der Hoffnung, wenigstens ihre wirtschaftliche Macht retten zu können, den ANC der Wille, nicht in einem von Bürgerkriegen zerstörten Land die Macht zu übernehmen. Realpolitische Überlegungen prägten den Verhandlungsprozess und die neue politische Ordnung.

Das Ergebnis der von Dezember 1991 bis August 1993 dauernden Gespräche war eine Übergangsverfassung. Darin waren ein Grundrechtskatalog und eine Liste von Verfassungsprinzipien enthalten, die nur noch ausgestaltet, aber nicht mehr verändert werden konnten. Sensibilisiert durch die Rassendiskriminierung der Vergangenheit, erhielt Südafrika eine der liberalsten Verfassungen der Welt, was individuelle Rechte und den Schutz vor Diskriminierungen jeglicher Art betrifft. Was der ANC hingegen nicht wollte - ebenfalls wegen den Erfahrungen der Vergangenheit - waren ein kollektiver Minderheitenschutz oder Volksgruppenrechte, wie von den Verhandlungsführern der weißen Minderheit gewünscht. Diese verzichteten schließlich darauf, der ANC aber stimmte einem Proporzwahlrecht zu, das ethnischen oder politischen Minderheiten bessere Chancen gibt als ein Mehrheitswahlrecht. Anstelle einer bundesstaatlichen Verfassung, wie ursprünglich von der NP und den kleineren Parteien gewünscht, setzte sich der ANC mit einem Kompromiss durch: Südafrika besteht seitdem aus neun Provinzen mit gewählten Parlamenten und Regierungen, aber eingeschränkter Steuerhoheit und begrenzten Kompetenzen.

Politische Entwicklungen seit 1994

Die Wahlen im April 1994 endeten mit einem überwältigenden Sieg für die ehemalige Befreiungsorganisation. Schon hier zeichnete sich das Muster ab, das die südafrikanischen Wahlen heute noch prägt: Die Bevölkerung stimmt überwiegend nach ethnischen Gesichtspunkten. So votieren Schwarze mehrheitlich für die Partei, die sie aus der Apartheid geführt hat, den ANC, Weiße hingegen für eine der anderen Parteien unter weißer Führung. Schon 1994 ließen sich Stimmen vernehmen, die dieses Wahlverhalten als eine Bedrohung für die junge Demokratie ansahen. (Vgl. Tabelle 1 in der PDF-Version)

Nelson Mandela setzte während seiner fünfjährigen Amtszeit auf Dialog und Aussöhnung mit der weißen Minderheit. 1999 gewann wiederum der ANC die Wahlen, diesmal sogar mit einer für Verfassungsänderungen nötigen Zweidrittelmehrheit. Neuer Präsident wurde Thabo Mbeki, der im September 2009 einige Monate vor dem Ablauf seiner zweiten Amtszeit von seiner eigenen Partei zum Rücktritt aufgefordert wurde. Ihm wurde vorgeworfen, in eine Intrige gegen seinen innerparteilichen Gegner Jacob Zuma verwickelt zu sein, die zur Wiederaufnahme eines Prozesses gegen Zuma wegen Korruptionsverdacht, Steuerhinterziehung, Betrug und Geldwäsche geführt hatte. Der Vorwurf gegen Mbeki ist bis heute noch nicht ausgeräumt. Bis zu den Wahlen im April 2009 hielt Motlanthe, der bisherige Generalsekretär des ANC, den Stuhl für Zuma warm, der nach den Wahlen und dem erneuten Wahlsieg des ANC am 9. Mai 2009 als neuer Präsident Südafrikas vereidigt wurde. Die absolute Mehrheit verfehlte der ANC diesmal knapp.

