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Die große Ernüchterung: Zur Transformation der amerikanischen Weltmachtrolle | USA | bpb.de

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Die große Ernüchterung: Zur Transformation der amerikanischen Weltmachtrolle

Andreas Falke

/ 16 Minuten zu lesen

Drei Faktoren sprechen für eine reduzierte Weltmachtrolle der USA: die schwindende ökonomische Basis, die Dysfunktionalität des politischen Systems und die starken isolationistischen Strömungen in der Bevölkerung.

Einleitung

"I have often said to European friends: So, you didn't like a world of too much American power? See how you like a world of too little American power - because it is coming to a geopolitical theater near you."

Präsident Obama ist 2009 mit dem Anspruch einer umfassenden Transformation der amerikanischen Politik angetreten. Dieser bezog sich zuallererst zwar auf die Innen- und Wirtschaftspolitik, aber auch in der Außenpolitik war das Ziel, ein Kontrastprogramm zu der Politik seines Vorgängers George W. Bush zu entwickeln, das heißt stärker auf multilaterale Diplomatie, Einhaltung internationaler Normen und Konsultationen zu setzen. Hier war er nur partiell erfolgreich. Eine Weiterentwicklung internationaler multilateraler Regelsysteme und Institutionen ist trotz rhetorischer Bekenntnisse ausgeblieben. Die USA sind weder dem Internationalen Strafgerichtshof beigetreten noch haben sie das Kyoto-Protokoll unterstützt. Auch zum Abschluss der Doha-Runde der Welthandelorganisation WTO tragen sie zu wenig bei. Die Vorstellungen liberaler amerikanischer Theoretiker über eine neue, posthegemoniale Weltordnung scheinen sich nicht verwirklichen zu lassen, und auch die Aussichten auf eine "neu verhandelte" internationale Ordnung, in der die USA ihre Führungsposition durch Teilung von Führungsansprüchen und multilateraler Entscheidungsgewalt behalten, sind gering, zumal die US-amerikanische Einstellung zur Aufgabe von Souveränität und zum Eingehen von Bindungen an multilaterale Regelsysteme traditionell höchst ambivalent ist. Die einzigartige Stellung, die das Land nach dem Ende des Kalten Krieges im internationalen System einnahm, ist nicht mehr gegeben. Der "unipolare Moment" war ein kurzer, und die USA werden heute durch neue Mächte herausgefordert, insbesondere von China, das die USA als Ordnungsmacht wirtschaftlich wie sicherheitspolitisch aus Asien verdrängen will. Dabei ist unklar, wie weit die amerikanische Gegenmachtbildung gehen und ob man China in liberale, westliche Ordnungsvorstellungen einbinden kann. Schon in wenigen Jahren wird China die dominante Weltwirtschaftsmacht sein.

