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"Die Mauer muss weg!" Fußball-Land DDR

Frank Willmann

/ 19 Minuten zu lesen

Die Politik griff in der DDR massiv in den Spielbetrieb ein, um Vereine zu fördern oder unliebsame Sportler abzustrafen. Heute dritt- oder viertklassige Vereine errangen europäische Erfolge und eine bunte Fanszene nutzte trotz staatlicher Kontrolle die Stadien, um zu protestieren.

Die Spieler der SG Dynamo Dresden feiern mit Fans am 26.05.1990 im heimischen Dynamo-Stadion den verteidigten DDR-Fußballmeistertitel. Es ist der achte in der Klubgeschichte und zugleich der letzte vergebene im DDR-Fußball. (© picture alliance / ZB)

Kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs stand den Menschen im zerbombten Osten Deutschlands schnell wieder der Sinn nach Sport und Spiel. Der Breitensport Fußball bot Zerstreuung und bald flogen Lumpen- und Lederbälle durch die zerstörten Städte und Dörfer. Zunächst unorganisiert, da alle bürgerlichen Sportvereine in Folge der Beschlüsse des Potsdamer Abkommens des alliierten Kontrollrats als Unterorganisationen der NSDAP verboten und zum 1. Januar 1946 enteignet und aufgelöst wurden. Anstelle der Vereine entstanden lokale Sportgruppen, die bald wieder regionale Meisterschaften durchführten.

Ab 1946 betreuten die FDJ (Freie Deutsche Jugend) und der FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) patenschaftlich regionale Sportgemeinschaften (SG). In den folgenden Jahren entstanden Betriebssportgemeinschaften (BSG), die jeweils von einem Großbetrieb finanziert und organisiert wurden. Diese Trägerbetriebe sorgten für die heute oft kurios klingenden Namen der Vereine. So stand Empor für Handels- und Nahrungsgüterwirtschaft, Rotation für Druckereien und Verlage, Traktor für landwirtschaftliche Genossenschaften, Motor für Maschinenbau, Lok für die Verkehrswirtschaft, Turbine für Energiebetriebe usw. Die Ausübung von Sport in enger Bindung an die Produktions-Betriebe sollte ein Bekenntnis zur sozialistischen Gesellschaft darstellen, in Abgrenzung zum "bürgerlichen Nur-Sportlertum".

In den Jahren 1948 und 1949 wurde in der Ostzone unter der Regie des neugegründeten "Deutschen Sportausschusses" die Ostzonenmeisterschaft im K.-o.-System ausgespielt. Insgesamt zehn teilnehmende Teams kamen aus Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Erster Meister wurde 1948 die SG Zwickau-Planitz, ein Jahr später trug sich die ZSG Union Halle in die Annalen ein. Die sowjetische Besatzungsmacht untersagte den Ostzonenmeistern die Teilnahme an der gesamtdeutschen Meisterschaft. Wegen des besonderen Berlinstatus kickten Berliner Teams bis 1950 um die Stadtmeisterschaft in einer Ost-West Liga. Im Jahr 1949 schuf der Deutsche Sportausschuss in der Sowjetischen Besatzungszone die Fußball-Oberliga. Im Lauf der ersten Spielzeit wurde die DDR gegründet und fortan war die Rede von der ersten DDR-Meisterschaft.

Die Beteiligung an einer gesamtdeutschen Meisterschaft stand nie zur Debatte. Trotzdem entwickelte sich bereits ein munterer Reigen von Freundschaftsspielen zwischen Teams aus Ost und West, der bis 1989 Bestand haben sollte. Neben der Oberliga mit ihren 14 Mannschaften wurde innerhalb der DDR ein nationaler Pokal, FDGB-Pokal genannt und vom Einheitsgewerkschaftsverband der DDR gestiftet, ausgespielt. Den ersten Pokal holte das Team mit dem schönen Namen Waggonbau Dessau. Die SG Dynamo Dresden und der 1. FC Magdeburg sollten diesen Pokal jeweils sieben Mal heimbringen.

1974, Einlauf der DDR Nationalmannschaft in das Hamburger Volksparkstadion. (© imago/Magic)

Die größten Erfolge im Europacup feierte der DDR-Fußball in den 1970ern. Bereits 1972 stand der zweitgrößte Erfolg einer DDR-Nationalelf zu Buche. Sie wurde 1972 in München Olympiadritter. 1976 in Montreal hielt sie gar den Siegerkranz in den Händen. Bei Weltmeisterschaften durfte sie einmal dabei sein – und schaffte gleich einen historischen Triumph. Die Ostzone schlug 1974 in Hamburg die Westzone mit 1:0. Jürgen Sparwasser semmelte sein epochales 1:0 dem Meiersepp in den Kasten.

Während in der BRD früh ausländische Spieler verpflichtet wurden, spielten in der DDR ab Mitte der 1970er Jahre leihweise sowjetische Soldaten in 2.-Liga-Spielen mit. Gute Beziehungen der jeweiligen Kombinats-Direktoren oder SED-Bezirkssekretäre zu ihren Kommandanturen ermöglichten diesen Transfer. Beim SASK Elstal zum Beispiel (Sowjetischer Armeesportclub, westlich von Spandau im heutigen Landkreis Havelland gelegen) trainierten sowjetische Leistungssportler während ihres Wehrdienstes. Die Fußballabteilung des SASK bestand fast ausschließlich aus im Wehrdienst stehenden Spielern des ZSKA Moskau. Der Club trat unter anderem gegen den BFC Dynamo, Union Berlin und dem 1. FC Magdeburg als Testgegner von Oberliga- bzw. Liga-Mannschaften an. Seit den 1970er Jahren fungierte der SASK als einziger Club, welcher ausländische Spieler im größeren Stil im DDR-Fußball auslieh.

