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Tierschutz- und Tierrechtsbewegung - ein historischer Abriss | Mensch und Tier | bpb.de

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Tierschutz- und Tierrechtsbewegung - ein historischer Abriss

Mieke Roscher

/ 15 Minuten zu lesen

Die moderne Tierrechtsbewegung, in Abgrenzung zur früher entstandenen Tierschutzbewegung, fordert durch ihr radikales Gebaren eine Diskussion über das menschliche Verhältnis zum Tier und dessen rechtliche Besserstellung heraus.

Einleitung

Die moderne Tierrechtsbewegung gehört gegenwärtig zu einer der brisantesten gesellschaftspolitischen Erscheinungen. Dabei greift sie - oft in radikalisierter Form - auf praktische Erfahrungen, Methoden und Ideologien zurück, die sie seit ihrer Konstituierung ab dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts sammelte. Begleitet wurde diese Entwicklung von einem Bewusstseinswandel im Umgang mit dem Tier in teils religiöser, teils säkularisierter Ausformung. Gleichzeitig ist dieser Wandel auch in der Genese des Fürsorgegedankens samt seinen ideologisch geprägten Absichten und politischen Implikationen im Übergang zum Industriezeitalter und dem Ausbau der urbanen Gesellschaft zu verorten. Tierschutz wurde zu einem reformistischen Imperativ, Zeichen für philanthropische Geisteshaltung. Beispielhaft avancierte der Vegetarismus in der öffentlichen Wahrnehmung von einer Marotte zur Mode. Mit ihren Kampagnen gegen "Tiermissbrauch", insbesondere in Form der Vivisektion, den Versuchen am lebendigen, nicht betäubten Tier, gelang es der Tierschutz- und der Tierrechtsbewegung, auf die Legislative Einfluss zu nehmen und eine öffentliche Meinung zu mobilisieren, die insgesamt über das "richtige" Verhältnis vom Mensch zum Tier zu reflektieren begann. Diese Diskurse prägt sie bis heute nachhaltig.

Nach einem Überblick über die Entwicklung der Tierschutzbewegungen des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts wird sich dieser Beitrag insbesondere der Tierrechtsbewegung ab den 1970er Jahren widmen, auf nationaler wie insbesondere auch internationaler Ebene. Dazu wird eine Unterscheidung der Konzepte vorgenommen, die dem Tierschutz respektive Tierrechten zu Grunde liegen, einerseits im Bezug zu philosophischen Begründungen, andererseits im Bezug auf das Handlungsrepertoire, das Tierschutz/Tierrecht als soziale Bewegung charakterisiert.

Tierschutz im 19. und frühen 20. Jahrhundert

Der organisierte Tierschutz lässt sich bis in das frühe 19. Jahrhundert zurückverfolgen. In Großbritannien wurden zu diesem Zeitpunkt Versuche unternommen, Tierschutz grundsätzlich in den Gesetzbüchern festzuschreiben. Mit Erfolg. Als weltweit erstes Tierschutzgesetz wurde 1822 der Act for the Prevention of Cruel and Improper Treatment of Cattle vom britischen Parlament verabschiedet. Begleitend gründeten sich Gruppen, die sich dem Schutz der Tiere und der Durchsetzung der gesetzlichen Grundlagen verpflichtet fühlten. 1824 wurde die Royal Society for the Prevention of Cruelty to Animals (RSPCA) gegründet, 1847 die Vegetarian Society. Die Motivation, sich für Tiere einzusetzen, war durchaus vielschichtiger Natur. Die religiösen Erweckungstheorien im sogenannten Evangelikalismus etwa nahmen Tierschutz als Element von Heilsversprechen mit auf. Insbesondere Methodisten und Quäker führten Tierbarmherzigkeit ins Feld. Des Weiteren wurden Klassenantagonismen sowie Fragen zur gesellschaftlichen Stellung der Frau über das Thema Tierschutz ausgetragen. Frühe Urbanisierungs- und Industrialisierungsprozesse halfen außerdem dabei, dem Tier einen anderen Stellenwert als den als bloßes Nutzobjekt zuzugestehen. Darüber hinaus fand, insbesondere durch den englischen Empirismus angeregt, auch ein säkular-philosophischer Paradigmenwechsel statt, der das Tier in den Kreis der moralisch zu Berücksichtigenden mit einbezog.

