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Konfession und Reichspolitik | Reformation: Luthers Thesen und die Folgen | bpb.de

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Konfession und Reichspolitik

Axel Gotthard

/ 6 Minuten zu lesen

Ein kommunikatives Desaster herrschte im Reichsverband am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges. Im Streit über die evangelische Forderung nach einer Bekräftigung des Religionsfriedens zerbrach der Reichstag. Unmittelbar danach gründeten evangelische Reichsstände ihre "Union", es folgte 1609 die katholische "Liga". Das Jahr 1608 markiert den Beginn der Vorkriegszeit.

Ein gutes Vierteljahrhundert lang hat der Religionsfrieden tatsächlich befriedet. Aber dann wurde ziemlich rasch ziemlich Vieles schlechter, es häuften sich wieder interkonfessionelle Konflikte. Man zerstritt sich über der vorgeblich einzig richtigen, einzig zulässigen Lesart des Religionsfriedens. Es eskalierte der Streit der Interpretationsschulen.

Ignatius von Loyola. Porträtbüste. Rom, Mitte des 17.Jh., unter Verwendung der Totenmaske. (© picture-alliance/akg)

Warum diese merkliche Zäsur in den frühen 1580er Jahren? Das ist nicht befriedigend geklärt. Wahrscheinlich ist es auch eine Frage der Generationenabfolge: Die, die noch die Querelen und Kriege vor 1555 erlebt und mit dem Religionsfrieden darauf reagiert hatten, starben nacheinander weg. An ihre Stelle traten forsche junge Leute, die in konfessionellem Geiste, etwa an Jesuitenkollegs, erzogen worden waren und den Altvorderen ihre vermeintlich übertriebene Kompromissbereitschaft ankreideten. Dass das Reich zusehends konfessionell polarisiert wurde, liegt sodann gewiss auch an der Revitalisierung des Katholizismus, ohne, dass man ihm das anlasten dürfte. Generationenlang hatte er wie gelähmt zusehen müssen, wie da ein Gebiet nach dem anderen (so fast ganz Norddeutschland) evangelisch wurde, dann begannen aber doch die Erneuerungsimpulse und der Kampfauftrag des Konzils von Trient auch auf deutschem Boden zu greifen, man hielt nun entschlossen dagegen.

Alle Konflikte, die den Reichsverband und seine Institutionen seit den 1580er Jahren zerschlissen, drehten sich um die Auslegung bestimmter Paragraphen des Religionsfriedens. Wir haben zwei der Problemzonen des Augsburger Friedenswerks kennengelernt, den Reichsstädteparagraphen und den Geistlichen Vorbehalt. Was für Konflikte haben sie ausgelöst?

Die Reichsstädte wurden ihrer heute so vernünftig und modern anmutenden Bikonfessionalität nicht recht froh. Veranstalteten Katholiken eine Prozession, sahen sich die Protestanten bis aufs Blut provoziert – wenn nur Steine flogen und keine Gewehrkugeln, durfte man erleichtert sein. Schmetterten die Protestanten lautstark ihr "Erhalt uns HERR bey deinem Wort/ Und stewr [steure] des Bapst und Türcken mord", ärgerten sich an der Kirche vorübergehende Katholiken über alle Maßen. In der Tat, ein damals besonders beliebtes Lied Luthers ("und steure Deiner Feinde Mord", so hat man es inzwischen entschärft, gesungen wird es noch immer) stellte den Papst rhetorisch mit dem islamischen "Türcken", dem vorgeblichen "Erbfeind" des christlichen Abendlandes auf eine Ebene. Kein Wunder, dass der Rat der Stadt Dinkelsbühl, der der Augsburger Religionsfrieden die Bikonfessionalität auferlegt hat, die evangelische Gemeinde nur dann finanziell unterstützen wollte, wenn sie versprach, das Lied nicht zu singen! Noch 1629 urteilte eine Flugschrift, durch "jhr täglichs, oder stündliches geplärr vnd geschray Steur des Pabsts vnd Türcken mordt" stellten die Protestanten unter Beweis, dass kein anständiger Mensch mit ihnen friedlich zusammenleben könne.

