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Erwachsenenbildung

Klaus-Peter Hufer

/ 6 Minuten zu lesen

"Vielfalt" ist das charakteristische Kennzeichen der politischen Erwachsenenbildung in Deutschland. Neben Kirchen, Gewerkschaften, Parteien oder dem Staat gibt es zahlreiche weitere Anbieter. Sie beschäftigen sich mit einer großen Zahl von Themen und bedienen sich unterschiedlichster Veranstaltungsformen und Methoden. Ihnen gemeinsam ist die Orientierung an den Interessen ihrer Zielgruppen.

Politische Bildung bedeutet auch, komplexe Themen und Zusammenhänge in eine verständlichen Sprache zu übersetzen. Übersetzungskabine bei der Internationalen Konferenz zur Holocaustforschung 2012. (© bpb)

Politische Bildung hat in der Erwachsenenbildung einen hohen Stellenwert - obwohl sich die eher zweckfreie, allgemein bildende Erwachsenenbildung in den letzten Jahren auf politischen Druck hin zu einer funktionalen, auf Qualifizierung und den Arbeitsmarkt hin zielenden "Weiterbildung" gewandelt hat. Die Bedeutung und Förderungsnotwendigkeit politischer Bildung wird in nahezu allen Erwachsenen- bzw. Weiterbildungsgesetzen der Bundesländer ausdrücklich oder implizit betont.

Zahlen und Daten

Wegen der Vielzahl der Institutionen und Organisationen der außerschulischen politischen Bildung in Deutschland gibt es keine exakt gesicherten Daten darüber, wie viele Erwachsene an wie vielen politischen Bildungsveranstaltungen teilnehmen. Wenn man genauere Angaben für den gesamten Weiterbildungsbereich sucht, dann bietet sich ein Blick in das Projekt "Weiterbildungsstatistik im Verbund" an. Diese wird vom Deutschen Institut für Erwachsenenbildung (DIE) erstellt. In der Statistik werden fünf große und relevante Erwachsenenbildungsorganisationen erfasst; der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten (AdB), die Bundesarbeitskreis Arbeit und Leben (AL), die Deutsche Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung (DEAE), die Katholische Bundesarbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung (KBE) und der Deutscher Volkshochschul-Verband (DVV).

Weiterbildungsstatistik 2011 – Abb. 12 Veranstaltungsprofil Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Zusammengerechnet kommt man auf eine Zahl von rund 2,65 Millionen Teilnehmenden im Jahr (Weiß/Horn 2012). Auffallend ist, dass rund 65 Prozent aller Weiterbildungsangebote Einzelveranstaltungen sind, in der Regel also Vorträge (ebd., S. 56 u. 70). Hinzuzurechnen wären noch ca. 200.000 Menschen, die an politischen Bildungsveranstaltungen der Gewerkschaften teilnehmen (Allespach/Meyer/Wentzel 2009, S.12). Das ergibt eine Gesamtzahl von rund 2,85 Millionen Teilnehmerinnen und Teilnehmern an Veranstaltungen der politischen Erwachsenenbildung in Deutschland pro Jahr – nicht eingerechnet die von statistisch nicht erfassten Bildungseinrichtungen. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass viele Menschen in einem Jahr an mehreren Veranstaltungen teilnehmen.

Weiterbildungsstatistik 2011 – Abb. 15 Teilnahme nach Themenbereichen Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Politikbegriff und Bildungsverständnis

Neben dem statistischen gibt es ein weiteres Problem. Dieses besteht in der ungeklärten Frage, wie politische Bildung definiert wird. So wird seit langem darüber debattiert, ob der Arbeit ein eher "enger" oder "weiter" Politikbegriff zugrunde gelegt werden soll (siehe Körber 1994). Das bedeutet, ob Politik eher im "System" und bei den klassischen Institutionen und Akteuren oder mehr in der Lebenswelt und im Alltag verortet werden soll. Die Entscheidung für das eine oder andere hat erhebliche Folgen für die Nähe zu den Bezugsdisziplinen politischer Bildung, die Wahl der Themen, die eingesetzten Methoden und Bearbeitungsformen sowie die Ansprache von Adressaten- und Zielgruppen.

