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Zirndorf und die Anfänge des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge

Patrice G. Poutrus

/ 5 Minuten zu lesen

Die Mittelfränkische Stadt Zirndorf war mehrere Jahrzehnte der Standort des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, heute Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Das erklärt, warum hier lange Zeit auch das "Sammellager für Ausländer" des Bundes angesiedelt war. Heute befindet sich an gleicher Stelle die Zentrale Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber (ZAE), eine von zwei Erstaufnahmeeinrichtungen des Freistaates Bayern.

Das Valka-Lager in Nürnberg-Langwasser 1953 (© Archiv Geschichte Für Alle e.V. Institut für Regionalgeschichte Nürnberg)

Vom Kriegsgefangenenlager zum Lager für Asylsuchende

Die Geschichte des Bundesamtes bzw. seiner Vorgängereinrichtung begann in Nürnberg auf dem Gelände des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers Langwasser. 1946 hatte die US-Besatzungsbehörde hier einen Teil eines Kriegsgefangenenlagers, welches die deutsche Wehrmacht von 1939 bis 1945 auf dem Reichsparteitagsgelände betrieben hatte, der United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) zur Unterbringung von Displaced Persons (DP´s) überlassen. Da das Kriegsgefangenenlager überwiegend von Letten und Esten bewohnt war, benannten diese es nach der lettisch-estnischen Grenzstadt Valka. Ab 1947 übernahm die International Refugee Organisation (IRO) die Leitung des Lagers Valka. Ab Herbst 1949 wurde es von bundesdeutschen Behörden als "Regierungslager für heimatlose Ausländer" geführt. Neben den wenigen noch verbliebenen DP’s wurden von nun an auch ausländische Flüchtlinge aus Mittel- und Osteuropa dort aufgenommen.

Schließlich trat mit dem Jahr 1953 die "Verordnung über die Anerkennung und Verteilung von ausländischen Flüchtlingen" in Kraft. Damit beginnt die eigentliche Geschichte des Bundesamtes, das in den Anfangsjahren noch als "Bundesdienststelle für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge" firmierte und bei der zu dieser Zeit 40 Bundesbedienstete tätig waren. Innerhalb des Lagers Valka wurde im gleichen Jahr als neue Einrichtung das "Bundessammellager für Ausländer" errichtet. Sämtliche im Bundesgebiet eintreffenden Asylsuchenden sollten hier für den Zeitraum der Prüfung ihres Asylbegehrens untergebracht werden. Das "Regierungslager für heimatlose Ausländer" wurde schließlich 1954 aufgelöst. Allerdings war das auf etwa 1.200 Personen ausgelegte neue "Bundessammellager" bereits im März 1954 erstmalig nahezu voll besetzt. Der Grund dafür lag schon damals hauptsächlich im langen Anerkennungsverfahren. Daher begann man bereits Mitte der 1950er Jahre mit der Planung für einen Umzug des Lagers nach Zirndorf. Dorthin waren ausländische Flüchtlinge schon 1955 wegen der anhaltenden Überbelegung des Lagers Valka verlegt und in der ehemaligen Zirndorfer Gendarmerie-Kaserne untergebracht worden. Diese war bis dahin vom US-Militär unter der Bezeichnung "Adams-Barracks" genutzt und schließlich aus Mitteln des US Escapee Programms (UEP) umgebaut worden. Das "Bundessammellager für Ausländer" zog schließlich 1959 nach Zirndorf um. Das Lager Valka in Nürnberg wurde 1960 geschlossen und die Bundesdienststelle, mit damals etwa 50 Mitarbeitern, wurde 1961 auch nach Zirndorf verlegt.

Mit der Verabschiedung des ersten bundesdeutschen Ausländergesetzes im Jahr 1965 erhielt die Bundesdienststelle den Status eines Bundesamtes mit gleichem Namen. Zu dieser Zeit arbeiteten in dieser Behörde des Bundesinnenministeriums etwa 60 Mitarbeiter. In den 1950er und 1960er Jahren stiegen die Zahlen der Asylbegehren zwar stetig an, doch waren es wenige tausend Anträge pro Jahr. Ausnahmen bildeten lediglich die größeren Fluchtbewegungen in den Jahren 1956/57 und 1968/69 nach der Niederschlagung der ungarischen Revolution bzw. nach der ebenfalls gewaltsamen Beendigung des "Interner Link: Prager Frühling" in der Tschechoslowakei (ČSSR). In der Mehrheit stammten die Flüchtlinge aus den Staaten des sogenannten Ostblocks. Gleichwohl kam es in Zirndorf wie auch schon zuvor in Langwasser zu Konflikten unter den Asylsuchenden, zumeist bedingt durch die zuweilen Jahre währenden Anerkennungsverfahren und einen damit verbundenen unsicheren Status. Die aus der fortwährenden Statusunsicherheit entstehenden Spannungen entluden sich mehrfach in tätlichen Auseinandersetzungen im Lager und in der Gemeinde. Solche Vorfälle schrieben aber weder die einheimische Bevölkerung noch die lokalen und regionalen Politiker der schwierigen Situation der ausländischen Flüchtlinge im Aufnahmelager zu. Vielmehr galt die von Asylsuchenden ausgehende Störung von Ruhe und Ordnung als eindeutiger Beleg für die Gefährdung des Gemeinwesens durch Ausländer.