Der Machtwechsel in Südafrika von der Herrschaft einer ethnischen Minderheit zur "Regenbogennation" war friedlich verlaufen. Das Land konnte außerdem auf eine wesentlich längere Geschichte von politischen Parteien zurückblicken als andere Länder, in denen Befreiungsbewegungen die Macht übernommen hatten - auch wenn die Mehrheit der Bevölkerung von der politischen Teilhabe ausgeschlossen gewesen war. Somit war schon bei den ersten Wahlen 1994 eine große Bandbreite von Parteien angetreten. Die Zahl der Oppositionsparteien ist seitdem gewachsen, da es keine Sperrminorität oder Direktwahlklauseln gibt. Dennoch wurde die Dominanz des ANC bislang freilich nicht ernsthaft gefährdet. Die sich abzeichnende Zersplitterung der Opposition kam 2009 vorerst zu einem Ende, als sich die Wählerstimmen auf die regierende Partei und die beiden Oppositionsparteien, die Democratic Alliance (DA) und den neugegründeten Congress of the People (COPE), konzentrierten.

African National Congress

Der ANC blickt auf eine lange Geschichte zurück - nicht als Partei, sondern als Befreiungsbewegung. Er wurde 1912 als Interessensvertretung der schwarzen und "coloured" Bevölkerung gegründet und forderte die vollen Bürgerrechte für alle Südafrikanerinnen und Südafrikaner. Dafür trat er lange Zeit mit ausschließlich friedlichen Mitteln wie Streiks und Boykotte ein und blieb selbst nach der Machtübernahme der NP 1948 dabei. 1955 verabschiedete er die Freedom Charter, die bis zu seiner Wiederzulassung 1990 sein politisches Manifest blieb und heute noch die Grundlage der südafrikanischen Verfassung für ein freies, nichtrassisches Südafrika darstellt. Nachdem der friedliche Protest erfolglos geblieben war, die Repressionen gegen die schwarze Bevölkerung aber zunahmen, gründete der ANC 1961 einen bewaffneten Flügel - Umkonto we Sizwe (Zulu: "Speer der Nation"). Zu seinen Gründungsmitgliedern gehörte auch Nelson Mandela. Die Organisation sollte Sabotageakte gegen Infrastruktur, Polizeibüros und anderes mehr verüben. Anfang der 1960er Jahre verbot die NP den ANC, Umkhonto we Sizwe und andere oppositionelle Bewegungen. Die Führer des ANC wurden entweder auf Robben Island inhaftiert wie Nelson Mandela und viele seiner Weggefährten, oder gingen ins Exil in andere Länder Afrikas, in die Sowjetunion oder nach Großbritannien, wie der ehemalige Präsident Mbeki. Er kehrte nach 30 Jahren (1990) zurück und war maßgeblich an den Verhandlungen mit der weißen Regierung beteiligt. Auch der Pan Africanist Congress (PAC), der sich 1959 vom ANC abgespalten hatte, war von der Apartheid-Regierung verboten worden. Im Gegensatz zum ANC, der Freiheit für alle Südafrikaner ohne Unterschied der Herkunft anstrebte, setzte der PAC auf eine Politik ausschließlich zugunsten der schwarzen Mehrheit.

Prägend für die ideologische Bandbreite des ANC wurde seit den Jahren des Exils die sogenannte Dreier-Allianz: das Bündnis mit den Gewerkschaften und der South African Communist Party (SACP). Die SACP war schon 1953 verboten worden, und viele ihrer Mitglieder traten danach dem ANC bei. Die beiden Allianzpartner sind bis heute innerhalb des ANC verankert und spielen in der Parteipolitik eine entscheidende Rolle. Das äußerte sich nicht zuletzt im Machtkampf zwischen Thabo Mbeki und dem damaligen Vizepräsidenten Jacob Zuma beim Parteitag im Dezember 2007 in Polokwane. Mbeki, der sich nicht mehr um eine dritte Amtszeit als Präsident des Landes, wohl aber als ANC-Vorsitzender bewerben konnte, erlitt eine herbe Niederlage gegen Zuma. Es waren vor allem der linke Flügel und auch die ANC Youth League unter der Führung von Julius Malema, die für Zuma stimmten.

