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Zwischen Nähe und Distanz: Was Lokaljournalismus leisten kann und was nicht

Netzdebatte Redaktion

/ 5 Minuten zu lesen

Lokaljournalismus schafft es im besten Fall komplexe Zusammenhänge auf ihre lokale Bedeutsamkeit herunterzubrechen. Gelingt ihm das, ist er für eine Gesellschaft unverzichtbar. Ein Interview mit der Journalismusforscherin Wiebke Möhring.

Der Lokaljournalismus steht vor den gleichen Problemen wie der Rest der Medienbranche. Kann er seine Stärken ausspielen sollte ihm das nichts ausmachen, meint Wiebke Möhring. (© picture-alliance)

Neben den finanziellen Sorgen vieler Medienhäuser, erleben einige auch einen Vertrauensverlust in Teilen der Gesellschaft. Ist der Lokaljournalismus davon genauso betroffen?

Wiebke Möhring: Ich glaube was schon immer Schutz und gleichzeitig auch Angriffsfläche für den Lokaljournalismus war, ist die Authentizität, die Lokaljournalismus haben muss. Weil die Menschen natürlich, anders als in anderen Bereichen, sehr wohl nachvollziehen können ob das, was die Journalisten schreiben der Realität – so man den Begriff nun verwenden möchte – entspricht. Die Menschen sind also viel weniger darauf angewiesen, das was sie lesen glauben zu müssen, weil sie diese Dinge ja vor Ort quasi direkt erfahren und überprüfen können. Insofern glaube ich kann Lokaljournalismus schon einen relativ hohen Glaubwürdigkeitspuffer haben, von dem er zehren kann. Genauso schnell kann der natürlich auch verspielt sein, wenn z. B. Dinge offensichtlich einseitig dargestellt werden oder parteinah berichtet wird.

Kann die tatsächliche Nähe zur Leserschaft denn von Vorteil sein, um beispielsweise leichter mit den Menschen in den Dialog zu kommen?

Nach meiner Einschätzung auf jeden Fall. Gut, dass Sie das auch nochmal auf den Bürger begrenzen. Diese soziale Nähe ist sehr viel schneller aufzubauen. Dadurch kann dann auch die Hemmschwelle, sich mit einem Anliegen an die Zeitung zu wenden, sehr viel geringer sein. Wenn sie längere Zeit in einem bestimmten Berichterstattungsgebiet wohnen und dort auch als Konstante wahrgenommen werden, baut sich ein Vertrauensverhältnis auf, das genutzt werden kann, um zu tatsächlichen Dialogstrukturen zurückzukommen.

Wenn es also selbst dem Lokaljournalismus nicht gelingt, den direkten Kontakt zu seinen Lesern herzustellen, dann glaube ich ist es um den Journalismus insgesamt nicht gut gestellt. Wir haben hier eigentlich ein Paradeberichterstattungsgebiet, in dem die Nähe zu den Lesern eine fundamentale Rolle spielt.

Über Wiebke Möhring

Prof. Dr. Wiebke Möhring ist Journalismusforscherin mit dem Schwerpunkt Lokaljournalismus und -kommunikation am Institut für Journalistik der TU Dortmund. Sie gehört außerdem zum Beraterkreis der Externer Link: drehscheibe, die von der Bundeszentrale für politische Bildung in Zusammenarbeit mit dem Projektteam Lokaljournalisten herausgegeben wird.

Welche demokratische Funktion spielt Lokaljournalismus in der Hinsicht?

Die übergeordnete und noch gar nicht so sehr normative oder demokratietheoretische Funktion ist Orientierung zu geben. Also in erster Linie soziale Orientierung zu geben. Wobei sozial hier sowohl gesellschaftlich als auch individuell gemeint ist. Die soziale Orientierungsfunktion halte ich für den Lokaljournalismus als die zentrale. Und dazu gehören die klassischen Funktionen, die ja dann auch demokratietheoretisch fundiert sind und aus der sich die Sonderaufgaben für die Presse ergeben: Informations- und Meinungsbildung, also die Unterstützung des Meinungsbildungsprozesses, aber auch Kritik und Kontrolle des eigenen Berichterstattungsraumes. Insofern hat Lokaljournalismus an der Stelle eine ganz wichtige demokratietheoretische Funktion. Denn auch wenn es mittlerweile viele andere Quellen gibt: Die einordnende, bewertende Funktion von Ereignissen im eigenen Berichterstattungsraum, auf deren Basis Menschen sich eine Meinung über politische und gesellschaftliche Vorgänge bilden können, ist in meinen Augen eine unverzichtbare Größe.

