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Bilder der Weimarer Republik | Weimarer Republik | bpb.de

Weimarer Republik Themen Revolution(en) Nachkriegsgesellschaft "Krise" als Zeitdiagnose Kultureller Aufbruch Emanzipation Weimar Rezeption Chronologie 1918/19: Vom Kaiserreich zur Republik 1919-1923: Kampf um die Republik 1924-1929: Zwischen Festigung und Gefährdung 1930-1933: Zerstörung der Demokratie Redaktion

Bilder der Weimarer Republik West- und ostdeutsche Rezeptionsgeschichte im Vergleich

Axel Schildt

/ 14 Minuten zu lesen

Weimar war lange Zeit unpopulär und ihr Bild politisch überformt. In der Rezeption der frühen Bundesrepublik galt die Weimarer Republik als mahnendes Beispiel, aus dem Lehren gezogen werden sollten. Die DDR beklagte die unvollendete Revolution der Jahre 1918/1919. Wie haben sich die Bilder gewandelt?

Der Platz in Berlin Mitte wurde 1947, noch zur Zeit der Sowjetischen Besetzungszone (SBZ), nach der 1919 ermordeten KPD-Führerin Rosa Luxemburg benannt. Die Erinnerung an Luxemburg nahm in der ostdeutschen Erinnerungspolitik zur Weimarer Republik und v.a. der "unvollendeten" Revolution von 1918/19 einen zentralen Platz ein. (© picture alliance / NurPhoto)

Kurz zusammengefasst

  • Die Rezeption der Weimarer Republik war in beiden deutschen Staaten vom Kalten Krieg geprägt.

  • In der Bundesrepublik galt sie als Negativbeispiel, aus dem man Lehren ziehen konnte.

  • In der DDR galt das Scheitern der Republik als eine Folge einer nicht vollendeten Revolution und der Etablierung einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung.

Die Weimarer Republik war in beiden deutschen Staaten nicht populär und wurde von geschichtspolitischen Konstruktionen des Kalten Krieges geprägt. In groben Strichen zusammengefasst: In der Bundesrepublik galt die erste deutsche Demokratie als negatives Beispiel, aus dem die Lehren gezogen werden sollten, um die zweite Demokratiegründung zum Erfolg zu führen. In der Geschichtspropaganda der DDR wurde das Scheitern der Weimarer Republik als Folge des Abbruchs der Revolution und der Etablierung eines bürgerlichen Staates und kapitalistischen Wirtschaftsordnung angesehen. Während diese Sicht ungeachtet vieler Differenzierungen bis zum Ende der DDR beibehalten wurde, drangen alternative Deutungen, die Möglichkeit eines "dritten Weges", in der Bundesrepublik parallel zur Abschwächung des Kalten Krieges allmählich durch. Zugleich wurde nun auch die Gesellschaft und Kultur der Weimarer Republik in ihrer faszinierenden Widersprüchlichkeit entdeckt, ohne das von vornherein vorhandene schlechte Image völlig zu überdecken.

Die unpopuläre Republik

Die Weimarer Republik war in West- und Ostdeutschland gleichermaßen unpopulär, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. In der Bundesrepublik diente sie von den Gründungsjahren an als Negativfolie. Aus ihrem Scheitern sollten die Lehren für eine nun erfolgreiche zweite Demokratiegründung gezogen werden.

In der DDR wurde das Scheitern der Weimarer Republik geschichtspolitisch in Anspruch genommen und als Bestätigung dafür interpretiert, dass die Niederschlagung der Revolution von 1918 und die Aufrichtung einer kapitalistischen Staats- und Gesellschaftsordnung in der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre zwangsläufig zur "Machtübergabe" an Hitler, der Etablierung einer faschistischen Diktatur und schließlich zum Weltkrieg führen mussten. Die Republik von Weimar konnte in dieser Sicht nur eine "Republik auf Zeit" (Wolfgang Ruge) sein.