Damit war seit Polokwane auch klar, wer der nächste Präsidentschaftskandidat des ANC sein würde: der wegen Korruption und Vergewaltigung wiederholt angeklagte, aber immer freigesprochene Zuma - wie Mbeki politisches Urgestein des ANC. Sie waren politische Weggefährten und Freunde gewesen. Auch Zuma hatte viele Jahre im Exil verbracht und den Geheimdienst des ANC von Lusaka/Sambia aus geleitet. Allerdings ist Mbeki Teil der ANC-Aristokratie, er gehört zum Volk der Xhosa, wie Mandela auch. Sein Vater Govan Mbeki war zusammen mit Mandela auf Robben Island in Haft gewesen und 1987 freigelassen worden. Zuma stammt dagegen aus einer armen Familie aus der Provinz KwaZulu Natal und hat sich vom analphabetischen Hirtenjungen zum erfolgreichen Politiker hochgearbeitet. Auch er musste einige Jahre in Haft auf Robben Island verbringen. Was auf den ersten Blick aussieht wie ein Machtkampf zweier gleichaltriger Männer, ist im Grunde ein Kampf zwischen den verschiedenen Flügeln des ANC, der immer noch dabei ist, sich von einer Befreiungsbewegung zu einer Partei zu wandeln. Aus der Zeit des Exils und des bewaffneten Kampfes ist der Partei nämlich - trotz aller demokratischen Ansprüche an die Basis - eine Art geheime Kommandostruktur geblieben. Wichtige Entscheidungen werden im inneren Zirkel gefällt. Andere Gruppen fühlen sich ausgeschlossen - wie zum Beispiel häufig der Dachverband der Gewerkschaften (Cosatu). Bei der Wahl Zumas setzte sich der linke Flügel durch. Das Ergebnis spiegelte die Stimmung der enttäuschten ANC-Basis wider, insbesondere auch der marginalisierten Jugend.

Viele Jugendliche wohnen in den schwarzen Wohngebieten, den (ehemaligen) Townships. Die Zeit der Apartheid haben sie zwar nicht mehr bewusst miterlebt, aber deren Folgen - schlechte Bildungschancen, hohe Arbeitslosigkeit, mangelhafte Infrastruktur - bekommen sie noch immer zu spüren. Vielfältige Programme - die Versorgung mit Wohnraum, Elektrizität oder Wasser, vor allem aber die bevorzugte Einstellung von Schwarzen im privaten und öffentlichen Sektor (affirmative action) - sind bei den ganz Armen nicht angekommen. Dass die Bereitstellung vieler öffentlicher Leistungen (service delivery) misslang, lag nicht zuletzt auch an der Korruption in den Reihen des ANC.

Die Ausländerhatz in den Townships im Mai 2008, bei denen rund 70 Einwanderer getötet und viele weitere verletzt und vertrieben wurden, war ein trauriges Resultat der vorhandenen Frustration und der Unfähigkeit des amtierenden Präsidenten Mbeki, auf die eskalierende Situation zu reagieren. Immer deutlicher wird die Schwäche der vom ANC eingesetzten Lokalverwaltungen, die nicht in der Lage sind, mit den dringenden Problemen der Bevölkerung in den - wie es heißt - ehemals benachteiligten Gegenden angemessen und kompetent umzugehen. In ihrer Hilflosigkeit wendet sich die Bevölkerung gegen die Symbole dieser Repräsentanz: Landesweit werden Verwaltungsgebäude und andere öffentliche Einrichtungen niedergebrannt und somit die ohnehin schon spärliche Infrastruktur weiter zerstört. Immer häufiger steht - wie zu Apartheidzeiten - die Armee in den Townships einer aufgebrachten Menge gegenüber.