Großbritannien blieb nicht lange das einzige Land mit organisierten Tierschutzvereinen, seine Vorreiterrolle sollte jedoch bis zur heutigen Zeit bestehen bleiben. Teils über persönliche Begegnungen mit britischen Tierschützerinnen und Tierschützern, teils durch deren Veröffentlichungen wurden deutsche Aktivisten inspiriert. Der erste deutsche Tierschutzverein, der Vaterländische Verein zur Verhütung von Tierquälerei, wurde 1837 in Stuttgart von dem Pfarrer Albert Knapp gegründet. Kurz darauf institutionalisierten sich in anderen Städten ähnliche Vereine. Ein Hauptziel dieser Tierschutzvereine war rein anthropozentrisch: die sittlich-moralische Besserung der Bevölkerung. Auf internationaler Ebene zogen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts nahezu alle europäischen Länder - die protestantischen früher als die katholischen - und deren Kolonien sowie die Vereinigten Staaten 1866 mit der Gründung von Tierschutzvereinigungen nach.

Die deutschen Tierschutzgruppen wuchsen rasch und verfügten bald über die zahlenmäßig größten Vereine in Europa. In der Geschlechterfrage hielten sich die meisten deutschen Vereine an die Vorgabe des deutschen Vereinswesens, Frauen nicht als wahlberechtigte Vollmitglieder zuzulassen. Anders in Großbritannien: Hier dominierten Frauen von Beginn an das Vereinsgeschehen. Ähnlich wie in Großbritannien spaltete sich zum Ende des 19. Jahrhunderts die Bewegung auf nahezu globaler Ebene in bürgerlichen Tierschutz und radikalen Antivivisektionismus. Als erste deutsche Tierrechtsgruppe im modernen Sinne kann der 1907 gegründete Bund für radikale Ethik betrachtet werden. Auch zu ihm gab es ein britisches Pendant: Die 1891 gegründete Humanitarian League. Beiden Vereinen ging es um die grundsätzliche Ablehnung der Tiernutzung, die sie in einen breiteren gesellschaftspolitischen Kontext setzten.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entdeckten die Tierschutzvereine das internationale Parkett und drängten auf grenzübergreifende Lösungen tierschützerischer Probleme, etwa des Viehtransports. Nicht nur die nationalen Regierungen wurden nunmehr Adressat von Lobbyarbeit, auch der Völkerbund als erstes globales Gremium wurde in den Fokus tierschützerischer Arbeit gerückt. Allerdings sorgte der Zweite Weltkrieg für eine Zäsur. Tiere gerieten im Angesicht der Gräueltaten von Menschen an Menschen in den Weltkriegen zu einem Nebenschauplatz, ihr Schutz war politisch nur schwer durchsetzbar. Das nationalsozialistische Deutschland hatte zwar am 24. November 1933 ein weitreichendes Tierschutzgesetz verabschiedet, gleichzeitig aber den organisierten Tierschutz gleichgeschaltet und um alle radikal-progressiven Mitglieder bereinigt. Zudem hatten fast alle Maßnahmen eher biologistisch-antisemitische und rassistische Motivation als das Wohl der Tiere im Auge, und gerade im Bezug zu Tierversuchen existierte das Gesetz praktisch nur auf dem Papier.