Über Nizza lacht die Sonne, über uns die ganze Welt

Der DDR-Fußball war nie frei von staatlicher Beeinflussung. In jeder Mannschaft gab es einen Mannschaftsleiter, der unter anderem für politische Agitation und Propaganda zuständig war. Im DDR-Jargon nannte man diese Form der Gehirnwäsche Rotlichtbestrahlung. Fußballaffine Fürsten von Armee, Polizei und Staatsicherheit, Kombinats-Direktoren und Funktionäre aller Blockparteien sorgten sich Zeit ihres Wirkens um "ihre" Oberligaclubs. Es wurde manipuliert und gemauschelt, was das Zeug hielt. Die Geschichte der 46 Clubs, die jemals in der DDR-Oberliga kickten, ist reich an Kuriositäten und Intrigen.

Eine nützliche Tat für den Sozialismus. (© imago/ND-Archiv)

ZitatEdgar Külow (Fußball-Kolumnist des "Eckenbrüller", Junge Welt)

Das war doch keine freie Zeitung! Alles musste abgesegnet sein, kein Redakteur traute sich doch, was zu sagen. Wir hatten leider auch diese Selbstzensur im Schädel, das heißt, wir wussten, was nicht ging. Wir Satiriker wussten, das kriegen wir nicht durch. Du hättest dich manchmal selbst in den Arsch treten können.

Minister und Bezirkssekretäre verschoben Nachwuchstalente, Spieler und Trainer quer durch die Republik. Als die "Spielkultur" zunehmend zu wünschen übrig ließ, beschlossen 1965 DTSB und DFV, die Fußballsektionen aus den Sportvereinen der Betriebe in Leipzig, Karl-Marx-Stadt, Jena, Erfurt, Halle, Magdeburg, Rostock und Berlin herauszulösen und eigenständige Fußballclubs zu gründen. Man wollte schnellstens das Niveau anheben. Vereinsnamen wurden geändert, Spieler mit Westverwandtschaft rausgeworfen und stark in die Kompetenzen der Trainer eingegriffen. Wenn es drauf ankam, wurden auch ganze Mannschaften innerhalb der DDR verpflanzt. (Dynamo Dresden nach Berlin, Vorwärts Leipzig nach Berlin, später nach Frankfurt/Oder, Empor Lauter/Erzgebirge nach Rostock). Im Westen wurden die Spieler "verkauft", im Osten "delegiert". Einzelne Spezis der Schiedsrichtergilde ließen sich gern verwöhnen, die D-Mark war in der DDR der Schlüssel zum Schlaraffenland hochwertiger Güter.

Die Spitzenfußballer waren Vollprofis und privilegiert. Pro Forma waren sie entweder in Großbetrieben angestellt oder hatten Armee- und/oder Polizeiränge und Gehälter. So wurden herausragende Kicker mit Schrankwänden aus Pressspan, Haushälften, Autos und Urlaubsreisen geködert. Die Öffentlichkeit erahnte manches. An eine freie Presse, die kritisch über die Belange des Fußballs berichtete, war in der DDR selbstverständlich nicht zu denken. Die wöchentlich erscheinende Zeitung FUWO=Fußballwoche informierte über die Ereignisse des letzten Fußball-Wochenendes und krittelte höchstens mal versteckt am Rande. Mit Beginn der Saison 1965/66 wurden die Oberligaspiele vom Sonntag auf den Sonnabend verlegt und eine schnell populäre "Originalkonferenzreportage" im Radio der DDR eingeführt.

Quellentext"Die Welt", BRD, 1976

Ein Reizentzug vom Fußball, nicht nur durch die Ferien bedingt, beeinträchtigt die Hirnfunktion derart, dass die Menschen durch ihn sogar verrückt werden können.

Dieses Zitat benutzten Autoren vom Sportverlag der DDR, um in ihrem ein Jahr später erschienenen Bildband "Fußball – Magnet für Millionen" aufzuzeigen, dass in westlichen Ländern Fußball funktionalisiert wurde: Als Ablenkungsmanöver von Arbeitslosigkeit, Alltagssorgen und sozialer Unsicherheit. Der kalte Krieg existierte auch im Lieblings-Volkssport, dem Fußball. Höhnisch kommentierten DDR-Journalisten aufkommende Probleme mit dem Fan-Verhalten in westlichen Stadien. Fußball im NSW (Nichtsozialistisches Währungsgebiet) basierte nach ihrer Einschätzung auf geschäftlichen Interessen und erzeugte systemimmanente Erscheinungen wie Hooliganismus. So etwas schien in der DDR nicht denkbar.

Im Zeichen des Clubs

Dresdner Fans im Sonderzug nach Berlin. (© imago/Camera 4)

Der DDR-Bürger liebte seine regionalen Kicker. Jedes Wochenende pilgerten Väter mit ihren Söhnen in die Stadien. Anfangs zu improvisierten Bolzplätzen zwischen Ruinen. In den 1950er Jahren brachten Fans noch Leitern, Tische und Stühle mit zu den Spielen, um in den hinteren Reihen etwas sehen zu können. Bei Bockwurst, Bier und roter Brause wurden sie eins mit ihren Teams. Und verschafften sich ab und an Luft. In den 1970er Jahren kamen Schals und Fahnen auf, die Haare wurden länger. Bei Spielern und Fans. 68 schwappte über die Mauer. Neben den Freiräumen innerhalb der evangelischen Kirche bot nur die Anonymität in den Stadien die Möglichkeit, politischen Protest öffentlich zu äußern. "Mielke in die Produktion", "Stasi raus!" oder "die Mauer muss weg!" (Verballhornung der Mauer beim Freistoß) wurde nicht erst während der politischen Wende skandiert. Diese Rufe erklangen an jedem Wochenende aus tausenden, manchmal zehntausenden Kehlen in den Fußballstadien der DDR.

