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Frankreich | bpb.de

Frankreich

Christian Joppke

/ 3 Minuten zu lesen

Während die zivile Integration in den Niederlanden eine klare Abkehr von der früheren "Minderheiten-Politik" ist, stellt ihr Pendant in Frankreich eher die Fortsetzung älterer Assimilationsansätze dar.

Demonstration für die Rechte von Migranten in Paris 2007. (© picture-alliance / Godong)

Die früheste Version sind die "Einführungsplattformen" (plates-formes d´accueil): freiwilliger Halbtagsunterricht für bestimmte Zuwanderergruppen (ursprünglich nur Familiennachzügler). Dieses Programm wurde 1998 von der sozialistischen Regierung unter Premierminister Jospin eingeführt.

Im Juli 2003 wurde von der gaullistischen Raffarin-Regierung das ehrgeizige Programm "Aufnahme- und Integrationsvertrag" (Contrats d´accueil et de l´intégration, CAI) aufgelegt. Es umfasst eine eintägige gesellschaftspolitische Einführung sowie im Anschluss daran bis zu 500 Stunden französischen Sprachunterricht, sofern dieser als notwendig erachtet wird. Interessanterweise wird in der Regel nur jedem dritten Neuzuwanderer ein Sprachkurs empfohlen (bzw. aufoktroyiert). Das liegt daran, dass die Mehrheit der Zuwanderer nach Frankreich frankophon sind – ein Vorteil in Bezug auf die Herausforderungen der zivilen Integration gegenüber beispielsweise den Niederlanden oder Deutschland, wo Spracherwerb ein sehr viel dringenderes Anliegen ist.

Im Vergleich zu den Niederlanden erfolgte der Übergang von freiwilligen zu verpflichtenden Kursen und zu einer stärkeren Sanktionierung eher schrittweise. Im ersten Jahr nach Inkrafttreten des CAI unterzeichneten 90 % aller Zugewanderten, die in Frage kamen, ein Integrationsabkommen. Doch nur 65 % derjenigen, denen darin ein Französischkurs nahegelegt wurde, kamen ihrer Selbstverpflichtung tatsächlich nach. Somit wurde der CAI bald als obligatorische Maßnahme verstärkt: Ein vom damaligen Innenminister Sarkozy initiiertes Gesetz vom November 2003 schränkte zunächst den Zugang zum dauerhaften Aufenthaltsrecht für Ausländer ein und koppelte die Vergabe einer zehnjährigen Aufenthaltsgenehmigung an eine erfolgte intégration republicaine. Diese republikanische Integration verlangt laut neuem Gesetz von den Zuwanderern "Kenntnisse der französischen Sprache und der Grundsätze der Französischen Republik". Als eine der wichtigsten Konsequenzen dieses Gesetzes erhalten nachziehende Familienmitglieder (Ehegatten und minderjährige Kinder) zunächst nur eine einjährige Aufenthaltsgenehmigung, die allerdings verlängert werden kann. Bislang erhielten sie aber in der Regel direkt eine Aufenthaltsgenehmigung für zehn Jahre bzw. zumindest den gleichen Aufenthaltsstatus wie das bereits ansässige Familienmitglied. Der Antrag auf eine zehnjährige Aufenthaltsgenehmigung kann nun frühestens nach zwei Jahren gestellt werden – vorbehaltlich der bis dahin erfolgten intégration républicaine.

Das erste Sarkozy-Gesetz enthielt noch keine genauen Vorschriften darüber, wie die intégration républicaine formal definiert und operationalisiert werden sollte. Der nächste Schritt bestand logischerweise darin, Integration im Sinne der Integrationsvereinbarung CAI zu definieren und den CAI zu einer Voraussetzung für eine 10-Jahres-Genehmigung zu machen. Dieser Schritt wurde in Sarkozys zweiter Amtszeit als Innenminister im Frühjahr 2006 durch ein weiteres Zuwanderungsgesetz vollzogen. Es hat laut offizieller Verlautbarung die Aufgabe, "das Angesicht Frankreichs für die nächsten 30 Jahre zu gestalten". Das umfangreiche Gesetz veranschaulicht geradezu paradigmatisch die gegenwärtige Transformation der Zuwanderungs- und Integrationspolitik in Europa. Nach Sarkozys Worten soll das neue Gesetz einen grundsätzlichen Umschwung von "ungewollter" (subie) zu "ausgewählter" (choisie) Zuwanderung herbeiführen. Dies bedeutet eine Öffnung für hoch qualifizierte Zuwanderer, bei gleichzeitiger Abschottung gegenüber weniger qualifizierten Zuwanderern – vor allem Familiennachzügler und Asylbewerber. Nicht nur in Frankreich tragen die neu eingeführten, obligatorischen Integrationsmaßnahmen maßgeblich zu dieser selektiven Einwanderung bei.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Für weitere Informationen zu Integrations- und Zuwanderungsthemen in Frankreich siehe Engler, M. (2007). "Frankreich" focus Migration Länderprofil Nr. 2.

Dr. Christian Joppke ist Professor für Politikwissenschaft an der Graduate School of Government, The American University of Paris.