Tierschutz als Neue Soziale Bewegung

Nach dem Krieg formierte sich als erstes in Großbritannien die Tierschutz-/Tierrechtsbewegung neu und setzte sich neue Ziele. Vor allem die Bekämpfung der Massentierhaltung und der Schutz von Versuchstieren bildeten fortan eine Achse, an der sich die Aktivistinnen und Aktivisten inhaltlich orientierten. Deutscher Tierschutz blieb jedoch zunächst international isoliert. Der Deutsche Tierschutzbund, der Rechtsnachfolger des Reichstierschutzbundes, versäumte es, sich den neuen Zeiten anzupassen. Auf personeller Ebene blieb man dem nationalsozialistischen Vorgänger verbunden. Inhaltlich gab sich der Verein pragmatisch, verzichtete zunächst auf eine Kritik an Tierversuchen, Massentierhaltung und der Jagd, und verurteilte radikalere Tierschützerinnen und Tierschützer und Vegetarierinnen und Vegetarier als Extremisten. Immerhin: An Mitgliedern sollte es dem Verein auch in der Nachkriegszeit nicht mangeln. Insbesondere der Jugend wollte man mit der beliebten Publikation "Der kleine Tierfreund" den richtigen Umgang mit dem Haustier näher bringen. Was geboten wurde, war ein anthropozentrischer Tierschutz: Tierschutz, der einer moralischen Verpflichtung im Hinblick auf das menschliche Gegenüber folgte.

Nicht so in Großbritannien: Tierschutz reihte sich in die Gemengelage der ab den 1960er Jahren insbesondere von der Friedens-, Studierenden- und Frauenbewegung initiierte Welle sogenannter Neuer Sozialer Bewegungen ein, übernahm deren Aktionsformen und auch rhetorisch näherte sich die Tierrechtsbewegung deren Protagonistinnen und Protagonisten an. Tierrechte wurden zum ersten Mal außerhalb eines kleinen Kreises intellektueller Vegetarierinnen und Vegetarier diskutiert, man organisierte Demonstrationen und Sit-Ins. Insbesondere die Anti-Tierversuchsgruppen versuchten, sich einen modernen Anstrich zu geben. Es folgte etwa eine Verjüngung der Vorstandsmitglieder etablierter Vereine, und auch die Magazine warteten mit einer modernen Aufmachung, zeitgemäßem Vokabular und radikaleren Forderungen auf. In Deutschland kam es in den 1970er Jahren zwar zu zahlreichen Neugründungen einzelner Vereine, die einerseits die Hegemonie des Deutschen Tierschutzbundes brechen wollten, andererseits ihre Themen nicht richtig vertreten sahen und Handlungsbedarf - etwa bei der Thematisierung der Jagd - erkannten. Doch erst 1984 formierte sich mit dem Bundesverband der Tierversuchsgegner eine bundesweit operierende Antivivisektionsgruppierung.

Mit dem Aufkommen neuer philosophischer Ansätze, genannt seien hier Peter Singers Präferenzutilitarismus und Tom Regans Rechtsprinzip , und gruppeninterner Radikalisierung ging die Entwicklung beziehungsweise Weiterentwicklung eines methodischen Repertoires einher. Dieses Umstandes bediente sich die Tierrechtsbewegung, um ihr Anliegen an die Öffentlichkeit und den Gesetzgeber weiterzureichen beziehungsweise um aktiven Tierschutz zu betreiben. Nicht alle Methoden waren neu, viele hatten bereits zuvor Anwendung gefunden. Sie wurden jedoch von der Bewegung radikalisiert und strukturellen Änderungsprozessen angepasst. So ließ sich die Verwendung von Tierbildnissen für Propagandazwecke nur mit der Weiterentwicklung fotografischer Möglichkeiten und dem Ausbau einer medialen Infrastruktur entsprechend neu nutzen. Dies erkennend suchte die Tierrechtsbewegung nach Möglichkeiten, noch näher vom Geschehen der Tierausbeutung zu berichten. Ermöglichen ließ sich derartige Berichterstattung nur dadurch, dass Aktivistinnen und Aktivisten Zeugnis vom Missbrauch ablegten. Die Methode der Infiltration stellte somit eine Reaktion auf die Wirksamkeit der Illustration des Vergehens Tiernutzung hinsichtlich öffentlicher Agitation dar.

Andere Elemente des Methodenrepertoires nahmen lediglich moderne, zeitgemäße Formen an: Demonstrationen und andere Großveranstaltungen erhielten kosmetische Überarbeitungen. Sie wurden lauter, aggressiver, frecher. Auch den legislativen Weg beschritt man weiterhin, erkannte doch der Großteil der Bewegung, dass ohne entscheidende gesetzestechnische Änderungen der Tiernutzung kein Ende gesetzt würde. Entsprechend formierte man sich in neuen Netzwerken, um auf den politischen Prozess Einfluss nehmen zu können.