Während in der Bundesrepublik die erste deutsche Republik als schwache und mit Strukturfehlern behaftete Demokratie ohne Demokraten erschien, war in der DDR die parlamentarische Demokratie, die lediglich als getarnte Diktatur der Bourgeoisie galt, selbst eine folgenreiche Fehlentwicklung der Geschichte. Ihren symbolischen Ausdruck fanden diese sich auch im zeitgenössischen Diskurs voneinander abgrenzenden Sichtweisen in der Erinnerung an die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Januar 1919. Dass der Mord an den Gründern der KPD, für den hauptsächlich ein sozialdemokratisches Regierungsmitglied (Gustav Noske) politisch verantwortlich war, in einem westdeutschen bundesamtlichen Bulletin vom 8. Februar 1962 als "standrechtliche Erschießung" bezeichnet wurde, weil Deutschland nur so "vor dem Kommunismus gerettet werden konnte", und dass der verantwortliche Offizier Waldemar Pabst als wohlhabender Waffenhändler bis zu seinem Tod 1970 in der Bundesrepublik lebte, passte nur zu gut in die ostdeutsche Geschichtspropaganda. Die Lehren aus Weimar, so dekretierte die SED, seien bereits durch die "antifaschistisch-demokratische" Umwälzung in der SBZ unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg gezogen worden. Die unterschiedlichen Sichtweisen auf die Weimarer Republik radikalisierten sich zunehmend im Kalten Krieg. Während in der Bundesrepublik die offiziöse Version dominierte, Nationalsozialisten und Kommunisten hätten in Weimar als totalitäre Bewegungen einträchtig die Demokratie bekämpft, betonte die Geschichtspolitik der DDR die enge Verbindung der kapitalistischen und bürgerlichen Eliten mit der NSDAP. In der verbindlichen Sprachregelung der marxistisch-leninistischen Geschichtspolitik war die Partei Hitlers lediglich eine Marionette besonders aggressiver Teile eines Monopol- und Finanzkapitals. Zudem wurde die Sozialdemokratie der Weimarer Zeit kritisiert, weil sie eine Stütze der bürgerlichen Herrschaft gewesen sei und so Mitverantwortung für die Durchsetzung Hitlers trage. Schon die unterschiedliche Bezeichnung der Hitler-Partei als "nationalsozialistisch" in der Bundesrepublik und als "faschistisch" in der DDR illustriert die west- östlichen Gegensätze.

Über die Gründe für das schlechte Image der Weimarer Republik wurde sowohl in West- als auch in Ostdeutschland kaum nachgedacht. Die Herabsetzung der ersten deutschen Demokratie wurzelte nämlich bereits im zeitgenössischen politischen Kampf der 1920er Jahre selbst. Obwohl in den ersten freien und gleichen Wahlen – unter Einschluss der Frauen – zur Nationalversammlung im Januar 1919 eine Mehrheit von zwei Dritteln für die demokratischen Parteien stimmte, setzte sich bereits in den 14 Jahren des Bestehens der Weimarer Republik eine abwertende Charakterisierung in der politischen Kultur durch. Der Begriff "Vernunftrepublikaner" zeigte an, dass viele Anhänger der bürgerlichen Parteien wie etwa der nationalliberalen Deutschen Volkspartei, die Weimarer Republik nur als kleineres Übel sahen gegenüber dem politischen Chaos und eine drohende Revolution nur bedingt unterstützten. Und nicht nur die Kommunisten erhofften eine Überwindung des demokratischen und kapitalistischen Systems. Selbst in der Sozialdemokratie, die besonders eng mit der Entstehung des neuen Staates verbunden war und den ersten Reichspräsidenten und den ersten Reichskanzler stellte, gab es Diskussionen darüber, wie man zu einer echten "Wirtschaftsdemokratie" kommen könnte. Ein Slogan lautete: "Demokratie, das ist nicht viel – Sozialismus ist das Ziel!" Allerdings organisierten die Sozialdemokraten und die von ihnen kontrollierten Gewerkschaften am Ende der Weimarer Republik, gemeinsam mit Teilen der katholischen Zentrumspartei und der liberalen Staatspartei, die "Eiserne Front" als Sammlungsbewegung zum Schutz der Demokratie.

