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bpb-Expertenchat: Europa als Datenhafen?

Das Europäische Parlament hat erst kürzlich mit großer Mehrheit für eine Stärkung des Datenschutzes in der EU gestimmt. Die Entscheidung über die sogenannte Datenschutzgrundverordnung ist trotzdem bis nach der Europawahl vertagt. Woran das liegt und ob eine europäische Lösung für globale Datenströme überhaupt sinnvoll ist, darüber haben wir mit zwei Experten gechattet. Das Protokoll des Chats vom 29. April.

Moderator: Herzlich willkommen beim Expertenchat der Bundeszentrale für politische Bildung zum Thema "Europa als Datenhafen?" mit Imke Sommer und Matthias Spielkamp.
Dr. Imke Sommer ist Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit in Bremen und hatte 2013 den Vorsitz der Nationalen Datenschutzkonferenz inne. Sie plädiert für eine gemeinsame europäische Datenschutzgrundverordnung.
Matthias Spielkamp ist Redaktionsleiter von iRights.info, einer Informationsplattform für Rechtsgebiete in der digitalen Welt. Spielkamp setzt sich ebenfalls für eine europäische Regelung ein, fordert aber darüber hinaus weitergehende Maßnahmen der Politik im Kampf gegen die Ausspähung privater Daten.
Unsere bpb-Experten beantworten Ihre Fragen ab 13.30 Uhr an dieser Stelle live. Ihre Fragen können Sie gerne schon jetzt an uns Moderatoren senden.

Liebe Nutzerinnen und Nutzer, bevor der Chat startet, hier noch Antworten auf häufig an uns gestellte Fragen.

  • Dies ist ein moderierter Chat! Ihre Fragen werden von den Moderatoren an die Experten weitergeleitet.

  • Uns erreicht häufig eine große Zahl von Fragen. Wir können den Experten nicht alle stellen, dafür bitten wir um Verständnis!

  • Wenn Sie mehrere Fragen haben, stellen Sie diese bitte einzeln nacheinander! Wenn Sie nachhaken möchten, nennen Sie bitte in einem Stichwort die Frage oder die Antwort, auf die Sie sich beziehen.

Und nun viel Spaß beim Chat, der um 13.30 Uhr startet! Stellen Sie jetzt Ihre Fragen, wir freuen uns auf Ihre Beiträge!

Moderator: So, es ist jetzt 13:30 Uhr. Hier im Chat begrüße ich Dr. Imke Sommer und Matthias Spielkamp. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen und die Fragen unserer Chatterinnen und Chatter beantworten. Gleich die erste Frage an unsere Gäste: Wie sieht es aus, wollen wir starten?
Matthias Spielkamp: Gern!
Dr. Imke Sommer: Ja, sehr gerne!

Moderator: Vor dem Chat hatten die Nutzerinnen und Nutzer bereits die Möglichkeit, Fragen zu stellen und zu bewerten. Unsere Experten werden einige der Fragen aus dem Pre-Chat beantworten. Wir starten mit der Frage, die die meisten Stimmen erhalten hat.
Alaa: Europaweit einheitliche Regelungen zum Datenschutz sind begrüßenswert. Aber was bringen Sie, wenn es vielen Internetnutzern an der Sensibilität im Umgang mit Daten mangelt? Wieweit geht die Verantwortung der Unternehmen gegenüber technikfernen Nutzern? Welche Eigenverantwortung tragen diese Nutzer selbst?
Dr. Imke Sommer: Das ist meine Lieblingsfrage, jedenfalls diejenige, die ich am häufigsten gestellt bekomme. Meine Antwort lautet: Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung geht in beide Richtungen: Es ist davon sowohl die Entscheidung umfasst, dass eine bestimmte Information über mich nicht an andere gelangen soll, wie diejenige, dass bestimmte Personen bestimmte Informationen über mich erhalten sollen. Entscheidend ist, dass ich das selbst steuern kann. Und hier liegt der Hase im Pfeffer: Wenn mir bestimmte Anbieter von sozialen Netzwerken nicht sagen können oder wollen, was mit meinen Daten passiert, kann ich nicht selbst steuern, dann ist das Grundrecht verletzt. Aber nicht, weil ich mich falsch verhalte, sondern, weil die es tun. Das Offenbaren von Informationen an eine von mir selbst festgelegte Gruppe in einem datenschutzkonformen sozialen Netzwerk, in dem ich mich beispielsweise unter einem Pseudonym äußern kann, wäre nicht Ausdruck der mangelnden Sensibilität im Umgang mit Daten, sondern Grundrechtswahrnehmung.
Matthias Spielkamp: Dem stimme ich voll zu. Es soll gerade dafür gesorgt werden, dass Nutzer keine Technik-Experten sein müssen, um nicht alles preiszugeben, was sie im Netz tun. Die Frage nach der Balance von Technikkompetenz und Eigenverantwortung auf der einen, gesetzlichen Regelungen auf der anderen Seite ist nie pauschal zu beantworten. Und auch die Vorstellungen davon, wie viel Privatsphäre wir wünschen und welcher Art sie sein soll, verändert sich.

