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Zivilgesellschaft in Indonesien | Indonesien | bpb.de

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Zivilgesellschaft in Indonesien

Marc Frings

/ 14 Minuten zu lesen

Die indonesische Zivilgesellschaft hat seit 1998 stark an Relevanz gewonnen. Insbesondere Nichtregierungsorganisationen treten zunehmend politisch und selbstbewusst auf und erfüllen gegenüber den Mächtigen eine wichtige watchdog-Funktion.

Einleitung

Die Bedeutung einer lebendigen Zivilgesellschaft, verstanden als Motor politischer Veränderungen, kann für den Erfolg eines Demokratisierungsprozesses nicht hoch genug eingestuft werden. Ihre dauerhafte öffentliche Präsenz gilt als Gradmesser für eine stabile Demokratie, sofern sie frei von politischer Einmischung "von oben" agiert. Dabei liegt es in der Hand der jeweils Regierenden, den zivilgesellschaftlichen Handlungsspielraum zu definieren, der das Verhältnis zwischen den Bürgerinnen und Bürgern einerseits und der staatlichen Gewalt andererseits mitbestimmt. Als zwingende Voraussetzung für Demokratie erfordert Zivilgesellschaft die Existenz umfassender Freiheitsrechte wie Meinungs-, Rede-, Presse- und Versammlungsfreiheit, um sich wirksam entfalten zu können. Nur wenn diese vorhanden sind, kann eine Zivilgesellschaft zu einer konstruktiven "Gegenmacht" im außerparlamentarischen Raum werden, welche die Politik auf andere, zumeist marginalisierte Themen und gesellschaftliche Schichten hinweist und Lösungsvorschläge aufzeigt.

Ihre organisatorische Ausgestaltung kann mannigfaltig sein. Gewerkschaften und Verbände zählen ebenso dazu wie spontane und kurzfristige Massen- und Protestbewegungen. Hinzu kommen akademische Forschungsbetriebe, Medien und soziale Organisationen. Die prominenteste Organisationsform ist die Nichtregierungsorganisation (non-governmental organisation, NGO). Der Begriff NGO unterstreicht die Distanz zur institutionalisierten Politik - eine Trennlinie, die in Zeiten politischer Kooptation jedoch schwindet. Politische Parteien können nicht zur Zivilgesellschaft gerechnet werden, da sie unter anderem den Erwerb politischer Macht anstreben. Allerdings formen sie als intermediäre Akteure eine Brücke von der Gesellschaft zum formalen Politikprozess und vice versa, weshalb sie im Folgenden Berücksichtigung finden. Obgleich das Zivilgesellschaftsmodell vor der Kulisse westlicher Demokratisierungsprozesse entstand, haben sich viele Charakteristika als universell bestätigt. Weiterhin sind aber kulturelle, regionale und historische Besonderheiten zu berücksichtigen. Mehrheitlich wird davon ausgegangen, dass die Zivilgesellschaft mit einem normativen Wertekatalog einhergeht, der sich am globalen Menschenrechtsdiskurs orientiert. Das ist insofern unvollständig, als auch Organisationen mit demokratiefeindlichen oder -kritischen Positionen Teil der Zivilgesellschaft sein können.

Seit 2006 erhält Indonesien von der US-amerikanischen Denkfabrik Freedom House, einem führenden Institut zur Messung von Demokratie und politischen Freiheiten, das Prädikat "frei" und steht damit hinsichtlich seiner demokratischen Performanz an der Spitze der südostasiatischen Staaten. In diesem Beitrag wird der Frage nachgegangen, welche Entwicklung die indonesische Zivilgesellschaft seit der Unabhängigkeit des Landes von der niederländischen Kolonialmacht durchlaufen hat. Dabei wird gezeigt, dass es ihr immer wieder gelungen ist, sich den jeweiligen politischen und sozialen Bewegungsgrenzen anzupassen. Heute unterliegt sie weitestgehend Trends, wie sie vergleichsweise auch in anderen sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländern vorzufinden sind. Dazu zählt die doppelte Herausforderung der Zivilgesellschaft, sowohl ihren eigenen Platz in der postautoritären Ordnung zu finden und diesen zu bewahren, als auch interne Anpassungsleistungen zu vollziehen, um den aktuellen (entwicklungs-)politischen Spielregeln gerecht zu werden. Ferner eignet sich Indonesien, um exemplarisch kulturelle und regionale Besonderheiten einer zivilgesellschaftlichen Genese zu skizzieren. Dominierende Faktoren hierfür waren die spezifischen Berührungspunkte mit der niederländischen Kolonialverwaltung und der autoritären Herrschaft bis 1998.