Schließlich wollte Obama das militärische Engagement im Irak beenden (der Abzug der US-Truppen soll Ende 2011 abgeschlossen sein), in Afghanistan dagegen die Truppen aufstocken, um die Taliban und al-Qaida zurückzudrängen, obgleich die Administration die Spannung zwischen counterinsurgency und counterterrorism nie zufriedenstellend auflösen konnte. Obama wies zwar die umfassende Definition eines war on terror zurück, doch die Sicherheitspolitik der USA kennzeichnet weiterhin eine aktive und invasive Terrorismusbekämpfung. Der Präsident hat zwar Korrekturen an Methoden der Terrorbekämpfung im Hinblick auf Folter, außerordentliche Auslieferungen und gerichtliche Überprüfungen von Inhaftierungen vorgenommen, gleichzeitig aber umstrittene Instrumente beibehalten. Die Praxis der unbegrenzten Inhaftierung ohne Prozess und der Militärtribunale gibt es nach wie vor, ebenso das Lager von Guantánamo. Entgegen offizieller Verlautbarungen sind die USA zu einem Abwägen zwischen nationaler Sicherheit und freiheitlichen Werten gezwungen. Insgesamt bestehen erhebliche Kontinuitätslinien zu der Bush-Administration, obwohl sich Ton, Stil und ursprüngliche Motivation unterscheiden. In diesem Beitrag argumentiere ich jedoch, dass die Transformation der amerikanischen Außenpolitik unter Obama nicht daran zu messen ist, inwieweit sich die Politik Obamas von der Vorgängeradministration unterscheidet, sondern daran, ob die USA weiterhin in der Lage sein werden, ihre Weltmachtrolle auf dem hergebrachten Niveau zu erhalten. Beide Administrationen haben auf eine expansive, interventionistische Rolle der USA gesetzt, ohne je kritisch zu hinterfragen, ob die ökonomische und politische Basis dafür gesichert ist. Die globale Finanzkrise und eine ausufernde Staatsverschuldung weisen jedoch darauf hin, dass diese Basis nicht mehr im gewohnten Ausmaße gegeben ist. In der öffentlichen Meinung machen sich bereits neo-isolationistische Tendenzen bemerkbar. Gleichwohl ist es voreilig, daraus auf eine neue Grunddeterminante der amerikanischen Außenpolitik zu schließen. Doch auch Experten fordern eine klare und genauer umrissene Definition amerikanischer Sicherheitsinteressen, die nicht ständig schwankt zwischen unpräzisen oder aufgebauschten Bedrohungsszenarien, dem missionarischen Hang zur demokratischen Transformation anderer Gesellschaften (democracy creationism) und dem Glauben, man sei in der Lage, die Probleme anderer Nationen durch humanitäre oder militärisch-interventionische Instrumente zu lösen.

Die große Ernüchterung bezieht sich also nicht darauf, dass die Obama- der Bush-Administration ähnlich sei, sondern darauf, dass sich die Ansprüche auf eine globale Führungsrolle unter dramatisch veränderten Umständen nicht mehr so einfach einlösen lassen. Die aktuelle Regierung sprach in ihrer National Security Strategy von 2010 von "nationaler Erneuerung und globalem Führungsanspruch", wobei erstere als die Voraussetzung für die Durchsetzung des globalen Führungsanspruchs genannt wurde. Wie es aussieht, werden beim Führungsanspruch erhebliche Abstriche in Kauf genommen werden müssen. Es mag dann ausschließlich das Gebot Obamas gelten: "America, it is time to focus on nation-building here at home."

Schwindende ökonomische und fiskalische Basis

Die seit 2007 laufende Wirtschafts- und Finanzkrise hat das amerikanische Wirtschaftsmodell, das auf einer kreditgetriebenen Aufblähung des Immobilien- und Bausektors beruhte, nachhaltig geschwächt. Die Wirtschaft zeigt langfristige Stagnationserscheinungen, wobei der überschuldete Immobiliensektor die Achillesferse bleibt. Die sich über die vergangenen zehn Jahre hinziehenden kriegerischen Verwicklungen kosteten die USA durchschnittlich zwischen 150 und 200 Milliarden US-Dollar im Jahr und haben zusammen mit dem Kampf gegen den Terror zu einer Verdopplung des Verteidigungshaushaltes seit 2001 geführt. Die Kriege wurden auf Kredit finanziert, Steuererhöhungen beziehungsweise die Aussetzung von Steuersenkungen wurden nicht ins Auge gefasst. Allein die Kosten des Engagements im Irak werden von Experten auf drei Billionen Dollar geschätzt, was die Handlungsfähigkeit der USA dauerhaft einschränken werde.

Unabhängig davon, wie realistisch diese Schätzungen sind, ist es eine Tatsache, dass die USA mit einer ernsthaften Haushalts- und Schuldenkrise konfrontiert sind. Die Neuverschuldung wird 2011 mit 1,5 Billionen Dollar fast zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erreichen, und die Gesamtverschuldung wird von 40 Prozent des BIP vor der Krise auf über 70 Prozent steigen. Die auch von Obama lange vernachlässigte Staatsverschuldung ist somit zu einem der Hauptprobleme der USA geworden. Die von der Regierung einberufene Commission on Fiscal Responsibility zeichnete 2010 ein dramatisches Szenario: Die Ausgaben beliefen sich auf fast 24 Prozent des BIP, die Einnahmen dagegen nur auf 15 Prozent. Bei unverändertem Ausgabeverhalten und Fortschreibung des geltenden Steuerrechtes würden die Einnahmen 2025 gerade ausreichen, um die Gesundheits- und Rentenprogramme und den Schuldendienst abzudecken. Die Gesamtverschuldung würde größer sein als die amerikanische Volkswirtschaft und bis 2035 185 Prozent des BIP erreichen. Die zu erwartende Verschuldung bewege sich auf bislang unbekannte Dimensionen zu, was eine Schuldenkrise und den Verlust des Vertrauens der Finanzmärkte zur Folge haben könnte.