Moderator: Bevor wir zu den nächsten Fragen können, sollten wir vorab eine Frage klären: Die EU will den Datenschutz in Europa reformieren, und zwar in einer gemeinsamen europäischen "Datenschutzgrundverordnung". Frau Sommer und Herr Spielkamp: Was soll diese Grundverordnung erreichen? Was ist das Entscheidende daran?
Dr. Imke Sommer: Zunächst einmal ist die Datenschutzgrundverordnung eine Verordnung, das heißt, dass sie in der ganzen EU gelten wird, ohne dass die Mitgliedstaaten sie noch umsetzen müssen. Das heißt, wir hätten mit einem Schlag Datenschutzregeln, die überall in Europa gelten.
Inhaltlich geht es darum, für den Datenschutz im Internetalter Regeln zu formulieren. Sie sollen für alle datenverarbeitenden Stellen gelten. Für öffentliche wie für nicht-öffentliche, also für den Staat und für die Wirtschaft. Matthias Spielkamp: Eine ganz wichtige Änderung ist, dass die Verordnung auch für Unternehmen gelten soll, die ihren Sitz nicht in der EU haben, sich aber an EU-Bürger wenden.

Moderator: Und nun kommen wir zu Fragen aus dem Pre-Chat zu diesem Thema:
phil: Besteht die Gefahr, dass europäische Datenschutzbestimmungen bislang in Deutschland geltende Standards unterlaufen?
Dr. Imke Sommer: Nicht, wenn es gelingt, ein hohes Mindestdatenschutzniveau zu normieren. Im Moment leben wir mit der realen Gefahr, dass unsere Standards dadurch unterlaufen werden, dass sich die großen US-amerikanischen IT-Firmen ihren europäischen Hauptsitz und damit das für sie geltende Recht und die für sie zuständigen Aufsichtsbehörden aussuchen können.
Matthias Spielkamp: Johannes Masing, Richter am Bundesverfassungsgericht, hat eine Diskussion darüber angestoßen, inwieweit das Instrument der Verordnung, die im Gegensatz zur Richtlinie direkte Gesetzeswirkung hat, deutsche Regelungen und Gerichtsentscheidungen aushebelt.
Diese Diskussion ist meines Erachtens gerechtfertigt und längst nicht abgeschlossen. Sie hat im engeren Sinn eigentlich nichts damit zu tun, was geregelt werden soll, sondern ob die Grundverordnung das geeignete Mittel ist.