Radikalisierung der Tierrechtsbewegung

Dass sich jedoch auch in Großbritannien durchaus nicht alle Aktivistinnen und Aktivisten mit den Aktionsformen der bestehenden Verbände einverstanden zeigten, demonstrierte 1972 eine kleine Gruppe Militanter, die sich selbst die Band of Mercy nannte. Sie verübte über einen Zeitraum von zwei Jahren insgesamt acht Anschläge auf Laboratorien, Tiertransporter und Jagdgerätschaften. Bereits seit 1963 hatte sich zudem die Hunt Saboteurs Association Jägern in den Weg gestellt. Als zwei Köpfe der Gruppe, Cliff Goodman und Ronnie Lee, verhaftet und zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt wurden, bedeutete dies jedoch keineswegs das Ende radikaler direkter Aktionen für Tierrechte. Im Gegenteil: 1976 wurde von etwa 30 Personen, darunter Lee und Goodman, die Animal Liberation Front (ALF) gegründet, deren erklärtes Ziel die "Befreiung der Tiere von menschlicher Herrschaft" mittels Sabotageaktionen war. Eindrücklichste Beispiele derartiger Aktionen in der Tierrechtsbewegung waren wohl vor allem die Befreiungen von Tieren aus Käfigen. Daneben kam es zu Brand- sowie Farbanschlägen und Besetzungen. Noch radikalere Gruppen, wie die Animal Rights Militia, schreckten auch vor der Versendung von Briefbomben an vermeintliche Tierausbeuterinnen und Tierausbeuter nicht zurück.

Das Konzept der ALF blieb nicht auf Großbritannien beschränkt, sondern fand Nachahmung. Zum Ende der 1980er Jahre hatte sich die ALF als weltweites Phänomen ausgebreitet. In Deutschland wurden militante Tierrechtlerinnen und -rechtler erstmals 1981 aktiv. Sie befreiten 48 Hunde aus einem Laboratorium in Mienenbüttel bei Hamburg. Unter dem Akronym ALF beziehungsweise Tierbefreiungsfront wurde ein radikaler Teil der deutschen Tierrechtsbewegung jedoch erst in den 1990er Jahren aktiv.

Die Reaktionen in der weiteren Tierrechtsbewegung auf die Herausbildung eines militanten Flügels waren national unterschiedlich gelagert. In Großbritannien kam es zu einer Radikalisierung in Zielvorstellung und Methodenrepertoire der gesamten Tierrechtsbewegung, die selbst die altehrwürdige königliche Tierschutzvereinigung RSPCA erfasste. Diese Radikalisierungstendenzen sorgten zum einen für demokratischere Strukturen innerhalb der Gruppierungen, zum anderen wurden weniger die politischen Entscheidungsträger als die Öffentlichkeit zum Adressaten der Kampagnen.

In Deutschland führte die Radikalisierung hingegen zu einer eindeutigen Spaltung der Bewegung, nachdem der Tierschutzbund sich 1985 von Tierrechtlerinnen und -rechtlern losgesagt hatte. Zudem kamen die Aktiven der Tierbefreiungsgruppen, wie die der 1987 in Hamburg gegründeten Tierrechts-Aktion Nord, nicht wie in Großbritannien aus der Tierschutzbewegung, sondern aus verwandten sozialen Bewegungen. Zugang zu Tierbefreiungsthematiken wurde insgesamt auf dem europäischen Kontinent nicht über die traditionelleren Tierschutzgruppen und Tierschutzvereine vermittelt, sondern über die autonomen Medien der radikalen Linken.