Deutschnationale und deutsch-völkische Kräfte und dann die NSDAP verweigerten der Weimarer Republik sogar die Anerkennung als Staat. Sie sprachen vom "System der Novemberverbrecher", ein Narrativ, das bereits im Kern antisemitisch geprägt war. Befördert worden sei dieses "System" durch die Manipulation intellektueller und meist jüdischer Demagogen. Diese hätten die proletarischen Massen aufgehetzt und so einen Dolchstoß in den Rücken des deutschen Heeres verübt und seien somit verantwortlich für die Niederlage im Ersten Weltkrieg. Die neue Regierungselite hätte Deutschland daraufhin mit dem Vertrag von Versailles in eine Knechtschaft unter den alliierten Mächten geführt. Diese haltlose Konstruktion galt im "Dritten Reich" als verbindliche Deutung der Weimarer Nachkriegszeit. Der brutale Terror gegen die politischen Gegner auf der Linken wurde 1933/34 durch eine Fülle von Korruptionsprozessen gegen Politiker der Weimarer Republik 1933/34 propagandistisch begleitet. In Köln zum Beispiel sah sich der damalige Oberbürgermeister Konrad Adenauer mit der Parole konfrontiert: "Fort mit Adenauer! Schluss mit der schwarz-roten Korruptionsmehrheit!"

Nach dem Zweiten Weltkrieg lag die Herabsetzung der Weimarer Republik vor allem für jene Bevölkerungsteile nahe, die ihr Engagement für die NS-Bewegung zu erklären hatten. Nicht selten wurde dieses mit dem Protest gegen die katastrophalen Weimarer Zustände gerechtfertigt.

Das anhaltend schlechte Image der ersten deutschen Demokratie ist allerdings nicht allein auf die Nachwirkungen der NS-Propaganda und die Rechtfertigungsnotwendigkeiten NS-belasteter Eliten zurückzuführen. Es entsprach zugleich den Lebenserfahrungen großer Teile der Bevölkerung. Die Weimarer Republik wurde als eine Zeit der ökonomischen Krisen und beruflichen Blockaden erinnert, die sogenannten Friedensjahre des "Dritten Reiches" hingegen von vielen als Phase sozialen Aufstieges und materieller Besserstellung geschätzt. Dass die Rüstungskonjunktur der 1930er Jahre der Vorbereitung des Weltkrieges diente, wurde kaum reflektiert. Insofern verwundert es nicht, dass bei einer repräsentativen Erhebung des Instituts für Demoskopie Allensbach (1951) nur sieben Prozent der Befragten die Weimarer Republik als die Zeit angaben, in der es Deutschland am besten gegangen sei (45 Prozent entschieden sich für das Kaiserreich und 40 Prozent für die Zeit von 1933 bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs). Solche Umfragen gab es in der DDR nicht, aber das schlechte Image der ersten deutschen Demokratie kann als gesamtdeutsche Grundlage gelten.

Lehren aus Weimar

Das Grundgesetz der Bundesrepublik, das 1948/49 im Parlamentarischen Rat ausgearbeitet wurde, gilt als prinzipieller Gegenentwurf zur Weimarer Reichsverfassung (WRV). Die in Artikel 1-19 vorangestellten und nicht durch Mehrheiten veränderbaren Grundrechte unterstrichen den normativen Wertegehalt gegenüber dem bloß "positivistischen" Charakter der WRV, die als bloßer Parteienkompromiss mit einem "Ermächtigungsgesetz" ausgesetzt werden konnte. Auch die staatliche Organisation – Demokratie, Republik, Bundesstaat, Sozialstaat – sollte Widersprüche wie in der WRV vermeiden, die als Strukturfehler angesehen wurden: Regierungen durften nicht mehr durch Negativkoalitionen abgesetzt werden können. Es bedurfte nun eines "konstruktiven Misstrauensvotums". Die Machtbefugnisse des Reichspräsidenten, der auf Basis des Notstandsparagraphen 48 der WRV Reichsregierungen einsetzen konnte, hatten sich unheilvoll ausgewirkt. Das Amt des Bundespräsidenten sollte nach der Architektur des Grundgesetzes, anders als der Weimarer Reichspräsident, nicht vom Volk gewählt werden, um zu vermeiden, dass eine gleich- oder sogar höherwertige präsidiale Legitimation neben dem Parlament entstehen könnte. Als zentrale Lehren des Scheiterns der Weimarer Demokratie galten die Verhinderung häufiger Wahlen, der Zersplitterung und Verantwortungslosigkeit der Parteien ebenso wie die Aufstellung hoher Hürden für den Einzug in den Bundestag und für Volksabstimmungen. Dahinter stand das allgemeine Bild der von dämonischen Demagogen der totalitären Bewegungen aufgepeitschten Masse, die schließlich Hitler an die Macht gebracht hätten. Dass dies ein – bewusst oder unbewusst benutztes – konservatives Entlastungsnarrativ zur Verdeckung der hauptsächlichen Verantwortung konservativer Eliten war und auch die Strukturdefizite der WRV einen geringeren Anteil an der Zerstörung der Weimarer Republik hatten als lange behauptet, gilt heute in der geschichtswissenschaftlichen Forschung als weithin geteilter Konsens.

