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"Kurzfristig werden weder Verbraucher noch Industrie übermäßig belastet" | Hintergrund aktuell | bpb.de

"Kurzfristig werden weder Verbraucher noch Industrie übermäßig belastet"

Prof. Dr. Karen Pittel

/ 5 Minuten zu lesen

Die Volkswirtin Karen Pittel bewertet die Ergebnisse des Klimakabinetts als nicht ausreichend. Dennoch sei ein Schritt in die richtige Richtung gemacht worden. Konkrete Auswirkungen auf Verbraucher und Unternehmen seien aufgrund der Vielzahl der Einzelmaßnahmen noch nicht überschaubar.

Prof. Dr. Karen Pittel (© ifo, Vinogradova)

Viele Umweltverbände und Klimaforscherinnen und –forscher kritisieren die Beschlüsse des Klimakabinetts als nicht ausreichend, um die deutschen Klimaziele zu erreichen. Wie beurteilen sie das geplante Maßnahmenpaket?

Die Einhaltung der deutschen Klimaziele erfordert für 2030 einen Rückgang der Treibhausgasemissionen um mindestens 55 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990. Um dieses Ziel zu erreichen, werden die Beschlüsse des Klimakabinetts bei weitem nicht ausreichen. CO2-Preise, die einen erheblichen Beitrag zum Erreichen der Ziele hätten leisten können, werden zumindest in den ersten Jahren so gering sein, dass von ihnen kaum eine Lenkungswirkung ausgehen wird. Das aktuelle Klimapaket spricht davon, dass die Zielerreichung regelmäßig überprüft werden soll. Wie eine Verschärfung der beschlossenen Maßnahmen allerdings konkret aussehen soll, darüber wird nichts gesagt – nur dass zuständige Ministerien, die ihre vorgesehenen Ziele nicht erreichen, innerhalb von drei Monaten nachsteuern müssen.

Infokasten"Klimakabinett"

Auf der UN-Klimakonferenz im Dezember 2015 einigten sich die teilnehmenden Staaten auf das Ziel, die globale Erderwärmung auf unter 2 Grad Celsius zu begrenzen. Im Rahmen des dort verabschiedeten Pariser Abkommens verpflichteten sich die Staaten, nationale Strategien zum Klimaschutz (NDCs) vorzulegen. Der im November 2016 verabschiedete deutsche "Klimaschutzplan 2050" sieht vor, den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 um 55 Prozent und bis 2050 sogar um 80 bis 95 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 zu verringern. Um diese Ziele zu erreichen, hat die Bundesregierung den Kabinettsausschuss "Klimaschutz" eingerichtet. Kabinettsausschüsse werden gebildet, um ressortübergreifend große politische Vorhaben anzugehen und grundlegende Entscheidungen vorzubereiten. Auch das Thema Digitalisierung wird in einem solchen Ausschuss verhandelt.

Das auch als "Klimakabinett" bezeichnete Gremium sollte die rechtlich verbindliche Umsetzung des "Klimaschutzplans 2050" vorbereiten, insbesondere der darin für das Jahr 2030 enthaltenen Zwischenziele. Geleitet wird das Klimakabinett von Bundeskanzlerin Merkel (CDU). Alle Ministerinnen und Minister der Ressorts, die aus Regierungssicht für den Klimaschutz relevant sind, gehören ihm an. Bundesfinanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) ist Merkels Stellvertreter im Ausschuss – ständige Mitglieder sind zudem Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD), Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) und Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). Auch Kanzleramtschef Helge Braun sowie Regierungssprecher Steffen Seibert gehören ihm an.

Der Kabinettsausschuss "Klimaschutz" hat seine Arbeit im April 2019 aufgenommen. Innerhalb der Ministerien werden Vorschläge ausgearbeitet, um in den unterschiedlichen Politikfeldern den CO2-Ausstoß zu senken. Diese Vorschläge werden ins Kabinett eingebracht, das anschließend mit Mehrheit darüber entscheiden muss. Diskutiert wurden beispielsweise verschiedene Möglichkeiten der Bepreisung von Kohlendioxid sowie Kosten und Wirkung einzelner Klimaschutz-Maßnahmen. Eine Einigung über die Eckpunkte der zukünftigen Klimaschutzpolitik wurde am 20. September in Berlin erzielt. Anschließend muss das Maßnahmenpaket das normale Interner Link: Gesetzbebungsverfahren in Bundestag und Bundesrat durchlaufen, bevor es im Rahmen des geplanten Klimaschutzgesetzes beschlossen und rechtlich wirksam werden kann.