ZitatRalf Schreiber (Fan 1. FC Magdeburg)

Die Verbundenheit zum Club war riesig. Mich hat es nicht interessiert, ob der Gegner Banik Ostrava, Bayern München, Gladbach oder Mailand hieß. Nur für den 1. FC Magdeburg haben wir gelebt. Und der sollte gewinnen. Egal gegen wen.

Die großen Stadtderbys spielten sich in Leipzig und Berlin ab. Lok und Chemie Leipzig beharkten sich ordentlich, nicht nur auf dem Spielfeld. Beim BFC Dynamo und Union sah das nicht anders aus. Es galt die einfache Regel: Der minder privilegierte Klub zog das Volk an, dort traten auch gehäuft vermeintliche "Staatsfeinde" auf, um in der Masse ihr Mütchen zu kühlen. Jena und Erfurt lieferten sich heftige Schlachten, Halle und Magdeburg beulten sich die Köppe ein. In Aue, Zwickau und Karl-Marx-Stadt gab’s Haue.

Dresden hasste Lok und umgekehrt. Jedes Dorf hatte seinen Hauptfeind, meist den engsten regionalen Nachbarstamm. Nur den BFC Dynamo hassten alle. Als Dauermeister der 1980er Jahre mit Oberfan Stasi-Erich an der Spitze war auswärts keine Sympathie zu erwarten. Die BFC-Fans kehrten das folkloristische Element heraus, besangen "ihren Führer" Erich Mielke und bewarfen die Sachsen hin und wieder mit begehrten und allein in Ostberlin erhältlichen Südfrüchten. Das Fan-Volk brüllte sich die Kehle aus dem Leib und vermutete überall den privilegierten Hauptstädter. Gern erklang ein "Juden Berlin" in den Stadien der DDR, bei den beliebten Flutlichtspielen erklangen mitunter Liedzeilen aus dem Repertoire des Nationalsozialismus. Der alltägliche Rassismus, gemischt mit einem fetten Schuss Schwulenfeindlichkeit, fand in allen Stadien statt.

Schiebemeister BFC Dynamo

BFC Dynamo Fans feiern mit Torwart Rohde den Titelgewinn 1987. (© imago/Camera 4)

Staatssicherheitschef Erich Mielke war seit der Gründung der SV Dynamo deren 1. Vorsitzender, und er war ein glühender Anhänger der Eishockeyspieler wie der Fußballer von Dynamo. Als solcher saß er natürlich auch regelmäßig im Stadion. Anlässlich der zweiten BFC-Meisterschaft 1980 verkündete er gegenüber den Konkurrenten aus Dresden, man müsse das doch verstehen, "die Hauptstadt braucht einfach einen Meister".

Eine umstrittene Schiedsrichterentscheidung von Bernd Stumpf im März 1986 für den BFC Dynamo führte zur lebenslangen Sperrung des Schiedsrichters, ein im Jahr 2000 aufgetauchtes Video beweist jedoch die Korrektheit des damaligen Strafstoßpfiffes und die unberechtigte Sanktion Stumpfs. Man kann jedoch Stumpf mangelndes Fingerspitzengefühl vorwerfen, da er sehr lang nachspielen ließ, obgleich das ganze Stadion pfiff und Schiebung brüllte, als sehr spät der Elfmeter "stattfand".

ZitatHorst Friedmann (Sportredakteur Deutsches Sportecho)

Es gibt Beispiele, an denen sich nachweisen lässt, dass einige Schiedsrichter sich dem Club sehr nahe gefühlt haben, um es mal vorsichtig auszudrücken. Das war vorauseilender Gehorsam einerseits, es steckte aber auch dahinter, dass man es sich möglichst nicht mit der Staatssicherheit verdirbt, wenn man auf die internationale FIFA-Liste wollte. Und es spielte auch eine Rolle, dass einige der Leute direkt bei der Polizei angestellt waren…

ZitatSigfried Kirschen (Oberliga-Schiedsrichter)

Was man gewissen Schiedsrichtern angelastet hat, waren Entscheidungen, die, ja, BFC-freundlich waren. Die ein oder andere Entscheidung kann man sicher von allen Seiten gesehen auseinandernehmen… Tatsächlich waren wir, wie 99,9% aller Schiedsrichter auch, als sehr charakterfest angesehen.

Flucht von Oberliga-Spielern

Der 22-jährige DDR-Fußballstar Lutz Eigendorf als Zuschauer des Spiels des 1. FC Kaiserslautern gegen Fortuna Düsseldorf am 24. März 1979 in Kaiserslautern. Drei Tage zuvor hatte sich Eigendorf nach einem Freundschaftsspiel des Ost-Berliner Fußballclubs Dynamo gegen den 1. FC Kaiserslautern in die Bundesrepublik abgesetzt. (© picture-alliance/dpa)

Einige Spieler nutzten die Gelegenheit, sich nach Spielen gegen Mannschaften der BRD in den Westen abzusetzen, sie tauchten zur Abreise ihrer Mannschaft nicht wieder auf. Besonders peinlich war dies den Staatsoberen, wenn mal wieder ein Spieler des verhassten BFC Dynamo in den Westen geflüchtet war. Bei den folgenden Spielen der Oberliga wurde von den Fans genüsslich deklamiert: "Wo bleibt denn der Eigendorf?" oder "Wo bleibt denn der Falko Götz?" Lutz Eigendorf galt als "Beckenbauer der DDR", bevor der sechsmalige Nationalspieler vom BFC Dynamo 1979 nach einem Spiel gegen Kaiserslautern in der BRD um Asyl bat. Sein Name verschwand aus den Annalen und Statistiken des DDR-Fußballs, seine Frau, Tochter und Eltern hatten erhebliche Repressalien zu erleiden. Knapp vier Jahre nach seiner Flucht verunglückte der auch im Westen unter Beobachtung der Stasi stehende Spieler von Eintracht Braunschweig unter ungeklärten Umständen tödlich mit seinem Alfa Romeo. Auch Frank Lippmann vom Dynamo Dresden, der 1986 nach einem Spiel gegen Bayer 05 Uerdingen in der BRD blieb, wurde jahrelang von der Stasi beschattet und in der DDR-Presse verhöhnt.

