Einwanderung ist nach wie vor ein höchst kontrovers diskutiertes Thema im Vereinigten Königreich und zwar aus folgenden Gründen: Erstens scheint das Versprechen der Regierung, die jährliche Nettomigration auf unter 100.000 zu senken, wenig Aussicht auf Erfolg zu haben; aktuelle Zahlen zeigen, dass sie sich derzeit auf 243.000 beläuft. Die Gründe für das Versagen der Regierung, ihr Versprechen einzulösen, sind klar: Die Regierung kann die EU-Binnenmigration nur indirekt einschränken, z.B. indem sie nicht beschäftigten Migranten vorschreibt, sich für eine bestimmte Zeitspanne selbst finanzieren zu müssen. Daneben hat die Regierung auch keine Kontrolle über das Auswanderungsgeschehen. Sollte sich die Wirtschaft weiter erholen, steht zu erwarten, dass die Auswanderung abnimmt, während die Einwanderung steigt. Zweitens steht die United Kingdom Independence Party (UKIP; Britische Unabhängigkeitspartei) bei den Wählern hoch im Kurs; Umfragen zufolge geben neun bis 16 Prozent der Wähler dieser Partei ihre Stimme. Die Attraktivität der Partei basiert auf ihrer ablehnenden Haltung gegenüber Einwanderung, insbesondere aus EU-Ländern. Die regierenden Konservativen fürchten, dass ihnen die UKIP den Rang abläuft.
Die UKIP ist eine wirkungsmächtige Größe in der politischen Landschaft des Vereinigten Königreichs, weil sie es geschafft hat, drei traditionelle, grundlegende Ansätze populistischer und ultrarechter Politik zu vereinen: Europafeindlichkeit, Einwanderungsfeindlichkeit und Fremdenfeindlichkeit, wobei letztere den beiden ersteren teilweise inhärent ist. Die Regierung hat insbesondere auf Druck der konservativen Partei mit drei Maßnahmen versucht, auf die Erfolge der UKIP zu reagieren. Erstens macht sie von einwanderungsfeindlicher Symbol-Politik Gebrauch. Im Juli und August 2013 ließ die Regierung Busse mit großen Postern, die die Aufschrift trugen "Illegal im Vereinigten Königreich? Geh nach Hause oder in Haft", durch sechs Londoner Bezirke fahren.
Schlussbemerkungen
Das Thema Migration steht derzeit höher auf der politischen Agenda als jemals zuvor in der Geschichte des Vereinigten Königreichs und zum ersten Mal in der Geschichte der britischen Politik stellt Einwanderung eine direkte Bedrohung für die breite Wahlunterstützung der Konservativen, der bislang erfolgreichsten Partei in der britischen Geschichte, dar. Zwei Faktoren bilden den Hintergrund für die aktuelle Krise.
Der erste Faktor ist die vor einem Jahrzehnt von der Labour-Regierung getroffene Entscheidung, keine Übergangssperren für die Einwanderung aus den A8-Ländern zu verhängen; diese war eine freiwillige Entscheidung und in diesem Sinne war die Einwanderungskrise, die daraus folgte, selbst gewählt.
Der zweite Faktor, der zu den migrationsbasierten politischen Veränderungen beigetragen hat, ist der Aufstieg der UKIP. Seit dem Wahlkampf im Vorfeld der Europawahlen im Mai 2014 ist es der Partei erfolgreich gelungen, Einwanderungsfeindlichkeit mit einem der umstrittensten Themen der britischen Politik zu verknüpfen: Europa, d.h. die Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Weil die Einwanderung aus der EU aufgrund der Freizügigkeitsbestimmungen so schwer zu kontrollieren ist und das Thema der EU-Mitgliedschaft die konservative Partei spaltet, ist es David Cameron und der Führungsspitze der Konservativen bislang so schwer gefallen, dem Thema Einwanderung in der Politik und im Zuge von Wahlen Wind aus den Segeln zu nehmen und die Bedrohung, die von der UKIP ausgeht, abzuwenden. Wie sich diese Situation weiterentwickelt, wird davon abhängen, welche Partei bzw. Parteien die nächsten Parlamentswahlen, die 2015 stattfinden, gewinnen. Für den Augenblick werden die Nettoeinwanderung, die jährlich über 100.000 Menschen liegt, und die erfolgreiche Verbindung von Einwanderung mit der Kritik an der Bedrohung der britischen Souveränität durch die EU dafür sorgen, dass das Thema Einwanderung hoch oben auf der politischen Agenda bleibt.
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