Kaum Luft zum Atmen: zwischen Kolonialisierung und "Neuer Ordnung"

Die Anfänge zivilgesellschaftlichen Lebens in Indonesien gehen zurück auf die Zeit der niederländischen Kolonialzeit, als sich lokale Gemeinden Themen wie Bildung, Soziales und Mikrokrediten annahmen. Das gewerkschaftliche Leben nahm hier ebenfalls seinen Anfang; zudem fiel die Gründung religiöser Massenorganisationen wie der Muhammadiyah (1912) und der Nahdatul Ulama (1926) in diese Phase. Obgleich kontrovers diskutiert wird, ob religiöse Gruppen Teil der Zivilgesellschaft sind, spricht ihre oftmals karitative und soziale Agenda eindeutig dafür. Ein weiteres Argument findet sich in der Debatte um eine adäquate Übersetzung des Zivilgesellschaftsbegriffs ins Indonesische. Während masyarakat madani auf die Herrschaft des Propheten Muhammed über die Gemeinde in Medina (umma) rekurriert - ein Bild für die erstrebenswerte demokratische und freiheitliche Ordnung - und damit als islamisches Verständnis von Zivilgesellschaft anzusehen ist, steht masyarat sipil für eine säkulare Übersetzung.

Präsident Sukarno (1945-1967) griff in den ersten Regierungsjahren die gesellschaftliche Partizipation am Aufbauprozess des unabhängigen Indonesiens auf. Ab der "gelenkten Demokratie" (1959) und spätestens in der "Neuen Ordnung" unter General Suharto (1967-1998) hatte die gesellschaftliche Komponente einem rein ökonomisch durchdachten Entwicklungsansatz zu weichen. Politische Teilhaberechte wurden beschnitten, Massenorganisationen verboten, die Medien unter staatliche Bewachung gestellt und das Parteiensystem auf drei Kräfte beschränkt. Die ersten Unabhängigkeitsjahre, als beispielsweise Gewerkschaften und Studenten noch am Politikprozess teilnehmen konnten, gerieten zu einem kurzen Demokratieexperiment zwischen der bis 1949 reichenden kolonialen (externen) und der 1959 einsetzenden autoritären (internen) Besatzung des öffentlichen Raums. Die Unterdrückung gesellschaftlicher Partizipationsforderungen in Indonesien durch das autoritäre Regime korrespondierte mit politischen Entwicklungen in der gesamten südostasiatischen Region.

Ihrer politischen Instrume beraubt, hielten NGOs der "Neuen Ordnung" stand, indem sie sich Suhartos Entwicklungsparadigma anpassten und in die Lücken seiner Wirtschaftspolitik sprangen. Sogenannte development-NGOs fokussierten ihre Arbeit ab den 1970er Jahren auf marginalisierte Gruppen der verarmten Unterklasse. Der Anpassungsdruck katapultierte die NGOs zwar in einen apolitischen Raum, eröffnete ihnen zugleich aber eine Überlebensstrategie. Eine nachwirkende Leere verursachte die politische systematische Verfolgung von Kommunisten nach dem gescheiterten Putschversuch von 1965. Infolge eines grassierenden Antikommunismus wurde die politische Linke geschwächt und weitestgehend aus der Öffentlichkeit verbannt.

Entgegen der modernisierungstheoretischen Annahme, die Chance einer erfolgreichen Demokratisierung wachse mit dem Wohlstand einer Gesellschaft, gelang Suharto der ökonomische Erfolg bei gleichzeitiger Kooptation und Marginalisierung entscheidender Vetomächte. Daran änderte sich auch in den 1980er Jahren nichts, als das globale Aufkeimen von Umweltthemen, auch bedingt durch Konflikte um Land in der Peripherie, Einzug in Indonesien hielt. Interessenorganisationen (advocacy-NGOs), die als neue NGO-Kategorie entstanden und bald weitere Themen aufgriffen, hielten sich weiter an das Gebot der politischen Zurückhaltung.

