Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Unter Strom: Der Newsroom | Lokaljournalismus | bpb.de

Lokaljournalismus Bedeutung des Lokaljournalismus Einführung Lokaljournalismus Wahrheitsliebendes Aschenputtel Junge Leser Praxis: Das Zeitungs-Experiment Was ist "lokal"? Basislager der Demokratie "Macher, Macht und Medien" Zeitung in der Schule Wir sind viele Heimat: Zeitung? Lokaljournalismus und Demokratie Mit Öffentlichkeit dienen Das Lokale im digitalen Zeitalter Lokaljournalismus in den neuen Bundesländern Praxis: Lokaljournalismus in Ostdeutschland Lokal international Wie fern ist Europa? EU-Übersetzerin für die Region Vergessene Themen Bürgerproteste in der Zeitung Praxis: Wenn der Castor kommt Praxis: Kate Amayo "Die drehscheibe war eine Provokation" Ökonomie und Umbruch Wer hat die Macht? Zeitungsfinanzierung Alternative Finanzierung Praxis: Hyperlokale Grenzgänger Meinung - DJV Meinung - BDZV Praxis: "Die Lokalzeitung muss sich entscheiden" Lokaljournalismus und Bürger Nähe als Problem? Was Leser wollen Auf der Spur eines Leserbriefs Der Blogkosmos "Eine zweite Stimme" Praxis: Lokalblogger Vom Gatekeeping zum Gatewatching Neue Beteiligungsmodelle Crossmedial und lokal Crossmedial und lokal Praxis: Auf der Suche nach dem Wandel Unter Strom: Der Newsroom Allrounder im Quadrat "Guter Journalismus hat mit Distanz zu tun" Praxis: MoJane – Multimedial unterwegs Praxis: Experimente für die Zukunft Praxis: Nebenan im Kiez Lokaljournalismus und Verantwortung Idealismus und Selbstausbeutung Was dürfen Journalisten? Respekt und Nähe Berichten über das Unglück "Richte keinen Schaden an" Aufklärung im Fall Enver Simsek Die Arbeit mit dem Langzeit-Trauma Zum Verhältnis von Presse und PR Quiz Flüchtlinge und Berichterstattung Der schmale Grat "Es passiert viel Positives" "Die Leute wollten erzählen" Threads ohne Rassismus Zur Mithilfe ermuntert Fakten gegen Vorurteile Gesicht zeigen "Ich möchte den Deutschen zeigen, wer wir sind" „Wir sollten einen Gang zurückschalten“ „Viele leben in ihrer eigenen Realität“ Einsichten erlangen Nah dran bleiben Redaktion

Unter Strom: Der Newsroom

Klaus Meier

/ 5 Minuten zu lesen

Crossmediale Strukturen fordern den Lokaljournalisten. Eine neue Organisation der Redaktion ist dafür die Basis: Aber was sind eigentlich "Newsdesk" und "Newsroom"?

Crossmediales Arbeiten im Newsroom - Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (bpb) Lizenz: cc by-nc-sa/3.0/de

"Wir haben seit zehn Minuten keinen Strom. Wie sieht es bei Euch aus?" – Der Tweet eines Lesers aus einer mobilen App heraus elektrisiert die Redakteure am Newsdesk einer regionalen Tageszeitung. Gestern haben sie noch über mögliche Auswirkungen der starken Schneefälle auf die Stromversorgung für die Region geschrieben. Auf Twitter und auf Facebook wächst das Thema; vermutlich sind einige Strommasten umgeknickt; erste Fotos werden getwittert. Und obwohl vom Stromversorger noch keine Stellungnahme vorliegt, wird am Newsdesk sofort entschieden, das Thema groß und breit zu recherchieren: Drei Reporter aus verschiedenen Lokalredaktionen fahren in die betroffenen Stadtviertel und umliegenden Gemeinden, der Social-Media-Redakteur hört sich im Internet um und die Wissenschaftsredakteurin wird mit einem Hintergrundstück zur Stromversorgung beauftragt. Eine Wirtschaftsredakteurin recherchiert beim Stromversorger.

