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Migrationsgeschichte als persönliche Erfahrung und große Inszenierung | Kulturelle Bildung | bpb.de

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Migrationsgeschichte als persönliche Erfahrung und große Inszenierung Über den Beitrag historischer Museen zur kulturellen Bildung am Beispiel des Deutschen Auswandererhauses

Martin Schlutow

/ 10 Minuten zu lesen

Welche kreativen Zugangsmöglichkeiten bieten Museen für die historisch-politische Bildung? Das Auswandererhaus in Bremerhaven setzt auf die Erzählung persönlicher Geschichten und die Inszenierung großer Bilder. Migrationsgeschichte wird so zum Erlebnis für die Gäste. Aus geschichtsdidaktischer Sicht bietet dies Vor- und Nachteile.

Deutsches Auswandererhaus Bremerhaven (© PhilippN/wikimedia commons)

"Gewiss heiratest du in Amerika n' Cowboy." So soll Martha Hüners Vater im Jahre 1923 gesagt haben, als er seiner Tochter kurz vor ihrer Auswanderung in die USA eine Pferdebürste zum Abschied schenkte. Heute sind die Pferdebürste und die Lebensgeschichte Martha Hüners in der Dauerausstellung des ersten deutschen Migrationsmuseums, dem Deutschen Auswandererhaus in Bremerhaven (DAH), zu sehen und gelten als exemplarisch für die Sammelstrategie des Hauses. Denn das DAH hat sich zum Ziel gesetzt, historische Objekte zu sammeln und auszustellen, anhand derer Migrationsgeschichte persönlich nachvollziehbar wird: Fotos, Reisepässe, Koffer oder Erinnerungsstücke wie die Pferdebürste, die Martha Hüner ihr Leben lang als Andenken an ihre Heimat und ihre Eltern begleiten sollte, bilden laut Ausstellungskatalog das "Herz des Museums". Den Museumsbesuchern /-innen werden sie in einer Dauerausstellung präsentiert, die historische Schauplätze von Migration mit aufwendigen Rekonstruktionen so authentisch wie möglich nachbilden möchte. So versteht sich das DAH zum einen als erlebnisorientiertes Angebot auf dem touristischen Freizeitmarkt, zum anderen als historischer Lernort, an dem Geschichte erfahrbar und Migration verstanden werden soll.

Das DAH bietet damit einen vielversprechenden Ausgangspunkt für die Frage, welchen Beitrag historische Museen heute zur kulturellen Bildung leisten können, versucht es doch, die Objektnähe traditioneller historischer Museen mit der szenographischen Gestaltungsweise moderner Ausstellungstechnik zu verbinden. Im Folgenden sollen zur Beantwortung dieser Frage zunächst die Zielsetzungen sowie die zentralen Ausstellungsinhalte des DAH erläutert werden, ehe in einem zweiten Schritt das Lernpotenzial dieses historischen Museums beleuchtet wird.

Lernort oder Wirtschaftsfaktor? Zur Entstehungsgeschichte des DAH

Wer die Zielsetzungen und Arbeitsweisen eines Museums verstehen will, muss sich – dies lässt sich am Beispiel des DAH anschaulich zeigen – mit der Entstehungsgeschichte des Museums beschäftigen. Denn von der ersten Idee für ein Migrationsmuseum bis zur Eröffnung des DAH im Jahr 2005 veränderten sich die Zielsetzungen der Museumsinitiative grundlegend: Während die ersten Forderungen nach einem Migrationsmuseum für Bremerhaven, die Mitte der 1980er-Jahre aus privater Vereinsinitiative entstanden, noch primär auf ein Museum als Ort der Bildung und Wissenschaft setzten, geht das später realisierte DAH vor allem auf eine Initiative der Bremerhavener Wirtschaft zurück, die in dem Museum einen wichtigen Beitrag zur Förderung des Städtetourismus und der Wirtschaft in und um Bremerhaven sieht.