Congress of the People

Im September 2008 musste Thabo Mbeki auf Geheiß des ANC-Zentralkomitees vorzeitig als Präsident zurücktreten, da er nach seiner Niederlage in Polokwane angeblich die Aufnahme des Korruptionsverfahrens gegen seinen Rivalen Zuma betrieben hatte. Mbeki, der sein Leben in den Dienst des ANC gestellt hatte, wehrte sich nicht gegen die Demütigung durch die Parteispitze kurz vor Ablauf seiner Amtszeit, sondern rief die Partei zur Einheit auf. Diese schien ihr abhanden gekommen zu sein, und ihre Vormachtstellung war zum ersten Mal seit der Wahl 1994 in Frage gestellt. Mit dem Congress of the People, kurz COPE, spaltete sich eine neue Partei vom ANC ab, deren Mitglieder unter anderem vom Umgang mit Mbeki enttäuscht waren. Treibende Kräfte waren ANC-Dissidenten wie der ehemalige Verteidigungsminister Mosioua "Terror" Lekota und der ehemalige Premier der Provinz Gauteng und frühere Gewerkschaftsführer Mbhazima Sam Shilowa. Am Gründungsparteitag am 16. Dezember 2008 - dem nationalen Tag der Aussöhnung -, symbolträchtig in Bloemfontein, wo 1912 der ANC gegründet worden war, nahmen mehr als 6000 Delegierte teil. Einflussreiche ANC-Mitglieder liefen zur neuen Partei über. Manche kehrten aber auch bereits nach kurzer Zeit wieder zur alten Partei zurück. Prominentester "Überläufer" war der Pastor und frühere Antiapartheid-Aktivist Allan Boesak, der daraufhin ins Provinzparlament im Western Cape gewählt wurde.

Der ANC reagierte auf die Konkurrenz aus den eigenen Reihen äußerst nervös: Die Abtrünnigen wurden beschimpft, jegliche Anspielung im Namen sowie im Parteiemblem der neuen Partei auf den ANC sollte gerichtlich unterbunden werden (was fehlschlug). Präsidentschaftskandidat wurde der Methodistenpfarrer und langjährige Präsident der methodistischen Bischofskonferenz Mvume Dandala und nicht wie erwartet einer der beiden prominenten Dissidenten. Dies ließ schon früh auf interne Rivalitäten schließen. Dandala gilt jedoch als integer und als eine moralische Autorität, was der Partei in der Konkurrenz mit dem umstrittenen Zuma durchaus Pluspunkte hätte bescheren können. Die Gründung von COPE markierte den Beginn des Wahlkampfes.

Anfänglich erwarteten Beobachter Stimmengewinne bis zu 15 Prozent für die neue Partei, die Zweidrittelmehrheit des ANC schien ernsthaft gefährdet. In der Gründungseuphorie wurde die junge Partei COPE offensichtlich überschätzt. Sie schaffte es weder, sich landesweit zu verankern, noch eine politische Alternative zum ANC zu entwickeln. Ihr Wahlkampfprogramm blieb unpräzise und unterschied sich nicht wesentlich von dem des ANC. Beide Parteien versprachen Arbeitsplätze, Investitionen in Bildung, Gesundheit und ländliche Entwicklung sowie die Bekämpfung der hohen Kriminalität - eines der größten Probleme am Kap, das nicht nur den Alltag der Bevölkerung prägt, sondern auch potenzielle Investoren abschreckt. Obwohl sich COPE gegen Korruption aussprach und sich als der bessere ANC darzustellen versuchte, vergab er die Chance, sich für die schwarzen Wähler als politische Alternative zum ANC zu etablieren, die er durchaus hätte werden können. Bei den Parlamentswahlen errang er mit 7,42 Prozent der Stimmen zwar einen Achtungserfolg, konnte sich aber bei den gleichzeitig stattfindenden Provinzwahlen in keiner Provinz durchsetzen.

Democratic Alliance

Der wirkliche Machtkampf - allerdings nicht auf nationaler, sondern auf Provinzebene - spielte sich letztendlich zwischen dem ANC und der Democratic Alliance (DA) ab. Die DA ist die Nachfolgepartei der Democratic Party, die schon zu Zeiten der Apartheid im Parlament als liberale Opposition vertreten war (seinerzeit als Progressive Federal Party) - lange Zeit nur mit einer Abgeordneten, der mutigen Helen Suzman. Sie war so etwas wie das "weiße Gewissen" im Apartheid-Staat und hielt mit ihren parlamentarischen Anfragen die Erinnerung an die verhaftete ANC-Führung wach.