Am Newsdesk laufen die Fäden aus den Ressorts und den Lokalredaktionen zusammen – und das nach und nach eingehende Material wird auf die medialen Plattformen und Zeitungsausgaben verteilt. Das Interview mit dem Geschäftsführer des Stromversorgers kommt sofort auf die Website und ergänzt dort die Eilmeldungen, die aus den Tweets und Facebook-Einträgen zusammengefasst worden sind. Ein Ausschnitt wird als Audio-O-Ton der Kollegin zur Verfügung gestellt, die die Nachrichten für den hauseigenen Radiosender produziert. Als man am Newsdesk merkt, dass das Thema von Internet-Nutzern stark geklickt wird und zum Quotenhit der Online-Ausgabe geworden ist, wird die Seite eins der Tageszeitung frei geräumt: Ein Editor fasst alle recherchierten Quellen zu einem Aufmacher zusammen. Ein Kollege am Newsdesk baut alle einlaufenden Beiträge zu einem Themen-Package auf der Seite Drei zusammen. Am Abend werden die auf Twitter, auf Facebook und in den Foren unter den eigenen Beiträgen bereits zuhauf eingegangenen Kommentare von Nutzern für die Tageszeitung zusammengefasst.

Dieses Szenario einer konvergenten Redaktion wäre mit den traditionellen Strukturen einer Redaktion nicht möglich. Jedes Ressort bearbeitete seine Seiten; jede Abteilung hatte seine Sendung(en); jedes Medium seine Redaktion. Neue Modelle der Redaktionsorganisation durchbrechen diese Autonomie: Ressort-, programm- und medienübergreifendes Arbeiten wird an einem Newsdesk oder in einem Newsroom zum Prinzip. Komplexe, aber aktuell wichtige Themen werden in Breite und Tiefe erkannt und können flexibel geplant und bearbeitet werden. Die Anglizismen Newsroom und Newsdesk avancierten in diesem Zusammenhang zu Modewörtern des Redaktionsmanagements im deutschsprachigen Raum. Dabei werden diese Begriffe in der journalistischen Praxis ganz unterschiedlich verwendet und bewertet. Schwierig für Analyse und Bewertung ist schon alleine die Tatsache, dass es viele im Detail unterschiedliche Newsdesk-Modelle gibt.

Medienübergreifende Planung

Schätzungen zufolge hatte schon Mitte der 2000er Jahre etwa die Hälfte der Zeitungsredaktionen in Deutschland auf die neuen redaktionellen Strukturen und Workflows umgestellt; heute dürften es weit mehr sein. Beispiele sind die Mainpost in Würzburg, die Rheinische Post in Düsseldorf, der Fränkische Tag in Bamberg oder die WAZ-Gruppe mit der NZR, Westfälischen Rundschau und der Westfalenpost. Auch Nachrichtenagenturen wie dpa, APA oder epd arbeiten mit neuen Newsdesk- und Newsroom-Konzepten. Und Rundfunkanstalten experimentieren mit Newsroom- und Newsdesk-Ideen für eine bessere Vernetzung der Medien. So hat der Saarländische Rundfunk 2006 einen Newsroom als gemeinsames Planungszentrum von Radio-, Fernseh- und Multimedia-/SAARTEXT-Redaktion eingerichtet und konstatiert nach fünf Jahren, dass sich das Konzept "durchgesetzt hat und als vorbildliche Innovation im Medienbereich gilt", vor allem weil die Planung medienübergreifend gebündelt wird, Ressourcen gemeinsam genutzt und freie Zeiten zu neuen Recherchen eingesetzt werden.