Eine nachhaltige Haushaltkonsolidierung ist unumgänglich geworden. Die parteiübergreifende Kommission hielt eine Defizitreduzierung von vier Billionen US-Dollar für notwendig, die zu zwei Dritteln aus Ausgabenkürzungen und zu einem Drittel aus Einnahmeverbesserungen bestehen sollte. Zum Beitrag des Verteidigungshaushalts machte die Kommission nur vage Angaben. Die Kürzungsvorschläge betrafen vor allem die Gesundheits- und Sozialprogramme. Obama ignorierte jedoch die Vorschläge und sah sich schließlich nach den Zwischenwahlen im November 2010 im Kongress mit einer republikanischen Mehrheit konfrontiert, welche die Haushaltskonsolidierung alleine durch Ausgabenkürzungen erreichen wollte. Damit wurde aber auch die Frage nach einer Kürzung des nationalen Sicherheitsetats aufgeworfen. Die von Erpressungsmanövern durch die Republikaner gekennzeichnete Auseinandersetzung um die Defizitreduzierung führten schließlich zu einem Kompromiss, dem zufolge die vereinbarten Reduzierungsziele - sollte in einem überparteilichen Sonderausschuss des Kongresses ("Super-Komitee") keine Einigung erreicht werden - bis 2021 durch automatische Kürzungen um 1,2 Billionen US-Dollar zu erreichen sind, die zu gleichen Teilen den Verteidigungshaushalt und innenpolitische Programme betreffen. Dieser Fall ist Ende November 2011 eingetreten: Der Ausschuss erklärte die Verhandlungen für gescheitert. Entscheidend und besonders verhängnisvoll ist hier nicht allein der Umfang der Kürzungen, sondern dass diese nun voraussichtlich mechanisch, ohne Diskussion strategischer Ziele vorgenommen werden. Schlimmstenfalls könnten die Kürzungen im nationalen Sicherheitsbereich nun eine Billion Dollar betragen, was die Möglichkeit militärischer Machtprojektion erheblich einschränken würde.

Die Diskussion darüber ist jedoch facettenreich. Der Vorsitzende des Streitkräfteausschusses, Admiral Mike Mullen, bezeichnete die wachsende Neuverschuldung und das staatliche Verschuldungsniveau selbst als "die größte Sicherheitsbedrohung". Da eine ausufernde nationale Verschuldung zu wirtschaftlichen Instabilitäten führen könnte, dient letztlich auch eine zielgerichtete Haushaltskonsolidierung der Aufrechterhaltung der Weltmachtrolle der USA. Die USA vereinigen immer noch fast die Hälfte aller globalen Militärausgaben auf sich (45 Prozent). Der verteidigungspolitische Experte der Brookings Institution, Michael O'Hanlon, hält eine Kürzung des Verteidigungsetats um zehn Prozent über einen Zeitraum von zehn Jahren für möglich, was im Einklang mit einer weniger ausgreifenden Außenpolitik (less assertive foreign policy) stünde. Allerdings verweisen konservative Sicherheitsexperten auf strategische Risiken, insbesondere im Hinblick auf mögliche Konfliktszenarien mit Nordkorea, Iran und insbesondere China, sollte es angesichts der chinesischen Aufrüstung zu einer verstärkten Sicherheitskonkurrenz kommen.