mark: Frau Sommer, was genau beinhaltet denn der Begriff "hohes Mindestdatenschutzniveau" und wer fordert eigentlich explizit so etwas wie ein möglichst "niedriges Mindestdatenschutzniveau"?
Dr. Imke Sommer: Mit hohem Mindestdatenschutzniveau meine ich, dass in der EU-Verordnung Anforderungen formuliert werden, die aus Sicht des Grundrechtsschutzes der Menschen in Europa überschritten, nicht jedoch unterschritten werden dürfen. Das gibt es beispielsweise im Bereich des Verbraucherschutzes bereits. Eine Forderung nach einem allgemein niedrigen Datenschutzniveau wird natürlich so nicht ausdrücklich erhoben. Aber die vielen z.B. von lobbyplag geouteten Versuche, Änderungsvorschläge einzuspeisen, gehen zum überwiegenden Großteil in diese Richtung. Jede Ausnahme von Datenschutzregelungen für kleine und mittlere Unternehmen, jeder Versuch, die Rechte der Menschen gegenüber den Datenverarbeitern zu verringern und ganze Bereiche dem Grundrechtsschutz zu entziehen, reduziert das Datenschutzniveau.

L. W.: Wie wahrscheinlich ist eine einheitliche Datenschutzregelung angesichts der unterschiedlichen Einstellungen zur Privatsphäre in den Mitgliedsländern? Läuft das auf den kleinsten gemeinsamen Nenner hinaus?
Dr. Imke Sommer: Mein Eindruck aus der Diskussion in Brüssel ist der, dass die Haltung der europäischen Regierungen weniger durch unterschiedliche Einstellungen in der Bevölkerung als durch die Frage bestimmt werden, welchen Lobbys sie zuhören. Da würde eine hohe Wahlbeteiligung für die Wahl des Europäischen Parlamentes verbunden mit der Stärkung von Parteien, die sich für die Europäischen Grundrechte einsetzten, einen guten Kontrapunkt setzten. Auch die NSA-Affäre hat einiges in diese Richtung in Bewegung gebracht.

Moderator: Und hier die erste Live-Frage:
Minimi: Würde eine Datenschutzverordnung nicht vielleicht die AGB von Google und Co., die sich so gut wie kein Internetnutzer überhaupt durchliest, einfach nur länger machen? Könnte sich nicht die Praxis einbürgern, die Datenschutzrichtlinien auszuhebeln?
Matthias Spielkamp: Es gibt gesetzliche Regelungen, die nicht einfach per Privatvertrag außer Kraft gesetzt werden können. Aber die Gefahr, dass große Firmen versuchen, sich per AGB aus der Affäre zu ziehen, ist natürlich real. Wir sehen das aktuell auch, wenn z.B. Gerichte sich damit beschäftigen müssen, ob AGB rechtskonform sind. Oft sind sie es nicht.

Figaro: Ich hatte die Problematik immer so verstanden: Die Datenströme führen zwangsläufig über die USA und sind damit außerhalb der europäischen Jurisdiktion. Was bringt dann eine striktere Gesetzgebung?
Dr. Imke Sommer: Die Zwangsläufigkeit sehe ich nicht. Technisch besteht sie nicht. Die Routingtabellen zu verändern, ist möglich. Allerdings stehen dem gegebenenfalls die Interessen der Routingunternehmen entgegen.

Moderator: Dazu gibt es noch zwei Fragen:
Tunichtgut: Ist denn nicht zu erwarten, dass im Laufe der Verhandlungen so viel blockiert, nachverhandelt und raus gestrichen wird, dass am Ende von den "hohen Mindeststandards" nicht mehr viel übrig bleibt?
serdan: Ist nicht die Gefahr, dass bei einer einheitlichen Datenschutzverordnung die Richtwerte ziemlich niedrig gehalten werden, damit alle Länder zustimmen können?
Dr. Imke Sommer: Da bin ich optimistischer. Wir müssen alle gemeinsam den Trilog, der als nächstes zwischen den europäischen AkteurInnen ansteht, genau beobachten und schnell intervenieren, wenn es in die falsche Richtung geht. Dafür, dass sich in Europa inzwischen nicht mehr nur Wirtschaftslobbies Gehör verschaffen können, gibt es schon viele Beispiele.