Glasnost auf Indonesisch: 1998 und die Folgen

Ein Paradigmenwechsel setzte erst in den 1990er Jahren ein, als trotz unveränderter rechtlicher und politischer Repressionen Menschenrechtsverstöße angeprangert und demokratische Reformen immer lauter gefordert wurden. Eine begrenzte Liberalisierung (keterbukaan), die Ende der 1980er Jahre eingeführt, aber schon 1994 zurückgenommen wurde, bestärkte die kritischen Teile der Zivilgesellschaft in ihrem Kampf für Veränderungen. Hinsichtlich der Relevanz Letzterer beim Sturz Suhartos 1998 gehen die Einschätzungen auseinander: Zwar werden die Studentenproteste, die Rolle der Medien und die Einführung des Reformdiskurses als Verdienste gewürdigt, als entscheidender gilt vielen Beobachtern aber die Asienkrise von 1997. Es waren die immensen sozioökonomischen Konsequenzen, die sich in der breiten Gesellschaft durch Inflation und Massenarmut bemerkbar machten. Im Ergebnis darf aber die sukzessive Besetzung politischer Themen durch die Zivilgesellschaft nicht unterschätzt werden. Erst diese Bewusstseinsänderung ließ die Bürgerinnen und Bürger sowohl für sozioökonomische als auch für politische Veränderungen auf die Straßen gehen.

Betrachtet man also den Ort des Öffentlichen in Indonesien bis 1998, stand dieser unter alleiniger Hoheit von General Suharto. Sein Regime bündelte alle Formen staatlicher und militärischer Gewalt, um die bestehenden Machtverhältnisse stabil zu halten. Doch wurde diese Stabilität eklatant herausgefordert, als mit dem erzwungenen Rücktritt des Diktators im Mai 1998 dessen geistig-politisches Monopol zerbrach. Die beiden Präsidenten der ersten Reformasi-Jahre, Jusuf Habibie (1998-1999) und Abdurrahman Wahid (1999-2001), erlaubten die Entwicklung eines Mehrparteiensystems, führten Bürgerrechte wieder ein und düngten so die Erde, aus der viele zivilgesellschaftliche Organisationen wuchsen. Diese trafen auf zahlreiche ausländische Organisationen, die nun Einzug in Indonesien hielten.

Seit 1998 hat sich in Indonesien ein stabiles Mehrparteiensystem entwickelt. Neun Parteien ist bei den Wahlen 2009 der Einzug ins nationale Parlament gelungen. Diese lassen sich allerdings nicht nach westlichen Kriterien in "konservativ", "links" oder "grün" kategorisieren. Eine demokratiefeindliche Partei ist nicht im Parlament vertreten. Trotz der dezentralen Verankerung mit Dependancen in allen Provinzen mangelt es den Parteien vielfach an internen demokratischen Strukturen. Wegen Korruptionsvorwürfen, schlechter legislativer Leistungen und mangelnder Kommunikation, so ein Forscherteam, sehe die Zivilgesellschaft in Parlament und Parteien primär die "schlechte Seite der Demokratie". Zudem, so ein indonesischer NGO-Vertreter, wird der Zugang zum öffentlichen Raum über den Weg der Parteien variabel gehandhabt: So jedenfalls erklärt sich dieser die laufende Debatte um die Erhöhung der Sperrklausel für die nächste Parlamentswahl 2014, die derzeit noch bei 2,5 Prozent liegt. Damit solle die Macht der zurzeit im Parlament vertretenen Parteien manifestiert und der Erfolg neuer Bewegungen unterbunden werden.

Das trägt wesentlich dazu bei, dass die Zivilgesellschaft zwar die Rolle der Parteien als Säulen der Demokratie lobt, weitestgehend aber eine skeptische Distanz zu ihnen behält. Die strukturellen und inhaltlichen Probleme der Parteien sowie ihr negatives Image innerhalb der Zivilgesellschaft verhindern derzeit eine Kooperation zwischen beiden Gruppen. Von der eingangs beschriebenen, gesellschaftlich-politischen Brückenfunktion der indonesischen Parteien kann daher momentan nur bedingt gesprochen werden. Dies erschwert letztlich das Einwirken der Zivilgesellschaft auf die Politik, denn selbstkritisch wird festgestellt, dass sie den parlamentarischen Prozess nur unzureichend beeinflusst. Als Erfolg versprechender sehen NGOs die Zusammenarbeit mit den Fachministerien. Die Organisationen profitieren davon, dass sie unter keiner direkten parteipolitischen Einflussnahme stehen, so dass sie einen direkten Wissenstransfer leisten. Die ministerielle Arbeitsebene zeigt sich offen und konstruktiv für diese Expertise. Aus strategischer Perspektive findet also der Lobbyismus für eine Sachentscheidung nicht in den Parlamentsausschüssen, sondern erst verspätet, in der Exekutive statt.