In einigen Regionen und Gemeinden gibt es nur eine einzige Lokalzeitung. Ist der Mangel an Vielfalt nicht ein Problem für den Meinungsbildungsprozess?

Dass publizistische Vielfalt mit publizistischer Qualität einhergeht, ist keine gesetzte Gleichung. Was ich für eine viel größere Gefahr für publizistische Qualität halte, sind Konzentrationserscheinungen, die in erster Linie durch monetäre, also verlegerische Entscheidungen stattgefunden haben. Wenn das aus einer Zusammenlegung entstandene Berichterstattungsgebiet auf einmal für den einzelnen Journalisten oder die einzelne Journalistin zu groß geworden ist, dann sind sie nicht mehr genug Teil der jeweiligen Gemeinschaft, um adäquat darüber berichten zu können. Also die Einordnung von innen heraus – und das ist ja eine ganz große Funktion, die Lokaljournalismus leisten kann – die funktioniert nicht mehr, wenn die Journalisten die lokalen Strukturen nicht kennen und nicht mehr einordnen können. Das ist eine eindeutige Gefahr für die publizistische Qualität.

Trotzdem: Wenn wir nur einen Anbieter haben, kann es natürlich sein, dass strukturell bestimmte Themen vernachlässigt werden. Aus welchen Gründen auch immer. Deshalb sind neugegründete (hyper-)lokale Plattformen, die sich genau auf solche Lücken konzentrieren, aus publizistischer Sicht sehr begrüßenswert. Es gibt eine Belebung des "thematischen Geschäfts".

Die Qualität folgt dabei natürlich manchmal nicht ganz den journalistischen Standards. Manche Blogger wollen ja auch gar keine Journalisten sein. Sie sehen sich viel eher als persönliche Kommentatoren. Sie wollen also die Dinge aus einer stark meinungsgeleiteten Perspektive kommentieren und nicht Bericht erstatten. Und das wiederum verlangt von den Leser/-innen diese Inhalte einzuordnen, was manchmal gar nicht so einfach ist. Vom klassischen Lokaljournalismus sind sie vielleicht einen stark nachrichtenorientierten Stil gewöhnt und wenn sie dann in Blogs mit stark meinungsbildenden Inhalten konfrontiert werden, kann die Trennung zwischen Meinung und Nachricht manchmal schwerfallen.

Viele Menschen empfinden heute sehr konkrete Ängste vor sehr abstrakten Entwicklungen: Globalisierung, Migration, Terrorismus. Was kann Lokaljournalismus leisten, um große Zusammenhänge herunterzubrechen und solchen Ängsten so möglicherweise entgegenzuwirken?

Lokaljournalismus hat ja, wenn man so will, zwei zentrale Berichterstattungsaspekte. Der eine ist: Was passiert in meiner Umgebung? Und der andere ist: Was passiert außerhalb meiner Umgebung und hat Auswirkungen auf mein Berichterstattungsgebiet? Je mehr größere und gesellschaftlich übergreifende Problematiken außerhalb des lokalen Kreises von sich reden machen, desto wichtiger wird natürlich der Bezug auf die persönliche Nahwelt und eben die Frage: Was bedeutet das für uns als Gemeinde, als Landkreis, als Stadtteil?

Insofern ist das Herunterbrechen und Sichtbarmachen von politischen, gesellschaftlichen und globalen Themen ganz entscheidend und hochrelevant, damit diese gesellschaftlichen Ereignisse entsprechend auch in den lokalen Kontext eingeordnet werden können.

Dabei kann natürlich fürchterlich viel falsch gemacht werden. Also verstehen Sie mich richtig: Damit meine ich, dass das Herunterbrechen komplexer Zusammenhänge auf einen konkreten Fall immer das Problem birgt, dass dieser eine Fall möglicherweise nicht repräsentativ für das gesamte Problem steht. Und dieser Abwägungsprozess, der beschäftigt Lokalredaktionen.

An der Stelle spielen journalistische Standards dann wieder eine ganz zentrale Rolle: Dass man versucht, unparteiisch zu bleiben und nicht zu stark anwaltschaftlich für ein bestimmtes Problem einzutreten, ohne gleichzeitig zu prüfen, welche Ängste in der Bevölkerung vorhanden sind.

Gerade im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise gibt es da ja tolle Projekte, wo z.B. gemeinsame Besichtigungen von Unterkünften organisiert und Dialogstrukturen außerhalb der Medienlandschaft geschaffen werden. Die Zeitung versteht sich dann im Idealfall als eine Art Moderator im lokalen Dialog.

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