SaskiaD: Wie ist Ihre Prognose? Wird die Datenschutz-Grundverordnung kommen? Wenn ja, wann?
Dr. Imke Sommer: Das hoffe ich sehr. Und möglichst bald! Aber eine Hellseherin bin ich nicht...
Matthias Spielkamp: Darüber kann man natürlich nur spekulieren; vor allem, da nun ja erst nach der Wahl zum Europaparlament darüber entschieden wird. Viele der Regelungen, die dort verankert sind, sollten jedenfalls kommen (und die Frage, ob eine Richtlinie nicht besser wäre, getrennt davon betrachten).

Moderator: Und nun zu weiteren Fragen aus dem Pre-Chat und der Frage, wie wir als User uns schützen können.
Dani: Werden die User vollständig und umfassend informiert über die Verwendung und den Umfang der gespeicherten Internetdaten? Wird es Sanktionen gegenüber Ländern geben, die sich heimlich Zugang zu unseren Daten verschaffen? Was kann der Bürger tun um sich vor Missbrauch zu schützen, ohne sich vollkommen vom Internet verabschieden zu müssen?
Matthias Spielkamp: Das sind ja gleich einige Fragen. Was ist umfassend und vollständig? Jedenfalls würden sie besser informiert als bisher. Sanktionen kann es dann geben, wenn man einem Land nachweisen kann, dass es die Grundverordnung nicht anwendet. Und die Bürgerinnen und Bürger können im Grunde nur genau das tun, was sie bereits jetzt tun, um sich vor Missbrauch zu schützen; aber die Hoffnung ist ja, dass das Gesetz sie besser vor Missbrauch schützt.
Dr. Imke Sommer: Das sehe ich auch so: Mit den geplanten Regelungen in den fortschrittlichsten Dokumenten könnten wir zufrieden sein. Nachrichtendienstliche Aktivitäten sind nach allgemeiner Auffassung nicht von der Regelungskompetenz der EU umfasst. Und als Antworten auf die letzte Frage bleiben die bekannten Methoden auch mit einer Grundverordnung richtig: pseudonym surfen, verschlüsseln, Cookies löschen etc.

crypto: Matthias Spielkamp meint, die Spitzelei der Geheimdienste kann nicht durch Datenschutz-regeln bekämpft werden. Wie dann? Durch Kryptographie? Was meint Imke Sommer dazu?
Matthias Spielkamp: Einerseits durch Selbstschutz, also ja: durch Kryptografie, durch TOR etc. Andererseits meine ich damit aber, dass sich Geheimdienste ja nicht an Datenschutzverordnungen halten. Aber eventuell an internationale Verträge und dass sie sonst nur auf politischen Druck reagieren. Der meines Erachtens derzeit zu gering ist. Aber realistischer Weise darf man auch nicht den Fehler machen, andere Staaten nur zu verärgern; die Kunst der Diplomatie liegt ja darin, etwas zu erreichen, ohne sich andere zum Feind zu machen.
Dr. Imke Sommer: Stimmt! Wie gesagt ist momentan die Rechtslage so, dass nachrichtendienstliche Tätigkeiten nicht in Brüssel geregelt werden können. Aber natürlich gibt es die Möglichkeit völkerrechtlicher Verträge. Und da werden wir alle nach den Enthüllungen des letzten Jahres gut hinsehen und uns dafür einsetzen, dass der Datenschutz in jedem Regelwerk seinen gebührenden Platz bekommt.