Kulturelle Implikationen erschweren zudem das politische Zusammenspiel zwischen der Regierung und den Oppositionskräften in- und außerhalb des Parlaments. Die politische Kultur Indonesiens leitet sich aus der javanischen Harmonielehre ab. Dieses in den Anfangsjahren instrumentalisierte Konzept hat angesichts allgemeiner Modernisierungstendenzen an Relevanz eingebüßt, bietet aber immer noch ein Erklärungsgerüst für die konsensorientierte Entscheidungsfindung: In der javanischen Ethik steht der gesellschaftliche Frieden im Mittelpunkt. Als Voraussetzung für Harmonie gilt die Stabilität gesellschaftlicher Verhältnisse, denen sich individuelle Bestrebungen unterzuordnen haben. Entsprechend kritisch werden oppositionelle Akteure in der Politik wahrgenommen, die eine (harmonische) Entscheidungsfindung sabotieren, in dem sie Gegenargumente und Alternativkonzepte vorschlagen. In der "Staatsphilosophie" pancasila, die weitestgehend javanisch geprägt ist, sind politische Oppositionsparteien oder divergierende Interessengruppen nicht vorgesehen. Das konstruktive Element dieser Gruppen, zu der auch die Kontrolle der Regierung zählt, wird dabei oftmals noch übersehen.

Seit 1998 setzen sich NGOs auch mit den Prinzipien guter Regierungsführung auseinander und prangern Missstände aufgrund fehlender Verantwortung der politischen Eliten an. Insgesamt fand eine nachholende Politisierung der Zivilgesellschaft statt. Als externe Evaluatoren demokratischer Praxis und "Experten" unterschiedlicher Politikfelder treten die NGOs nun nicht mehr nur als außenstehende Kommentatoren auf. Damit nehmen sie eine zentrale watchdog-Funktion ein. Infolge der umfassenden politisch-administrativen Dezentralisierung sind auch auf Graswurzelebene, wo bislang vornehmlich sozial orientierte Organisationen aktiv waren, NGOs mit politischen Agenden entstanden.

Nichtsdestotrotz gibt es auch antidemokratische Vetomächte, die ihren Platz in der postautoritären Ordnung suchen und dabei zur Gefahr für die weitere Entwicklung der Zivilgesellschaft werden können. Zu den wichtigsten Kräften dieser Art wird etwa das Militär gezählt. Auf Grundlage der dwifungsi-Doktrin (Doppelfunktion) wurde dem Militär unter der "Neuen Ordnung" privilegierter Zugang zu Regierungs- und Verwaltungspositionen eingeräumt sowie wirtschaftliche Betätigung zur Selbstfinanzierung gestattet. Damit hat das indonesische Militär eine bis weit in das öffentliche Leben reichende Stellung erworben, welche die uniformierte Elite nur schwerlich räumen will. Da sich die Armee selbst als Garantin der staatlichen Einheit versteht, hängt auch der Bewegungsspielraum der Zivilgesellschaft - insbesondere in den Provinzen, in denen nach der Dezentralisierung die Militärpräsenz zugenommen hat - davon ab, dass die Soldaten in den Kasernen bleiben.

Anpassungsdruck als Normalzustand

Dass sich die Zivilgesellschaft mittlerweile im politischen Bereich bewegen kann, ist Zeugnis der positiven demokratischen Liberalisierung im größten muslimischen Land der Welt. Heute werden zivilgesellschaftliche Organisationen selbst zu Adressaten von Forderungen nach Demokratie und Transparenz. Insbesondere ältere NGOs werden oftmals von einem "starken Mann", in der Regel dem Gründer der Institution, geleitet, der ohne Rechenschaftsverpflichtungen waltet. Dort, wo zuständige Gremien im Sinne von Aufsichtsräten bestehen, findet oftmals eine unzureichende Trennung zu der operativen Ebene statt. Dass die Gründercliquen nicht abtreten, erschwert zudem die Profilierungsmöglichkeiten der nachrückenden Generation. Diese Tendenz ruft Organisationen auf den Plan, die ihrerseits die Überwachung des zivilgesellschaftlichen Sektors zum Ziel haben. Schließlich sind die organisatorischen Anforderungen gestiegen: NGOs müssen sich den Bedingungen moderner Strategie-, Personal- und Programmentwicklung anpassen, um im Wettbewerb mit konkurrierenden Organisationen den Anschluss nicht zu verlieren. Dabei geht es nicht nur um die Allokation finanzieller Ressourcen, sondern auch um die besten Ideen und Zugänge zu den relevanten Entscheidungsträgern.