Die vielzitierte Formel des Publizisten Fritz René Allemann "Bonn ist nicht Weimar" (1956) drückte die Erleichterung darüber aus, dass die zweite deutsche Demokratie im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin sich auf der Basis eines erfolgreichen wirtschaftlichen Wiederaufbaus politisch stabilisiert hatte. Wie nachhaltig sich das Narrativ der gescheiterten Weimarer Republik allerdings etabliert hatte, wird bis heute in krisenhaft empfundenen Phasen immer wieder deutlich. Von der Gefahr der Wiederkehr "Weimarer Verhältnisse" als Inbegriff politischer und wirtschaftlicher Unordnung wurde während der kurzen Phase der Rezession 1966/67 gesprochen, und bis 1968 diente die angebliche Parteienzersplitterung der ersten deutschen Demokratie als Argument für den noch im Vertrag zur Großen Koalition vereinbarten Übergang zu einem Mehrheitswahlrecht.

Einige politische Ereignisse und Entwicklungen der Weimarer Republik wurden im Übrigen in der Bundesrepublik bereits seit der Mitte der 1950er Jahre als positive Tradition hervorgehoben. Dazu zählte etwa die Benennung der Bundeszentrale für Heimatdienst (seit 1964 Bundeszentrale für politische Bildung) in Anlehnung an die Vorläuferorganisation in den 1920er Jahren. Vor allem der Kult – einschließlich eines Kinofilms – um den "Friedenskanzler" Gustav Stresemann passte gut zur Vermittlung der angestrebten deutsch-französischen Aussöhnung und europäischen Integration. Kritische Fragen zu seiner politischen Biographie wurden erst Jahrzehnte später gestellt.

Während in der Bundesrepublik die Weimarer Republik, wenn auch lange vornehmlich als Negativfolie, nachwirkte, spielte sie in der DDR als Tradition eine noch geringere Rolle. Lediglich die Geschichte der Kommunistischen Partei (KPD), in der die meisten Funktionäre der Staatspartei (SED), etwa Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht, in führender Funktion tätig gewesen waren, bildete eine historische Erfahrungsbrücke, ansonsten begann die "Zeitgeschichte" definitorisch mit dem Sieg über den "Hitler-Faschismus" und der DDR.

Die Beurteilung der Novemberrevolution – erstaunliche deutsch-deutsche Gemeinsamkeiten

Der Kalte Krieg, in dem sich West- und Ostdeutschland quasi stellvertretend als Frontstaaten gegenüberstanden, führte zu einer erstaunlichen Gemeinsamkeit in der Charakterisierung des Scheiterns der Novemberrevolution als Fundament der Weimarer Republik. In den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte erschien 1955 ein Aufsatz des Kieler Historikers Karl Dietrich Erdmann, der die dominante Interpretation vorgab: 1918/19 habe sich Deutschland in einer dramatischen Entscheidungssituation zwischen proletarischer Diktatur und parlamentarischer Republik befunden. Die verantwortlichen Kräfte der Regierung, die Sozialdemokraten um Friedrich Ebert, hätten gar nicht anders gekonnt, als mit konservativen Kräften, vor allem dem kaiserlichen Offizierskorps, zu kooperieren. Diese Sicht der Dinge, die den mehrheitlich reformistischen Teil der Sozialdemokratie in das Lager der antibolschewistischen Ordnung integrierte, erfüllte eine wichtige geschichtspolitische Funktion in der Bundesrepublik.