Die budgetäre Lage zeigt jetzt schon Auswirkungen auf die Strategiediskussion. So wird für eine Revitalisierung der Powell-Doktrin geworben, nach der die USA nur bei klarer strategischer Zielsetzung überwältigende militärische Macht einsetzen sollen, um ihre Ziele rasch zu erreichen. Auszuschließen wären budgetär belastende, langwierige militärische Unternehmungen mit diffusen Zielsetzungen. Insofern bieten die budgetären Restriktionen einen gewissen Schutz gegen ausufernde militärische Machtprojektion, vor allem gegen sogenannte Kriege nach Belieben (wars of choice). Die "frugale" Supermacht wird weniger interventionsfreudig, allerdings auch weniger fehleranfällig sein, weil budgetäre Kontrollmechanismen greifen werden. Aber auch die Reichweite strategischer Entwürfe wird beschränkt sein. Nach diesen Ansätzen wäre die Aufrechterhaltung einer enger umschriebenen Weltmachtrolle möglich, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass die Anpassung rational erfolgt und nicht durch dysfunktionale Entscheidungsprozesse oder populistische Tendenzen untergraben wird. Dies ist aber nach den jüngsten Erfahrungen mit der Haushalts- und Fiskalpolitik und mit dem Aufstieg der Tea Party nicht ausgeschlossen.

Dysfunktionalität des politischen Systems

Die Auseinandersetzung um Haushaltskonsolidierung und die Anhebung der Verschuldungsobergrenze haben die ganze Dysfunktionalität der amerikanischen Politik offen gelegt, welche die Entscheidungsfindung selbst in Routinefragen lähmt. Dieser Zustand hat mit der asymmetrischen Polarisierung zwischen den Parteien zu tun, die auf den extremen Schwenk der Republikaner nach rechts zurückzuführen ist und starke Merkmale der Realitätsverweigerung in sich trägt. Diese zeigt sich besonders bei der dogmatischen Ablehnung jeglicher Steuererhöhungen zur Haushaltskonsolidierung (tax pledge). Selbst Kompromisse, die weitgehend den Vorstellungen der Republikaner entsprachen, scheiterten am radikalen Flügel. Doch ein System der ausgefeilten Gewaltenteilung funktioniert nur, wenn moderate Kräfte Brücken der Kooperation schaffen können. Dies ist aber bei dem gegenwärtigen Zustand der Republikaner äußerst fraglich. Und es hat wenig Anschein, dass sich dies bis zu den Wahlen 2012 ändert. Die festgefahrenen Konfliktlinien haben sich auch im gescheiterten "Super-Komitee" wiedergefunden, mit der Folge, dass bis auf weiteres keine Klarheit über den Umfang der für Außen- und Sicherheitspolitik zur Verfügung stehenden Ressourcen zu erwarten ist. Außerdem sind Präsident Obama und der Kongress durch die Auseinandersetzungen um die Fiskalpolitik beschädigt: Obama hat sich als erpressbar gezeigt, der Kongress hat sich in Grabenkämpfen verschlissen, wodurch das politische System insgesamt an Vertrauen verloren hat.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Dysfunktionalität und der Ansehensverlust des politischen Systems auf außenpolitische und strategische Fragen übergreifen. Diese Lähmung im politischen Entscheidungsprozess zu Zeiten einer ungelösten Wirtschafts- und Finanzkrise wirft die Frage nach der Führungsfähigkeit der USA auf. Der Zustand der USA wird von Rivalen und Partnern besonders in Asien beobachtet, tangiert sie doch die Einschätzung ihrer zukünftigen Weltmachtrolle. Ein System, das in essentiellen Fragen wie der Verschuldung und des Verteidigungshaushaltes keine klaren Entscheidungen treffen kann, verliert an Glaubwürdigkeit. So schwindet nicht nur die ökonomische Basis für die Aufrechterhaltung der eigenen Weltmachtrolle, sondern auch das Ansehen.

Amerikanischer Neo-Isolationismus?