Nahezu alle geflüchteten DDR-Spieler und Trainer wurden in der BRD bespitzelt, ihre Überredung zur Rückkehr erwogen bzw. versucht und bei Nichterfolg schreckte die Stasi nicht vor Anschlägen auf das Leben prominenter Flüchtlinge zurück. So erging es Jörg Berger. Der Trainer der Nachwuchs-Auswahlmannschaft der DDR nutzte 1979 ein Spiel in Jugoslawien, um in den Westen zu flüchten. Dort übernahm er als erste Cheftrainerstelle die Mannschaft von SV Darmstadt 98 (2. Bundesliga). Seine Familie erlitt in der DDR Repressalien und Berger wurde von der Stasi im Westen intensiv beschattet, erhielt Morddrohungen und möglicherweise wurde ein Gift-Anschlag auf sein Leben verübt.

ZitatHorst Friedmann (Sportredakteur Deutsches Sportecho)

Für meine Begriffe sind es insgesamt erstaunlich wenig Oberliga-Spieler, die abgehauen sind, nachdem sich das Sportsystem hier in den 50ern etabliert hatte. Beim BFC waren das Eigendorf, Poklitar, Starost, Götz, Schlegel.

Die 1980er Jahre bedeuteten fußballerisch einen Rückschritt. Der vom Fan-Volk als Schiebermeister verschriene BFC Dynamo holte einen Meistertitel nach dem anderen, die Nationalelf verlor gegen Nationen wie Griechenland und Finnland, in der Oberliga tauchten plötzlich Teams wie Fortschritt Bischofswerda und Chemie Buna Schkopau auf. Mittelmaß allerorten, bis auf die Endspielteilnahmen des FC Carl Zeiss (1981) und des 1. FC Lok Leipzig (1987) im Europacup der Pokalsieger, die allerdings vergeigt wurden. Der Fußball dämmerte vor sich hin, ein exaktes Spiegelbild der Gesellschaft. Frisch gesichtete Frauenfußballerinnen wurden von Funktionären kritisch beäugt, von Fans kaum wahrgenommen. Ihre Meisterschaften fungierten unter "Besten-Ermittlungen", als Leistungssport wurde Frauenfußball nicht gefördert. Das erste Länderspiel der DDR fand am 9. Mai 1990 in Babelsberg statt. Es endete 0:3 gegen die CSFR und war gleichzeitig das letzte Länderspiel einer DDR-Frauennationalmannschaft.

In jeder Imbissbude ein Spion – Fußballfans und die Stasi

"Wir sind lässig" - Fans von BSG Chemie Leipzig. (© imago/Camera 4)

Fußball spendet aller Orten Zerstreuung im Alltag. Auf und neben dem Sportplatz ist Fußball zugleich Ausdruck von Gewalt und Repression. Das war auch in der kleinen DDR so. Die Zuspitzung des männliches Volksvergnügens zum Übungsfeld staatsfeindlicher Gewaltrituale begründet der Soziologe Wolfgang Engler folgendermaßen: "Der Hooligan hätte es aus englischen oder westdeutschen Fußballarenen nie bis in die Stadien der DDR geschafft, wenn die jungen Ostdeutschen, die ihm Eintritt verschafften, ihr Verhältnis zur DDR nicht vorher gekündigt hätten. An der Wende von den 70er zu den 80er Jahren dankte die Führung in geistiger Hinsicht ab; die Affären um Biermann (1976) und Bahro (1977) markierten die finale Abschottung des Systems gegenüber inneren Veränderungen."

ZitatWolle (Anhänger der SG Dynamo Dresden)

Probleme hatte ich nicht, die Stasi hat eben Buch über mich geführt. Für die war ich eine Distel auf dem sozialistischen Blumenbeet.

Anfang der 1980er Jahre begann die großflächige "Bearbeitung" der Fanszene. Wo politischer Protest geäußert wurde, war die Schmiere (=Staatssicherheit) nicht weit. Schnell machte sie drei Gruppen von Fans aus. Die normalen Anhänger, die dekadenten Anhänger (lange Haare oder zu kurze, freche Gesänge, Alkohol) und die feindlich-negativen Anhänger (nahezu Staatsfeinde, gewaltbereit, schrecken nicht vor Angriffen gegen die Volkspolizei zurück). Den "feindlich-negativen Anhang" begriffen die Funktionäre als furchterregende Randgruppe innerhalb der Fußballanhängerschaft. Diese inhomogene Bande unangepasster Fans stellte neben den in den 1980er Jahren erstarkenden Punks eine Subkultur und damit ein gefährliches politisches Potential dar. Beide Strömungen waren bis zur Mitte des Jahrzehnts eng verzahnt. Punk war in der DDR die Mutter der Skinheadkultur, beide begriffen sich als Avantgardebewegungen. Gewalt bedeutete Ausbruch aus dem emotionalen Zustand der Langeweile, einem gesellschaftlichen Zustand. Gewalt war Inszenierung von Bewegung, Veränderung, Negation und dabei Wahrnehmung seiner selbst, Körpergefühl, Machterleben, Respekt.

ZitatBirgit (BFC-Fan)

War wat anderes jewesen, man konnte seinem Frust mal freien Lauf lassen, die Wörter in den Mund nehmen, die man sonst immer schlucken musste.