Dem Szenario einer dramatischen Alternative wurde aber auch von Historikern der DDR, selbstverständlich mit spiegelbildlicher Wertung, zugestimmt. Denn dadurch erhöhte sich auch die Bedeutung der revolutionären Kräfte in der Weimarer Republik. Interne Debatten gab es in der DDR 1957/58 allerdings darüber, ob es sich bei der Novemberrevolution um eine proletarische Revolution oder um eine bürgerlich-demokratische Revolution gehandelt habe. Walter Ulbrich setzte die Formel durch, es sei letztere gewesen, durchgeführt allerdings in gewissem Umfang mit proletarischen Mitteln und Methoden. Eine proletarische Revolution konnte es gemäß der marxistisch-leninistischen Doktrin nicht gewesen sein, denn diese wäre nicht ohne starke kommunistische Partei zu organisieren gewesen. Die KPD war aber erst am Jahreswechsel 1918/19 gegründet worden.

In der Bundesrepublik meldeten sich bereits in den 1960er Jahren kritische Stimmen gegen die These von der dramatischen Entscheidungssituation zu Wort, zu nennen sind die Historiker Erich Matthias, Peter von Oertzen, Ulrich Kluge u.a., die auf die nicht vorhandene empirische Grundlage dieser Theorie verwiesen. Die Arbeiter- und Soldatenräte hatten sich in ihrer übergroßen Mehrheit als aus der Not geborene Ordnungsmacht und nicht als Gegner der parlamentarischen Demokratie erwiesen, während linksradikale und kommunistische Einflüsse gering geblieben waren. Insofern hätte es für die Mehrheitssozialdemokratie Chancen gegeben, eine auf die Räte gestützte soziale Demokratie zu etablieren, ein Zwang zur Kollaboration mit den republikfeindlichen alten Eliten habe nicht bestanden. Der kommunistische Einfluss in den 1920er Jahren wiederum sei aus der Enttäuschung breiter Schichten der Arbeiterschaft über die Politik der Sozialdemokratie entstanden.

Dieser Interpretationsrahmen, der sich nicht zufällig in den 1960er Jahren, im Vorfeld der Protestbewegungen, entfaltete, wurde von den konservativen Historikern der Bundesrepublik wie von der geschichtspolitischen Propaganda der DDR als Illusion eines "reinen Rätegedankens" bzw. eines "dritten Weges" als Möglichkeit einer friedlichen Entwicklung im Gleichklang bekämpft. Im Fortgang seit den 1970er Jahren hielten die Historiker der DDR an ihrer offiziellen Interpretation fest, während sich die Diskussion in der Bundesrepublik differenzierte. Zwar wurde nun die weitgehende Zusammenarbeit der Sozialdemokratie mit den alten Eliten kritischer als zuvor betrachtet, aber auch die Chancen eines "dritten Weges" relativiert. Im Übrigen wurde die Novemberrevolution sowohl in der Geschichtspolitik als auch in den Forschungsinteressen der Geschichtswissenschaft immer weiter in den Hintergrund gedrängt und erst seit einigen Jahren wieder als "vergessene Revolution" (Alexander Gallus) wiederentdeckt.

Auflösung, Selbstpreisgabe oder Zerstörung – das Ende der Weimarer Republik

Mehr noch als der Anfang der Weimarer Republik interessierte ihr Untergang. Ihr Scheitern beglaubigte zugleich den über alle politischen Lager hinweg weithin bestehenden Konsens, dass sie strukturell von Anfang dem Untergang geweiht gewesen sei. Dabei setzte eine empirische Forschung zur Endphase der Weimarer Republik erst ein Jahrzehnt nach Kriegsende ein. Zuvor dominierten die Memoiren politischer und militärischer Entscheidungsträger, in denen vor allem den Siegern des Ersten Weltkrieges und deren Diktat von Versailles eine hohe Bedeutung für den Aufstieg der NS-Bewegung zugemessen wurde. Nicht die Weimarer Republik, sondern die Präsidialkabinette ihrer Endphase 1930 bis 1933 (Heinrich Brüning, Franz von Papen, Kurt von Schleicher), die zum Abbau der parlamentarischen Demokratie beitrugen, galten in der Zeitzeugenliteratur häufig als positive Alternative zum Nationalsozialismus.