Zwei Provinzen, nämlich KwaZulu Natal und das Western Cape gelten als Gradmesser für die Stärke des ANC. Beide sind keine Stammländer des ANC, hier stellte er nicht immer wie selbstverständlich die Provinzregierung. So gewannen 1994 und 1999 die Inkatha Freedom Party (IFP) KwaZulu Natal, die NP bzw. deren Nachfolgepartei New National Party (NNP) die Kapprovinz. Die Mehrheit der dortigen Bevölkerung sind sogenannte "coloureds", Nachkommen der burischen Siedler und der Schwarzen. Sie sind häufig Arbeiter auf Farmen, und viele von ihnen sind arbeitslos. Was Sprache und Religion anbelangt, stehen sie ihren weißen Vorfahren näher als ihren schwarzen. Der Großteil der Bevölkerung spricht Afrikaans und gehört der Reformierten Kirche an. Zudem leben in Western Cape mehr Weiße als in anderen Provinzen. Viele sind erst in jüngster Zeit dorthin gezogen, da dort bis vor kurzem das Leben als wesentlich sicherer galt als im wirtschaftlich boomenden Gauteng. Die Kapprovinz spiegelt daher nicht die ethnische Zusammensetzung des Landes wider. Nach fünf Jahren ANC-Herrschaft hatte die DA nun 2009 eine realistische Chance, hier die Macht zu erringen.

Erst kurz vor dem Wahltermin beendete der Generalstaatsanwalt das jahrelange juristische Tauziehen um Zuma und stellte das Verfahren ein. Für Zuma war damit der Weg zur Präsidentschaft endgültig frei, weshalb die Vorsitzende der DA, Helen Zille, in den letzten Wochen vor dem Urnengang auf eine "Stop Zuma"-Kampagne setzte. Die Bürgermeisterin von Kapstadt hatte den Parteivorsitz 2006 von Tony Leon übernommen, der als Vertreter der größten Oppositionspartei den ANC immer wieder heftig angegriffen und ihm fehlende Effizienz bei der Armuts- und Arbeitslosigkeitsbekämpfung vorgeworfen hatte. Mit 16,66 Prozent wurde die DA auf nationaler Ebene nun erneut zweitstärkste Partei. Aus der Wahl im Westkap ging sie als Siegerin hervor, und Zille wurde zur neuen Premierministerin der Provinz gekürt.

Übrige Parteien

Die IFP, deren Hochburg in KwaZulu Natal liegt und die damit als Zulu-Partei gilt, hat seit dem Ende der Apartheid immer weiter an Bedeutung verloren. Ursprünglich mit dem Einverständnis des Exil-ANC gegründet, um im Apartheid-Staat die Möglichkeiten und Grenzen einer politischen Partei, welche die Führung im damaligen Homeland KwaZulu Natal stellte, auszuloten, stand ihr Führer Mangosuthu Buthelezi seit 1994 im Schatten Mandelas. Kämpfe zwischen Zulu-Wanderarbeitern und anderen Bewohnern der Townships in Gauteng, aber auch politische Gewalt zwischen ANC- und IFP-Anhängern erregten mehr Aufsehen als die Politik der IFP. Mit dem Zulu Zuma als Präsidentschaftskandidaten verlor die IFP auch ihren politischen Einfluss und fiel in die Bedeutungslosigkeit einer regionalen Partei zurück.