Mit wachsender Besorgnis registrierten die Behörden die Massenschlägereien, Plünderungen von Geschäften und sogenannte Zusammenrottungen Jugendlicher. Der Hooliganismus hielt in die Stadien der DDR Einzug. Es wurden nicht nur rechte Parolen skandiert, sondern auch "Staatsorgane" (Polizisten, Ordner, Zivile) angegriffen. Und das in einem Land, in dem der Antifaschismus Staatsdoktrin war. Gerade in Ost-Berlin stellten solche unangenehmen Erscheinungen ein großes Problem dar. Die Staatsgrenze und die westlichen Medien waren nah. So verzichtete man (laut Stasi-Protokollen) auf den Einsatz von Hunden und chemischen Kampfstoffen, die in anderen sozialistischen Ländern gern gegen Fans eingesetzt wurden.

Von der anderen Seite "schwappte" westliches Gedankengut über die Mauer, zusammen mit Flugblättern, Fußballbildern, Schals, Aufnähern und Sportnachrichten. Das Outfit des Ostberliner orientierte sich natürlich gen West. Funk und Fernsehen übertrugen die Oberligaspiele, bzw. berichteten über deren Verlauf und Ergebnisse. Es passte nicht in das Bild von der fröhlich aufbauenden DDR-Jugend, dass vor oder nach solchen Ereignissen randaliert oder geprügelt wurde. Staat, Partei und Bildungseinrichtungen verlangten ein klares Bekenntnis zur Deutschen Demokratischen Republik. Aber die Jugendlichen selbst erlebten Familienstrukturen, die infolge der geschichtlichen Abläufe oft zerrissen waren, Väter und Mütter passten sich dem DDR-System an, Großmütter und Großväter priesen die jüngste deutsche Vergangenheit. Unter der Oberfläche ausgedehnter Langeweile knisterte und brodelte es.

Radikalisierung – der Staat schlägt zurück

Martin Böttger, Chef der Chemnitzer Außenstelle der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, zeigt Aktenmaterial und einen Fan-Koffer eines bespitzelten Fußballfans mit Fotos, Briefen und Dokumenten. (© picture-alliance/ZB )

Zu einem ersten Ausbruch kam es Ende 1977, als während einer Feier zum Republik-Geburtstag am 7. Oktober auf dem Alexanderplatz eine Massenpanik entstand, an der Anhänger des 1. FC Union maßgeblich beteiligt waren. An diesem Abend erlebten über tausend Besucher ein Rockkonzert, als ein Dutzend Jugendlicher ein Abdeckgitter eines Belüftungsschachtes erkletterten, das unter dem Druck der Körper einbrach. Zehn Jugendliche stürzten einige Meter tief in den Schacht. Die Menge brüllte. Zahlreich anwesende Union-Fans machten sich spontan mit einem neuen Schlachtruf bemerkbar: "United!" Dieser Ruf meinte Manchester United, aber etliche Anhänger des 1. FC Union empfanden sich in ihrer Freundschaft zum Westberliner Verein Hertha BSC als "Freunde hinter Stacheldraht" und konnten den Wunsch nach der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten hier ebenso herausbrüllen, wie es um das Brüllen selbst ging, als provozierender Fußballschlachtruf.

Die Sicherheitskräfte reagierten prompt und hart, die ganze Nacht über wurden mindestens 50 Personen im Tunnel unter dem Alexanderplatz festgehalten. Auch wenn es offensichtlich keine Toten gab, das Ereignis erweckte die Sicherheitsorgane des Landes aus ihrem Dornröschenschlaf. Von nun an überwachten die Stasi und Kripo genauestens Volksfeste, Weihnachtsmärkte und öffentliche Konzerte. Für den Fußball ergaben sich unmittelbare Konsequenzen. Ab 1978 ergingen Befehle des Präsidenten der Volkspolizei zu künftigen "Maßnahmen zur Gewährleistung einer hohen Ordnung und Sicherheit anläßlich…" der Derbys. Zur besseren Beobachtung und Zersetzung des "rowdyhaften" Fangeschehens beim 1. FC Union wurde eine zweiköpfige Arbeitsgruppe des MfS gebildet, beim BFC sollte wenige Jahre später nachgezogen werden. Im ganzen Land verhaftete zunächst die Kripo nach Hinweisen durch die Stasi unliebsame Fans, die sie für Rädelsführer hielten. Straftaten waren schnell gefunden, jeder konnte wegen "Öffentlicher Herabwürdigung" (§ 220) verhaftet werden.

ZitatAndi (1. FC-Union Fan)

Unter Unionern wurde häufig "United, United" gerufen, ist aus England rübergeschwappt, von Manchester. Das heißt sinngemäß übersetzt sowatt ähnliches wie Union, Vereinigung. Das haben wir dann in unser Repertoire aufgenommen, bei irgendeinem Auswärtsspiel zum ersten Mal, dann wurde es regelmäßig gebrüllt. Einige Unioner sind sogar nach Lodz gefahren, als ManU mal dort spielte, um mit den Engländern "United, United!"um die Wette zu schreien.

Für eine Herabwürdigung war bereits das äußere Erscheinungsbild ausschlaggebend, öffentliches Urinieren oder gar Verweigerung der Ausweiskontrolle summierten die Strafe. Dafür drohten Bewährung, eine Geldstrafe oder bis zu zwei Jahren Haft! Durch die große Staats- und Justizreform von 1968 hatten zahlreiche neue Paragraphen Eingang in die Vollzugshandhabe der DDR-Organe gefunden. Mögliche Staatsfeinde konnten somit wegen Rowdytum, Spionage, staatsfeindlichen Verbindungen, Zusammenrottung usw. bestraft werden, mit Haftstrafen von bis zu fünf Jahren. Die Jugendlichen hatten nach Verbüßung der Haftzeit harte Auflagen zu erfüllen, durften die Spiele ihres Vereins nicht besuchen oder mussten für einige Jahre in anderen Städten der DDR leben. Trotzdem nahmen die gewalttätigen Auseinandersetzungen rund um den Fußball zu.