Erst Mitte der 1950er Jahre gelangten die von den alliierten Mächten beschlagnahmten staatlichen Unterlagen aus der Zeit der Weimarer Republik in die Archive der beiden deutschen Staaten und ermöglichten fundierte politikgeschichtliche Forschungen. Eine wegweisende geschichtswissenschaftliche Studie veröffentlichte der Historiker Karl Dietrich Bracher unter dem Titel "Die Auflösung der Weimarer Republik" (1955). Erstmals wurden auf breiter Quellengrundlage die politischen Konstellationen der Phase der Präsidialkabinette 1930-1933 dargestellt. Bracher betonte die politische Verantwortung der konservativen Politiker für die Durchsetzung Hitlers. Allerdings wurde sein theoretischer Deutungsrahmen eines Machtvakuums, in dem sich die demokratische Republik auflöste und das von der NS-Bewegung ausgenutzt werden konnte, von zwei Seiten angegriffen. Konservative Interpreten wiesen der Sozialdemokratie, die 1930 die "Große Koalition" mit dem Zentrum, der DVP und der DDP im Streit um die Höhe der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung verlassen hatten, eine hohe Verantwortung zu. Die Historiker Karl Dietrich Erdmann und Hagen Schulze sprachen in diesem Zusammenhang von der "Selbstpreisgabe einer Demokratie". Linksliberale Interpreten wie Kurt Sontheimer betonten dagegen eher das rechte "antidemokratische Denken in der Weimarer Republik", so der Titel seines gewichtigen Werks von 1962, als verhängnisvolle Belastung ihrer politischen Kultur.

In der DDR ging die Geschichtsforschung und -propaganda dagegen von einer zielbewussten "Zerstörung" der bürgerlichen Demokratie durch eine Allianz von bürgerlichen Eliten und der NS-Bewegung aus, wobei diese letztlich die Weisungen des Monopol- und Finanzkapitals ausführte. Angesichts der unabweisbaren Quellen wurde auch in der westdeutschen Öffentlichkeit zumeist nicht die Mitverantwortung der wirtschaftlichen und bildungsbürgerlichen Eliten für die Machtergreifung Hitlers geleugnet, in der Regel aber mit dem Hinweis auf das Bedrohungsgefühl durch eine linke Revolution und soziale Abstiegsängste erklärt. In der Geschichtspolitik der DDR wurde eine solche Deutung ebenso vehement abgelehnt wie konkurrierende marxistische Deutungen, die zwar die Verantwortung kapitalistischer Eliten nicht leugneten, aber der NS-Bewegung ein hohes Maß an Autonomie zumaßen. Solche Interpretationen basierten auf der Wiederentdeckung von kommunistischen Außenseitern wie August Thalheimer oder Leo Trotzki, von Vertretern der sogenannten Kritischen Theorie und anderen Theoretikern der Studentenbewegung, die in den Jahren der Studentenrevolte wiederentdeckt worden waren. Letztlich aber standen sich bis zum Ende des Kalten Krieges – zumindest in der breiteren medialen Öffentlichkeit – zwei Bilder des Untergangs der Weimarer Republik gegenüber: In der Bundesrepublik wurde der Siegeszug der NSDAP vor dem Hintergrund der Staats- und Wirtschaftskrise betont, in der DDR war es das Monopol- und Finanzkapital, das die Krise zur Zerstörung der bürgerlichen Demokratie und zum Übergang in eine von ihr indirekt geleitete faschistische Diktatur ausnutzte, um die revolutionäre Arbeiterbewegung terroristisch auszuschalten.

Die Entdeckung der Weimarer Republik als Gesellschaft und Kultur

Nach den in starkem Maße geschichtspolitisch geprägten Kontroversen um Anfang und Ende der ersten deutschen Demokratie entwickelte sich erst seit den 1970er Jahren ein breites Interesse für die Gesellschaft und Kultur der Weimarer Republik. Nahezu alle historischen Gesamtdarstellungen über diese Zeit erschienen in den 1980er und 1990er Jahren. Stärker beachtet wurde nun auch die mittlere Phase zwischen Hyperinflation und Weltwirtschaftskrise. In Ost- und Westdeutschland wurden ihre kurze Dauer (1924-1929) und die nur scheinbare Stabilisierung von Staat und Gesellschaft betont. In der DDR galt sie explizit als "Phase der relativen Stabilisierung des Kapitalismus".

