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Baader-Meinhof international? | Die Geschichte der RAF | bpb.de

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Baader-Meinhof international?

Tobias Wunschik

/ 11 Minuten zu lesen

Die RAF verfügte über enge internationale Verbindungen. Palästinensische Gruppen trainierten die deutschen Linksterroristen. Auch die Stasi unterstütze die Terroristen massiv.

Die RAF suchte die internationale Vernetzung und Unterstützung von Gesinngsgenossen. Daher nannte sich das Kommando beim Anschlag auf Ernst Zimmermann 1985 nach dem getöteten IRA-Aktivisten Patsy O'Hara . (© AP)

Lange vor den Terroranschlägen der Al-Qaida in den USA am 11. September 2001 erschütterte in den 1970er und 1980er Jahren ein "hausgemachter" Terrorismus die Bundesrepublik Deutschland. Die internationale Dimension des deutschen Linksterrorismus nimmt sich auf den ersten Blick bescheiden aus, verglichen mit den Anschlägen desislamistischen Terrornetzwerks auf fast allen Kontinenten, seinen weltweit rekrutierten Kadern und seinen Nachrichtenwegen über das World-wide-web. Die Wurzeln der politisch motivierten Gewalt lagen großenteils in der Bundesrepublik, die RAF-Mitgliederwaren Deutsche, und nur selten kam es zu Anschlägen jenseits der Landesgrenzen.

Doch auch das Vorgehen von Roter Armee Fraktion (RAF), der "Bewegung 2. Juni" und Revolutionären Zellen (RZ) besaß eine internationale Dimension. Die politisch motivierte Gewalt gilt zumeist weniger den unmittelbar Angegriffenen selbst, sondern dem dahinter vermuteten Gegner - etwa den westlichen Demokratien und der amerikanischen Führungsmacht (dem "Imperialismus"). Gerade die RAF betrachtete sich als Teil einer weltweiten Front und pflegte intensive Kontakte zu anderen (links-)terroristischen Organisationen in Westeuropa, was in gemeinsamen Bekennerschreiben und Strategiepapieren zum Ausdruck kam.

Die internationalen Verbindungen nährten Motivation und Selbstverständnis (bzw. Selbstüberschätzung) der Terroristen und waren vor allem von praktischem Nutzen. So wurden gelegentlich knappe Ressourcen wie Waffen, Sprengstoff oder Geld miteinander geteilt. Vielfach wurde im Ausland ein militärisches Training absolviert und verfolgungsfreier Aufenthalt gesucht - meist im Nahen Osten, zeitweilig aber auch in der DDR. Nachfolgend gilt es zu prüfen, wie eng und bedeutsam die internationale "Anbindung" der deutschen "Stadtguerilla" tatsächlich war, wurde darüber doch schon vielfach spekuliert.

Dimensionen der Verflechtung

Die deutschen Linksterroristen der 1970er und 1980er Jahre erklärten wie die studentische Protestbewegung von 1968, gegen die Ausbeutung in der "Dritten Welt" zu kämpfen, und engagierten sich international in unterschiedlichem Maße. Insgesamt blieb die "Bewegung 2. Juni" am stärksten auf ihr lokales Umfeld (in West-Berlin) konzentriert, suchte aber dennoch Unterstützung im Nahen Osten. Für ihre Vorläuferorganisation, die "Tupamaros Westberlin", hatte die palästinensische Befreiungsbewegung sogar die Rolle eines "Geburtshelfers" gespielt. Denn der Anführer der "Tupamaros", Rainer Kunzelmann, hatte im September 1969 zusammen mit anderen bei der Al-Fatah in Jordanien den Umgang mit Waffen erlernt. Auch die Ideologie der Gruppe wurde dadurch beeinflusst, und fortan war ihr der palästinensisch-israelische Konflikt wichtiger als der Vietnam-Krieg. Aufgrund von Kontakten der "Bewegung 2. Juni" zu den Palästinensern war der linksrevolutionäre Südjemen dann auch bereit, jene Terroristen aufzunehmen, die durch die Entführung des Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz im Februar 1975 freigepresst worden waren.

Die RZ suchten seit ihrer Bildung im Jahr 1973 die Kooperation mit der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP), der zweitstärksten Fraktion innerhalb der PLO. Nach einer gemeinsamen, jedoch umstrittenen Flugzeugentführung im Jahr 1976 nach Entebbe in Uganda kam es über die Frage der internationalen Koordination zur Spaltung. Johannes Weinrich und Magdalena Kopp schlossen sich der Gruppe des Top-Terroristen "Carlos" an.