Die Mainpost setzte als einer der ersten Lokal-und Regionalzeitung auf das Newsroomkonzept. Das Bild zeigt den Mainpost-Newsroom im November 2009. (© Mainpost)

Folgende allgemeine Definitionen haben sich inzwischen ganz gut bewährt, weil sie auf die meisten Modelle zutreffen. Charakteristisch ist für viele Veränderungsprojekte in Redaktionen, dass das medienübergreifende mit einem ressortübergreifenden Arbeiten kombiniert wird. Die Journalisten sollen nicht mehr plattform-orientiert denken ("Ich muss meine Seiten füllen."), sondern themenorientiert ("Was ist das Thema? Wie können wir es angehen und recherchieren – und wie erzählen wir es vielfältig auf verschiedenen Plattformen?"). Mit "Plattform" können Printausgabe und Website einer Redaktion gemeint sein oder künftige digitale Endgeräte wie das iPad oder mehrere Printtitel, die aus einer Redaktion heraus produziert werden (wie z.B. Die Welt und Welt Kompakt oder die Zeitungstitel der WAZ-Mediengruppe). Typisch ist immer öfter eine Rollentrennung in Editoren und Reporter. Editoren sind Spezialisten fürs Blattmachen, für Produktion, Organisation und Themenplanung; sie arbeiten zentral am Newsdesk. Reporter können sich um ein Informantennetzwerk kümmern, recherchieren Hintergründe und schreiben eigene Geschichten; sie sitzen in Räumen neben dem Newsdesk oder im Lokalen als Einzelkämpfer auch in kleineren Orten, der dem Regio-Desk zuliefert.

  • Der Newsdesk ist eine Koordinations- und Produktionszentrale, in der alles zusammenläuft, was die Redaktion an Material zur Verfügung hat. In Zeitungsredaktionen werden dort die Seiten verschiedener Ressorts und/oder Lokalredaktionen gemeinsam koordiniert und produziert. Am Newsdesk können zudem crossmedial mehrere Plattformen abgestimmt und bedient werden. Je nach Konzept können am Newsdesk nur ein oder zwei Redakteure, aber auch bis zu einem Dutzend oder sogar noch mehr Redakteure (besser: Editors oder Editoren) sitzen.

  • Der Newsroom ist nicht einfach ein traditionelles Großraumbüro, sondern unterstützt architektonisch neue redaktionelle Konzepte des ressort- und medienübergreifenden Planens und Arbeitens. Die Wände zwischen Ressorts und Medien werden eingerissen; alle Journalisten sitzen in einem gemeinsamen Redaktionsraum und sollen sich so besser absprechen und koordinieren. Mit dem Begriff "Newsroom" ist indes gar nicht so sehr die Architektur, sondern eher das neuartige Organisationsmodell und die neue Art journalistisch zu denken und zu handeln gemeint. Oft ist Rede vom "Fall der Mauern im Kopf".

  • Mitunter werden beide Konzepte verbunden: Der Newsdesk bildet dann das Zentrum eines Newsrooms.

Untersuchungen der Effekte von medienübergreifenden Newsdesks und Newsrooms auf die journalistische Qualität gibt es bislang nur ansatzweise. Fallstudien belegen aber, dass die Qualität der einzelnen Titel und Plattformen stabil blieben oder partiell sogar zunahmen, dass insgesamt aber die Medienvielfalt – zum Beispiel auf regionaler Ebene – bei der Zusammenlegung von vorher getrennten Redaktionen abnimmt. In Newsdesk-Redaktionen ist die journalistische Arbeit beschleunigt und verdichtet; der Stress und Druck auf die Journalisten nimmt zu. Zu den Erfolgsfaktoren crossmedialer Redaktionen gehören Coachings und Trainings für die Journalisten ebenso wie ein systematisches Change Management, das diese Veränderungen begleitet – beispielsweise mit einer Projektgruppe. Hemmend ist dagegen ein Personalabbau, der auch durch flexible Strukturen nicht aufgefangen werden kann.

Klaus Meier ist Professor für Journalistik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Zuvor lehrte er am Externer Link: Institut für Journalistik der TU Dortmund (2009/10) und an der Externer Link: Hochschule Darmstadt (2001-2009). Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Onlinejournalismus, Redaktionsmanagement und crossmediale Entwicklungen. Er absolvierte eine Redakteursausbildung im Lokaljournalismus.