Ausbau der Behörde und Umzug nach Nürnberg

Ab Mitte der 1970er Jahre änderte sich die Situation grundlegend. Durch moderne Kommunikations- und Transportmittel erreichten nicht nur die Nachrichten über Konflikte in allen Teilen der Welt die Haushalte der westdeutschen Wohlstandsgesellschaft. Vielmehr besaßen nun auch die Flüchtlinge aus diesen zumeist außereuropäischen Regionen zumindest die theoretische Möglichkeit, in der Bundesrepublik um Asyl nachzusuchen und prägten seitdem das Bild des fremdländischen Flüchtlings, auch wenn dies nicht immer der Wirklichkeit entsprach. Der komplexe Wandel der Migrationsverhältnisse in Europa und der Welt manifestierte sich für die bundesdeutsche Politik und Öffentlichkeit vor allem in einem zentralen Punkt: dem kontinuierlichen Anstieg der Asylbewerberzahlen. Im Jahr 1976 stiegen die Antragszahlen erstmals dauerhaft über 10.000 und bereits 1980 erstmals auf über 100.000. Das Bundesamt reagierte auf diese Entwicklung und so wurde die Behörde bis 1980 auf 240 Mitarbeiter ausgebaut. Das Sammellager in Zirndorf mit den offiziell nur 450 Plätzen war aber regelmäßig überbelegt. Vorübergehend mussten bis zu 1.100 Menschen, zum Teil in Zelten, untergebracht werden. Um das Sammellager Zirndorf zu entlasten, wurden die Asylbewerber ab 1977 bereits unmittelbar nach der Antragstellung auf die Bundesländer verteilt. Dadurch verlor das Lager in Zirndorf zwar seine zentrale Rolle im Asylsystem der Bundesrepublik, aber durch den weiteren Anstieg der Asylbewerberzahlen blieb die Lage dort doch fortwährend dramatisch. Auch das Gebäude des Bundesamtes in Zirndorf entsprach nicht mehr den stetig wachsenden Anforderungen. Deshalb hatte die Behörde in den frühen 1980er Jahren im Nürnberger Stadtgebiet mehrere Bürogebäude angemietet. 1986 kehrte das Bundesamt mit der Anmietung des ehemaligen AEG-Verwaltungsgebäudes in Langwasser wieder zu seinen Ursprüngen zurück. Fünf Jahre später arbeiteten allein hier über tausend Mitarbeiter und es gab konkrete Überlegungen, die gesamte Zentrale nach Langwasser zu verlegen, ehe 1992 die Entscheidung für den Umzug der Zentrale in die ehemalige Südkaserne fiel.

Die Südkaserne ist die in Nürnberg allgemein verbreitete Bezeichnung eines ausgedehnten Gebäudekomplexes im Südosten von Nürnberg, der 1938 im Zusammenhang mit dem Reichsparteitagsgelände erbaut wurde und als Unterkunft des Nürnberger SS-Sturmbanns geplant war. Während des Zweiten Weltkrieges wurden hier Nachrichteneinheiten der Waffen-SS und der Polizei ausgebildet bzw. stationiert. Nach Ende des Krieges diente sie zunächst als Unterkunft für tausende DP’s, deren Versorgung die US-Militärverwaltung übernahm. Nach der vollständigen Räumung 1948 nutze das 2nd Armored Cavalry Regiment der US-amerikanischen Streitkräfte die Kaserne bis ins Jahr 1992 als Truppenunterkunft, die in dieser Zeit den Namen "Merrell-Barracks" trug. Mitte 1993 begann der Umbau in ein Bürogebäude für ca. 1.000 Mitarbeiter. Bis Dezember 1996 zog das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit den Abteilungen Grundsatz und Zentrale Verwaltung ein. Das Bundesamt expandierte aufgrund der zunehmenden Asylmigration bis 1993 stetig und erreichte den Personalstand von 4.100 Mitarbeitern in der Zentrale in Nürnberg bzw. Zirndorf und den 48 Außenstellen sowie weiteren tausend Mitarbeitern, die von anderen Behörden vorübergehend zum Bundesamt abgeordnet worden waren. Mit dem Rückgang der Asylgesuche wurde auch der Personalbestand der Behörde wieder abgebaut. 1999 hatte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge etwa 2.300 Mitarbeiter. Davon waren zu dieser Zeit etwa 850 in der Nürnberger Zentrale tätig. Außer der Nürnberger Zentrale unterhielt das Bundesamt – verteilt auf alle Bundesländer – 32 Außenstellen, unter ihnen auch eine in Zirndorf. 2005 wurde schließlich aus dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge das Interner Link: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

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Fussnoten

Fußnoten

  1. Heimatlose Ausländer ist die bundesdeutsche Bezeichnung für Displaced Persons (DP's).

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Patrice G. Poutrus, Dr. phil., Historiker. Schwerpunkte: deutsche-deutsche Zeitgeschichte und Migrationsgeschichte, insbesondere Flucht und Asyl während des Kalten Krieges, Mitglied des Netzwerkes Grundlagen der Flüchtlingsforschung.