Konzil von Trient. Darstellung der 23. Sitzung des Konzils von Trient in der Kathedrale S.Vigilio, 15. Juli 1563. Gemälde, Venedig, zweite Hälfte 16.Jh., früher Tizian (c.1476 - 1576) zugeschrieben. (© picture-alliance/akg)

Ferner hat die Datierung für Querelen gesorgt, so wie anderswo auch in Augsburg. Der Rat der zwangsbikonfessionellen Stadt entschied sich für den neuen, also katholischen Kalender. Als ein dagegen opponierender lutherischer Prediger 1584 der Stadt verwiesen werden sollte, rotteten sich die protestantischen Bürger zusammen – der "Augsburger Kalenderstreit" wurde weniger wissenschaftlich denn handgreiflich ausgetragen. Weil der mehrheitlich katholische Rat unnachgiebig blieb, gingen die Protestanten sozusagen in die innere Emigration. Sie verinnerlichten die neue Zeitrechnung einfach nicht, wurden dabei ertappt, wie sie am offiziellen Sonntag arbeiteten, werktags aber ins Umland ausbüchsten, um einen Gottesdienst zu besuchen, weil für sie Sonntag war. Es hat die Atmosphäre in der Stadt für Jahrzehnte vergiftet. Als im Dreißigjährigen Krieg die Schweden in Augsburg einzogen, nutzten das die – nun politisch maßgeblichen – Protestanten sogleich für eine Wiedereinführung des alten, falschen, aber sozusagen rechtgläubigen Kalenders.

In die Reichsstadt Aachen sind sogar zweimal katholische Truppenverbände einmarschiert, um die Vorherrschaft der alten Kirche wiederherzustellen. Doch nehmen wir als Exempel für militärische Auseinandersetzungen eines, das sich um den Geistlichen Vorbehalt dreht! Der Kölner Erzbischof, Kurfürst Gebhard, wollte 1583 zum Protestantismus konvertieren, eigentlich aus privaten Gründen, um heiraten zu können; seine Entourage überredete ihn, nicht zurückzutreten, ein Politikum daraus zu machen. Der Papst erklärte den Bischof für abgesetzt, der Kaiser den Landesherrn für seines Reichslehens verlustig, das Domkapitel wählte einen katholischen Nachfolger. Doch versuchte Gebhard jahrelang, von Holland aus das Erzstift mit Truppenmacht zurückzuerobern. Es war ein – übrigens sehr blutiger – Krieg um den Geistlichen Vorbehalt, die katholische Seite setzte ihre Lesart mit Waffengewalt durch.

Dass mit wachsender Konfrontationsbereitschaft um konfessionelle Besitzstände gerungen wurde, hat die Reichspolitik zunehmend belastet. Ein Reichsorgan nach dem anderen wurde arbeitsunfähig oder doch wirkungslos.

Betrachten wir nur, wiederum exemplarisch, eines davon, den Reichstag! Die Katholiken besaßen dort eine strukturelle Mehrheit, spielten sie seit den 1580-er Jahren immer ungenierter aus – weshalb die Protestanten ihrerseits den Kreis der Materien, die angeblich Glaubens- und Gewissenssache, also gar nicht majorisierbar seien (wir erinnern uns: die Protestation von 1529!), immer weiter ausdehnten. Um 1600 kam in kämpferisch evangelischen (also zumal calvinistischen) Kreisen die Ansicht auf, sogar Reichssteuern seien nicht majorisierbar, da sie der Kaiser ja doch nur bei den Protestanten vollständig eintreibe, um sie so zu schwächen, sie seinen katholischen Parteigängern hingegen unter der Hand erlasse. Die Reichstagsarbeit wurde immer mühseliger. Zum Fanal wurde der Reichstag von 1608. Die Protestanten reisten schon erregt an. Es liegt erstens daran, dass katholische Kampfschriften seit geraumer Zeit erklärten, der Religionsfrieden sei schon deshalb sein Papier nicht wert, weil Vereinbarungen mit Ketzern grundsätzlich keine Rechtskraft zukomme. Es war geradezu ein Lieblingsthema jesuitischer Autoren. Gebildete Zeitgenossen wussten, wo sie in den Sachregistern nachzuschauen hatten: unter F wie "fides". "Fides haereticis servanda", so lautete die geläufige Überschrift über solchen katholischen Erörterungen: Muss ich ein Häretikern, also Irrgläubigen gegebenes Wort halten? Nein! riefen hier frohgemut immer mehr Autoren. Solche Schriften mussten das Grundvertrauen in die Verlässlichkeit der politischen Mitspieler unterminieren.