Daher lassen sich auch die Ziele politischer Erwachsenenbildung nicht ohne weiteres so benennen, dass sie die Zustimmung aller unterschiedlichen Standpunkte, Sichtweisen und Konzeptionen der verschiedenen Akteure finden würden (siehe hierzu Hufer/Pohl/Scheurich 2004). Das hängt auch mit der Struktur des Systems zusammen, denn es gibt öffentlich getragene Institutionen und Einrichtungen (z.B. Volkshochschulen) und solche in freier Trägerschaft (Kirchen, Gewerkschaften, Parteien etc.). Das hat Folgen für die Wahl der Bildungsziele und -inhalte: Volkshochschulen sind der allgemeinen Öffentlichkeit verpflichtet, also parteipolitisch und weltanschaulich neutral, die anderen Träger sind politisch, weltanschaulich oder konfessionell gebunden und können entsprechende interessengeleitete Veranstaltungen anbieten.

Letztendlich geht es aber immer darum, Verständnis für die Alternativlosigkeit der Menschenrechte und die Demokratie als Staats- und Lebensform zu wecken und zu festigen, die demokratischen Regelungen und Entscheidungswege einsichtig zu machen, ein Engagement für die Einhaltung und Verteidigung der Menschenrechte zu bewirken und sich der Ablehnung von Fundamentalismus, Totalitarismus und Diskriminierungen bewusst zu sein. Dafür leistet politische Erwachsenenbildung ihren nicht zu unterschätzenden Beitrag.

Die Menschen in den Industriegesellschaften sind heute mit einer unübersichtlichen Vielzahl an Veränderungen konfrontiert, müssen sich in einer nicht mehr überschaubaren Fülle an Informationen und Handlungsmöglichkeiten zurechtfinden. Eine zentrale Prämisse und Leitidee der politischen Bildung ist die "Mündigkeit" Erwachsener. Davon ausgehend stellt sich die Frage, "was Menschen wissen (müssen), um sich in dieser Welt der Umbrüche orientieren zu können" (Negt 2010, S. 185). Oskar Negt erklärt daher "politische Urteilskraft und gesellschaftliche Deutungskompetenz" (ebd., S. 189) zu elementaren Notwendigkeiten und Bildungszielen. Damit ist die Fähigkeit gemeint, politische, soziale, ökonomische und kulturelle Vorgänge und Entwicklungen beurteilen und bewerten zu können.

Doch solche Fähigkeiten sind nicht in einer Art "Abbilddidaktik" zu vermitteln, indem man meint, man könnte in einer Unterrichtssequenz die "objektive Welt" adäquat widerspiegeln. Das geht aus drei Gründen nicht: Einmal, weil niemand das relevante Wissen der Welt – auch nicht das politische – in eine schmale didaktische Struktur gießen kann, zum anderen, weil Erwachsene mündige Subjekte sind und schließlich, weil die Bildungsarbeit teilnehmerorientiert ist.

Teilnehmerorientierung ist die eigentliche, auch einzig konsensfähige didaktische Leitlinie in diesem Bereich. Bei einer Befragung von wissenschaftlich und publizistisch profilierten Expertinnen und Experten der politischen Erwachsenen- und außerschulischen Jugendbildung nach ihren didaktischen Präferenzen hat sich herausgestellt, dass Teilnehmerorientierung – übrigens mit einer bemerkenswert hohen Übereinstimmung – der absolute "Favorit” ist (vgl. Hufer/Pohl/Scheurich 2004). Das meint, "dass die Angebote der EB (Erwachsenenbildung, die Red.) – ihre Kurse und Gesprächskreise – im Normalfall nicht von einer Sachsystematik bestimmt sind, sondern von den Voraussetzungen und Erwartungen, die mit den Veranstaltungen angesprochen werden sollen." (Hans Tietgens, in: Arnold/Nolda/Nuissl 2001, S. 305)

Politische Erwachsenenbildung und Politikdidaktik

Politische Erwachsenenbildung ist keine politische Schulung. Es wird kein Lehrplan exerziert, um einen "ex cathedra", "von oben" oder in einer "Zentrale" definierten Zweck zu erfüllen. Politische Bildung ist das Gegenteil von Agitation, Indoktrination und Manipulation. Bei den letztgenannten Formen der politischen Beeinflussung geht es um Fremdbestimmung und darum, eine für richtig gehaltene Meinung zu erzwingen. Dagegen sind und bleiben Mündigkeit und Selbstbestimmung die unverzichtbaren Prinzipien von politischer Bildung.