In den Vereinigten Staaten vermochte insbesondere die 1980 gegründete Gruppe People for the Ethical Treatment of Animals (PETA) als ein Bindeglied zwischen den Radikalen um die ALF und den traditionelleren Vereinigung wie der American Society for the Prevention of Cruelty to Animals oder der Humane Society zu fungieren. Ihren steigenden Bekanntheitsgrad verdankte PETA aggressiven Vermarktungsstrategien (Vegetarismus als Lifestyle) und dem Eingehen ungewöhnlicher Koalitionen (mit Superstars, Models). Diese Kommerzialisierung der Tierrechtsidee war indes vor allem auch in der radikalen Tierrechtsbewegung nicht unumstritten. Der autoritäre Führungsstil stieß bei den antihierarchischen Graswurzelorganisationen, als die sich die meisten Tierrechtsgruppen verstanden, auf Unverständnis, der Vergleich mit der Shoah zu Vermarktungszwecken auf internationale Ablehnung.

In Deutschland versuchte in den 1990er Jahren die Gruppe Animal Peace mit ähnlich Aufsehen erregenden Aktionen öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen. Ab 1994 wurde zudem PETA auch in Deutschland aktiv. Daneben übernahm ab 1985 der Bundesverband der TierbefreierInnen (heute: Die Tierbefreier) die Vermittlung radikaler Aktionsformen, indem er den militanten Gruppierungen in seinem Magazin "Tierbefreiung Aktuell" eine Plattform bot und ihnen die Pressearbeit abnahm. Ab den 2000er Jahren definierten sich zahlreiche Tierrechtsgruppen in Deutschland als "Antispe-Gruppen". Mit dem Bezug zum Antispeziesismus sollte zum einen die Kritik der gesellschaftlichen Nichtbeachtung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Spezies und damit implizit des Anthropozentrismus aufgegriffen werden. Gleichsam wollte man mit dem Rückgriff auf dieses Prinzip den häufig als positivistisch gedeuteten Rechtsbegriff umgehen.

Methodisch setze sich ab dem Jahr 2000 der Campaigning-Ansatz durch: Konzertierte, zeitlich befristete Aktionen gegen einzelne, identifizierbare, des Tiermissbrauchs verdächtigte Unternehmen bei Zusammenarbeit vieler Gruppen und Individuen. Als Paradebeispiel hierfür dient die Kampagne gegen Huntington Life Science, ein Tierversuchslaboratorium im Süden Englands, gegen das die Kampagne "Stop Huntington Animal Cruelty" seit 1999 mobil macht. Manche Aktionen befanden sich allerdings am Rande der Legalität oder verstießen gegen geltendes Gesetz, etwa durch die Entwendung von Tieren, Sachbeschädigungen und Nötigungen. In einigen, teils spektakulären Fällen wurden Tierrechtlerinnen und -rechtler, insbesondere Angehörige der ALF, vor allem in Großbritannien und den USA, zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Tierschutz vs. Tierrecht - What's in the name?

Tierschutz- und Tierrechtsbewegung werden fälschlicherweise oft gleichgesetzt, dabei unterscheiden sie sich in einigen Punkten so grundsätzlich, dass man es eigentlich mit zwei voneinander getrennten sozialen Bewegungen zu tun hat. Auch wenn einige Akteurinnen und Akteure der Bewegungen selbst die Begriffe austauschbar verwenden, dürfte dies wohl eher an Vereinfachungsversuchen liegen. Dazu kommt, dass, je nachdem ob die Unterscheidung auf das philosophische Grundgerüst, die politische Ausrichtung oder das Aktionsspektrum zurückgeführt wird, auch innerhalb der unterschiedlichen Begrifflichkeiten durchaus Variationen identifiziert werden können.