Mit dem Wandel in der Funktionszuschreibung für das Bremerhavener Migrationsmuseum gingen unterschiedliche Konzepte für die Ausstellungsgestaltung einher. Ein Konzeptpapier des "Fördervereins Deutsches Auswanderermuseum" von 1989 war noch ganz auf die Ergebnisse der historischen Migrationsforschung zugeschnitten und forderte für das Auswanderermuseum eine themenorientierte Kombination verschiedener Ausstellungsstücke, "z.B. [von] Nachbauten oder Originalexponate[n] mit Großfotos und erklärenden Texttafeln, um so eine bloße Aneinanderreihung verschiedener Tafeln oder Ausstellungsgegenstände zu vermeiden." Spätestens jedoch, als 1998 mit dem "Initiativkreis Erlebniswelt Auswanderung" die lokale Wirtschaft die Diskurshoheit in der Museumsgründung übernommen hatte, waren die Museumsentwürfe geprägt von ökonomischen und ästhetischen Prämissen. Das künftige Museum sollte privat betrieben werden und nicht primär belehren, sondern als Familien- und Touristenattraktion eine möglichst große Besucherzahl anlocken und diese in das Erlebnis einer historischen Seereise eintauchen lassen.

Diesem Ausstellungskonzept, das Geschichte vor allem als Erlebnis präsentieren möchte, folgt auch die Dauerausstellung des DAH. Inhaltlich war sie von ihrer Eröffnung im August 2005 bis zum April 2012 ganz auf den Themenbereich Auswanderungsgeschichte zugeschnitten, da der Besucher oder die Besucherin beim Ausstellungsrundgang mittels einer elektronischen Chipkarte je eine/-n von 18 verschiedenen Auswanderern/-innen individuell bei seiner/ihrer Reise von der Heimat in die Neue Welt begleitet. Während der inszenierten Seereise von Bremerhaven in die USA kann man sich an verschiedenen multimedialen Stationen über Wanderungsmotive, Erlebnisse während der Überfahrt und den Prozess des Ankommens in der neuen Heimat informieren. Im April 2012 wurde der Ausstellungsrundgang erheblich erweitert. In einem Anbau des Museums werden nun auch Biografien und Hintergründe zu "300 Jahren Einwanderung nach Deutschland" präsentiert. Sie sind inszenatorisch eingebettet in eine bundesrepublikanische Ladenpassage aus dem Jahr 1973: Rekonstruktionen eines Zeitungskiosks, eines Friseursalons, eines Antiquariats, eines Reisebüros, eines Fotoladens, eines Kinos und eines Kaufhauses lassen den Besucher oder die Besucherin in die Warenwelt der frühen Bundesrepublik eintauchen und gleichzeitig Erinnerungsstücke und Hintergrundinformationen zur Einwanderungsgeschichte von 15 Migranten entdecken.

Personifizierung und Szenographie als Rahmenbedingungen historischen Lernens im Deutschen Auswandererhaus

Wie also – so ist aus geschichtsdidaktischer Perspektive zu fragen – soll im DAH historisches Lernen ermöglicht werden? Grundsätzlich lässt sich zunächst festhalten, dass in einem historischen Museum Objekte aus der Vergangenheit gesammelt und ausgestellt werden. Ihre Authentizität ist das entscheidende Charakteristikum, welches das Museum vom Geschichtsschulbuch oder anderen Medien, die sich mit Geschichte auseinandersetzen, unterscheidet. Damit steht im Mittelpunkt des historischen Lernens im Museum das originale Objekt, dem im Rahmen einer Ausstellung mittels verschiedener Inszenierungstechniken und begleitender Museumstexte historische Bedeutung zugeschrieben wird. Manfred Treml betont darum, dass Lernen im Museum vor allem visuell ausgerichtet ist. Besondere Bedeutung räumt er dabei im Kontext der Ausstellungsgestaltung der Inszenierung ein: "Erst die Inszenierung, die eigentliche Form visuellen Erzählens, läßt aus der bloßen Texttapete oder dem begehbaren Schulbuch eine sinnlich-ästhetische Präsentation werden, die auch die Imagination beflügeln kann und zum visuellen Lernen anregt."