Politische Erwachsenenbildung ist auch keine Theorie des Politikunterrichts (Politikdidaktik). Die Politikdidaktik ist eine auf die allgemein bildenden Schulen bezogene Bemühung, sich wissenschaftlich mit der schulischen Praxis zu beschäftigen. Da gibt es eine Vielzahl nebeneinander stehender und miteinander konkurrierender Didaktiken. Eine ausformulierte "Didaktik der politischen Erwachsenenbildung" gibt es dagegen nicht. Es kann sie auch nicht geben, weil sich deren wenige didaktische Prinzipien primär nicht aus wissenschaftlichen Reflexionen, sondern aus einer Orientierung an den Lerninteressen, -bedürfnissen und -voraussetzungen der Teilnehmenden und an deren Alltags- und Lebenswelt ableiten lassen. Auch die erwähnten Ausgangsvoraussetzungen politischer Erwachsenenbildung verhindern eine Didaktik, die "wissenschaftlich" stringent abgeleitet werden kann, bei den diversen Trägern (den vielen freien Trägern und den öffentlich getragenen Volkshochschulen) verbindliche Übereinstimmung hervorruft und schließlich sogar "standardisiert" werden kann.

Es gibt eine Reihe von Gründen, die für diese Eigentümlichkeit politischer Erwachsenenbildung ausschlaggebend sind:

  • Erwachsene kommen zu den Veranstaltungen freiwillig.

  • Sie haben eine mehr-, oft langjährige politische Biographie und Sozialisation hinter sich.

  • Die Voraussetzungen an Bildung und Wissen, die die Teilnehmenden mitbringen, sind unterschiedlich, mitunter ist die Bandbreite sogar sehr groß.

  • Die Lerngruppen sind in der Regel sozial und altersmäßig gemischt.

  • Es gibt keine Schul- bzw. Kultusministerien, die Lehrpläne oder Curricula verordnen.

  • Die Einrichtungen politischer Erwachsenenbildung haben verschiedene bildungspolitische Profile und normative Absichten.

Diese Bedingungen zeigen, dass politische Erwachsenenbildner/-innen anders arbeiten als Politiklehrer/-innen. So ist die Arbeit in der politischen Erwachsenenbildung bei der Auswahl der Themen und ihrer Gestaltungsmöglichkeiten "freier", aber es besteht ein permanenter Druck, auf dem "Bildungsmarkt" die Interessen der Adressaten zu treffen. Da kann es schon passieren, dass eine Veranstaltung wegen mangelnder Nachfrage ausfällt, obwohl sie aufwendig vorbereitet und beworben worden ist. Und wenn das Angebot ausreichende Resonanz findet, ist es immer wieder überraschend, wer letztendlich am Vortrag, Kurs oder Seminar teilnimmt.

Lehr- und Lernformen

Politische Erwachsenenbildung ist immer auf die Resonanz ihrer Adressaten und Teilnehmer/-innen sowie darauf angewiesen, dass diese auch "wiederkommen". Daher müssen die Pädagoginnen und Pädagogen, die in der Erwachsenenbildung tätig sind, entsprechend interessante Angebote entwickeln. Ein Garant für eine gelingende Praxis der politischen Erwachsenenbildung ist ihr Fundus an erprobten und kreativen Methoden und Bearbeitungsformen. Neben den schon "traditionellen" Lehr- und Lernformen wie Vorträgen, Seminaren, Kursen, Exkursionen und Studienfahrten sind Werkstätten entstanden (Geschichts- und Zukunftswerkstätten), wird in Foren und auf Podien diskutiert, werden grundsätzliche Fragen der politischen Philosophie in sogenannten Sokratischen Gesprächen erörtert, wird eine Vielfalt der Informationen und Erfahrungen in Erzählcafés mitgeteilt und werden in biographischen Lernprozessen Lebensgeschichten in Zusammenhänge mit politischen Strukturen und historischen Ereignissen gebracht.

Besondere Zielgruppen führen auch zu passenden Veranstaltungsformen. Die Kreativität des Methodenrepertoires lässt sich nicht angemessen beschreiben, denn es gibt jeweils situative, orts- und institutionenspezifische Modelle, Experimente und Projekte. Aber es ist möglich, sich einen Ein- und Überblick zu verschaffen (siehe z.B. Gesprächskreis für Landesorganisationen der Weiterbildung in Nordrhein-Westfalen 2005 und Landesverband der Volkshochschulen von NRW 2012).

Weitere Inhalte

Klaus-Peter Hufer, Jg. 1949, Dr. rer. pol. phil. habil. ist apl. Professor in der Universität Duisburg-Essen und Fachbereichsleiter der Kreisvolkshochschule Viersen. Tätigkeitsschwerpunkte: Geschichte, Theorie und Praxis der politischen Erwachsenenbildung, Professionalität in der Erwachsenenbildung, Rechtsextremismus.