NGOs haben sich in den vergangenen Jahren der Demokratie- und Menschenrechtsrhetorik der internationalen Gebergemeinschaft angepasst und sich professionalisiert. Sie sind heute in der Lage, Projektanträge in Fremdsprachen zu stellen und ihre Agenden ausländischen Gebern anzupassen. Eine Ökonomisierung des Zivilgesellschaftssektors ist die Folge, wie sie derzeit im lukrativen Umwelt- und Klimaschutz zu beobachten ist. Das Nachsehen haben solche NGOs, die seit Jahrzehnten inhaltliche Expertise anbieten und an ihren Zielen festhalten, nun aber im Meer sich ständig neu erfindender NGOs unterzugehen drohen. Dieser Trend entwickelt sich parallel zu einem Kurswechsel internationaler Organisationen, der einem Bumerang-Effekt gleichkommt: Die Früchte des zivilgesellschaftlichen Engagements führen zu positiven Benotungen bei anerkannten Demokratiemessungen, aber infolge dessen auch zu einem Rückgang ausländischer Fördermittel. Dabei verschleiern die Bestnoten von Freedom House und anderen, dass der demokratische Transformationsprozess noch nicht abgeschlossen ist. Fraglich ist, welche NGOs in der Lage sein werden, neue Mittel zu akquirieren. Während Wohltätigkeitsorganisationen über eine für die breite Masse klar erkennbare Agenda verfügen und deshalb weniger gefordert sind, befürchten NGOs mit politischen Zielen finanzielle Engpässe: Sie müssen dem indonesischen Volk die Relevanz einer politisch aktiven Zivilgesellschaft und deren Beitrag zu stabilen demokratischen Verhältnissen verstärkt vor Augen führen.

Leichter wird diese Aufgabe angesichts der vielen NGO-Neugründungen und der damit einhergehenden Fragmentierung der Zivilgesellschaft nicht. Es wird schwieriger, "seriöse" Institutionen von solchen zu unterscheiden, die den nichtstaatlichen Sektor in erster Linie als profitträchtigen Wirtschaftszweig identifizieren. Erstrebenswert, so die an sich selbst gerichtete Forderung der Zivilgesellschaft, wäre ein Dachverband, der als öffentlicher Ansprechpartner dienen und Standards für die Arbeit seiner Mitglieder setzen könnte.

Ferner bedarf es einer Koordinierung der Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen, die auf unterschiedlichen administrativen Ebenen angesiedelt und tätig sind: Es gilt, einen Bogen zu spannen zwischen den in der Hauptstadt operierenden NGOs, die über bessere Zugangsmöglichkeiten zur Politik verfügen, und den Organisationen auf der Graswurzelebene und in den Provinzen, die wiederum den Problemen und Zielgruppen näher sind. Denn es gewinnen zunehmend Themen an Relevanz, die nur bearbeitet werden können, wenn das urbane Zentrum Jakarta mit der ländlichen Peripherie Hand in Hand arbeitet. Dies ist beispielsweise bei den sich häufenden Fällen religiös motivierter Gewalt dringend geboten. Zugleich beweisen NGOs aber auch Anpassungsfähigkeit: So schließen sich für einzelne Gesetzesinitiativen Organisationen zu Spontankoalitionen zusammen, um ihre Ressourcen und Kompetenzen zu bündeln.

Blick über den Tellerrand

Dem theoretischen Zivilgesellschaftskonzept liegt ein grenzüberschreitendes Verständnis zugrunde. Im Einsatz für universell geltende Normen wie Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit fördert eine im Korsett des Nationalstaats operierende Zivilgesellschaft zugleich einen politischen Freiheitsdiskurs im Sinne globaler Standards. Gleichzeitig haben sich mit der Zunahme internationaler Konferenzregime und Vertragsverhandlungen zivilgesellschaftliche Netzwerke gegründet, die globale Themen in den Blick nehmen und als pressure groups nicht mehr nur in den Lobbys der Konferenzhallen auf Zuhörer ihrer Forderungen warten, sondern selbst als Vollmitglieder oder als Teil nationaler Verhandlungsdelegationen zu den Versammlungen anreisen.