Auswärts unter Stasi-Begleitschutz

Magdeburger Fans tanzen für die Volkspolizei. (© imago/Camera 4)

In vielen ostdeutschen Bezirksverwaltungen des MfS wurden eigens Gruppen eingerichtet, die sich nur mit dem negativen Fußball-Anhang beschäftigen. Sie begleiteten die Fans fortan nicht nur bei den Heimspielen, beobachteten und dokumentierten die An- und Abmarschwege, sondern fuhren auch zu allen Auswärtsspielen mit. Die jeweiligen Bezirksverwaltungen der Staatssicherheit und die Kriminal- und Transportpolizei in den Großstädten der DDR wurden vorab darüber informiert, in welcher Stärke der Anhang anzureisen gedachte. Man arbeitete mit den Ordnern und Fanbeauftragten zusammen. Protokolliert wurden auffällige Verhaltensweisen.

Von jugendlichem Unfug, der tolerierbar blieb, reichten die Vergehen bis zu schwerer Körperverletzung oder Angriffen auf das Ansehen der staatlichen Autorität. War ein Fan erst auffällig geworden, unterlagen die meisten seiner Freizeitaktivitäten regelmäßiger Aufsicht. Wann, wo, mit wem traf sich die Person, wer waren Freunde oder Freundin, welche Kontakte gab es nach Westberlin oder in andere Städte der DDR? Was wurde für die nächsten Spieltage verabredet, wo waren die Treffpunkte der Fans, welche Partys wurden wann mit wem gefeiert? Unter ständiger Beobachtung zu stehen, hieß aber auch, sich der Aufmerksamkeit der Bewacher sicher sein zu können. Es war immer ein Publikum anwesend. Das regte an, und der Phantasie waren keine Grenzen gesetzt.

ZitatEin BFC-Fan gab gegenüber der Staatssicherheit zu Protokoll:

Unser Ziel ist es, immer etwas zu machen, womit keiner rechnet! Während eines Spiels baden zu gehen oder nach entsprechender Musik durch die Stadt zu tanzen. Oder, wie in Aue, ein Feuerwerk am hellerlichten Tag zu veranstalten…

Die Namen mancher illegal gegründeten Fanclubs zeugen in gewissem Maße von dieser "tierischen" Lebensfreude, so hießen einige Berliner Fanclubs "Ratten, Spatzen, Black Eagle, Eisbären, die Teufel, die Wölfe", und – besonders in Berlin Mitte aktiv – "die grunzenden Schweine". Der Einzug zum Dienst in die Nationale Volksarmee oder die Ausweisung aus der DDR waren gängige Mittel, die zahlreichen Fanclubs im Lande auszudünnen. Gerade unter Fußballfans stellte es sich nach Aussage ehemaliger hauptamtlicher Mitarbeiter schwierig dar, IM = Inoffizielle Mitarbeiter, also Spitzel, zu gewinnen. Viele Fans hatten einfach keine Angst. Beim Aktenstudium wird klar, auch wenn sie als IM Aussagen getroffen haben, sind diese differenziert zu sehen. Ein IM gab zum Beispiel ständig an, die relevanten Spiele verpennt zu haben, oder er randalierte vor einem Auswärtsspiel im Zug und wurde einige Stationen vor dem Ziel herausgefischt und zurückgeschickt. Andere IM waren schlichtweg zu betrunken, um Sinnvolles berichten zu können.

Auf dem rechten Auge blind?

Die ab Mitte der 1980er Jahre auftretenden Äußerungen rechtsradikaler Provenienz unter dem Fußball-Anhang wurden von der Stasi sorgfältig dokumentiert. Strafrechtlich verfolgt wurden diese Erscheinungsformen im Allgemeinen nicht, sondern die üblichen Paragraphen (Rowdytum, Körperverletzung) weiter angewandt. Ab Ende 1987 rückten die Aktivitäten rechtsgerichteter, neonazistischer Jugendlicher jedoch in den Fokus staatlicher Aufmerksamkeit. Offensichtlich wurde die Stasi durch die gewalttätigen Ausschreitungen von Skinheads nach einem Punkkonzert in der Berliner Zionskirche am 17. Oktober 1987 so aufgeschreckt, dass sich Minister Mielke persönlich veranlasst sah, bei ernsthaften Gefährdungen der Sicherheit den Gebrauch der Schusswaffe anzuordnen. Bei dem Überfall wurden viele Jugendliche verletzt, unbeteiligte Passanten angegriffen und etliche Bürger Zeuge des Nichteingreifens von Seiten der Volkspolizei. Die für den Überfall dinghaft gemachten vier Skinheads wurden einige Wochen später zu Haftstrafen zwischen ein und zwei Jahren verurteilt, vor allem wegen starker Proteste aus der Bevölkerung erhöhte die Staatsanwaltschaft das Strafmaß kurz darauf auf bis zu vier Jahre. Mehrere der Verurteilten waren dem Anhang des BFC Dynamo zuzurechnen.