Die hierarchischen Strukturen der RAF sowie ihre konspirative Abschottung hätten einer internationalen Vernetzung abträglich sein müssen. Jedoch existierte die Gruppe vergleichsweise lange, so dass sich internationale Bande entwickeln und festigen konnten. So erklärte sich die RAF zur Verbündeten der nordvietnamesischen FNL, der PLO, der nordirischen IRA und der mosambikanischen Frelimo. Der RAF-Angehörige Volker Speitel traf außerdem Vertreter der baskischen Terrorgruppe ETA. Besonders die dritte Generation der RAF pflegte mit "wechselndem Erfolg" Kontakte zu Gesinnungsgenossen in Frankreich, Belgien und Italien. Ideologisch gerechtfertigt wurde dies im so genannten Mai-Papier von 1982 mit dem angeblich notwendigen Aufbau einer gemeinsamen "antiimperialistischen Front" in Westeuropa. Doch nicht immer waren die Annäherungsversuche von Erfolg gekrönt. So benannte die RAF das Kommando beim Anschlag auf Ernst Zimmermann im Jahr 1985 nach dem getöteten IRA-Aktivisten Patsy O'Hara. Die nordirische Terrororganisation wies dies jedoch als "Schändung des Namens" zurück.

Verbindungen zum Nahen Osten

Da die deutsche "Stadtguerilla" ein potenzielles "revolutionäres Subjekt" hierzulande kaum finden konnte, boten sich Befreiungsbewegungen in der "Dritten Welt" als natürliche Verbündete an. Diese waren Adressaten (und Empfänger) von Zuspruch und Bestätigung, sie waren Vorbilder und Objekte der Identifikation. Die deutschen Linksterroristen stützten ihre Weltanschauung neben einem stark selektiv rezipierten Marxismus-Leninismus insbesondere auf die Befreiungsideologie aus der "Dritten Welt", etwa von Che Guevara, Ho Chi Minh, Carlos Marighella und Régis Debray. Zu Fehlwahrnehmung und Selbstüberschätzung neigend, sah die RAF in der Entstehung teilweise mächtiger Befreiungsbewegungen einen untrüglichen Beweis dafür, dass der globale gesellschaftliche Umsturz nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Durch ihre Anschläge auf den "Imperialismus" glaubte die RAF den "Sieg im Volkskrieg" in entfernten Erdteilen befördern zu können - und sah sich umgekehrt durch das Agieren der Befreiungsbewegungen hierzulande im Aufwind.

In der Praxis schätzte die RAF, von der ersten bis zur dritten Generation, besonders die Kooperation mit der palästinensischen Befreiungsbewegung. Bereits wenige Wochen nach der Baader-Befreiung, dem inoffiziellen Gründungsdatum der RAF, reisten neben Andreas Baader auch Horst Mahler, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und andere zum Training bei der Al-Fatah nach Jordanien. Später suchte die RAF enge Kontakte insbesondere zum Chef der PFLP, Wadi Haddad, der vom sowjetischen KGB unterstützt wurde. In palästinensischen Trainingscamps in Jordanien, später im Südjemen und zuletzt im Libanon wurden RAF-Angehörige militärisch ausgebildet - neben Angehörigen der ETA, IRA und der Irischen Nationalen Befreiungsarmee. Bereits 1981 wurde angenommen, dass mindestens jeder zehnte deutsche Terrorist eine Ausbildung in einem palästinensischen Lager durchlaufen hatte - der tatsächliche Anteil dürfte weit höher liegen.

Im Mai 1972 kam es angeblich zu einer Übereinkunft der RAF mit palästinensischen (sowie japanischen) Terroristen, sich fortan gegenseitig zu unterstützen. Als die palästinensische Terrorgruppe "Schwarzer September" kurz darauf die israelische Olympiamannschaft in München überfiel, forderte sie die Freilassung von 234 Palästinensern aus israelischer Haft, wollte aber auch Baader und Meinhof auf freiem Fuß sehen. Im Jahre 1976 sollte dann in Nairobi ein gemischtes deutsch-palästinensisches Kommando ein israelisches Flugzeug abschießen. Mit der Entführung eines Lufthansa-Verkehrsflugzeuges im Herbst 1977 griff die PFLP der deutschen Seite erneut massiv unter die Arme.

