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Hände weg von der Fünf-Prozent-Klausel! | Themen | bpb.de

Hände weg von der Fünf-Prozent-Klausel!

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Die Fünf-Prozent-Hürde habe sich in Deutschland bewährt, sagt der Politikwissenschaftler Dieter Nohlen. Sie habe nicht dazu geführt, dass die politischen Verhältnisse erstarrten. Zudem seien Sperrklauseln gerade für parteipolitisch instabile Zeiten wie im Augenblick gedacht.

Dieter Nohlen (© privat)

Sperrklauseln in Verhältniswahlsystemen lassen sich aus den Anforderungen rechtfertigen, die in parlamentarischen Demokratien an das Wahlsystem gestellt werden. Das Parlament hat hier nicht nur die Funktion, das Volk in seinen politischen Anschauungen und Gruppierungen zu repräsentieren. Aus ihm geht auch die Regierung hervor. Das Wahlsystem muss deshalb so gestaltet sein, dass stabile Regierungen zustande kommen.

Dazu dienen in Verhältniswahlsystemen unter anderem gesetzliche Sperrklauseln. Sie schränken den Proporz und damit die Parteienvielfalt auf der Parlamentsebene ein. Es ist diese Funktion zugunsten stabiler Mehrheitsregierungen, die auch nach bisheriger Rechtsauffassung des Bundesverfassungsgerichts die Fünf-Prozent-Sperrklausel in der personalisierten Verhältniswahl legitimiert.

Politische Verhältnisse nicht erstarrt

Die Fünf-Prozent-Hürde, international vielerorts angewandt, hat sich in der Bundesrepublik bewährt. Sie wurde in der heutigen Form erstmals bei den Wahlen von 1953 angewandt. Seither hat sich die Zahl der Fraktionen im Bundestag zwischen drei und (seit der deutschen Einheit) fünf bewegt. Das hat die Regierungsbildung erleichtert, entsprechend der internationalen (und nicht nur der Weimarer) Erfahrung, dass mit der Zahl der Parteien auch die Schwierigkeiten der Bildung stabiler Regierungen wachsen.

Die Sperrklausel ist gleichzeitig nicht so hoch, dass sie die parteipolitischen Verhältnisse erstarren lässt. Der Aufstieg der Grünen ist dafür der Beweis. Auch hat sie in der Regel keine proportional stark verzerrten Wahlergebnisse hervorgerufen. Deutschland zählt zu den Ländern mit der höchsten Übereinstimmung der prozentualen Anteile, die Parteien im Vergleich von Stimmen und Mandaten im Parlament aufweisen.

Zahl der nicht erfolgreichen Stimmen verringert

Diese Daten sprechen eindeutig dafür, die Hände von der Fünf-Prozent-Klausel zu lassen. Machtpolitisch ist ihre Reduzierung oder gar Abschaffung vollends aussichtslos. Allenfalls das Bundesverfassungsgericht könnte die Fünf-Prozent-Klausel kippen, da es sich vorbehalten hat, die Sperrklausel und ihre Höhe daraufhin zu überprüfen, ob sie den grundgesetzlichen Erfordernissen der Wahlrechtsgleichheit (die Karlsruhe nicht nur als Zählwertgleichheit, sondern auch als Erfolgswertgleichheit versteht, d.h. dass alle Stimmen den effektiv gleichen Einfluss auf die Zusammensetzung des Parlaments haben) und der Chancengleichheit der Parteien standhält.

Unter fünf Prozent (© dpa)

In der Tat wird gegenwärtig problematisiert, dass 15,7 Prozent der Stimmen bei den jüngsten Wahlen keinen Erfolgswert hatten. Zur Erinnerung: 1949 entfielen 24 Prozent der Stimmen auf Parteien, die jeweils weniger als 5 Prozent der Stimmen erhalten hatten. Die Parlamentssitze teilten sich seinerzeit auf elf Parteien und drei parteilose Abgeordnete auf, nach Einführung der Fünf-Prozent-Klausel waren es 1953 nur noch sieben und 1957 nur noch fünf. In dem Maße, wie die Konzentration im Parteiensystem voranschritt, verringerte sich die Zahl der nicht erfolgreichen Stimmen bis 1969 auf 3,5 Prozent. In den Jahren des Zweieinhalbparteiensystems aus CDU/CSU, SPD und FDP zwischen 1982 und 1987 verzeichneten im Schnitt nur 1,0 Prozent der Stimmen keinen Erfolgswert.

Keine dauerhaft veränderten Verhältnisse

Dass Parteien knapp an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, ist nichts Neues. Das Besondere der Wahlen von 2013 ist, dass es gleich zwei Parteien traf: die FDP und die Alternative für Deutschland (AfD). So wurde die Summe nicht erfolgreicher Stimmen in die Höhe getrieben. Daraus kann aber nicht geschlussfolgert werden, die Verhältnisse hätten sich derart geändert, dass jetzt eine Aufhebung oder Absenkung der Sperrklausel angesagt sei.

Erstens ist nicht davon auszugehen, dass durch das Wahlergebnis von 2013 konstant neue Verhältnisse entstanden sind. Momentanem Wählerverhalten mit einer Änderung der Wahlgesetze hinterher zu laufen, würde zu einer höchst bedenklichen Praxis führen. Jedes Wahlergebnis könnte derart interpretiert werden, eine Reform nahezulegen.

Kleine Parteien nicht ins Parlament

Zweitens kann die Argumentation nicht lauten: Als es wenige Parteien gab, war die Fünf-Prozent-Klausel legitim; jetzt, wo die Verhältnisse auf mehr Fragmentierung hindeuten, ist sie fragwürdig. Sperrklauseln sind gerade gedacht für schwierige Zeiten, in denen die parteipolitischen Verhältnisse instabil sind oder zu werden drohen. Gerade wenn die Sperrklausel (mechanisch) greift und kleine Parteien vom Parlament fernhält, erweist sie ihre Nützlichkeit. Dass es neben der kaum koalitionsfähigen AfD die FDP getroffen hat, die eine zentrale Rolle im Koalitionssystem der Bundesrepublik als Mehrheitsbeschafferin gespielt hat, kann man koalitionspolitisch bedauern, denn es reduziert die Koalitionsalternativen. Ihretwegen dem Gesetzgeber die Verringerung der Sperrklausel auf 3 Prozent aufzuerlegen, käme aber einer Lex FDP gleich - einem Gesetz, dass speziell zur Unterstützung der FDP geschaffen wird. Das wäre der Öffentlichkeit kaum zu vermitteln.

Im Übrigen scheiden Parteien ohne parlamentarische Vertretung ja nicht aus der öffentlichen Diskussion aus. Sie kommen vielmehr in der Mediendemokratie reichlich zu Wort: Sie sind in den politischen Talkshows sogar im Verhältnis zu ihrem Stimmenanteil bei weitem überrepräsentiert, zumal wenn es sich um polarisierende Newcomer wie die Piraten oder die AfD handelt.

Fussnoten