Eine zentrale Maßnahme, die der Kabinettsausschuss Klimaschutz beschlossen hat, ist die Bepreisung von CO2 durch die Einführung eines Emissionshandels. Welche Auswirkungen hat diese Art der Steuerung für den Wirtschaftsstandort Deutschland?

Die aktuell beschlossenen Preise sind so gering, dass sie kaum einen Einfluss auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen haben werden. Zudem betrifft die CO2-Bepreisung primär die Bereiche Verkehr und Wärme. Diese sind dem internationalen Wettbewerb zu großen Teilen wenig bis gar nicht ausgesetzt. Ein Autofahrer beispielsweise kann nur, wenn er in Grenznähe wohnt, der CO2-Bepreisung ausweichen. Etwas anders sieht es im Schwerverkehr aus, wo Lastwagen durchaus im benachbarten Ausland tanken könnten. Die Unternehmen, die am stärksten im internationalen Wettbewerb stehen, sind bereits Teil des europäischen Emissionshandelssystems. Dort bekommen sie Emissionszertifikate umsonst zugeteilt, um ihre Wettbewerbsfähigkeit auf globalen Märkten zu erhalten. Viele Maßnahmen, die im Klimapaket beschlossen wurden, sei es die Prämie für den Austausch von Ölheizungen, die steuerliche Förderung von Sanierungsmaßnahmen oder die Kaufprämien für Elektroautos werden sogar einen stimulierenden Effekt auf die Wirtschaft haben.

InfokastenWas ist eine "Grundsatzentscheidung"?

Der Kabinettsausschuss "Klimaschutz" der Bundesregierung (das sogenannte "Klimakabinett") hat bei seiner Sitzung am 20. September eine "Grundsatzentscheidung" über Maßnahmen zur Einhaltung der deutschen Klimaziele getroffen. Zu den Maßnahmen will die Regierung noch in diesem Jahr entsprechende Gesetzesvorlagen beschließen und dann in den Bundestag einbringen.

Der Begriff "Grundsatzentscheidung" klingt zwar in einem hohen Maße verbindlich für die künftige deutsche Politik. Formal ist dem jedoch – anders als etwa bei einer Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts – nicht so.

Die vom Klimakabinett getroffenen Beschlüsse haben unmittelbar keine rechtliche Wirkung. Nur, wenn sie den normalen Interner Link: Gesetzgebungsprozess durchlaufen haben, wird aus den Maßnahmen, die von den Mitgliedern des Ausschusses vereinbart wurden, ein gültiges Gesetz.

Die SPD hatte in den Verhandlungen die Einführung einer CO2-Steuer statt des beschlossenen Zertifikate-Handels gefordert. Wie beurteilen Sie diese Entscheidung vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem bereits bestehenden europäischen Emissionshandel?

Da der bestehende europäische Emissionshandel andere Wirtschaftsbereiche betrifft als die neue deutsche CO2-Bepreisung, können beide durchaus nebeneinander existieren. Dabei werden die Preise in den beiden Systemen durchaus unterschiedlich ausfallen – obwohl alle Emissionen die gleichen Auswirkungen auf das Klima haben. Entsprechend unterschiedlich fallen natürlich auch die Anreize aus, Emissionen zu vermeiden. Mittelfristig soll das deutsche CO2-Bepreisungssystem in einen europaweiten Zertifikatshandel für alle Sektoren überführt werden. Allerdings ist eine solche Ausweitung des bestehenden Systems kurzfristig kaum möglich, da dies komplizierte Verhandlungen auf EU-Ebene voraussetzt. Um kurzfristig Untätigkeit zu vermeiden, ist der Schritt CO2-Preise in den Bereichen Verkehr und Wärme auch im deutschen Alleingang einzuführen, ein Schritt in die richtige Richtung. Die deutsche CO2-Bepreisung, wie sie jetzt beschlossen wurde, stellt einen Kompromiss aus Steuer und Emissionshandel dar. Für die ersten Jahre wird der Preis für die Emission einer Tonne CO2 festgelegt, was de facto einer CO2-Steuer entspricht. Ab 2026 wird das System dann in einen Emissionshandel mit Emissionsobergrenze und flexiblen Preisen übergehen. Diese Kompromisslösung soll in den ersten Jahren die Unsicherheit hinsichtlich der konkreten Höhe des CO2-Preises reduzieren und zugleich die Integration in das europäische System vorbereiten.

Wie stehen Sie zu der Aussage, dass die Industrie - anders als die Verbraucherinnen und Verbraucher - von schmerzhaften Maßnahmen verschont wird?