Anders als bei den Zwischenwahlen 2006 haben die aktuellen außenpolitischen Konflikte und die langfristigen strategischen Optionen bei den midterm elections 2010 keine Rolle gespielt. Schon dieser Befund verweist darauf, dass die Wählerschaft nach innen gekehrt und die Fortschreibung der amerikanischen Weltmachtrolle, zumindest in ihrer bisherigen Form, unsicher ist. Ob man derartige Tendenzen schon als Neo-Isolationismus bezeichnen sollte, sei dahin gestellt, sicherlich gibt es aber strukturelle Faktoren, die isolationistische Tendenzen begünstigen. Richard N. Haass vom Council on Foreign Relations hat eine zeitgemäße Definition des Neo-Isolationismus gegeben: "Isolationism is the willful turning away from the world even when a rigorous assessment of U.S. interests argues for acting", also die bewusste Abkehr von außenpolitischem Engagement, wenn die nationalen Interessen der USA aktive Beteiligung nahelegen.

Ein Symptom für neo-isolationistische Tendenzen ist die Entstehung der Tea Party, einer heterogenen Bewegung des rechten Anti-Establishment-Populismus. Während sich die bisherigen Themen der Tea Party auf Zurückdrängung des Staates in der Wirtschaft, Ausgabenkürzungen und Rückkehr zu einem Staats- und Verfassungsverständnis des 19. Jahrhunderts konzentrieren, ist ihre Positionierung hinsichtlich der amerikanischen Weltmachtrolle nicht klar. Eindeutig isolationistisch ist der libertäre Flügel, der vom republikanischen Abgeordneten Ron Paul repräsentiert wird. Hier wird jeglichem internationalem Engagement, vor allem der Rolle der USA als Weltpolizist, abgeschworen. Der andere, von Gouverneur Rick Perry und Michele Bachmann vertretene Flügel setzt auf eine robuste Reaktion auf den internationalen Terrorismus, verbunden mit einer vorbehaltlosen Unterstützung Israels im Nahostkonflikt, während nicht nur der laufende Abzug aus dem Irak befürwortet, sondern auch für einen raschen Abzug aus Afghanistan plädiert wird. Der Fokus auf Israel und die Abwehr terroristischer Bedrohung halten isolationistische Impulse ebenso in Schach wie die Perzeption des iranischen Atomprogramms als Risikofaktor. Was die beiden Flügel vereint, ist eine Ablehnung des liberalen Internationalismus, der Förderung multilateraler Institutionen und rechtlicher Verpflichtungen, sei es der Internationale Strafgerichtshof oder ein internationales Klimaschutzregime.

Nicht unerheblich ist zudem, dass sich der Anti-Elitismus der Tea-Party-Bewegung in einer Abneigung gegen Experten, geschultes und abwägendes Urteilsvermögen und informierte Expertise manifestiert und sich damit gegen alle Institutionen wendet, welche die internationale Verflechtung der USA organisieren, analysieren und befürworten. Zur Bewertung der außenpolitischen Rolle der USA genügt ihren Anhängern das eigene moralistische Werteraster und eine krude Risikoperzeption, aus der sich die notwendigen Aktionen und Reaktionen ergeben. Genaue Vorstellungen über die Komplexität internationaler Problemlagen, spezifischer kultureller, politischer und wirtschaftlicher Faktoren werden von Tea-Party-Exponenten nicht für nötig erachtet. In dieser Abwendung von der Perzeption der komplexen Problemlagen des internationalen System liegt der Kern des Neo-Isolationismus, dessen konkrete Auswirkungen gegenwärtig noch nicht abzuschätzen sind.

Laut Anfang 2011 veröffentlichter Umfragen halten zwei Drittel der Amerikaner den Krieg in Afghanistan für nicht länger führenswert. Kann dies noch als Kriegsmüdigkeit interpretiert werden, lassen sich andere Ergebnisse deutlicher als Zeichen einer neo-isolationistischen Stimmung werten: 58 Prozent der Amerikaner glauben, dass sich die USA weniger um Probleme jenseits der Grenzen kümmern sollten, 65 Prozent wollen Verpflichtungen im Ausland reduzieren. Besonders unpopulär ist Entwicklungshilfe, gegen die sich 72 Prozent aussprechen. Am stärksten ist die Veränderung bei Republikanern, die zu 58 Prozent für einen Rückzug aus Afghanistan plädieren (2009: 36 Prozent); 57 Prozent sprechen sich dafür aus, dass die USA in transatlantischen Fragen auf Distanz zu den Europäern gehen sollten; 51 Prozent halten asiatische Nationen für wichtiger. Allerdings wird China von zwei Dritteln der Republikaner als negativ gesehen, 72 Prozent nehmen China vor allem als ökonomische Bedrohung wahr. Die Basis der Republikanischen Partei vollzieht einen isolationistischen Schwenk, der sie sowohl von der Politik von George W. Bush wie der von Barack Obama absetzt. Traditionell stärkere neo-isolationistische Tendenzen zeigt die demokratische Kernwählerschaft. Sie unterstützt mit mehr als 70 Prozent eine Reduzierung militärischer Verpflichtungen und lehnt eine Außenpolitik auf der Basis von militärischer Stärke ab.

