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Statt nationalistischer Propaganda europäische Verständigung | Geschichte der Bundeszentrale für politische Bildung | bpb.de

Geschichte der bpb Reichszentrale für Heimatdienst 1918-1933 Gründung und Aufbau 1952-1961 Interview mit Carl Christoph Schweitzer Etablierung und Ausbau 1961-1969 Wandel und Neuformierung 1969-1981 Konsolidierung und technischer Fortschritt 1981-1989 Politische Bildung für das vereinte Deutschland 1989-1998 Neue Aufgaben, neue Wege 1999 – 2011 60 Jahre bpb Erlasse Direktoren und Präsidenten Redaktion

Statt nationalistischer Propaganda europäische Verständigung Von der Reichszentrale für Heimatdienst zur Bundeszentrale für politische Bildung – ein Blick in die Vergangenheit.

Rüdiger Thomas

/ 4 Minuten zu lesen

Die Bundeszentrale ist eine Bildungseinrichtung in staatlicher Trägerschaft. Das ist in westeuropäischen Demokratien sehr ungewöhnlich. In anderen Ländern sind es in der Regel gesellschaftliche Gruppierungen, die politische Bildungsaufgaben wahrnehmen. Deutschland hat eine andere Tradition.

Konrad Adenauer und Charles de Gaulle. Der deutsche Bundeskanzler und der französische Staatspräsident stehen bis heute sinnbildlich für die europäische Verständigung. (© AP)

Institutionelle Anfänge ab 1918

Im November 1957 wurde das Ostkolleg der Bundeszentrale für Heimatdienst gegründet mit dem Ziel, die Kommunismus-Diskussion wissenschaftlich zu begleiten. (© bpb)

Noch im letzten Kriegsjahr wurde 1918 die Reichszentrale für Heimatdienst begründet, die zunächst den Durchhaltewillen der Bevölkerung stärken sollte. Sie wurde in der Weimarer Republik institutionell beibehalten und konzeptionell fortentwickelt, um in der ersten deutschen Demokratie grundlegende politische Informationen zu vermitteln, wobei Form und Inhalt ihrer Tätigkeit aus heutiger Sicht nicht immer unproblematisch waren. Nachdem die Nationalsozialisten die Reichszentrale im März 1933 aufgelöst hatten und sich auf die Politpropaganda des Goebbels-Ministeriums beschränkten, geriet die Reichszentrale in den frühen Nachkriegsjahren in das milde Licht einer demokratischen Tradition. Die im November 1952 offiziell gegründete Bundeszentrale für Heimatdienst (BZH) knüpfte an einen alten Namen an, auch wenn ihre Tätigkeit mit derjenigen der Reichszentrale kaum vergleichbar ist. Interessant ist allerdings, dass sie ein strukturelles Merkmal der Reichszentrale übernommen hat: ein parlamentarisches Kontrollgremium, das der regierungs- und parteipolitischen Unabhängigkeit dienen sollte. Dieses Kuratorium ist zu einem wichtigen Garanten für eine weitgehend von Regierungseingriffen unabhängige Arbeit geworden. Die Ziele der Bundeszentrale für politische Bildung wurden im Gründungserlass seinerzeit sehr allgemein mit der Aufgabe umschrieben, "den demokratischen und europäischen Gedanken“ zu fördern. Doch bereits von Anbeginn bildeten ebenso die Geschichte des Nationalsozialismus sowie der Ost-West-Konflikt zentrale Arbeitsschwerpunkte. Dass der Begriff "Heimatdienst“ höchst missverständlich war, um Aufgaben und Zielsetzung zu charakterisieren, hat schließlich die 1960 berufene Kommission der Bundesregierung zu Fragen der politischen Bildung mit ihrer erfolgreichen Anregung zur Umbenennung in den seit 1963 geltenden Namen bestätigt.

Auseinandersetzung mit dem Kommunismus

„Die politische Selbsterziehung des deutschen Volkes“ von Theodor Litt war 1953 der erste Titel der Schriftenreihe. (© bpb)