Die ehemalige Partei der Apartheid, die NP, überlebte den Niedergang ihrer Politik nicht lange. Nach dem politischen Rückzug ihres Vorsitzenden Frederik Willem de Klerk, der die Abkehr von der Rassentrennung und die Aufhebung des Verbots der schwarzen Befreiungsorganisationen verkündet hatte, versuchte die Partei ihrem Apartheid-Image zu entkommen und nannte sich um in New National Party. Kurzfristig schloss sie sich im Jahr 2000 mit der Democratic Party zur Democratic Alliance zusammen, um als Oppositionsallianz gegen den ANC mehr Gewicht zu haben. 2001 führte der neue Vorsitzende Marthinus van Schalkwyk seine Partei in ein Bündnis mit dem ANC. Durch diese Nähe zum ANC stellte die NNP keine politische Option mehr für die weiße und die "coloured" Bevölkerung dar. Als den Abgeordneten 2002 mit dem Gesetz des "Floor Crossing" dann auch noch die Möglichkeit eröffnet wurde, die Partei unter Mitnahme ihres Mandats zu wechseln, liefen viele Abgeordnete der NNP zum ANC über. Der Stimmenrückgang von 20 Prozent bei der Wahl 1994 auf 7 Prozent 1999 und 2 Prozent 2004 kann als Resultat dieses Schlingerkurses der Partei gesehen werden. Konsequenterweise löste sie sich 2005 auf.

Als weiße Vertretung einer kleinen Hardlinergruppe ist nur noch die Freedom Front, inzwischen nennt sie sich Freedom Front Plus (FF+), übrig. Sie wurde kurz vor der Wahl 1994 von dem ehemaligen General Constand Viljoen gegründet und vertritt die Interessen der Buren. Ihr erklärtes Ziel ist die Absicherung der Selbstbestimmung der Buren oder Afrikaaner, wie sie sich selbst nennen. Pieter Mulder, früher Führer der NP, ist heute prominentestes Mitglied der FF+ und stellvertretender Landwirtschaftsminister im Kabinett Zuma.

Zwei kleinere Parteien verdienen noch Erwähnung, der PAC und die African Christian Democratic Party (ACDP). Der PAC hatte seit seiner Abspaltung vom ANC 1959 bewusst einen militanten Weg gegen die Politik der Apartheid gewählt. Berüchtigt war sein Slogan "One settler, one bullet" ("Ein Siedler, eine Kugel"). Im neuen Südafrika geht es ihm in erster Linie um Umverteilung des Landes an die schwarze Bevölkerung. Seit dem Ausscheiden seiner Vorsitzenden Patricia de Lille im Jahr 2003, die nun Vorsitzende der PAC-Abspaltung Independent Democrats (ID) ist, verliert der PAC zunehmend an Bedeutung. Die ACDP wurde 1993 von dem evangelikalen Geistlichen Kenneth Meshoe gegründet. Wiewohl auch sie nur noch drei Abgeordnete im südafrikanischen Parlament hat, sollte ihr Einfluss nicht unterschätzt werden. Sie vertritt die wachsende Gruppe evangelikaler-charismatischer Christen, die sich für ein Rechtssystem basierend auf fundamentalen christlichen Werten einsetzen und zum Beispiel gegen die gleichgeschlechtliche Ehe oder Abtreibung sind.

Wahlen oder Zensus?

Im Jahr 2007, also knapp zwei Jahre vor der Gründung von COPE, veranlasste das Arnold-Bergstraesser-Institut eine repräsentative Meinungsbefragung in Südafrika. Wie die Wählerinnen und Wähler unterschiedlicher Hautfarben sich zu ihrer Parteipräferenz äußerten, ist in Tabelle 2 (vgl. Tabelle 2 in der PDF-Version) zusammengefasst. Die demographischen Fakten am Kap - 79 Prozent der Bevölkerung sind Schwarze, 9,6 Prozent Weiße, 8,9 Prozent "coloureds" und 2,5 Prozent Indischstämmige - spiegeln sich in den Ergebnissen wider: Wahlen in Südafrika sind nach wie vor ethnische Wahlen. Schwarze stimmen überwiegend für den ANC, Weiße und "coloureds" eher für die DA. Die ID steht bei "coloureds", Weißen und Indern in der Gunst, die SACP überdurchschnittlich hoch bei Indern. Die Minderheiten der Inder, Weißen und "coloureds" sind sich überdurchschnittlich häufig unsicher, wen sie wählen sollen, und enthalten sich überdurchschnittlich häufig der Stimme. Die befragten Südafrikanerinnen und Südafrikaner entschieden sich rational, nämlich überdurchschnittlich häufig für die Partei, von der oder auch von deren Führer bzw. Führerin sie die größte Unterstützung für ihre jeweilige Gruppe erwarten. Das wird besonders deutlich bei dem Zuspruch der "coloureds" für die ID, deren Parteivorsitzende Patricia de Lille ist.