Zweitens gab es für die evangelische Erregung einen aktuellen Anlass: Unmittelbar vor Reichstagsbeginn waren nämlich bayerische Truppen in die seitherige Reichsstadt Donauwörth einmarschiert. Wie so häufig, waren dort Prozessionen von der evangelischen Mehrheit gestört worden. Der Reichshofrat verhängte schließlich die Reichsacht über die Stadt. Anstatt des lutherischen Herzogs von Württemberg, der eindeutig zuständig gewesen wäre (Donauwörth lag im Schwäbischen Reichskreis), beauftragte er den katholischen Herzog von Bayern mit der Exekution. Maximilian von Bayern zog sogleich, noch 1607, mit Truppenmacht in Donauwörth ein, übergab die Pfarrkirche den Jesuiten, verbot evangelischen Gottesdienst und unterwarf die Reichsstadt seiner vorerst "kommissarischen" Verwaltung. Daraus wird nie mehr Selbstverwaltung, Donauwörth mutiert zur bayerischen Landstadt. Es war eine Kette von Rechtsverdrehungen und Machtdemonstrationen. Die evangelischen Reichsstände waren in tiefster Sorge: Welches evangelische Territorium würde als nächstes an der Reihe sein?

Schon alarmiert und aufgewühlt, ehe der Reichstag so recht anhub, beobachteten die Protestanten sodann mit wachsender Erbitterung, wie die Katholiken auch in den Reichstagskurien mit nie gekanntem Selbstbewusstsein auftrumpften, "jesuitische consilia" (Pläne) dirigierten den Widerpart, hieß es alsbald auf evangelischer Seite. Die Protestanten verlangten deshalb schließlich, ehe sie die vom Kaiser gewünschte Reichssteuer bewilligen könnten, eine förmliche Bestätigung des Religionsfriedens im Reichsabschied. Indem sich die Politiker demonstrativ von publizistischen Ruhestörern distanzierten, die ja den Religionsfrieden immer öfter für nicht mehr bindend erklärten, würde man ein Fundament für wieder vertrauensvolle politische Zusammenarbeit legen und sich so gleichsam selbst aus dem Sumpf ziehen – so das Kalkül der Antragssteller. Stattdessen verlor man nun vollends den Boden unter den Füßen. Die katholische Seite witterte verschlagene Hintergedanken, und auch wenn sich über sie nur vage rätseln ließ – auf den Leim gehen würde man ihnen natürlich nicht.

Es ist bezeichnend für das kommunikative Desaster im Reichsverband am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges, wie sich die katholischen Reichstagsteilnehmer, anstatt ein konstruktives Gespräch mit den evangelischen Kollegen und auf diesem Wege Aufklärung zu suchen, in immer neuen finsteren Verschwörungsphantasien ergingen. Es mochte ja alles Mögliche hinter dem scheinbar harmlosen evangelischen Antrag stecken, eines freilich ganz gewiss nicht: was in statt zwischen den Zeilen stand. Im Streit über die evangelische Forderung nach einer Bekräftigung des Religionsfriedens zerbrach der Reichstag. Die ersten Protestanten zogen erbittert ab, die anderen hinterher. Es kam kein Reichsabschied zustande. Damit war das letzte bis dahin noch leidlich arbeitsfähige Reichsorgan gesprengt.

Wie sollten Konflikte fortan noch kanalisiert und gewaltlos geschlichtet werden? Musste man da nicht, um seine Interessen zu verfechten, fast zwangsläufig früher oder später zu den Waffen greifen? Solche Gedanken sind auch damals geäußert worden – man stellte sich im Grunde auf den nur schwer noch vermeidbaren Krieg ein. Unmittelbar nach dem desaströsen Ende des Reichstags gründeten evangelische Reichsstände ihre "Union", es folgte 1609 die katholische "Liga". Das Jahr 1608 markiert den Beginn der Vorkriegszeit. Das Reich ist seit 1608 ein jederzeit entzündbares Pulverfass; der verhängnisvolle Funkenschlag wird schließlich aus Böhmen herüberwehen: Auftakt zum Dreißigjährigen Krieg!

Prof. Dr. Axel Gotthard ist Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Zu seinen Schwerpunkten in Forschung und Lehre gehören Historische Friedens- und Konfliktforschung, vormoderne Verräumlichungspraktiken, die Bedeutung der Konfession und von Säkularisierungsprozessen für die europäische Geschichte und die politische, Kultur- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches. Er ist Verfasser zahlreicher Publikationen, u.a. "Das Alte Reich 1495-1806, Darmstadt 2003", "Der Augsburger Religionsfrieden, Münster 2004", "Der liebe vnd werthe Fried. Kriegskonzepte und Neutralitätsvorstellungen in der Frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2014"; zuletzt erschien (September 2016) "Der Dreißigjährige Krieg. Eine Einführung."