Aber mit der Entdeckung der kurzen mittleren Jahre der Weimarer Republik verband sich einerseits ihre Einbettung in die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts und andererseits ihre Anerkennung als ein bedeutsamer Abschnitt dieser Geschichte, der nicht als bloße Zwischenphase zwischen Kaiserreich und "Drittem Reich" fungierte. Die Weimarer Republik wurde nun als Höhepunkt und zugleich als Krise einer "klassischen Moderne" (Detlef Peukert) profiliert, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eingesetzt hatte. Aufmerksamkeit fanden nun die sozialpolitischen Leistungen der 1920er Jahre, etwa das Gesetz zur "Arbeitslosenvermittlung und Arbeitslosenversicherung" von 1927 oder der Massenwohnungsbau unter der Ägide des Neuen Bauens mit seinen Innovationen wie der nach ergonomischen Kriterien konzipierten Arbeitsküche zur Erleichterung der Hausarbeit.

Im Mittelpunkt des neuen Weimar-Bildes standen die Ansätze einer Konsummoderne und die Phänomene einer urbanen "Massenkultur": der "Unterhaltungsrundfunk" (seit 1923); der Kinofilm, der 1930/31 zum Tonfilm wurde; Illustrierte mit hoher Auflage; die weibliche Mode mit Hängekleid und "Bubikopf"; Shimmy, Charleston und Tango als neue Tänze; die Ausbreitung des Sports. Neben der "Massenkultur" bestimmte nun auch die Blüte der Bildenden Kunst, Musik und Belletristik das Bild der "Weimar Culture" – ein Begriff, der bereits im Exil während der NS-Zeit geprägt worden war. Schon im Vorfeld der Protestbewegung von 1968 waren die unabhängigen marxistischen Theoretiker der Weimarer Zeit wiederentdeckt worden. Zwei Jahrzehnte später wurde der intellektuelle Reichtum der 1920er Jahre auch als Teil einer deutsch-jüdischen Tradition betrachtet, der 1933 aus Deutschland vertrieben worden war. Weimar wurde nun auch zu einem kulturellen Sehnsuchtsraum.

Aus dem Bild einer angesichts der Rahmenbedingungen und politischen Strukturfehler von vornherein zum Scheitern verurteilten Demokratie wurde aber nicht nur eine historische Phase unabgegoltener Möglichkeiten, sondern zugleich auch extremer Widersprüche. Diese sah man nicht mehr wie im Kalten Krieg vor allem im Streit um geschichtspolitische Konstruktionen, etwa jener eines Kampfes zwischen wenigen Demokraten und ihren totalitären Feinden von links und rechts – so die westdeutsche Sicht – oder eines Kampfes der Klassen, so die marxistisch-leninistische Doktrin.

Vielmehr zeigte das neue Bild von Weimar, das sich am Ende des Kalten Krieges und der deutsch-deutschen Zweistaatlichkeit ausbreitete, die Janusköpfigkeit einer Zeit, in der urbane Lebensstile und konservative Heimattümelei nebeneinander und gegeneinander bestanden. Gleichzeitig erlebten humanistische Ideen und sozialistische Visionen einer friedlichen Zukunft ebenso eine Blüte wie völkischer Rassismus und Antisemitismus. Diese Widersprüchlichkeit könnte bewirken, dass das Interesse an der Geschichte der ersten deutschen Demokratie in den vergangenen Jahren wieder gestiegen ist.

Innerhalb der Geschichtswissenschaft gilt die Zeit der Weimarer Republik mittlerweile als ausgeforscht, ihr Bild hat sich in den vergangenen Jahrzehnten differenziert und pluralisiert. Allerdings wird das ursprüngliche schlechte Image damit nicht einfach abgelöst, sondern nur partiell überdeckt. Mochte die Rede von den "Weimarer Verhältnissen" in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg noch Lebenserfahrungen der Zeitzeugen transportieren, so führt sie im kulturellen Gedächtnis der Deutschen mittlerweile ein Eigenleben.

Prof. Dr. Axel Schildt ist Zeithistoriker und war bis 2017 Direktor der Forschungsstelle für Zeitgeschichte und Prof. für Neuere Geschichte an der Universität Hamburg.