Aber auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht, sind die Schwarzen keine einheitliche Wählerschaft. Die Unterschiede zwischen Arm und Reich sind größer geworden. Vom Aufschwung der Mbeki-Präsidentschaft profitierte eine erstarkende, kleine schwarze Mittelschicht. Insbesondere auf diese Gruppe zielte der Wahlkampf von COPE. Daher gewann die Partei auch wenige Stimmen in den ländlichen Gebieten und in den Townships. Zieht man noch einmal die erwähnte Meinungsbefragung hinzu, wird deutlich, dass im Vergleich zu einer Befragung von 2002 die Zahl der Südafrikaner, die sich wirtschaftlich besser gestellt fühlen und optimistischer in ihre eigene und die Zukunft ihrer Kinder schauen, deutlich angewachsen ist.

Lässt sich aber aus der weiter bestehenden Dominanz des ANC auf eine Gefahr für die Demokratie in Südafrika schließen? Ideologische Auseinandersetzungen finden innerhalb des ANC zwischen den verschiedenen Flügeln statt, weniger zwischen der Regierungspartei und den Oppositionsparteien. Und schließlich ist Südafrika nicht das einzige Land, das über viele Jahre von einer dominanten Mehrheitspartei regiert wurde: Man denke an die Kongresspartei in Indien, die Liberaldemokratische Partei in Japan oder die Democrazia Cristiana in Italien. In Italien endete die Herrschaft der Mehrheitspartei nach vier Jahrzehnten 1990, in Japan fand erst 2009 der erste Regierungswechsel seit 1947 statt. In Indien wurde die Kongresspartei unter Indira Gandhi 1977 nach drei Jahrzehnten abgewählt, errang aber drei Jahre später erneut die Mehrheit und ist seitdem, mit Ausnahme der Jahre 1989 bis 1991, wieder an der Macht. In allen drei Ländern wurde die Qualität des demokratischen Systems nie ernsthaft in Frage gestellt. Warum dann in Südafrika?

Der ANC ist erst im 16. Jahr seiner Herrschaft. Weitaus wichtiger für die Zukunft der Demokratie am Kap ist die Frage, ob sich die Gewaltenteilung und insbesondere die unabhängige Justiz weiter werden behaupten können. Bislang galt die Justiz in Südafrika als Garant für die Verfassung. Seit den Prozessen gegen Zuma und der umstrittenen Aufhebung der Verfahren gegen sind erste Kratzer im demokratischen Lack. Die Ernennung von Sandile Ngcobo zum neuen Vorsitzenden des Verfassungsgerichts durch den Präsidenten am 1. Oktober 2009 sowie die Ernennung vier weiterer Richter in das Gremium stießen auf weitgehende Zustimmung auch der Oppositionsparteien. Es ist freilich verfrüht, daraus zu schließen, dass auch Jacob Zuma die Gewaltenteilung ernst nimmt und ein Garant für die demokratische Entwicklung im neuen Südafrika sein kann und sein will.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Wahlbeteiligung ist 2009 auf 60 Prozent gesunken (von 86 Prozent 1994). "Coloureds" ("Farbige") ist ein Begriff aus Apartheidzeiten, der aus pragmatischen Gründen auch heute noch in Südafrika verwendet wird.

  2. Auch kleinere Parteien und die Regierungen der damaligen Homelands waren an den Gesprächen beteiligt. Letztendlich aber fielen die Entscheidungen in Absprache zwischen dem ANC und der National Party.

  3. Vgl. Allister Sparks, Tomorrow is Another Country. The Inside Stories of South Africa's Negotiated Revolutions, Wynberg 1995.