Umso bedeutender erscheint dieser Hinweis Tremls, vergegenwärtigt man sich die Art und Weise, wie im DAH – gemäß einem auch in zahlreichen anderen Museen feststellbaren Trend zur szenographischen Ausstellungsgestaltung – Migrationsgeschichte präsentiert wird: Detailreich gestaltete Kulissen betten die Erinnerungsstücke der Migranten in historisierende Erlebniswelten ein. Als inszenatorischer Mittelpunkt kann im DAH eine originalgetreue Rekonstruktion der Bordwand des Schnelldampfers Lahn gelten. Diese können die Besucher/-innen zu Beginn des Ausstellungsrundgangs von der ebenfalls rekonstruierten Bremerhavener Kaje des späten 19. Jahrhunderts aus in seiner ganzen Größe bestaunen.

Einerseits konzentriert die Ausstellung sich also auf die Sammlung und Dokumentation von Migrantenbiografien mit Hilfe von Erinnerungsstücken, wie bereits erwähnt. Zudem sind zwei konzeptionelle Schwerpunkte der Ausstellungsgestaltung für das historische Lernen im DAH von zentraler Bedeutung: Zum einen der personifizierende Zugang zu Migrationsgeschichte, zum anderen das museale Gestaltungsmittel der Szenographie.

Mit Personifizierung ist nach Klaus Bergmann die Betrachtung eines historischen Phänomens aus der Perspektive "von unten", also nicht aus der Sicht bedeutender historischer Persönlichkeiten, sondern aus dem Blickwinkel einfacher Individuen gemeint, anhand derer historische Erfahrungen darstellbar werden. Im Falle des DAH lässt sich dies am Beispiel der Lebens- und Migrationsgeschichte Martha Hüners nachvollziehen: Neben der Pferdebürste werden weitere Erinnerungsstücke und private Fotos aus dem Nachlass Hüners ausgestellt und an mehreren Hörstationen narrativ unterstützt, so dass der/die Museumsbesucher/-in der Auswanderungsgeschichte eines Dienstmädchens folgen kann, das 1923 über Bremerhaven in die USA auswanderte, dort heiratete und mit ihrem Ehemann eine Bäckerei in New Jersey betrieb.

Folgt man der Argumentation Bettina Alavis, so bietet diese personifizierende Herangehensweise an die museale Präsentation von Migrationsgeschichte große Vorteile. Denn "[d]urch den Einbezug historischer Personen", so Alavi, "wird der Bereich der Emotionen beim historischen Lernen angesprochen. Schüler/-innen [wie auch Museumsbesucher] können sich in Personen hineindenken, ihre Probleme, Ängste und Zweifel nachvollziehen und sich aus ihrer lebensweltlichen Perspektive dazu äußern." Emotionalisierung durch Personifizierung, so lässt sich im Anschluss an Alavi folgern, erleichtert im DAH den Zugang zu Migrationsgeschichte und kann somit das historische Lernen über Migrationsgeschichte anbahnen. Problematisch wird dieser Ansatz jedoch – und dies ist im DAH zumindest in einigen Ausstellungsabschnitten der Fall –, wenn die Migrationsbiografien nicht hinreichend in den gesellschaftlichen Zusammenhang eingeordnet werden, da personifizierende Geschichte so zu "bedenklichen Verzerrungen" führen kann. Denn erst das Wechselspiel aus emotionaler Nähe zur historischen Person und distanziert-reflektierender Betrachtung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von Migrationsprozessen kann die Besucher/-innen zu historischem Denken anregen.