Jetzt begann auch die Kriminalpolizei, sich für das Thema zu interessieren. Der Kriminaloberrat und Kenner der Szene, Bernd Wagner, erhielt den Auftrag, eine Studie zu den Ursachen des Rechtsradikalismus in der DDR zu erstellen, die nach Erstellung jedoch so viel fundamentale Systemkritik beinhaltete, dass sie nie Verwendung fand. Es bleibt zu fragen, warum der Staat den Rechtsradikalismus unter Jugendlichen erst so spät zu ahnden begann. Eine Antwort gibt vielleicht eine Anweisung des stellvertretenden Stasi-Ministers Generaloberst Mittig vom 2. Februar 1988. Nachdem dort zunächst das äußere Erscheinungsbild der Skinheads (Glatze, Bomberjacke, Röhrenjeans, Springerstiefel) beschrieben wurde, lieferte Mittig eine Einschätzung ihrer Ideologie. Skinheads, so Mittig, gingen regelmäßig einer Arbeit nach und zeigten, im Gegensatz zu anderen negativ-dekadenten Jugendlichen, eine gute Arbeitsdisziplin und Arbeitsleistung. Militärische Ausbildung gehöre für sie zum "Deutschtum", deshalb hätten sie eine positive Einstellung zum Wehrdienst. Im Allgemeinen wurden Rechtsradikale oftmals lediglich als "negativer Anhang von Fußballclubs" wahrgenommen.

Der Inbegriff des Primitivjugendlichen

Skinheads und Punker im Juli 1989 in Ost-Berlin. (© picture-alliance/dpa)

Als die Wende nahte, endete auch die Überwachungsarbeit an den Fußball-Fans. Die ehemaligen Mitarbeiter der Polizei und Staatssicherheit sagen heute – zum Glück. Sie sahen in der Praxis die schlechten Bedingungen zur Verhinderung von Körperverletzungen und rechtsradikalen Übergriffen/Gewalttaten. Der Protest gegen ein verhasstes Regime vermischte sich zunehmend mit bloßer Gewaltartikulation auf den Fußballplätzen. Der Staat reagierte ohnmächtig. In Auftrag gegebene Analysen wurden gelesen und erschrocken beiseitegelegt, die Probleme ignoriert. Da keine Öffentlichkeit zugelassen wurde, konnte dem Erblühen einer unerwünschten Jugend-"Kultur“ im Zusammenhang mit dem Fußball nicht mehr gegengesteuert werden. In Leipzig am Zentralinstitut für Jugendforschung gelangte man zu pauschalen Urteilen in der Einschätzung der Jugendkultur. Diese Einschätzung konnte nicht zum besseren Verständnis einer aufbegehrenden Jugend beitragen. Hilflosigkeit kennzeichnete den Überbau.

QuellentextInstitut für Jugendkulturforschung

Der Punk ist als sozialer Durchhänger mit destruktiver Grundhaltung gekennzeichnet. Heavy Metal Fans gelten als dem Hard-Rock verfallen und damit als musiksüchtig. Der rowdyhafte Fußballfan wird zum Inbegriff des Primitivjugendlichen... Skinheads hingegen sind die Jugendmonster schlechthin, der ‘Lucifer ante portas.

Quelle: Institut für Jugendkulturforschung Leipzig, 1988

Die Kommunikation zwischen der gut informierten Basis des MfS, welche erfolgreich Fangruppen zersetzte, manch "harten" Fan durch bewilligte Ausreise in die BRD/Westberlin entließ, sie in den Knast oder die NVA steckte, und den Führungsspitzen von MfS und Staatsapparat war zu diesem Zeitpunkt schon schwer gestört. Niemand wollte dort oben wirklich wissen, wie die negativ-dekadente Jugend wieder für den Staat gewonnen werden könnte. Sie konnte nicht, der Staat zerbrach. Mielke ließ sich bis zuletzt auf den Meisterbällen des ewig siegenden BFC Dynamo feiern, sang und tanzte im Palasthotel und unterhielt Fußball-Rededuelle mit dem SED-Bezirkschef Naumann.

Die Rückseite der Spaßgesellschaft … verbrannte Erde zwischen Dresden und Berlin

Trauermarsch von FC-Berlin-Fans für den 1990 in Leipzig ums Leben gekommenen Mike Polley. (© imago/DDRbildarchiv.de)

Als 1989 die DDR aufhörte zu existieren, waren viele der jungen Fußballfans mit auf der Straße. Sie waren beseelt vom Traum einer unbestimmten Freiheit. Schnell bemerkten die Fans, dass ihre kleine DDR-Welt langsam aus den Fugen geriet. Der Vopo, der gestern noch als Respektsperson und Hüter der real-sozialistischen Wahrheit galt, war heute schon eine Karnevalsfigur, mit dessen Mütze man prima kicken konnte. Die Sicherheitskräfte reagierten völlig überfordert auf die Welle der Gewalt, die in der Folge durch die Stadien der DDR wogte. Objektschutz stand im Vordergrund, die Fans ließ man weitestgehend gewähren. Richteten sich die Proteste in den Oberliga-Stadien anfangs noch teilweise gegen die DDR-Staatsführung, ging es sehr schnell nur noch um die pure Lust an Gewalt und Randale.

Die rebellische DDR-Jugend gab ihrem Frust und ihrer Langeweile bei Klopperei und Stadionerstürmungen Zucker. Überall entstanden Hooliganbanden, die nahezu gewerbsmäßig Plünderungen und Diebstähle von Markenware und Elektronik ausübten. Was die Hools in England können, können wir schon lange. Unterstützung erhielten die jungen Hooligans aus den alten Bundesländern. Alles, was noch irgendwie kriechen konnte, fuhr am Wochenende in den Osten, mit der Aussicht auf eine fette Schlägerei, Bullenprovo und ’ne nette kleine Plünderung. Die normalen Zuschauer verschwanden zusehends, ganz besonders fiel das beim FC Berlin (der umbenannte BFC Dynamo) auf, wo 1990 bis 1991 fast nur noch jugendliche Rabauken anzutreffen waren. Der BFC-Mob galt lange Jahre als der berüchtigtste und wurde in der Folge in viele Prügeleien im Stadion und auf Wald und Wiese verwickelt. Erst Ende 1990, nach den tödlichen und bisher ungeklärten Schüssen auf den FC-Berlin-Fan Mike Polley in Leipzig schafften es die Sicherheitsbehörden, einigermaßen für Ruhe zu sorgen.