Kurzfristig werden weder VerbraucherInnen noch die Industrie übermäßig belastet. Dies ändert sich, wenn die CO2-Preise ansteigen. Wie die Belastungen sich auf Verbraucher und Unternehmen verteilen, ist aufgrund der Vielzahl der Einzelmaßnahmen kaum überschaubar. Zudem werden Unternehmen die Belastungen zumindest teilweise über die Preise an die Verbraucher weitergeben. Entsprechend komplex ist die Bestimmung der tatsächlichen Auswirkungen des Klimapakets. Diese hängen davon ab, wer welche Güter kauft, in welcher Branche wieviel auf die Preise überwälzt werden kann und wer die potenziell negativen Wirkungen auf die Unternehmen tatsächlich tragen wird.

Bedauerlicherweise wurde die Gelegenheit zu einer weiteren Absenkung der EEG-Umlage nicht wahrgenommen. Da die EEG-Umlage einkommensschwache Haushalte stärker belastet als reiche, hätte eine weitere Minderung die soziale Ausgewogenheit des Maßnahmenpakets gestärkt. Auch zur Erreichung der Klimaziele hätte eine solche Minderung viel beitragen können. Da der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung kontinuierlich ansteigt, hilft dies, die Klimaziele zu erreichen. Momentan sind die Anreize, Strom auch in diesen Bereichen einzusetzen, durch die sehr hohen Abgaben (Stromsteuer, EEG-Umlage, Netzentgelte usw.) gering. Durch eine Rückführung der EEG-Umlage würden entsprechend Klima- und Umverteilungsziele parallel gefördert.

Benzin- und Dieselpreise sollen steigen, Elektro-Autos durch Subventionen und den Ausbau von Ladestationen gefördert werden. Welche Konsequenzen hat das für die deutsche Automobilindustrie und die Verkehrsbranche insgesamt?

Sollen die langfristigen Klimaziele erreicht werden, wird die Automobilindustrie auf alternative Antriebe umstellen müssen. Dazu werden erhebliche Investitionen und Umstrukturierungen notwendig sein. Ein Hinausschieben dieser Maßnahmen vermindert zwar die kurzfristigen Kosten, kann sich aber langfristig als fatal für die Wettbewerbsposition auswirken. Insofern wären klare Signale hier zwar schmerzhaft, aber notwendig. Der Anstieg der Benzin- und Dieselpreise, der durch die jetzt beschlossenen CO2-Preise ausgelöst wird, setzt diese klaren Signale nicht. Ein CO2-Preis von 10 Euro pro Tonne CO2 entspricht einem Aufschlag von etwa zwei bis drei Cent pro Liter Benzin oder Diesel. Diese Differenz ist heute schon teilweise während eines einzigen Tages beobachtbar und wird entsprechend wenig direkte Wirkung auf das Fahrverhalten haben. Inwiefern die Erwartung langfristig steigender CO2-Preise und die teilweise Erhöhung der Kaufprämie für Elektro- und Hybridantriebe zu einem Wechsel auf diese Antriebsformen beitragen wird, bleibt abzuwarten. Die Förderung des Ausbaus der Ladestationen kann da wesentlich nützlicher sein.

Der Klimawandel ist für viele Menschen ein abstraktes Phänomen, da viele langfristige Folgen trotz heißer Sommer und Dürren in den vergangenen Jahren erst in der Zukunft sichtbar sein werden. Inwiefern gefährdet der Klimawandel schon heute die Industrie?

Belastungen der Industrie können sich einerseits aus klimapolitischen Maßnahmen ergeben und andererseits aus dem Klimawandel selber. Hierbei spielen direkte Klimarisiken, die sich aus steigenden Temperaturen und zunehmenden Extremwetterereignissen in Deutschland ergeben, zwar auch eine Rolle (insbesondere für die Agrarindustrie). Der Klimawandel wirkt jedoch global und damit auch auf Länder, die für deutsche Firmen für Rohstoffimporte oder für die Lieferungen von Vorprodukten wichtig sein können. Damit ergeben sich für Firmen, die in internationale Handelsketten integriert sind, potenziell zusätzliche Gefahren sowohl im Bereich des Imports als auch hinsichtlich ihrer Absatzmärkte.

Das Interview führte Lea Schrenk.

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Prof. Dr. Karen Pittel ist Leiterin des ifo Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen und Inhaberin des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie forscht insbesondere zu den Themen Energie, Wachstum, Nachhaltigkeit und erschöpfbare Ressourcen und berät als Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderung die Bundesregierung.