In einer interdependenten Welt ist ein konsequenter Neo-Isolationismus keine Option, und öffentliche Stimmungen übersetzen sich nicht automatisch in Politik, zumal das internationalistische Establishment in Wissenschaft, Wirtschaft und Medien an Ost- und Westküste immer noch stark ist. Doch die amerikanische Politik wird sich wachsenden neo-isolationistischen Stimmungen nicht einfach entziehen können. Die Strukturen und Ereignisse, die diese Stimmungen befördern - die Wirtschaftskrise und die Desillusionierung hinsichtlich militärischen Engagements -, werden weiterhin wirksam sein. Für die amerikanische Politik gilt es also, eine Strategie zu entwickeln, die diese Trends berücksichtigt.

Zukunft der amerikanischen Weltmachtrolle

Die Debatte über die Zukunft der amerikanischen Weltmachtrolle hat begonnen und wird von den drei hier genannten Faktoren geprägt werden: der schwindenden ökonomischen Basis, der Dysfunktionalität des politischen Systems und den starken neo-isolationistischen Strömungen in der amerikanischen Bevölkerung. All diese Faktoren sprechen für eine reduzierte Weltmachtrolle, für eine Rücknahme von Verpflichtungen und für eine Konzentration auf klar umrissene strategische Optionen. Doch welche Optionen bieten sich an? Demokratieförderung, humanitäre Interventionen oder die Bekämpfung des Terrorismus sind als Konzepte schwierig durchzuhalten, teilweise sehr kostspielig oder wie der "Krieg gegen den Terror" keine nachhaltige außenpolitische Strategie. Einem Ausbau liberaler multilateraler Regelsysteme - obwohl langfristig sicherlich wünschenswert, um die neuen Mächte wie China in Fragen der internationalen Klimaschutzpolitik, der Konkurrenz um Ressourcen oder des Schutzes geistigen Eigentums zu binden - fehlt gegenwärtig die Unterstützung aller relevanten Akteure. Dies spricht für eine Strategie der Wiedergewinnung innerer Stärke, also der Wiederherstellung humaner und physischer Infrastruktur und Ressourcen. Daraus leitet sich eine fiskalische Konsolidierungsstrategie ab, die sowohl die Ausgabendynamik begrenzt als auch Einnahmeverbesserungen und wichtige Investitionen in Bildung und Infrastruktur zulässt. Wenn die Wiedergewinnung innerer Stärke im Vordergrund steht, muss auch der explizit sicherheitspolitische Sektor einen Beitrag leisten. Außenpolitisch bedeutet eine derartige Strategie den Verzicht auf kostspielige internationale Interventionen, die den Test der Übereinstimmung mit vitalen nationalen Interessen nicht bestehen. Dies zeigt sich in der Hinwendung zu einer counterterrorism-Strategie im Afghanistan-Krieg sowie in der sehr viel sorgfältigeren Bewertung von Bedrohungsszenarien und Handlungsoptionen bezüglich des iranischen Atomprogramms.