Ausstellungsinszenierung "An der Kaje" (© Jürgen Howaldt/wikimedia commons)

Ähnliches lässt sich zum zweiten konzeptionellen Schwerpunkt des DAH konstatieren. Auch das gestalterische Mittel der Szenographie verfolgt im Wesentlichen das Ziel, die Besucher/-innen in eine emotionale Nähe zu den Ausstellungsinhalten zu bringen. Besonders deutlich wird dies in der Inszenierung "An der Kaje", in der der Besucher/ die Besucherin die Rekonstruktion einer authentischen Hafenkulisse betritt und aus dem Dunkel zur Bordwand der "Lahn" hinauf sieht.

Sie erfüllt zwei Funktionen. Erstens soll sie den Abschied der Auswanderer von ihrer Heimat emotional erfahrbar machen, und zweitens dient sie der Präsentation der unterschiedlichen Herkunftsgebiete der Auswanderer, ihrer alters- und geschlechtsspezifischen Zusammensetzung und der Darstellung ihrer individuellen Wünsche, Hoffnungen und Empfindungen vor ihrer Reise in die Neue Welt, die mit Hilfe von auf der Kaje postierten Figurinen nachgestellt werden.

Ohne Frage präsentiert das DAH mit dieser Inszenierung ein beeindruckendes Raumerlebnis, das – unterstützt durch akustische Einspielungen von plätscherndem Wasser, rufenden Menschen und Schiffsirenen – Auswanderung als emotional aufgeladene Seereise vermittelt. Führt man sich allerdings vor Augen, dass historisches Lernen im Museum vor allem über die Inszenierung von Objekten initiiert wird, stellt sich in diesem Ausstellungsraum die Frage: Wo sind eigentlich die Objekte? Versteckt in wenigen Vitrinen, die in Koffer und Kisten eingelassen sind, finden sich Zeitungen, Reiseführer, Gepäckstücke und Kleidung von Auswanderern, die Auskunft über Herkunft und Ziele ihrer Besitzer/-innen geben sollen. Angesichts der gewaltigen visuellen Wirkung der rekonstruierten Schiffsbordwand spielen sie im Ausstellungsnarrativ jedoch eine untergeordnete Rolle.

Die Kritik des Museumsgestalters HG Merz an szenographischen Ausstellungen, ihre wichtigsten Güter – die Objekte – seien "lost in decoration", trifft damit auch auf das DAH zu. Bedenklich ist dies aus geschichtsdidaktischer Hinsicht vor allem deshalb, weil so nicht nur die bewusste Auseinandersetzung mit den historischen Objekten erschwert wird, sondern auch, weil die aufwändigen Inszenierungen die Existenz einer historischen Wirklichkeit vorgeben, die so nie existiert hat. Unreflektiertes Nachvollziehen historischer Deutung tritt unter Umständen an die Stelle eigenständiger Auseinandersetzung mit den Ausstellungsinhalten.

Fazit

Vor dem Hintergrund dieser Befunde lässt sich für das Lernpotenzial personifizierend-szenographischer historischer Museen im Allgemeinen und des DAH im Besonderen deshalb das Fazit ziehen, dass die Präsentation von (Migrations-)Geschichte mit Hilfe von persönlichen Erinnerungsstücken bei angemessener Kontextualisierung ein emotional ansprechendes und didaktisch gewinnbringendes Ausstellungskonzept bietet – sofern es gelingt, die Besucher/-innen zu genauem Hinsehen und kritischem Auseinandersetzen mit den gezeigten historischen Objekten anzuregen. Das Konzept der Szenographie läuft diesem Anspruch zumindest tendenziell entgegen. Allerdings bietet auch der szenographische Ansatz des DAH erhebliches Potenzial für historisches Lernen. Denn "Geschichtslernen im Museum ist", so Bodo von Borries, "immer an Geschichtslernen über Museen gebunden."