Kooperation mit palästinensischen Gruppen bedeutete vor allem punktuelle Zusammenarbeit bei Anschlägen und der Ausbildung - nicht so sehr weltanschauliche Auseinandersetzung. Dass palästinensische Waffenbrüder Seite an Seite mit ihnen kämpften, bestärkte die deutschen Linksterroristen in ihrer Motivation. Dabei waren die Kräfteverhältnisse eindeutig: Die PFLP hielt tausende junger Männer unter Waffen, wohingegen die RAF wohl zu keinem Zeitpunkt mit mehr als einem Dutzend Mitglieder gleichzeitig im Nahen Osten präsent war. Allerdings waren die palästinensischen Terrorgruppen an westlichen Verbündeten interessiert, denn diese konnten zur Vorbereitung von Anschlägen viel unauffälliger durch Europa reisen.

Bei den teilweise mehrmonatigen Trainingsaufenthalten in palästinensischen Camps kam es bisweilen zu konkurrierenden Loyalitäten. So schied Friederike Krabbe aus der RAF aus und blieb im Nahen Osten, weil sie sich in einen Palästinenser verliebt hatte. Krabbe ist bis heute verschwunden.

Waffenbrüder in Westeuropa

Anders als gegenüber den Palästinensern entwickelten sich die Kontakte der RAF zur französischen Action Directe (AD) zunächst auf einer theoretischen Ebene, bevor es in der Praxis zu gemeinsamen Aktionen kam. Bereits ihre Entstehung im Frühjahr 1979 führten die französischen Linksterroristen auch auf die als "vorbildlich" verstandene Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer zurück. Neben persönlichen Bindungen kam es zu gegenseitiger logistischer Hilfestellung wie etwa dem Austausch von Sprengstoff oder gefälschten Ausweisen.

Ein gemeinsames Strategiepapier von 1985 war auf deutsch verfasst und dann schlecht ins Französische übersetzt worden, was eine "ideologische Hegemonie" der RAF und eine "weitgehende Unterordnung" der AD erkennen ließ. In diesem Jahr bekannten sich die Gruppierungen gemeinsam zu zwei Mordanschlägen in Deutschland und Frankreich, und auch ein Hungerstreik der inhaftierten Mitglieder beider Gruppen wurde zeitgleich beendet. Die Verhaftung von vier Anführern der AD im Jahr 1987 setzte den Schlussstrich unter die Kooperation. Bereits zwei Jahre zuvor hatte ebenfalls ein großer Fahndungserfolg zum weitgehenden Abbruch der Beziehungen zwischen der RAF und den belgischen Cellules Communistes Combattantes (CCC) geführt, die in den Jahren zuvor gemeinsame Erklärungen unterzeichnet und Sprengstoff gleicher Herkunft verwendet hatten.

Einen vergleichsweise langen, doch nicht nur von Erfolg gekrönten Kontakt pflegte die RAF zu den italienischen Roten Brigaden. Bereits Anfang der siebziger Jahre war es zu ersten Treffen gekommen, doch war offenbar keine gemeinsame Linie gefunden worden. Die weltanschaulichen Dissonanzen resultierten wohl daraus, dass der Terrorismus insgesamt "in Italien stärker in der Gesellschaft verwurzelt (war) als in Deutschland", und so fühlten sich italienische Linksterroristen eher zur "Bewegung 2. Juni" hingezogen, die stärkere Bindungen in die linksextreme Szene besaß als die RAF.

Die Entführung von Schleyer durch die RAF verärgerte den führenden Vertreter der italienischen Terrororganisation, Mario Moretti, denn angesichts der bevorstehenden Entführung des früheren Ministerpräsidenten Aldo Moro war ihm "die Show gestohlen" worden. Im Jahr 1978 wollte die RAF gemeinsam mit den Roten Brigaden den NATO-Oberbefehlshaber Alexander Haig entführen, doch letztlich kam es zu keiner Vereinbarung. Auch als sich im Folgejahr Brigitte Mohnhaupt, Werner Lotze und zwei weitere RAF-Mitglieder mit Moretti trafen, forderte dieser "Parteistrukturen" von der RAF. Dem hatte die deutsche Seite nichts entgegenzusetzen, weswegen das Gespräch ein "völliges Desaster" war. Trotz weiterer Begegnungen blieb es bei "Tauschaktionen falscher Papiere" sowie finanziellen Transaktionen im Rahmen einer "gewissen Solidarität", wie Moretti später erklärte. Noch 1986/87 wurden Terrorkommandos nach gefallenen Angehörigen der jeweils anderen Gruppe benannt; im Jahre 1988 wurde zudem ein Bekennerschreiben von beiden Seiten unterzeichnet. Dann jedoch entzweiten ideologische Differenzen und der Führungsanspruch der RAF die deutschen und die italienischen Linksterroristen.