Als allen unterschiedlichen Ansichten gemein kann jedoch vereinfachend festgestellt werden, dass Tierschützerinnen und -schützer darum bemüht sind, "unnötiges Leiden" von Tieren abzuwenden. "Notwendiges Leiden" wiederum wird auf einer weiten Skala platziert, die zumeist von der individuellen Bereitschaft geprägt ist, auf tierische Produkte zu verzichten, beziehungsweise die Umstände bemisst, unter denen ihre Produktion stattfindet. So mag der Konsum von Fleisch beispielsweise für einige gerechtfertigt erscheinen, nicht aber Tierversuche, oder nur dann, wenn der unmittelbare Nutzen für den Menschen nachvollziehbar ist. Es gilt für den Tierschutz daher vor allem, die Umstände, unter denen Tiernutzung vonstatten geht, so zu modifizieren, dass das daraus folgende Leid auf ein Minimum reduziert wird. Das bedeutet, dass Tierschutz grundsätzlich anthropozentrisch orientiert ist und das Interesse des Menschen am Tier über das Interesse des Tieres an einem tiergerechten Leben gestellt wird. Weder wird ein fundamentaler Unterschied zwischen Tier und Mensch in ihrer moralischen Berücksichtigung negiert, noch wird am paternalistischen Umgang mit anderen Spezies gezweifelt. Allerdings erklärt man die Herrschaft über das Tier zu einer moralischen Verpflichtung. Die Legitimität der Herrschaft vom Menschen über das Tier wird damit vom Tierschutz nicht per se in Frage gestellt.

Tierrecht hingegen, zumindest in seiner radikalsten Auslegung, will die Speziesbarrieren gänzlich auflösen, und das sowohl in ihrer moralischen Bewertung als auch in den daraus abgeleiteten Behandlungsmaßstäben. Das heißt, die Tiere werden unabhängig von ihrem Nutzen als mit eigenen Interessen ausgestattete Individuen betrachtet, deren Interessen denen der Menschen gleichwertig seien. Dies bedeutet nicht, dass alle gleich behandelt werden sollen. Vielmehr impliziert dies die Einforderung fundamentaler Rechte. Diese Rechte können abstrakter oder legalistischer Form sein. Das bedeutet, dass das Töten, Quälen, ja, der Gebrauch eines Tieres schlechthin immer als falsch erachtet wird, wenn dies nicht dem Selbstschutz dient. In weniger radikaler Form gilt es, zumindest die Interessen der Tiere und Menschen gegeneinander abzuwägen und eben nicht per se die Interessen der Menschen höher zu bewerten.

Die Grundidee des Tierrechtsgedankens basierte auf der Annahme und impliziten Forderung, dass Tiere und Menschen fundamentale Rechte haben und daher als moralisch gleichwertig betrachtet werden müssen. Tierrechtlerinnen und -rechtler bekämpften daher alle Arten der Tiernutzung durch den Menschen - sei es für Nahrung, Kleidung oder in der Heimtier- und Zoohaltung. Veganismus ist daher die einzig zu akzeptierende Ernährungsform für Tierrechtlerinnen und -rechtler. Tierrecht verlangt zudem nach politischen Maßnahmen, die sich beispielsweise in der Rechtserweiterung auf Tiere ausdrücken sollen.

Tierschützerinnen und -schützer hingegen sehen in den Tieren häufig einen Teil der Natur, den es zu erhalten galt. Tierschutz neigt zudem dazu, sich in seinen Schutzforderungen auf solche Tiere zu beschränken, die sich im direkten Umfeld der Menschen befinden, oder der "sympathischen Megafauna" angehören, wie Wale oder Elefanten.

Der zusätzliche Begriff der "Tierbefreiung", der seit Mitte der 1970er Jahre von Peter Singer und der Animal Liberation Front gebraucht wurde, deren jeweilige Definitionen des Begriffes sich jedoch erheblich unterscheiden, ist sicherlich den Befreiungsdiskursen der Zeit zuzuschreiben. In gleicher Weise hatte sich der Tierrechtsbegriff anlehnend an Diskussionen über Menschenrechte entwickelt. Zudem möchte der Begriff der Tierbefreiung die unzulängliche Trennung zwischen Tierschutz und Tierrecht umgehen sowie die eigene radikalere Position unterstreichen.