Wer also nicht allein auf bloßen Nachvollzug von vermuteten historischen Emotionen aus den Augen heutiger Museumsgestalter hofft, sondern zugleich die Augen öffnet für die Gestaltungsmittel der geschichtskulturellen Institution Museum, der wird im DAH gewinnbringende Einblicke in gegenwärtige Trends (geschichts-)kultureller Bildungs- und Erlebnisangebote erlangen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. http://www.dah-bremerhaven.de/sammlung.php (zuletzt aufgerufen am 18.07.2012).

  2. Deutsches Auswandererhaus (Hrsg.): Das Buch zum Deutschen Auswandererhaus. 2., überarb. und erweit. Aufl. Bremerhaven 2009, S. 126.

  3. Dass das DAH auch als außerschulischer Lernort wahrgenommen werden möchte, manifestiert sich nicht nur in der Publikation museumspädagogischer Materialien, sondern wird auch ausdrücklich auf der museumseigenen Homepage betont. Vgl. http://www.dah-bremerhaven.de/bildung.php (zuletzt aufgerufen am 18.07.2012).

  4. Vgl. zum Begriff des Lernpotenzials Karl-Ernst Jeismann: Didaktik der Geschichte: Das spezifische Bedingungsfeld des Geschichtsunterrichts. In: Günter C. Behrmann/ders./Hans Süssmuth (Hrsg.): Geschichte und Politik. Didaktische Grundlegung eines kooperativen Unterrichts. Paderborn 1978 (Geschichte, Politik: Studien zur Didaktik, Bd. 1), S. 50-107, insb. S. 103.

  5. Eine ausführliche Untersuchung der Genese des DAH findet sich in Martin Schlutow: Das Migrationsmuseum. Geschichtskulturelle Analyse eines neuen Museumstyps. Berlin 2012 (Geschichtskultur und historisches Lernen, Bd. 10), S. 77-142.

  6. Karen Schniedewind: Zur Form der Präsentation. Dezember 1989. Unveröffentlichtes Material des Fördervereins Deutsches Auswanderermuseum, S. 1.

  7. Vgl. Martin Schlutow: Das Migrationsmuseum, S. 126, 127.

  8. Damit folgt das DAH einem Leitmuster der Geschichtskultur, das Bernd Schönemann als charakteristisch für den Umgang mit Geschichte in der Postmoderne im Allgemeinen ansieht. Vgl. hierzu sowie zur geschichtsdidaktischen Kategorie der Geschichtskultur Bernd Schönemann: Geschichtsdidaktik und Geschichtskultur. In: Bernd Mütter/ders./Uwe Uffelmann (Hrsg.): Geschichtskultur. Theorie – Empirie – Pragmatik. Weinheim 2000 (Schriften zur Geschichtsdidaktik, Bd. 11), S. 26-58.

  9. Ausführliche Auskünfte über die Ausstellungsinhalte des Anbaus sind Ausgabe 11 der museumseigenen "news" zu entnehmen. Vgl. Deutsches Auswandererhaus news, Ausgabe 11 (04/2012). URL: http://www.dah-bremerhaven.de/pdf/news/News_11.pdf (zuletzt aufgerufen am 18.07.2012) Das Jahr 1973 wurde seitens des Museums als inszenatorischer Rahmen gewählt, da die Bundesregierung im November 1973 den Anwerbestopp ausländischer Arbeitskräfte veranlasste. Entgegen der ursprünglichen Absicht dieser migrationspolitischen Maßnahme ging in der Folgezeit die Zahl der in Deutschland lebenden Ausländer allerdings nicht zurück, sondern stieg weiter an, da viele Gastarbeiter nun ihre Familien nach Deutschland holten, anstatt in ihre Heimatländer zurückzureisen. Vgl. zum Anwerbestopp z. B. Klaus J. Bade: Einheimische Ausländer: 'Gastarbeiter' – Dauergäste – Einwanderer. In: Ders. (Hrsg.): Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland. Migration in Geschichte und Gegenwart. München 1992, S. 393-401, hier S. 395-397.

  10. Der Funktionswandel vom Objekt mit Gebrauchswert zum Semiophor, den die meisten historischen Objekte im Prozess ihrer Musealisierung erfahren, wird grundlegend erläutert in Krzysztof Pomian: Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln. Berlin 1988.