Eine Internationalisierung von zivilgesellschaftlichen Organisationen in Südostasien bahnt sich seit den 2000er Jahren im Rahmen des Verbands Südostasiatischer Nationen (ASEAN) an. Der Integrationsprozess, der bis 2015 zur Realisierung einer Staatengemeinschaft führen soll, wird zunehmend von Treffen der Staats- und Regierungschefs mit der Zivilgesellschaft flankiert. Mit der normativen Ausgestaltung der ASEAN-Charta und der Gründung der intergouvernementalen Kommission für Menschenrechte wurden Ziel- und Wertekataloge auf regionaler Ebene festgeschrieben, die zivilgesellschaftlichen Idealen entsprechen. Dies führt zu der optimistischen Annahme, dass im Windschatten des staatlichen Integrationsprozesses auch die nationalen Zivilgesellschaften zusammenfinden.

Während die indonesische Zivilgesellschaft heute also vor der Aufgabe steht, Kommunikationskanäle zwischen Zentrum und Peripherie zu errichten, etabliert sich auf regionaler Ebene eine weitere Interventionsplattform. Indonesien, als politisches und wirtschaftliches Schwergewicht, kommt bei diesem Prozess große Verantwortung zu. Dies wurde 2011, während der einjährigen ASEAN-Präsidentschaft Indonesiens, noch einmal deutlich. Präsident Susilo Bambang Yudhoyono und Außenminister Marty Natalegawa setzten sich wiederholt für mehr Bürgerbeteiligung ein. Im Mai 2011 initiierten sie aus diesem Grund als Nebenveranstaltung zum Gipfeltreffen in Jakarta das ASEAN People's Forum. Außerdem gab es eine informelle Begegnung der Staats- und Regierungschefs mit Vertreterinnen und Vertretern der südostasiatischen Zivilgesellschaft.

Von einer Institutionalisierung ist die Zivilgesellschaft auf ASEAN-Ebene bislang noch entfernt, wohl aber bilden sich bereits Netzwerke. Themen, die auf ASEAN-Ebene diskutiert werden, resultieren aus einer Filterung nationaler Debatten, so dass noch nicht von einem genuin regionalen Diskurs der Zivilgesellschaft gesprochen werden kann. Die Erfahrungen, die staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure während des politischen Wandels 1998 und des anschließenden Demokratisierungsprozesses sammelten, können ein wertvolles Angebot an jene ASEAN-Mitglieder sein, denen nach wie vor Demokratiedefizite attestiert werden. Denn nach wie vor gilt: Indonesien ist die einzige Demokratie der Region.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Franz Nuscheler, Entwicklungspolitik, Bonn 2005, S. 557.

  2. Vgl. Marcus Mietzner/Edward Aspinall, Problems of Democratisation in Indonesia: An Overview, in: dies. (eds.), Problems of Democratisation in Indonesia. Elections, Institutions and Society, Singapur 2010, S. 1-26, hier: S. 11.

  3. Vgl. Mikaela Nyman, Democratising Indonesia. The Challenges of Civil Society in the Era of Reformasi, Kopenhagen 2006, S. 28; Lee Hock Guan, Introduction: Civil Society in Southeast Asia, in: ders. (ed.), Civil Society in Southeast Asia, Singapur 2004, S. 1-26, hier: S. 2.

  4. Vgl. M. Nyman (Anm. 3), S. 29.

  5. Vgl. Thung Ju Lan, Ethnicity and the Civil Rights Movement in Indonesia, in: L.H. Guan (Anm. 3), S. 217-233, hier: S. 217.

  6. Vgl. Stefano Harney/Rita Olivia, Civil Society and Civil Society Organizations in Indonesia, Genf 2003, S. 18, online: www.ilo.org/public/english/protection/ses/download/docs/civil.pdf (20.2.2012).

  7. Vgl. L.H. Guan (Anm. 3), S. 11f.

  8. Vgl. M. Nyman (Anm. 3); Bertelsmann Stiftung, BTI 2010 - Indonesia Country Report, Gütersloh 2009, S. 3, online: www.bertelsmann-transformation-index.de/fileadmin/pdf/Gutachten_BTI2010/ASO/Indonesia.pdf (20.2.2012); grundlegend zur Modernisierungstheorie: Seymour Martin Lipset, Some Social Requisites of Democracy: Economic Development and Political Legitimacy, in: American Political Science Review, 53 (1959), S. 69-105.