Fazit

Zu Beginn des neuen Jahrtausends stellte sich die Tierrechtsbewegung in facettenreicher Form dar. Sie besaß ein großes Methodenrepertoire und versammelte ein weites Spektrum an Akteuren. Diese Bandbreite verdankte sich historisch gewachsenen Strukturen, auf welche die Bewegung zurückgreifen konnte. Die Motivation für das Engagement für die Kreatur war vielschichtiger Natur. Letztlich war jedoch ein mögliches Durchsetzungsdefizit sowie die Entwicklung der modernen Massentierhaltung ein Grund für die Radikalisierung der Bewegung seit den 1970er Jahren, sowohl in der Rhetorik als auch in der Praxis. Diese hatten Auswirkungen auf Struktur, Sendungsbewusstsein und methodisches Vorgehen.

Die bestehende Bewegung wurde damit nicht nur revitalisiert; einher ging dies mit einer Welle von Neugründungen von Tierrechtsgruppen - national wie international, und hier insbesondere im angloamerikanischen Raum - sowie der deutlichen Differenzierung von Tierschutz und Tierrecht als Ziele politischer Forderungen. Einige der neuen Gruppen, wie die Animal Liberation Front, bedienten sich auch militanter und rechtswidriger Mittel, was in Strafverfolgung durch staatliche Behörden bis hin zur Klassifizierung als "terroristische Vereinigungen" mündete.

Es kann jedoch als Erfolg der gesamten Bewegung gewertet werden, dass sie Diskurse über das Mensch-Tier-Verhältnis thematisiert, die vor allem auch im Kontext von bioethischen Debatten Eingang in wissenschaftliche Reflexionen erfahren und sich mittlerweile zu einem allgemein beachteten sozialwissenschaftlichen Paradigma entwickelt haben. Dies zeigt sich unter anderem in der wissenschaftlichen Anerkennung der Human-Animal Studies.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Mieke Roscher, Ein Königreich für Tiere: Die Geschichte der britischen Tierrechtsbewegung, Marburg 2009.

  2. Vgl. Hildegund Sauer, Über die Geschichte der Mensch-Tier-Beziehungen und die historische Entwicklung des Tierschutzes in Deutschland, Diss. Universität Giessen, 1983, S. 39.

  3. Vgl. Miriam Zerbel, Tierschutz im Kaiserreich. Ein Beitrag zur Geschichte des Vereinswesens, Frankfurt/M. 1993, S. 37.

  4. Vgl. Mieke Roscher, Engagement und Emanzipation: Frauen in der englischen Tierschutzbewegung, in: Dorothee Brantz/Christof Mauch (Hrsg.), Tierische Geschichte: Die Beziehung von Mensch und Tier in der Kultur der Moderne, Paderborn 2010, S. 286-303.

  5. Vgl. Pascal Eitler, Ambivalente Urbanimalität: Tierversuche in der Großstadt (Deutschland 1879-1914), in: Informationen zur modernen Stadtgeschichte, 40 (2009), S. 80-93.

  6. Vgl. Renate Bruckner, Tierrechte und Friedensbewegung: "Radikale Ethik" und gesellschaftlicher Fortschritt in der deutschen Geschichte, in: D. Brantz/C. Mauch (Anm. 4), S. 269-285.

  7. Vgl. Hilda Kean, Animal Rights: Political and Social Change in Britain since 1800, London 1998, S. 134f.

  8. Vgl. Anna-Katharina Wöbse, Weltnaturschutz: Umweltdiplomatie in Völkerbund und Vereinten Nationen 1920-1950, Frankfurt/M. u.a. 2012.

  9. Vgl. Maren Möhring, "Herrentiere" und "Untermenschen": Zu den Transformationen des Mensch-Tier-Verhältnisses im nationalsozialistischen Deutschland, in: Historische Anthropologie, 19 (2011) 2, S. 229-244; Birgit Pack, Tierschutz und Antisemitismus, unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Wien 2008.

  10. Vgl. Mieke Roscher, Westfälischer Tierschutz zwischen bürgerlichem Aktivismus und ideologischer Vereinnahmung (1880-1945), in: Westfälische Forschungen, 62 (2012) (i.E.).

  11. Vgl. Madeleine Martin, Die Entwicklung des Tierschutzes und seiner Organisationen in der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik und dem deutschsprachigen Ausland, Diss. Freie Universität Berlin, 1989, S. 30.