RAF und DDR-Staatssicherheit

Auf der Suche nach Verbündeten richtete die RAF verstohlene Blicke auch auf das andere Deutschland. Die Linksterroristen und der SED-Staat teilten einen weltanschaulichen Grundkonsens und politische Interpretationsmuster in einer "unübersehbaren Geistesverwandtschaft". Beide sahen sich an der Seite der Befreiungsbewegungen und kämpften gegen "Imperialismus" und "Kapitalismus". Aus marxistisch-leninistischer Sicht blieb Ost-Berlin allerdings skeptisch, was die Kampfform des "individuellen Terrorismus" betraf. Und die sowjetische Maßgabe der "friedlichen Koexistenz" respektierte die RAF ebenso wenig wie die führende Rolle der kommunistischen Parteien.

Als im April 1970 in Guatemala eine linksgerichtete Guerilla den bundesdeutschen Botschafter, Karl Graf Spreti, ermordete, begrüßte dies das "Neue Deutschland" - und die Baader-Meinhof-Gruppe fasste dies wiederum als Bestätigung auf. Als die RAF im August vom militärischen Training in Jordanien zurückkehrte, traf Hans-Jürgen Bäcker als erster in Berlin-Schönefeld ein. Dort wurde er wegen einer mitgeführten Pistole zwar festgenommen, berichtete anschließend jedoch freizügig über die Tatbeteiligungen wie auch über die weiteren Pläne der Gruppe und wurde freigelassen.

Meinhof selbst flog ein paar Tage später zurück und ersuchte beim Zentralrat der FDJ darum, die "Organisierung des Widerstandes in West-Berlin" von der DDR aus betreiben zu können. Doch Meinhof wurde hingehalten und am nächsten Tag nicht mehr über die Grenze gelassen - zu einem Pakt war das SED-Regime (noch) nicht bereit. Hätte es Meinhof erneut versucht, wäre sie vermutlich ebenfalls verhört und abgeschöpft worden. Trotz der Ablehnung ließ die Baader-Meinhof-Gruppe die Hoffnung jedenfalls nicht fahren und schrieb zwei Jahre später, ihr Ziel sei "ein einheitliches sozialistisches Deutschland, mit der Arbeiterklasse der DDR und ihrer Partei, und niemals gegen sie".

Die zweite Generation der RAF stand Ost-Berlin zunächst gleichgültig, teilweise sogar kritisch gegenüber. Weiterhin profitierten die steckbrieflich gesuchten Terroristen jedoch von den Reisemöglichkeiten über Schönefeld. Weil sie gefälschte Personaldokumente verwendeten, schlüpften sie manchmal sogar unerkannt durch die Grenze. Das RAF-Mitglied Willy Peter Stoll wurde zwar einmal angehalten, nach Feststellung seiner wahren Identität jedoch umgehend freigelassen. Ähnliche Erfahrungen machte im Frühjahr 1978 Inge Viett. Ihr wurde Reisefreiheit zugesichert. Als ihr Kampfgefährte Till Meyer im Mai 1978 gewaltsam aus dem Gefängnis in Moabit befreit wurde, konnten die Täter so über Ost-Berlin entkommen. Und als Viett einen Monat später in Prag festgenommen wurde, organisierte das Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS) sogar ihre Freilassung.

Die mittlerweile zur RAF gewechselte Viett wurde zur Mittelsperson, als zunächst acht Gruppenmitglieder Anfang 1980 ein sicheres Aufnahmeland suchten. Viett sollte mit Hilfe Ost-Berlins den Kontakt zu einem linksrevolutionären Staat (wie Algerien, Mosambik oder den Kapverdischen Inseln) herstellen. Nun bot das MfS an, die Betreffenden in die DDR aufzunehmen. Werner Lotze, Silke Maier-Witt, Susanne Albrecht, Monika Helbing, Ekkehard von Seckendorff-Gudent, Christine Dümlein, Sigrid Sternebeck und Ralf Baptist Friedrich erhielten im Oktober 1980 in der DDR eine neue Identität. Als Nachzügler folgten Henning Beer und Viett. Zunächst wurden die Aussteiger in so genannten Operativen Personenkontrollen bearbeitet, dann teilweise als Inoffizielle Mitarbeiter (IM) angeworben.

