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Die Einrichtung von Flüchtlingsheimen erhitzt vielerorts die Gemüter. Doch wie sieht der Alltag in den Unterkünften aus? Zwei Lokalredakteure erzählen von ihren Recherchen.

Flüchtlingsfamilie aus Afghanistan nach ihrer Ankunft in Dortmund. (© picture-alliance/dpa, Maja Hitij)

Der Artikel erschien in der drehscheibe Sonderpublikation Angekommen in Deutschland (1,33 MB).

Gewalt, Krankheiten, Chaos: Wenn Medien über Flüchtlingsunterkünfte berichten, handelt es sich meist um Katastrophenmeldungen. Wie jedoch der Alltag in einem Asylbewerberheim aussieht, können sich die wenigsten vorstellen. Diese Unkenntnis hat nicht selten fatale Folgen: Das Märchen vom gierigen Flüchtling, der sich auf Staatskosten eine komfortable Unterkunft mit Vollverpflegung sichert, schürt Ressentiments und liefert rechtsextremen Brandstiftern Anlass zur Hetze.

Externer Link: Multimedia-Reportage in der Schwäbischen Zeitung

Yannick Dillinger, Leiter der Digitalredaktion der Schwäbischen Zeitung in Ravensburg, wollte der emotionsgeleiteten Debatte um Flüchtlingsunterkünfte „ein Werk aus Fakten und Zahlen“ entgegensetzen. Gemeinsam mit drei Digitalredakteurinnen produzierte er eine Multimediareportage über die Landeserstaufnahmestelle in der Ostalb-Gemeinde Ellwangen, die momentan ein bestimmendes Thema in Baden-Württemberg sei – „ob auf dem Marktplatz oder bei Facebook”. Ein Lehrvideo zu Beginn der Reportage vermittelt grundsätzliche Informationen, etwa über die Funktion einer Landeserstaufnahmestelle und die Kapazitäten von Flüchtlingsunterkünften. Im Anschluss zeigen Dillinger und sein Team Szenen aus der Erstaufnahmestelle und lassen Beteiligte zu Wort kommen: ehrenamtliche Helfer, die Polizei, den Gemeindepfarrer, den Leiter der Einrichtung. Am Ende berichtet ein Flüchtling, was er sich vom Leben in Deutschland verspricht. Dillinger legte bei alledem Wert darauf, die multimediale Form nicht in Konkurrenz zum Inhalt treten zu lassen. „Für blinkende Features und Spielereien ist kein Platz, wenn man ein Thema versachlichen will”, sagt er.

Der Kontakt zur Flüchtlingsunterkunft sei schnell hergestellt gewesen. Kollegen aus der Lokalredaktion in Ellwangen vermittelten Dillinger und sein Team an die Verantwortlichen im Regierungspräsidium. Die Leiter der Unterkunft empfingen die Redakteure, führten sie durch die Einrichtung und empfahlen ihnen Bewohner, die bereit waren, mit der Presse zu sprechen. „Sehr offen” seien die Asylbewerber auf ihn zugegangen, erzählt Dillinger. „Viele Menschen haben sich gefreut, ihre Geschichte erzählen zu können.” Im Heim habe man sich unter Berücksichtigung der Privatsphäre der Bewohner relativ frei bewegen können. Nach einem Tag waren die Dreharbeiten in der Einrichtung abgeschlossen. Inklusive Vor- und Aufbereitung habe die Produktion einen Monat in Anspruch genommen, doch der Aufwand habe sich gelohnt: „Bis auf ein paar Unbelehrbare, die sich gegen Fakten sträuben, haben unsere Leser die Reportage sehr gut angekommen“, sagt Dillinger.

Zwei Tage in einer Unterkunft

Einem ähnlichen Thema wie Dillinger widmete sich auch die Berliner Lokalredakteurin Julia Haak. Für die Berliner Zeitung berichtete sie über eine Flüchtlingsunterkunft im Stadtteil Köpenick. „Das Asylbewerberheim, ein Containerdorf am Rande einer Wohnsiedlung, ist im vergangenen Jahr in einer Hauruck-Aktion entstanden”, erzählt Haak. Von der ersten Idee bis zum Einzug der Flüchtlinge seien nur sechs Wochen vergangen. Schon während der Bauarbeiten hatten Anwohner gegen die Unterbringung der Asylbewerber protestiert. Haak habe wissen wollen, wie Flüchtlinge den Alltag in einem solchen Heim erleben. Einige Monate nach der Eröffnung kontaktierte sie den Heimleiter und erhielt sofort die Zusage, aus der Einrichtung berichten zu dürfen. „Uns ging es schließlich auch darum, die Situation der Mitarbeiter zu beschreiben”, sagt Haak. „Daran hatte auch der Heimleiter Interesse.”

Dieser kündigte Haaks Besuch bei Sozialarbeitern, Wachschutz und Bewohnern an, gewährte ihr aber nach einem Einführungsgespräch Bewegungsfreiheit im Heim. Zwei Tage verbrachte Haak in der Unterkunft, stieß auf Sprachbarrieren, jedoch nicht auf organisatorische Schwierigkeiten. Ihren Text musste sie am Ende, wie auch Yannick Dillinger und sein Team, weder autorisieren noch anderweitig genehmigen lassen. Wenn die Recherche in einem Flüchtlingsheim so unkompliziert sein kann, warum berichten nur so wenige Zeitungen direkt aus den Unterkünften? Darauf hat auch Julia Haak keine Antwort. Redaktioneller Zeitdruck oder Berührungsängste könnten eine Rolle spielen, sollten Journalisten ihrer Meinung nach jedoch nicht davon abhalten, den direkten Kontakt zu suchen. „Man muss genau solche Reportagen schreiben”, sagt Haak. „Bei jedem Besuch stößt man auf drei Nachfolgegeschichten.“

Text: Julia Lorenz

Fussnoten