  9. Vgl. Dianto Bachriadi, Fighting for land, in: Inside Indonesia, 107 (2012), online: www.insideindonesia.org/feature/fighting-for-land-23012886 (20.2.2012).

  10. Vgl. M. Nyman (Anm. 3), S. 53.

  11. Vgl. Aurel Croissant/Wolfgang Merkel, Die Dritte Demokratisierungswelle Ost- und Südostasien, in: Wolfgang Merkel (Hrsg.), Systemtransformation, Wiesbaden 2010, S. 261-324, hier: S. 270; Krishna Sen/David T. Hill, Media, Culture and Politics in Indonesia, Oxford 2007, S. 194-217.

  12. Heute sind beim zuständigen Ministerium für Recht und Menschenrechte über 20000 Organisationen mit Stiftungsstatus registriert. Die indonesische NGO PSHK (Pusat Studi Hukum & Kebijakan, Zentrum für Rechts- und Politikstudien) geht aber davon aus, dass diese Zahl wenig belastbar ist, weil viele NGOs nicht formell registriert sind. Vgl. Interview des Autors mit Eryanto Nugroho, Leiter von PSHK, Jakarta, 11.1.2012.

  13. M. Mietzner/E. Aspinall (Anm. 2), S. 8f.

  14. Vgl. Interview des Autors mit Antonio Pradjasto, Leiter der NGO DEMOS, Jakarta, 5.1.2012.

  15. Vgl. Interview des Autors mit Herjuno N. Kinasih, Program Officer bei der NGO Institute for Global Justice, Jakarta, 10.1.2012.

  16. Vgl. ebd.; E. Nugroho (Anm. 12).

  17. 42 Prozent der etwa 240 Millionen Indonesier sind ethnische Javaner. Diese dominieren das politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben des gesamten Landes.

  18. Vgl. Franz von Magnis-Suseno, Neue Schwingen für Garuda. Indonesien zwischen Tradition und Moderne (Fragen einer neuen Weltkultur, Veröffentlichungen des Forschungs- und Studienprojekts der Rottendorf-Stiftung an der Hochschule für Philosophie, hrsg. von Walter Kerber, Bd. 4), München 1989, S. 66.

  19. Vgl. ebd., S. 75-79.

  20. Vgl. M. Nyman (Anm. 3), S. 51.

  21. Vgl. Ben Davis, Back to the drawing board. NGOs are having to come to terms with the demands of the governance agenda, in: Inside Indonesia, 93 (2008), online: www.insideindonesia.org/weekly-articles-93-j-ul-sep-2008/back-to-the-drawing-board-10081684 (20.2.2012).

  22. Vgl. Bertelsmann Stiftung (Anm. 8), S. 20.

  23. Vgl. Bernhard Platzdasch, Indonesia in 2010. Moving on from the Democratic Honeymoon, in: Daljit Singh (ed.), Southeast Asian Affairs 2011, Singapur 2011, S. 73-90, hier: S. 80.

  24. Vgl. Marc Frings, Indonesiens Rolle in der internationalen Klimapolitik. Finanzielle Anreize der Waldbestände - ein effektives Modell?, in: KAS-Auslandsinformationen, 4 (2011), S. 66-85.

  25. Vgl. Interview mit A. Pradjasto (Anm. 14).

  26. Vgl. Interview mit H.N. Kinasih (Anm. 15).

  27. Vgl. F. Nuscheler (Anm. 1), S. 555.

  28. Vgl. Interview mit H.N. Kinasih (Anm. 15).

  29. Vgl. RI to promote people-centered ASEAN, in: The Jakarta Post vom 13.1.2011, S. 12.

  30. Vgl. Erwida Maulia, 'Let the ASEAN way' take reins in region's democratization, in: The Jakarta Post vom 12.1.2012, online: www.thejakartapost.com/news/2012/01/12/let-asean-way-take-reins-region-s-democratization.html (20.2.2012).

  31. Vgl. Bertelsmann Stiftung (Anm. 8), S. 6.

M.A., geb. 1981; Trainee der Konrad-Adenauer-Stiftung in Indonesien und Ost-Timor, Plaza Aminta, Jl. Let. Jend. TB Simatupang Kav. 10, Jakarta 12310, Indonesien. E-Mail Link: marc.frings@kas.de