  11. Manfred Treml: Ausgestellte Geschichte. Überlegungen zum visuellen Lernen in Ausstellungen und Museen. In: Bernd Schönemann/Uwe Uffelmann/Hartmut Voit (Hrsg.): Geschichtsbewußtsein und Methoden historischen Lernens. Weinheim 1998 (Schriften zur Geschichtsdidaktik, Bd. 8), S. 190-212, hier S. 202.

  12. Vgl. zum musealen Trend der szenographischen Ausstellungsgestaltung etwa Gottfried Korff: 13 Anmerkungen zur aktuellen Situation des Museums als Einleitung zur 2. Auflage. In: Ders.: Museumsdinge. Deponieren – Exponieren. Hrsg. von Martina Eberspächer, Gudrun Marlene König und Bernhard Tschofen. 2. Aufl. Köln/Weimar/Wien 2007, S. IX-XXIV.

  13. Zum Begriff der Personifizierung vgl. Klaus Bergmann: Personalisierung, Personifizierung. In: Ders. u. a. (Hrsg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik. 5., überarb. Aufl. Seelze-Velber 1997, S. 298-300.

  14. Vgl. zur Lebensgeschichte Hüners auch Deutsches Auswandererhaus (Hrsg.): Das Buch zum Deutschen Auswandererhaus, S. 67.

  15. Bettina Alavi: Geschichtsunterricht in der multiethnischen Gesellschaft. Eine fachdidaktische Studie zur Modifikation des Geschichtsunterrichts aufgrund migrationsbedingter Veränderungen. Frankfurt a. M. 1998 (Interdisziplinäre Studien zum Verhältnis von Migrationen, Ethnizität und gesellschaftlicher Multikulturalität, Bd. 9), S. 257, 258.

  16. Klaus Bergmann: Personalisierung, Personifizierung, S. 299. Vgl. zu Chancen und Grenzen des personifizierenden Ansatzes der Geschichtspräsentation im Museum auch Katja Köhr: Die vielen Gesichter des Holocaust – Individualisierung als Konzept musealer Geschichtsvermittlung. In: Saskia Handro/Bernd Schönemann (Hrsg.): Orte historischen Lernens. Berlin 2008 (Zeitgeschichte – Zeitverständnis, Bd. 18), S. 165-177.

  17. Vgl. http://www.dah-bremerhaven.de/tour.php (zuletzt aufgerufen am 18.07.2012).

  18. HG Merz: Lost in Decoration. In: Anke te Heesen/Petra Lutz (Hrsg.): Dingwelten. Das Museum als Erkenntnisort. Köln 2005 (Schriften des Deutschen Hygiene-Museums Dresden, Bd. 4), S. 37-43, hier S. 38.

  19. Vgl. hierzu auch Bernd Mütter/Uwe Uffelmann: Die Emotionsproblematik in der Geschichtsdidaktik. Tagungsfazit und Forschungsperspektiven. In: Dies. (Hrsg.): Emotionen und historisches Lernen. Forschung – Vermittlung – Rezeption. 3. Aufl. Hannover 1996 (Studien zur Internationalen Schulbuchforschung, Bd. 76), S. 367-385, hier S. 372, 373, und Thomas Thiemeyer: Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Die beiden Weltkriege im Museum. Paderborn 2010 (Krieg in der Geschichte, Bd. 62), S. 236, 237.

  20. Bodo von Borries: Präsentation und Rezeption von Geschichte im Museum. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 48 (1997), S. 337-343, hier S. 341.

Dr. Martin Schlutow, Studium der Anglistik und der Geschichte für das Lehramt Sek. II/I, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Didaktik der Geschichte der WWU Münster, 2011 Promotion in Geschichtsdidaktik bei Prof. Dr. Bernd Schönemann, seit Februar 2011 Studienreferendar am Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung Hamm.