  12. Vgl. B. Rusche, "Autonome": Tierschutzterror?, in: Du und das Tier, (1985) 2, S. 39; Andreas Grasmüller, Tierschutz-Terrorismus? in: Du und das Tier, (1985) 4, S. 57.

  13. Vgl. Anna-Katharina Wöbse, Der Kleine Tierfreund - zur Jugend der deutschen Ökobewegung, in: Jahrbuch Ökologie, (2007), S. 131-141.

  14. Vgl. M. Martin (Anm. 11), S. 50.

  15. Peter Singers Präferenzutilitarismus stellt eine Erweiterung von Jeremy Benthams Utilitarismuskonzept dar, nachdem das größtmögliche Glück für die größtmögliche Anzahl von Individuen in einer Gesellschaft anzustreben sei. Nach Singer ist eine Handlung immer dann moralisch falsch, wenn sie der Präferenz einer Person entgegensteht, ohne dass die Präferenz durch entgegenstehende Präferenzen ausgeglichen werden kann. Die Tötung eines Tieres sei deshalb immer dann - und nur dann - zu legitimieren, wenn dies für sie vorteilhafter sei, als sie am Leben zu lassen.

  16. Tom Regan konstatiert, dass das autonome Individuum einen inhärenten Wert besäße und über sein/ihr Leben selbst bestimmen können müsse. Es habe das Recht darauf, sein/ihr Dasein nicht zum Vorteil oder Nutzen anderer zu fristen. Die Rechtsverpflichtung ist nach Regan dem Tier direkt geschuldet. Nicht nur die brutalen beziehungsweise letalen Ausformungen ihres Gebrauches würden gegen seine Rechte verstoßen, so Regan weiter, sondern alle externen Einwirkungen, die das Lebewesen nicht von sich aus anstrebe.

  17. Vgl. Mark Gold, Animal Century: a celebration of changing attitudes to animals, Charlbury 1998, S. 82-97.

  18. Vgl. B. Rusche (Anm. 12); A. Grasmüller (Anm. 12).

  19. Vgl. Mieke Roscher, "Animal Liberation ... or else!" Die britische Tierbefreiungsbewegung als Impulsgeber autonomer Politik und kollektiven Konsumverhaltens, in: Hanno Balz/Jan-Hendrik Friedrichs (Hrsg.), "This Town Is Gonna Blow ...". Eine Kulturgeschichte europäischer Protestbewegungen der 1980er Jahre, Berlin 2012 (i.E.).

  20. Vgl. James M. Jasper/Dorothy Nelkin, The Animal Rights Crusade: The Growth of a Moral Protest, New York 1992.

  21. Vgl. dazu den Beitrag von Kathrin Voss in dieser Ausgabe.

  22. 2003 initiierte PETA die Kampagne "Der Holocaust auf Deinem Teller". Der Kampagne war eine Ausstellung beigestellt, in der Fotografien in Auschwitz ermordeter Juden neben Schlachthofbildern positioniert waren.

  23. Der Begriff des Speziesismus wurde in den 1970er Jahren von dem britischen Psychologen und Tierschutzaktivisten Richard Ryder eingeführt. Speziesismus ist nach Ryder die Annahme, dass der Mensch allen anderen Spezies überlegen sei und daher berechtigt wäre, sie zu seinem Vorteil auszunutzen.

  24. Vgl. Gary Francione, Rain without Thunder: The Ideology of the Animal Rights Movement, Philadelphia 1996.

  25. Der am breitest rezipierte Rechtsansatz, der den inhärenten Werte jedes Lebewesens bemisst, wurde 1983 von dem amerikanischen Philosophen Tom Regan formuliert, vgl. Tom Regan, The Case for Animal Rights, Berkeley u.a. 1983.

  26. Vgl. Peter Singer, Animal Liberation, New York 1975.

Dr. phil., geb. 1973; Mitbegründerin des "Forums Tiere und Geschichte"; Bibliotheksreferendarin an der Landesbibliothek Oldenburg, Pferdemarkt 15, 26121 Oldenburg. E-Mail Link: roscher@lb-oldenburg.de