  4. Des Weiteren sollte eine Koalitionsregierung, an der alle großen Parteien beteiligt waren, bis zu den ersten Wahlen, die erst für das Jahr 1999 angesetzt waren, das Land regieren. Zunehmender Druck und Unruhen sowie die Ermordung des populären ANC-Mitglieds Chris Hanis und der Austritt der NP aus der Regierung hatten zur Folge, dass die ersten Wahlen bereits im April 1994 abgehalten wurden.

  5. Vgl. Gretchen Bauer/Scott D. Taylor (eds.) Politics in Southern Africa. State and Society in Transition, London 2005; Albert Venter/Chris Landsberg (eds.), Government and Politics in the New South Africa, Pretoria 2006.

  6. Vgl. Hermann Giliomee, South Africa's Emerging Dominant-Party Regime, in: Larry Diamond/Marc F. Plattner (eds.), Democratization in Africa, Baltimore-London 1999; Paul Graham/Alice Coetzee (eds.), In the Balance? Debating the State of Democracy in South Africa, Cape Town 2000.

  7. Hier geht es um Zumas angebliche Verstrickung in ein Waffengeschäft bzw. die Annahme von Bestechungsgeldern einer französischen Waffenfirma im Jahr 1999. Vgl. Paul Holden, Arms Deal in your Pocket, Johannesburg 2008.

  8. "Coloureds" und indischstämmige Südafrikaner erhielten 1984 das Wahlrecht im Drei-Kammer-Parlament. Ihre Häuser hatten freilich im Gegensatz zum weißen Parlament keine politische Macht. Vgl. Theodor Hanf, De la dite concordance en Afrique du Sud et de son utilisation a des fins utiles, in: Revue Internationale de Politique Comparée, (1997) 4, S. 567-678.

  9. Sobald eine Partei die für einen Sitz notwendige Stimmenzahl gewonnen hat, erhält sie einen Abgeordnetenplatz im Parlament.

  10. Vier Parteien gewannen bei den Wahlen 2009 je einen Sitz, eine Partei zwei Sitze, eine drei Sitze. Drei Parteien sind mit je vier Sitzen vertreten, die IFP mit 18, COPE mit 30, die DA mit 67 und der ANC mit 264.

  11. Vgl. Raymond Suttner, The African National Congress (ANC) as a Dominant Organisation: Power and Crisis of Power, Maputo 2008.

  12. Vgl. Helga Dickow, Südafrika zwischen Thabo Mbeki und Jacob Zuma, in: Theodor Hanf/Hans N. Weiler/Helga Dickow, Entwicklung als Beruf. Festschrift für Peter Molt, Baden-Baden 2009, S. 101 - 110.

  13. Die Entlassung des prominenten ANC-Häftlings Govan Mbeki wird als Vorbereitung der Apartheid-Regierung auf die Freilassung Mandelas gewertet. Mbeki engagierte sich sofort wieder für den ANC.

  14. Boesak trat allerdings im November 2009 aus COPE aus.

  15. Vgl. Roger Southall/John Daniel, Zunami! The 2009 South African Elections, Johannesburg 2009.

  16. Die Gefangenen auf Robben Island durften in der Öffentlichkeit nicht erwähnt werden, in Reden im Parlament freilich schon.

  17. Vgl. Franz Ansprenger, Inkatha Freedom Party: Eine Kraft im demokratischen Südafrika, Bonn 1999.

  18. Vgl. Helga Dickow, unveröff. Ms. zu religiösen Bewegungen in Südafrika, Freiburg/Br. 2009.

  19. Vgl. Jeremy Seekings/Nicoli Nattrass, Class, Race, and Inequality in South Africa, New Haven-New York 2005.

  20. Vgl. Valerie M?ller/Theodor Hanf, South Africa's New Democrats: A 2002 Profile of Democracy in the Making, Byblos 2007, S. 336ff.

  21. Vgl. Tom Lodge, South Africa's Party System, in: Journal of Democracy, 17 (2006) 3, S. 152 - 166.

Dr. phil., geb. 1959; Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arnold-Bergstraesser-Institut in Freiburg, Windausstraße 16, 79110 Freiburg/Br.
E-Mail: E-Mail Link: helgadickow@web.de