Moderator: Die User würde sicher auch interessieren, ob Sie selbst, Frau Sommer und Herr Spielkamp, Ihr Surfverhalten seit dem Bekanntwerden der NSA-Ausspähungen verändert haben.
Matthias Spielkamp: Es gibt auf einmal erheblich mehr Menschen, die E-Mails verschlüsseln können! Und das nutze ich auch. Ich habe PGP vor mehr als zehn Jahren das erste Mal genutzt, aber das müssen ja immer beide Kommunikationspartner anwenden.
Dr. Imke Sommer: Wahrscheinlich waren die Datenschutzbeauftragten ein bisschen weniger überrascht als alle andere vom Ausmaß der anlasslosen Überwachung. Und deshalb bin ich tatsächlich noch wählerischer in der Auswahl von Internetdiensten geworden.
Matthias Spielkamp: Aber man darf nicht den Fehler machen, zu denken, damit wäre das Problem gelöst, denn in erster Linie geht es darum, dass der Souverän (wir!) aufzeigt, dass wir nicht ausspioniert werden wollen.
Dr. Imke Sommer: Genau!

Moderator: Und hier noch eine Live-Frage:
aristo: @Imke Sommer: Selbst wenn der Datenschutz einen gebührenden Platz im europäischen Regelwerk findet, was hindert dann gerade Staaten wie die USA, trotzdem zu spionieren. Für wie wahrscheinlich halten sie ein Zustandekommen völkerrechtlicher Verträge?
Dr. Imke Sommer: Die öffentliche Meinung spielt eine riesige Rolle. Auch in den USA. Also liegt es an all denjenigen, die sich öffentlich äußern, klar zu machen, dass die Eingriffe von US-Unternehmen und staatlichen Stellen der USA von uns nicht toleriert werden. Und außerdem wollen diejenigen, die unsere Daten dann an die amerikanischen Nachrichtendienste weitergeben, hier in Europa mit ebendiesen Daten Geld verdienen. Durch eine starke Datenschutzgrundverordnung würden wir diese rechtlich zwischen die Stühle bugsieren. Das wäre sehr gut für unsere Grundrechte.

blogger: "Ein amerikanisches Gericht verpflichtet in einem jüngsten Urteil amerikanische Unternehmen zur Herausgabe von Daten, selbst wenn diese auf Servern außerhalb der Vereinigten Staaten liegen." (Quelle: Externer Link: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/urteil-in-den-usa-der-arm-des-amerikanischen-gesetzes-reicht-auch-ins-ausland-12915557.html)
Welche Folgen hat das für die europäische Datenschutzreform?
Dr. Imke Sommer: Das meinte ich mit den zwei Stühlen: Wir wollen die US-Unternehmen in eine Situation versetzen, in der es ihnen von uns verboten wird, wozu sie nach US-Recht verpflichtet werden. So werden sie unsere Verbündeten.
Matthias Spielkamp: Ein weiteres Beispiel, das zeigt, dass man Geheimdienste nicht mit Datenschutzbestimmungen "in den Griff" bekommt, sondern, wie Frau Sommer sagt, indem man an anderer Stelle den Druck erhöht. Denn die amerikanischen Unternehmen würden ja genau in die missliche Lage kommen, dass sie nach US-Gesetz etwas machen sollen, was sie nach EU-Recht nicht machen dürfen.

Moderator: Und nun einige Fragen nach wirtschaftlichen Folgen:
Stereomat: Wenn die Unternehmen nicht mehr mit Daten verdienen und handeln könnten, sind dann nicht Gebühren die Konsequenz?
Matthias Spielkamp: Das kann man nicht schwarz-weiß beantworten. Eine Auffassung ist, dass damit das Geschäftsmodell, das allein auf persönlichen Daten beruht, weniger attraktiv wird. Ich hätte diese Hoffnung. Zum anderen darf man nie vergessen, dass viele Nutzer die Angebote, die die Unternehmen machen, auch gern nutzen wollen.

bürger: Hat eine Verschärfung des Datenschutzes nicht negative Folgen im globalen wirtschaftlichen Wettbewerb?
Matthias Spielkamp: Die Hoffnung wäre eher, dass Menschen die Dienste von Unternehmen nutzen, die sorgsam mit ihren Daten umgehen. Es könnte also sogar ein Wettbewerbsvorteil sein. Bisher ist es allerdings so, dass die Nutzer das nicht so sehen, sondern die Angebote gut finden, die sehr datenintensiv sind, dafür aber oft auch einen bequemen Service bieten.
Dr. Imke Sommer: Das mit dem Wettbewerbsvorteil sehe ich auch so. Da hat Europa im Moment wohl die Nase vorn. Mein Eindruck aus Diskussionen mit Unternehmen ist, dass die sehr interessiert sind an Datenschutzmaßnahmen. Da profitiert der Datenschutz von der Parallele mit dem Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse.