Der pauschale Begriff "Antikommunismus“ ist wenig hilfreich, um die Formen der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus in der Periode des "Kalten Krieges“ differenziert zu erfassen. Grundlegend sollte zwischen einer Bekämpfung des Kommunismus mit allen Mitteln und einer geistig-politischen Auseinandersetzung unterschieden werden. Folgt man dieser Unterscheidung, dann gilt für die APuZ, dass in der Mitte der 1950er-Jahre in den Veröffentlichungen zum Ost-West-Konflikt, u. a. von George Kennan, Henry Kissinger und Richard Löwenthal, wissenschaftlich fundierte Beiträge – die auch heute noch durch ihre analytische Nüchternheit bestechen – gegenüber propagandistisch aufgeladener Polemik im Vordergrund stehen. Hervorzuheben ist auch, dass in der ideologischen Auseinandersetzung mit dem Kommunismus deutlich zwischen der Gesellschaftstheorie von Karl Marx und dem Sowjetkommunismus unterschieden wird, was besonders eindrucksvoll ein 1954 erschienener Beitrag von Helmut Gollwitzer zeigt, der sich auch dezidiert gegen die damals in den USA praktizierte Gesinnungsschnüffelei des berüchtigten Senators Joseph McCarthy wendet. Nach dem KPD-Verbot in der Bundesrepublik und der Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes Ende 1956 sind auch polemische, antikommunistische Beiträge in der APuZ zu finden, doch überwiegen auch in dieser Periode Texte, die dem Anspruch auf wissenschaftliche Fundierung von Information und Analyse aus meiner Sicht weitgehend gerecht werden.

Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust

Kurz vor seinem Ausscheiden als Direktor der Bundeszentrale für politische Bildung erhält Dr. Paul Franken (M.) im Dezember 1968 das Bundesverdienstkreuz. Sein Nachfolger Dr. Hans Stercken (l.) und der damalige Bundesinnenminister Ernst Benda (r.) gratulieren. (© bpb)

Die Politologin Gudrun Hentges hat sich in ihrer Habilitationsschrift mit der Frühzeit der Bundeszentrale für Heimatdienst auseinandergesetzt. Es ist die bisher umfangreichste Publikation zur Entstehung und zur Frühgeschichte der Bundeszentrale. Diese Untersuchung ist verdienstvoll, weil sie auf einer akribischen Auswertung zahlreicher Archivalien basiert. Sie weist u. a. auf verschiedene Akteure im Umkreis der BZH hin, die unbestreitbar NS-belastete Personen waren. Für die Projekte der Bundeszentrale waren aber vor allem der Direktor und seine vier Gründungsreferenten entscheidend, die allesamt Gegner des Nationalsozialismus gewesen waren. Ich habe mich sehr eingehend mit den Publikationen der BZH beschäftigt und dabei den Eindruck gewonnen, dass hier frühzeitig eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus stattgefunden hat. Bereits in den beiden ersten Jahrgängen der APuZ 1954 und 1955 sind insgesamt 22 Ausgaben dem Nationalsozialismus gewidmet. Dabei steht die Würdigung des deutschen Widerstandes gegen Hitler, fokussiert auf die Militäropposition des 20. Juli 1944, im Vordergrund. 1955 wird dann in der bereits 1953 begründeten Schriftenreihe unter dem Titel "Dokumentation zur Massenvergasung“ der "Gerstein-Bericht“ über die Ermordung der Juden in den Konzentrationslagern publiziert. In den "Informationen zur politischen Bildung“ bleibt das Thema zunächst weitgehend ausgeblendet. Hier steht der Komplex "Europa im Werden“ im Vordergrund. 1954 erscheint lediglich eine Ausgabe, die dem 20. Juli 1944 gewidmet ist. Erst 1967/68 wird in drei Ausgaben die Geschichte des Nationalsozialismus systematisch dargestellt. Wenn man die Bedeutung des Themas für die Arbeit der Bundeszentrale erfassen will, muss allerdings auch die Verbreitung angekaufter Verlagspublikationen in die Betrachtung einbezogen werden. Das gilt in erster Linie für die 1953 erschienene, erste fundierte Hitler-Biografie von Alan Bullock mit dem Untertitel "Eine Studie über Tyrannei“ wie auch für Wolfgang Schefflers grundlegende Darstellung "Judenverfolgung im Dritten Reich“ (1960), die in großer Stückzahl als Standardpublikation durch die Bundeszentrale verbreitet wurde.

Die Gründungsgeschichte der Bundeszentrale für Heimatdienst ist aktuell erforscht worden von Prof. Dr. Gudrun Hentges, Hochschullehrerin für Politikwissenschaft in Fulda. Zu diesem Thema schreibt sie auch in der APuZ Nr. 46-47/2012 "Politische Bildung“. Demnächst erscheint ihr Buch "Staat und politische Bildung“ (Springer, Wiesbaden).

Fussnoten

Weitere Inhalte

Von 1981 bis 2002 war Rüdiger Thomas Arbeitsgruppenleiter für Publikationen in der bpb und zusätzlich von 1984 bis 1994 leitender Redakteur der APuZ (Aus Politik und Zeitgeschichte).