Die große Ernüchterung besteht im Kern darin, dass die politische und wirtschaftliche Lage die USA dazu zwingt, eine Bestandsaufnahme amerikanischer Handlungsoptionen vorzunehmen. Damit steht die bisherige Annahme zur Disposition, man könne alles erreichen, ohne je eine Kostenrechnung aufzumachen. Auch ist nicht abzusehen, wie die Strategiedebatte für die "frugale Supermacht" ausgehen wird. Sie findet innerhalb der Zwänge eines dysfunktionalen politischen Systems statt, das leicht argumentative wie reale Verwerfungen und Verzerrungen produziert. Auch wird die Debatte nicht linear oder konsistent sein. Die Tea Party mag augenblicklich isolationistische Signale senden, doch Meinungsumfragen zeigen, dass ihre Anhänger - wenn auch mit knappen Mehrheiten - auf Frieden durch militärische Stärke setzen und eine Reduzierung des Verteidigungshaushaltes ablehnen, was sie in diametralen Gegensatz zum demokratisch-liberalen Spektrum setzt. Auch der bedingungslose Einsatz der Tea Party für Israel ist mit Isolationismus nicht vereinbar. Umgekehrt ist es durchaus möglich, dass eine auf automatische Kürzungen und Ausgewogenheit setzende Haushaltskonsolidierung das strategisch akzeptable Maximum an Kürzungen überschreitet und die militärischen Handlungsoptionen beschneidet.

Die Debatte um die Rolle der USA als Weltmacht steht noch am Anfang. Sie wird zudem über Stellvertreterdebatten geführt, etwa über den Umfang des Verteidigungshaushalts oder die Geschwindigkeit des Rückzugs aus Afghanistan. Die schrumpfende Ressourcenbasis muss nicht notwendig in einen Neo-Isolationismus münden. Zu rechnen ist vielmehr mit einer permanenten Auseinandersetzung zwischen jenen, die sich für die Fortsetzung des internationalen Engagements und die Aufrechterhaltung militärischer Kapazitäten aussprechen, und den Befürwortern einer verstärkten Binnenorientierung, die sich aber den ökonomischen und budgetären Zwängen sowie den nicht kontrollierbaren Tendenzen des polarisierten politischen Diskurses kaum werden entziehen können. Dass die Debatte unter solch widrigen Umständen geführt werden muss, ist die eigentliche Ernüchterung, gerade für die außenpolitische Elite in den USA. Sie könnte sich nur dann versachlichen, sollte sich das strategische Umfeld günstig gestalten. Doch dafür gibt es keine Garantie, wie die historischen Umwälzungen im Nahen Osten und die immer selbstbewusstere Artikulation hegemonialer Ansprüche Chinas in Ostasien zeigen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Thomas L. Friedman, Superbroke, Superfrugal, Superpower?, in: The New York Times vom 4.9.2010, online: www.nytimes.com/2010/09/05/opinion/
    05friedman.html (23.11.2011).

  2. Vgl. G. John Ikenberry, Liberal Leviathan, Princeton 2011, S. 279-332.

  3. Vgl. Aaron L. Friedberg, A Contest for Supremacy. China, America, and the Struggle for Mastery in Asia, New York 2011; Martin Jaques, The Case for Countering China's Rise, in: The New York Times Book Review vom 23.9.2011; G.J. Ikenberry (Anm. 2), S. 342-348.

  4. Vgl. Martha Crenshaw, The Obama Administration and Counterterrorism, in: James A. Thurber (ed.), Obama in Office, Boulder 2011, S. 243-253; Benjamin Wittes, Detention and Denial, Washington, DC 2011, S. 139-146.

  5. Vgl. Leslie H. Gelb, Our Foreign Policy Blind Spots, in: Democracy, (2011) 22, S. 19-22, online: www.democracyjournal.org/pdf/22/our_foreign
    _policy_blind_spots.pdf (23.11.2011).

  6. Vgl. Anne-Marie Slaughter, Our Waning Confidence, in: Democracy, (2011) 22, S. 30-33, online: www.democracyjournal.org/pdf/22/our_
    waning_confidence.pdf (23.11.2011).

  7. Zit. nach: CNN, Obama announces Afghanistan troop withdrawal plan, 22.6.2011, online: http://articles.cnn.com/2011-06-22/politics/afghanistan.troops.drawdown (23.11.2011).

  8. Vgl. Peter I. Crabbe/Michael Kuczynski, Debt-for-lease swap could revive US housing market, in: Financial Times vom 28.9.2011, S. 10.