ZitatRotten (RW Erfurt-Fan)

1991 war Anarchie in Germany. Politik war uns scheißegal. Erst haben wir noch Vopos und gegnerische Fans gejagt. Später ging es uns hauptsächlich darum, Läden auszuräumen, an teure Elektronik und Markenklamotten zu kommen.

Die Wende ist für den DDR-Fußball als Kahlschlag zu begreifen. Die Clubs sahen sich plötzlich mit einer neuen und unbekannten ökonomischen Situation konfrontiert. Die Gründe für das klägliche Scheitern des DDR-Fußballs sind vielfältig. Unverbesserliche DDR-Fußballfunktionäre waren es nicht gewohnt, selbstständig zu denken. In der DDR wirkte immer alles "von Oben". Keiner der Funktionäre ist Ende 1989 freiwillig zurückgetreten. Anfang 1990 erlag DFV-Präsident Erbach dem Geldsegen und trat als Erster ab, die Restfunktionäre folgten erst im April. Anfang der 1990er übernahmen bei ostdeutschen Traditionsclubs vielerorts Bauunternehmer aus dem Westen den Präsidentenposten. Ihre Einstellung war, über den Fußball Kontakte zu knüpfen (Geld zu machen). Bei einigen Vereinen hinterließen die Rolf-Jürgen Ottos (Dynamo Dresden) dieser Welt nichts als verbrannte Erde. Fast alle Vereine erlebten die zweifelhaften Freuden einer Insolvenz. Die DDR Fußball-Oberliga endete 1991 als Oberliga des Nordostdeutschen Fußballverbandes.

Das letzte Länderspiel der DDR

Kleiner Exkurs zum Abgesang: Eine grundlegende Reform leitete der VIII. DFV-Verbandstag am 31.03.1990 in Strausberg bei Berlin ein. Eine neue Satzung, eine Lizenzspielerordnung, die den schrittweisen Übergang zum Lizenzfußball im DFV regelte, sowie die Grundlinie für das zukünftige Wettspielsystem wurden im DFV beschlossen. Zum neuen Präsidenten wurde der frühere Torhüter des 1. FC Magdeburg und Auswahlspieler der DDR, Hans-Georg Moldenhauer, gewählt. Im Hinblick auf den bevorstehenden Einigungsprozess des deutschen Fußballs wurden alle Auswahlteams des DFV bei der FIFA und UEFA aus den internationalen Wettbewerben abgemeldet. Im Brüsseler Anderlecht-Stadion trat die DDR-Auswahl am 12.09.1990 zu ihrem 293. und letzten Länderspiel an und gewann 2:0 gegen Belgien.

Kapitän Matthias Sammer führt die DDR-Fußballnationalmannschaft am 12.09.1990 auf das Feld des Brüsseler Constant-Vandenstock-Stadions. Die DDR-Fußballnationalmannschaft gewinnt das letzte ihrer insgesamt 293 Länderspiele gegen Belgien mit 2:0. (© picture-alliance/dpa)

Im Sommer 1990 wurden die sechs neuen Landesverbände gegründet: Thüringer Fußball-Verband, Sächsischer Fußball-Verband, Fußballverband Sachsen-Anhalt, Fußball-Landesverband Brandenburg, Landesfußballverband Mecklenburg-Vorpommern, Berliner Fußball-Verband (Vereinigung mit Ost-Berlin). Auf einem Außerordentlichen Verbandstag am 20.11.1990 in Leipzig beschloss der DFV seine Auflösung. Damit fand die über 40-jährige Geschichte des DFV im Osten Deutschlands ihren Abschluss. Zum Zeitpunkt seiner Auflösung waren in 4.412 Vereinen mit 17.000 Mannschaften 390.000 Mitglieder organisiert (Externer Link: www.nofv-online.de).

Der DFB reichte dem kleinen Bruder DFV 1990 nur ganz wenig brüderlich die Hand, echte Solidarität, eine Brücke zum Profifußball? Fehlanzeige. Die Manager der westdeutschen Clubs hatten nur die Optimierung ihrer Kader im Auge und kauften billig im Osten ein. Allein der BFC Dynamo verlor im Jahr eins nach der Wende zwei komplette Mannschaften. Zwischen 1990 und 2012 spielte international selten ein Zonenklub im Konzert der grandiosen Flötisten. Auch die deutsche Nationalelf machte und macht um den Osten meist einen großen Bogen. Höchstens alle paar Jahre findet ein Kick gegen große Fußballnationen wie Liechtenstein statt. Aktuell ist die 1. Bundesliga ostzonal befreites Gebiet. Nur mühsam erheben sich die Ost-Clubs aus dem Staub.

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Frank Willmann, geboren 1963 in Weimar, 1984 nach Westberlin ausgereist, lebt heute in Berlin. Neben einigen literarischen Titeln veröffentlichte er gemeinsam mit Jörn Luther Bücher über den 1. FC Union Berlin, "Und niemals vergessen - Eisern Union" sowie "BFC Dynamo - Der Meisterclub". Er spielte von 1970-81 als Mittelstürmer bei Motor Weimar, Traktor Kromsdorf, Empor Weimar. Zuletzt erschienen sind "Stadionpartisanen nachgeladen. Fans und Hooligans in der DDR" (2013), "Zonenfußball. Von Wismut Aue bis Rotes Banner Trinwillershagen" (2011) sowie "Der Fluch der Wahrheit – Willmanns Fußballkolumnen" (2013). Willmann schreibt derzeit eine wöchentliche Fußballkolumne für den Tagesspiegel.