Moderator: Kommen wir nun noch zum Thema Vorratsdatenspeicherung:
patti: Gibt es Ihrer Meinung nach auch eine datenschutzkonforme Variante der Vorratsdatenspeicherung?
Dr. Imke Sommer: Sehr wahrscheinlich nicht. Auch das EuGH-Urteil enthält starke Passagen, die das äußerst skeptisch sehen. Voraussetzung von grundrechtskonformen Eingriffen ist noch vor der Prüfung, ob es nicht mildere Mittel zu Erreichung des Zieles gibt, die Frage der Eignung. Die Eignung der VDS zur Verhinderung von terroristischen Anschlägen ist noch immer nicht nachgewiesen. Die von der US-Regierung mit einem Gutachten dazu beauftragte New American Foundation fand heraus, dass alle seit dem 11.9.2001 verhinderten terroristischen Anschläge durch „gute alte Polizeiarbeit“ verhindert wurden, nicht durch Vorratsdatenspeicherung.
Matthias Spielkamp: Ich glaube tatsächlich, dass die Frage nach der VDS hat mit Datenschutz wenig zu tun. Das Problem an der VDS ist die anlasslose massenhafte Datenspeicherung, wie Frau Sommer schon schrieb.

Moderator: Wir kommen schon zu unserer letzten Frage im heutigen Chat: Welche Rolle spielt das Thema Datenschutz im Europawahlkampf? Wird es überhaupt diskutiert?
Dr. Imke Sommer: Da bin ich vermutlich eine, die berufsbedingt eine selektive Wahrnehmung hat: Mir scheint, dass das Thema viel häufiger auftaucht, als das sonst in Wahlkämpfen der Fall ist. Das liegt sicherlich auch an Edward Snowden und daran, dass das europäische Parlament hier gute Aufklärungsarbeit geleistet hat.
Matthias Spielkamp: In meinem Bekanntenkreis wird das durchaus diskutiert. Aber ich denke, dass es für die meisten ein Thema unter vielen ist; ich kann mir kaum vorstellen, dass jemand sagt: Ich wähle Partei x, weil die für Datenschutz eintritt, und das, was sie bei anderen Themen sagen, mir nicht so wichtig ist. Aber es stimmt auch, dass Snowden für viel Aufmerksamkeit gesorgt hat. Und das ist sehr gut.

Moderator: Zum Nachlesen finden Sie zu diesem Thema auch noch Informationen auf Externer Link: bpb.de: Interner Link: https://www.bpb.de/dialog/europawahlblog-2014/181562/datenschutz-im-europawahlkampf

Moderator: Das waren 60 Minuten bpb-Expertenchat. Vielen Dank an die Nutzerinnen und Nutzer für die vielen Fragen, die wir aus Zeitgründen leider nicht alle beantworten konnten. Vielen Dank auch an Dr. Imke Sommer und Matthias Spielkamp, dass Sie sich die Zeit für die Nutzer genommen haben. Die beiden Experten werden versuchen, einige Fragen, die im Chat nicht zum Zug gekommen sind, im Nachhinein noch zu beantworten. Das Transkript dieses Chats können Sie dann in Kürze auf bpb.de nachlesen. Das Chat-Team wünscht allen noch einen schönen Tag.