Die problemlose Aufnahme weckte "das politische und materielle Interesse der RAF". Zwischen 1980 und 1982 kamen so zwei- bis dreimal jährlich die RAF-Angehörigen Christian Klar, Adelheid Schulz, Helmut Pohl und die damals noch aktive Inge Viett in die DDR. Die Untergrundkämpfer seien dort regelrecht "aufgepäppelt" worden, so ein dafür Verantwortlicher. Die Staatssicherheit habe zudem über geheimpolizeiliche Kanäle in den Fahndungscomputern des Bundeskriminalamts prüfen lassen, welche gefälschten Ausweise der Linksterroristen im Westen zu einer Verhaftung führen könnten, und sie vor deren weiterer Verwendung gewarnt. Als "vertrauensbildende Maßnahme" habe das MfS mindestens zweimal ein militärisches Training organisiert: "Inge Viett hat gut geschossen, Pohl hat schlecht geschossen und Klar normal." Bei den Schießübungen wurde ein Schäferhund in einem Mercedes angekettet, um die Wirkung einer Panzerfaust auf lebende Objekte zu testen.

Aus Furcht, die DDR könne der Unterstützung des internationalen Terrorismus bezichtigt werden, tendierte das MfS zunehmend zu einer vorsichtigeren Linie - und hielt die Linksterroristen hin. "Wir hätten - statt mit ihnen zu reden - auch das Neue Deutschland' lesen können", stellte Helmut Pohl enttäuscht fest. So ging die "RAF-Stasi-Connection" 1983/84 teilweise in die Brüche. Gegenüber der dritten Generation der RAF lautete jetzt die Maxime, neu bekannt gewordene Mitglieder "zur Verhinderung von Diskriminierungs- und Diffamierungsmaßnahmen des Gegners gegenüber der DDR unter operative Personenkontrolle" zu stellen.[55] Um die Verbindungen zu verschleiern, kamen Inoffizielle Mitarbeiter wie der Ex-Terrorist Till Meyer zum Einsatz. Er sollte im Auftrag des MfS "falsche Fährten" legen, wenn Journalisten den Aufenthalt der RAF-Aussteiger recherchieren wollten und ihn deswegen als "Insider" kontaktierten.

Trotz dieser Absicherung wurde 1986 die Identität von Maier-Witt, Albrecht und Viett bekannt. Maier-Witt waren westliche Geheimdienste auf die Spur gekommen. Daher musste sie ihr bisheriges Umfeld über Nacht verlassen und abermals eine neue Identität annehmen. Im Jahr 1987 fragte das Bundeskriminalamt in Ost-Berlin nach, 1988 sogar die Bundesregierung, ohne jedoch über Beweise zu verfügen. Auch im Umfeld von Albrecht wucherten 1986 Gerüchte, doch die Staatssicherheit drohte ihren misstrauischen Arbeitskollegen mit strafrechtlicher Verfolgung. Viett wurde 1986 von einer Bekannten bei einer Westreise auf einem Fahndungsplakat erkannt - und erhielt von der Staatssicherheit eine neue Identität.

Während sich die RAF offen zu ihren Verbindungen mit palästinensischen und anderen "Befreiungsbewegungen" bekannte, stellte sie die Unterstützung durch das MfS auch nach dem Untergang der DDR in Abrede.[58] Die deutschen Linksterroristen wollten wohl als politisch unabhängig gelten und mit der Spießbürgerlichkeit sowie dem Dogmatismus des erstarrten Einheitssozialismus nicht in Verbindung gebracht werden.

Schluss

Die internationalen Kontakte der RAF waren weltanschaulich, psychologisch und praktisch bedeutsam: Ihre Kampfgefährten suggerierten die Einbindung in eine weltweite Front (die nie existierte). Die Trainingscamps waren unverzichtbar, um den Umgang mit Waffen zu erlernen. Die Unterstützung durch palästinensische Kräfte hat den Aufbau einer deutschen Stadtguerilla erheblich erleichtert, und die spätere Protektion durch das MfS der DDR hat ihren Fortbestand mit ermöglicht. Trotzdem operierte die RAF "immer selbständig" und hat "ihre Unabhängigkeit nie beschränkt".[59] Die externe Unterstützung kann nicht als primäre Ursache des Linksterrorismus in der Bundesrepublik gelten.

Fahndungserfolge in mehreren europäischen Staaten Ende der 1980er Jahre beschnitten die internationalen Verbindungen der RAF. Von den inhaftierten Gesinnungsgenossen waren nur noch Solidaritätsadressen zu erwarten, jedoch keine praktische Unterstützung mehr. Endgültig in die Isolation geriet die RAF aber erst, als sie nach der so genannten Kinkel-Initiative auf eine moderatere Linie einschwenkte und im Jahr 1992 auf Gewalt gegen Menschen verzichtete. Diesen Kurswechsel geißelten die Action Directe, die Roten Brigaden und die Cellules Communistes Combattantes als konterrevolutionäres Einknicken vor dem Gegner.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Tobias Wunschik, geboren 1967, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Er veröffentlichte u.a. das Buch "Baader-Meinhofs Kinder. Die zweite Generation der RAF".