  9. Vgl. Linda J. Bilmes/Joseph E. Stiglitz, The Iraq War Will Cost Us $3 Trillion, and Much More, in: The Washington Post vom 9.3.2008, online: www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2008/03/07/AR20080
    30702846.html (23.11.2011).

  10. Vgl. Andreas Falke, US-amerikanische Haushaltspolitik: Politik am Rande des Abgrundes?, in: Orientierungen, (2011) 129, S. 32-38.

  11. Vgl. National Commission on Fiscal Responsibility and Reform, The Moment of Truth, Washington, DC Dezember 2010, S. 10f.

  12. Vgl. ebd., S. 21f.

  13. Vgl. A. Falke (Anm. 10), S. 36f.

  14. Adm. Mike Mullen: 'National Debt Is Our Biggest Security Threat', 26.10.2010, online: www.huffingtonpost.com/2010/06/24/adm-mike-mullen-national_n_624096.html (23.11.2011).

  15. Vgl. Michael O'Hanlon, Defense Budgets and American Power, Washington, DC 2010, S. 3.

  16. Vgl. The Future of National Defense and the U.S. Military Ten Years After 9/11: Perspectives from Outside Experts. Anhörung vor dem Armed Services Committee, 13.9.2011, online: http://armedservices.house.gov/index.cfm
    /hearings-display?ContentRecord_id=2a1516c6-c8b1-48a7-9717-6f1dcbc06eb4 (23.11.2011).

  17. Vgl. M. O'Hanlon (Anm. 15), S. 22; Martin Indyk et al., The Defense Budget and American Power, 22.12.2010, online: www.brookings.edu/events/2010/1222_
    defense_budget.aspx (23.11.2011).

  18. Vgl. Michael Mandelbaum, The Frugal Superpower, New York 2010, S. 1-7.

  19. Vgl. Toni Johnson, Washington's Decision Deficit, 30.9.2011, online: www.cfr.org/united-states/washingtons-decision-deficit/p26083 (23.11.2011).

  20. Vgl. Martin Indyk et al., Has America's Political Dysfunction Undermined Its Position as the World's Remaining Superpower?, 16.8.2011, online: www.brookings-tsinghua.cn/~/media/Files/events/2011/
    0816_superpower/20110816_america
    _superpower.pdf (23.11.2011), S. 4.

  21. Vgl. A. Falke (Anm. 10), S. 6.

  22. Vgl. M. Indyk et al. (Anm. 20), S. 14.

  23. Richard N. Haass, Bringing Our Foreign Policy Home, in: Time Magazin vom 8.8.2011, online: www.cfr.org/us-strategy-and-politics/bringing-our-foreign-policy-home/p25514 (23.11.2011).

  24. Vgl. Walter Russell Mead, The Tea Party and American Foreign Policy, in: Foreign Affairs, 90 (2011) 2, S. 28-44.

  25. Vgl. Nearly two-thirds of Americans say Afghan war isn't worth fighting, in: The Washington Post vom 15.3.2011, online: www.washingtonpost.com/world/poll-nearly-two-thirds-of-americans-say-afghan-war-isnt-worth-fighting/2011/03/14/ABRbeEW_story.html (23.11.2011).

  26. Vgl. Bruce Stokes, The US Public Wants Disengagement, 14.9.2011, online: http://yaleglobal.yale.edu/content/us-public-wants-disengagement (23.11.2011); Pew Research Center, Strong on Defense and Israel, Tough on China. The Tea Party and Foreign Policy, 7.10.2011, online: www.people-press.org/2011/10/07/strong-on-defense-and-israel-tough-on-china (23.11.2011).

  27. Vgl. dazu die Diskussion in R.N. Haass (Anm. 23).

  28. Ähnlich wie Haass argumentiert T. L. Friedman (Anm. 1).

  29. Vgl. Pew Research Center (Anm. 26).

  30. Vgl. James Blitz, Nato's Libyan triumphs conceal deeper malaise, in: Financial Times vom 3.10.2011.

Dr. rer. soc., geb. 1952; Professor für Auslandswissenschaften an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Findelgasse 7-9, 90402 Nürnberg. E-Mail Link: andreas.falke@wiso.uni-erlangen.de