myth: Das Problem beim Datenschutz und dem Schutz vor Cyberkriminalität ist doch eigentlich die Verwundbarkeit großer Firmen. Wie will eine europäische Regelung den Unternehmen vorschreiben wie sie ihre eigenen Daten und Geheimnisse schützen? Außerdem entstehen da ja für viele hohe Kosten - könnten die Übernommen werden?
Matthias Spielkamp: Da verwechseln Sie m.E. Datensicherheit und Datenschutz. Bei der Datensicherheit geht es darum, wie die Unternehmen ihre Daten vor unerlaubtem Zugriff schützen. Beim Datenschutz geht es darum, was sie mit den Daten machen dürfen.
Dr. Imke Sommer: Das meine ich auch: Die Kosten für die Datensicherheit müssen die Unternehmen selbstverständlich selbst aufbringen. Da geht es ihnen nicht besser als den Bürgerinnen und Bürgern. Sofern die Unternehmen mit personenbezogenen Daten beispielsweise von Kundinnen oder Mitarbeitern hantieren, folgt dies zusätzlich aus ihrer datenschutzrechtlichen Verantwortung für diese Daten. Staatliche Aufgabe ist es dann aber, dafür zu sorgen, dass die Rahmenbedingungen stimmen. Die Gesetze müssen von allen eingehalten werden.

dennis79: Inwiefern können wir als EU­Bürger überhaupt Einfluss auf die Datenschutz­Gesetzgebung aus Brüssel nehmen?
Matthias Spielkamp: Indem Sie z.B. an ihre EU-Abgeordneten schreiben und ihnen mitteilen, welche Regelungen sie gern hätten. Ich bin der Ansicht, dass es durchaus ein Demokratie-Defizit innerhalb der EU gibt und will daher nicht den Eindruck erwecken, es sei kein Problem, Einfluss zu nehmen. Aber den Einfluss, den man geltend machen kann, sollte man auch geltend machen.
Dr. Imke Sommer: Genau. Wir können am 25. Mai ein starkes EU-Parlament wählen, das sich für ein hohes Grundrechtsniveau in Europa einsetzt! Die europäische Diskussion über die Datenschutzregelungen ist ein gutes Beispiel dafür, dass ein starkes öffentliches Interesse an europäischen Normgebungsprozessen viel bewirken kann. Ohne eine solche europaweite Diskussion hätten die starken Bemühungen der us-amerikanischer Lobbies um Einflussnahme nicht so erfolgreich offen gelegt und zurückgewiesen werden können.

Elmar: Was bedeutet das TTIP für die nationalen und europäischen Datenschutzbestimmungen? Besteht denn die Gefahr, dass auch hier existierende oder ausgehandelte Standards aufgeweicht werden??.
Matthias Spielkamp: Die TTIP-Verhandlungen sind komplex und intransparent. Derzeit ist bekannt, dass es einen Vorschlag der USA gibt, mit TTIP Ländern zu verbieten, lokale Datenspeicherung vorzuschreiben. Das würde bedeuten, dass ein EU-Land einem Unternehmen nicht sagen dürfte: Die USA arbeiten derzeit nicht nach unseren Datenschutzstandards, daher ist es verboten, Daten auf Servern in den USA zu speichern. Dadurch, dass das nicht erlaubt wäre, nähme man den Ländern natürlich eine Möglichkeit, für einen hohen Datenschutzstandard zu sorgen. Insofern sieht es so aus, als würde TTIP tatsächlich in den Datenschutz "hinein regeln", und das ist abzulehnen..
Dr. Imke Sommer: Jedenfalls ist das Ob der TTIP-Verhandlungen ein starkes Druckmittel, auf das die EU auf keinen Fall verzichten sollte, was leider im Moment geschieht. Auch hier ist ein starkes EU-Parlament extrem wichtig, denn das Parlament kann das Abkommen scheitern lassen. Mein Eindruck ist, dass mittlerweile fast alle Fraktionen des Parlamentes über die Intransparenz erbost sind. Vielleicht birgt der anstehende personelle Wechsel in der Kommission ja die Gelegenheit, das Mauern gegenüber dem Europäischen Parlament zu beenden.